Im Interview erläutert der Informatiker Apratim Purakayastha, welche Fähigkeiten Künstliche Intelligenz von den Beschäftigten verlangt, wie schnell sich die Technologie weiterentwickelt und warum Unternehmen eine ganzheitliche KI-Strategie verfolgen sollten.
Apratim Purakayastha ist General Manager of Talent Development Solutions bei Skillsoft.
Skillsoft
springerprofessional.de: Herr Purakayastha, die Einführung von Künstlicher Intelligenz (KI) verändert die Arbeitswelt fundamental. Aber wie steht es um das Know-how der Beschäftigten?
Apratim Purakayastha: Künstliche Intelligenz liegt weiterhin absolut im Trend. Trotzdem kämpfen viele Führungskräfte noch immer damit, sicherzustellen, dass ihre Beschäftigten auf die Nutzung der Technologie vorbereitet sind. Unser jüngster Bericht zu IT-Kompetenzen und Gehältern ergab, dass zwar vorrangig in KI investiert wird, IT-Verantwortliche jedoch eine erhebliche Qualifikationslücke sehen und die KI/ML-Kenntnisse ihrer Teams am niedrigsten (34 Prozent) bewerten. Während wir derzeit einen grundlegenden technologischen Wandel erleben, sind die damit verbundenen Fähigkeiten oft noch nicht flächendeckend vorhanden. Einige Mitarbeiter haben bereits erste Erfahrungen mit generative Artificial Intelligence (genAI) gesammelt, vielen fehlt es aber noch an einem grundlegenden Verständnis dafür, was KI leisten kann, wo ihre Grenzen liegen und wie sie sinnvoll und sicher in den eigenen Arbeitsalltag integriert werden kann. Das Problem ist: Künstliche Intelligenz ist keine isolierte technologische Entwicklung mehr – sie wird in nahezu allen Unternehmensbereichen eingesetzt, von Human Resources (HR) über Marketing bis hin zur Produktion oder strategischen Planung. Es reicht daher nicht aus, nur Spezialisten weiterzubilden. Wir brauchen eine breitenwirksame Qualifizierungsstrategie, die Beschäftigte auf allen Ebenen befähigt, mit KI zu arbeiten – kritisch, reflektiert und verantwortungsvoll. Es ist essenziell, KI-Kompetenzen als Teil einer übergreifenden Future-Skills-Strategie zu betrachten. Es geht nicht nur um Tool-Wissen, sondern auch um Fähigkeiten wie analytisches Denken, ethisches Urteilsvermögen und das Verstehen algorithmischer Entscheidungsprozesse. Unternehmen, die diesen Kompetenzaufbau frühzeitig anstoßen, verschaffen sich nicht nur einen Wettbewerbsvorteil – sie schaffen auch die Grundlage für eine nachhaltige, menschenzentrierte Digitalisierung.
KI-Technologie entwickelt sich äußerst rasant weiter. Inwieweit kann klassische IT-Weiterbildung da überhaupt mithalten?
Die Innovationszyklen im Bereich "Künstliche Intelligenz" sind außergewöhnlich kurz. Ständig tauchen neue Modelle, Tools und Anwendungen auf, die traditionelle Formen der IT-Schulung schnell an ihre Grenzen bringen. Seminare, Zertifikatskurse oder standardisierte Schulungen können mit diesem Tempo kaum Schritt halten. Was es heute braucht, ist ein dynamischer, kontinuierlicher Lernansatz, der sich unmittelbar an der Praxis orientiert. Zudem sehen wir, dass Lernen zunehmend in den Arbeitsprozess integriert wird. Learning & Development (L&D) müssen flexibel, kontextbezogen und individualisiert sein, um mit der rasanten Entwicklung der KI-Technologien Schritt zu halten.
Nach generativer KI gilt jetzt "Agentic AI" als der nächste große Gamechanger. Was hat es damit auf sich und ist der Hype gerechtfertigt?
Ja, definitiv. Agentic AI beschreibt eine neue Generation von KI-Systemen, die nicht nur Inhalte generieren, sondern auch autonom handeln, Entscheidungen treffen und dabei fortlaufend lernen. Agentic AI kombiniert Large Language Models (LLMs) mit sogenannten Retrieval-Augmented-Generation-Mechanismen sowie Workflow-Logik, um komplexe Aufgaben automatisiert auszuführen. Sie sind also nicht nur Werkzeuge, sondern aktive Akteure im Arbeitsprozess. Ein Beispiel: Während generative KI eine Produktbeschreibung erstellen kann, würde eine Agentic AI die Marktforschung durchführen, auf relevante Kundendaten zugreifen, die Beschreibung individuell anpassen, sie in das Content-Management-System (CMS) einspeisen und eventuell sogar A/B-Tests anstoßen – und all das selbstständig. Gartner prognostiziert, dass solche Agenten bis 2028 rund 15 Prozent aller alltäglichen Arbeitsentscheidungen übernehmen werden. Der Hype ist also durchaus gerechtfertigt, allerdings mit einer wichtigen Einschränkung: Die Leistungsfähigkeit dieser Systeme hängt stark davon ab, wie gut sie trainiert und in die Unternehmenslandschaft eingebettet sind. Dazu gehört auch, wie gut die Mitarbeiter für den Umgang mit dieser neuen Technologie geschult sind. Und hier stehen viele Organisationen noch ganz am Anfang. Wer den Einsatz von Agentic AI ernst meint, muss nicht nur technologisch aufrüsten, sondern auch organisatorisch und kulturell neue Wege gehen. Es braucht klare ethische Leitplanken, eine kontinuierliche Datenpflege und nicht zuletzt ein neues Verständnis von Verantwortung und Kontrolle. Wenn die Beschäftigten agentenbasierte KI einsetzen, müssen sie wissen, wie sie diese autonome digitale Belegschaft verwalten und orchestrieren können.
Wie lässt sich Agentic AI sinnvoll integrieren und wer ist künftig verantwortlich für das Training dieser intelligenten Agenten?
Die Integration von Agentic AI in bestehende Unternehmensprozesse ist kein Plug-and-Play-Vorgang – sie erfordert eine ganzheitliche Strategie, die Technologie, Organisation und Lernen miteinander verzahnt. Unternehmen sollten sich zunächst auf konkrete, wertschöpfende Anwendungsfälle konzentrieren. Alle Anwendungen verlangen jedoch nach kontinuierlichem Training und Kontextverständnis. L&D-Strategien sind der Schlüssel zur richtigen Integration dieser Technologie. Führungskräfte müssen L&D-Strategien richtig einsetzen, um nicht nur Mitarbeiter zu schulen, sondern auch die Verantwortung für die Schulung von KI-Agenten zu übernehmen. Dazu gehört, dass sowohl die Mitarbeiter als auch die KI-Systeme mit den richtigen Daten, Regeln und Zielen versorgt werden und dass sie unternehmensspezifische Prozesse verstehen, die im Einklang mit den Werten und Strategien des Unternehmens entwickelt wurden.