Mittelständler nutzen Künstliche Intelligenz bereits, um Prozesse zu automatisieren, so Experte Oliver Gürtler. Bei Generativer KI sind kleinere und mittlere Unternehmen allerdings zurückhaltender. Warum, erklärt der Leiter des Mittelstandsgeschäfts bei Microsoft Deutschland im Gespräch.
Oliver Gürtler ist seit November 2020 Leiter des Mittelstandsgeschäfts bei Microsoft Deutschland und damit zugleich Mitglied der Geschäftsleitung.
Microsoft Deutschland GmbH
springerprofessional.de: Laut einer Umfrage hat sich mehr als ein Drittel der deutschen Mittelständler Generativer KI noch gar nicht angenähert. Woran liegt das Ihrer Erfahrung nach?
Oliver Gürtler: Ich denke, die Zurückhaltung wird durch eine Unsicherheit verursacht, die durch mangelndes Wissen und begrenzte Ressourcen entsteht. Vor allem in den Fachbereichen mangelt es noch an Wissen über die Möglichkeiten Generativer KI, während es in den IT-Abteilungen besser aussieht. Solche Fälle sehe ich besonders im deutschen Mittelstand.
Doch wir müssen auch sehen, was diese Zahl im Umkehrschluss bedeutet: Fast zwei Drittel der Mittelständler haben sich schon mit Generativer KI beschäftigt. Viele Führungskräfte haben das Potenzial erkannt. Aber einige sind noch nicht bereit, die ersten Schritte zu gehen und KI-basierte Systeme umfassend strategisch zu integrieren. Manche kennen noch nicht die konkreten Anwendungsmöglichkeiten und die Chancen, die sich daraus ergeben. Hinzu kommt oft die Sorge, dass die Einführung hohe Investitionen erfordert, obwohl das nicht zwangsläufig der Fall ist.
Bei welchen KI-Anwendungsfällen sind kleinere Unternehmen weiter als bei Generativer KI?
Da habe ich schon einige spannende Beispiele gesehen. Viele Mittelständler nutzen Künstliche Intelligenz bereits für ganz konkrete Aufgaben, wie das Automatisieren von Prozessen oder die vorausschauende Wartung. Gerade in der Produktion und im Kundenservice ist schon viel passiert, denn diese Anwendungen sind oft überschaubar und liefern schnell Ergebnisse. Doch auch bei Generativer KI sind solche Unternehmen oft agiler als Konzerne. Sie entscheiden beispielsweise schneller, KI-basierte Systeme nach einer Pilotphase unternehmensweit auszurollen, weil die Benutzung so einfach ist und die Arbeit sehr erleichtert. Und sie experimentieren viel mit KI-Sprachmodellen.
Genau in diesen Bereichen liegt das große Potenzial von Generativer KI, und immer mehr Mittelständler erkennen es. Wir haben beispielsweise in einer repräsentativen Umfrage gefragt, wo und wie sie den größten Nutzen am Arbeitsplatz bringt: In kleinen und mittelständischen Unternehmen wurden am häufigsten das Zeitmanagement und die Produktivität genannt. Aber auch die Kreativität wurde oft erwähnt - und zwar um fast ein Drittel mehr als in größeren Unternehmen.
Die wirtschaftliche Situation ist angespannt. Unternehmen investieren eher verhalten. Wie aber kann gerade Generative KI helfen, Kosten zu sparen?
Generative KI spart Kosten, indem sie beispielsweise Arbeitsprozesse beschleunigt und Effizienz steigert. Doch sie kann auch beim Steigern des Umsatzes helfen. Diese Tools erstellen in Sekunden ganze Dokumente oder Präsentationen und können Informationen viel schneller zusammenfassen, als es Menschen möglich ist. Das spart Zeit und ermöglicht der Belegschaft, sich auf wichtigere Aufgaben oder entscheidende Kunden zu konzentrieren.
Ich kenne Fälle, bei denen Mittelständler Generative KI zum Prüfen von Verträgen oder anderen Dokumenten nutzen und dadurch teilweise Kosteneinsparungen von 80 Prozent erzielen. Auch kreativere Aufgaben, wie das Erstellen von Texten, lassen sich dadurch viel schneller und einfacher erledigen. Manche Unternehmen nutzen Microsoft Copilot beispielsweise im Vertrieb: Sie lassen sich E-Mails an Kunden gezielt so formulieren, dass die Auftragswahrscheinlichkeit steigt, und ein Unternehmen konnte die Bestellquote in seinem Webshop durch KI-generierte Produktbeschreibungen um neun Prozent steigern.
Die Hürden für den Einstieg sind übrigens sehr niedrig, denn Generative KI kann als einfache Erweiterung für Standard-Büroprogramme genutzt werden. Auch Mittelständler können sie sofort einsetzen. Sie kann der Schlüssel sein, um sich strategisch besser aufzustellen und mehr wirtschaftlichen Erfolg zu erzielen. Jeder Euro, der investiert wird, bringt einen Return-on-Invest von 3,50, sagte der Microsoft-CEO Satya Nadella neulich.
Wissing und Habeck hatten kurz vorm Bruch der Ampelkoalition angekündigt, KI im Mittelstand befeuern zu wollen. Welche Weichen muss eine künftige Regierung stellen, um Künstliche Intelligenz hierzulande zu fördern?
Um KI im Mittelstand zu fördern, braucht es klare Rahmenbedingungen, sowie Investitionen in die digitale Infrastruktur und Bildung. Das sind Grundvoraussetzungen, um die sich jede Regierung kümmern sollte - unabhängig davon, wie zusammensetzt ist. KI ist eine Grundlagentechnologie, die mit dem Internet, Computern oder der Elektrifizierung vergleichbar ist - und der Wirtschaft einen unglaublichen Schub geben kann. Auch dem deutschen Mittelstand. Es ist entscheidend, dass bereits jungen Menschen die Nutzung von KI in Schule, Ausbildung oder Universität erlernen. Außerdem braucht es eine transparente Kommunikation über die Vorteile und Chancen, um Vorbehalte abzubauen und Vertrauen zu schaffen. Deutschland muss ein KI-Innovationsstandort sein, in dem das Potenzial dieser Technologie erkannt und durch eine kluge Politik begünstigt wird.
Ein anderes Problem ist eine Verweigerungshaltung gegenüber KI, die eine weitere Studie ermittelt hat, auch Ablehnung und Sorgen durch Beschäftigte. Wie können Unternehmen mit solchen Vorbehalten umgehen? Was müssen sie konkret dagegen tun?
In meinen Gesprächen erlebe ich keine generelle Verweigerungshaltung, und Vorbehalte sind bei so einer revolutionären Technologie verständlich. Unternehmen sollten deshalb ihre Mitarbeitenden genau über KI und ihre Integration ins Geschäft informieren und sie aktiv an der Einführung beteiligen. Vor allem am Anfang gibt es viele Fragen, beispielsweise über Rationalisierung oder Datenschutz, bevor KI zum gern genutzten Werkzeug wird und ihr Einsatz durch Betriebsvereinbarungen geregelt ist. Das gilt besonders für den deutschen Mittelstand.
Transparente Kommunikation über den Nutzen und konkrete Beispiele, wie KI den Arbeitsalltag erleichtert, können da helfen. Die Mitarbeitenden möchten verstehen, wie KI von Routineaufgaben entlastet und mehr Zeit für kreative oder besonders wichtige Aufgaben schafft. Führungskräfte sollten Sorgen ernst nehmen und gezielte Weiterbildungsangebote schaffen, damit ihre Beschäftigten die Technologie optimal nutzen können. Dabei ist es mir auch immer wichtig zu betonen, dass KI ein unterstützendes Werkzeug ist, aber Menschen nicht ersetzt.