Skip to main content

09.03.2023 | Künstliche Intelligenz | Interview | Online-Artikel

"Künstliche Intelligenz ist ohne Daten ein zahnloser Tiger"

verfasst von: Dieter Beste

7 Min. Lesedauer

Aktivieren Sie unsere intelligente Suche, um passende Fachinhalte oder Patente zu finden.

search-config
print
DRUCKEN
insite
SUCHEN
loading …

Methoden der Künstlichen Intelligenz leisten in der industriellen Produktion wertvolle Dienste. Britta Hilt, Geschäftsführerin des Anbieters IS Predict, skizziert im Interview mögliche Anwendungen auch anhand von Beispielen.

springerprofessional.de: Stichworte für Künstliche Intelligenz (KI) in der Produktion sind zum Beispiel "Qualität in der Produktion", "vorausschauende Wartung" oder "Optimierung des Energieverbrauchs". Können Sie diese Schlagworte ordnen? Gibt es unterschiedliche KI-Methoden für unterschiedliche Ziele?

Britta Hilt: Für die genannten Schlagworte können die gleichen KI-Methoden eingesetzt werden. Wir müssen aber etwas tiefer, das heißt auf die jeweils konkrete analytische Fragestellung schauen. Zum einen spielt das Thema "Prognose" eine große Rolle. Zum anderen das Thema "Erkennen von Einflüssen".

Empfehlung der Redaktion

2023 | OriginalPaper | Buchkapitel

Künstliche Intelligenz für die industrielle Produktion – Ein kontextorientierter Bewertungsrahmen

Mit dem vorliegenden Buchbeitrag wird ein differenzierter Blick auf das Wertversprechen der Digitalisierung für die industrielle Produktion geworfen. In Anlehnung an die Wissenstreppe nach North wird zunächst ein Bewertungsrahmen in Form eines …

Zunächst zur Prognose ...

Für das Thema Prognose eignen sich oft Deep-Learning - Verfahren. Damit können Fragen wie "Welche Qualität wird bei einem Produkt erreicht?" beantwortet werden. Bei der spanenden Fertigung von Einspritzdüsen müssen beispielsweise eine Reihe von Qualitätskennzahlen erreicht werden. Weiß man frühzeitig und zuverlässig, dass eine bestimmte Kennzahl nicht erreicht wird, kann man noch gegensteuern oder die Bearbeitung notfalls abbrechen.

Inzwischen ist "Predictive Maintenance" in aller Munde.

Ja, denn man möchte ja wissen, wann genau eine Anlage an ihre kritischen Grenzen stößt und möglicherweise ausfällt. So ist bekannt, dass der Ausfall der Klimaanlage in einem Rechenzentrum zu Datenverlusten und Schäden an den Servern führen kann. Kennt man nun dank KI den Zeitpunkt des Ausfalls der Anlagenkomponente, kann der Servicetechniker frühzeitig eingreifen.

Gleiches gilt für die Optimierung des Energieverbrauchs. Hier will man wissen, wie viel Energie zu welchem Zeitpunkt in einem Prozess verbraucht wird. In Stahlwerken beispielsweise benötigen die Schmelzöfen sehr viel Energie. Um nun den Energieeinkauf entsprechend den Marktgegebenheiten zu optimieren, kann Künstliche Intelligenz die Grundlagen liefern – verlässliche Planungsdaten. Solche Optimierungsaufgaben löst KI natürlich auch für kleinere Energieverbraucher. Viele produzierende Unternehmen nutzen bereits Strom aus PV-Anlagen auf ihren Dächern, die jedoch fast nie den gesamten Stromverbrauch decken. Hier gilt es, diese Komponente mit Hilfe von KI optimal in das Energiemanagement einer Fabrik einzubinden – wie viel Energie wird wann benötigt und wann erzeugt?

In all diesen Fällen dient KI als Prognosewerkzeug. Was ändert sich, wenn es um das Erkennen von Einflüssen geht?

Während bei der Lösung von Prognoseaufgaben Deep Learning im Vordergrund steht, stoßen die zugrundeliegenden künstlichen neuronalen Netze bei der Analyse von Einflussfaktoren an ihre Grenzen. Hier geht es zum Beispiel um die Beantwortung von Fragen wie "Warum wird manchmal schlechtere Qualität produziert?", "Warum fallen Anlagen aus?" oder "Warum benötigen wir manchmal deutlich mehr Energie für das gleiche Ergebnis?".

Können Sie auch hier Beispiele nennen?

Einer unserer Kunden produziert Getriebe in 700 Varianten; 1100 Getriebe pro Tag. Dafür setzt er fast 1000 Produktionsmaschinen ein. Die Komplexität wird noch dadurch erhöht, dass Teile von verschiedenen Lieferanten in unterschiedlichen Losgrößen zugekauft werden. Kommt es zu Ausschuss, ist die Ursachenforschung schwierig. Manchmal sucht man wochenlang – und plötzlich löst sich das Problem von selbst, indem es einfach verschwindet. Warum, bleibt dann unklar, man kann nur Vermutungen anstellen. Abweichungen in den Produktionsdaten zu erkennen – und zwar innerhalb weniger Minuten – ist eine Stärke der künstlichen Intelligenz. 

Ein anderes Beispiel ist die vorausschauende Wartung von Motoren in Lokomotiven. Die Frage an unsere Datenexperten lautete nicht nur "Wann fallen die Motoren aus", sondern "Warum fallen sie aus". Aus knapp 700 Datenpunkten, also knapp 700 "Eigenschaften", die den digitalen Zwilling der Lokomotive beschreiben, konnte die KI schließlich acht Einflüsse herausfischen, die in bestimmten Konstellationen zum Problem werden.

So viel Transparenz ist Gold wert, aber wie schafft man Transparenz?

Künstliche neuronale Netze sind eine Blackbox. Es gibt Hunderte, Tausende oder gar Hunderttausende von Verknüpfungen. Da kann man schon bei etwas komplexeren Analysen keine Transparenz mehr herstellen. Unser Lösungsansatz war, semantische Netze zu entwickeln, die wir hintereinanderschalten – also Deep Learning mit semantischen Netzen. Damit erreichen wir mindestens die gleichen Ergebnisse bei den Prognosen, schaffen aber zusätzlich Transparenz bei den Einflüssen. Hinzu kommt ein drittes, die Simulation: Was ist das Ergebnis, wenn man was wie einstellt? Auch hier kann Deep Learning mit semantischen Netzen helfen.

Wie können produzierende Unternehmen erfolgreich in das Thema KI einsteigen? Wie lassen sich potenzielle Anwendungsfälle für KI in der Produktion identifizieren?

In unserer Praxis hat es sich bewährt, in vier aufeinander aufbauenden Schritten vorzugehen: Am Anfang steht das Scoping, also die Definition der analytischen Fragestellung. Dazu gehört auch die Beantwortung der Frage, was genau die KI herausfinden soll. In diesem Schritt wird auch bereits diskutiert, welche Daten vorhanden sind beziehungsweise erhoben werden müssen. Daten sind das A und O – Künstliche Intelligenz ist ohne Daten ein zahnloser Tiger.

Im zweiten Schritt werden uns die besprochenen Daten als Extrakt geliefert und einer ersten Analyse unterzogen. In diesem Schritt wird bewertet, ob es sinnvoll ist, weiterzumachen, das heißt ein KI-Projekt aufzusetzen – oder nicht. Gegebenenfalls wird untersucht, was noch fehlt oder was noch zu tun ist.

Wenn Schritt zwei positiv bewertet wird, findet in der Regel ein Pilot statt. Das heißt, bei einem Automobilhersteller werden nicht gleich mehrere hundert Schweißroboter integriert, sondern vielleicht fünf oder zehn. Die Modelle – Prognosemodell, Anomalieerkennungsmodell, Analysemodell zur Ursachenfindung, Simulationsmodell, Steuerungsmodell – werden zu einem digitalen Zwilling aufgebaut, wobei ich lieber von einem digitalen Schatten spreche. Denn im Zwilling sieht man bildlich gesprochen nicht jedes Haar, aber man kann sich die Frisur vorstellen.

In diesem dritten Schritt werden die Modelle trainiert und dann mit Daten validiert, die nicht für das Training verwendet wurden. Dabei zeigt sich, wie zuverlässig die KI ist, also zum Beispiel wie hoch ihre Trefferquote bei Vorhersagen ist.

Im vierten Schritt wird die KI schließlich implementiert. Hier geht es um kontinuierlichen Datenzugriff, Dashboards und Workflows und was zu tun ist, damit sich die Ergebnisse der KI nahtlos in die bestehenden Prozesse einfügen.

Kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) fehlt es oft an Know-how und Manpower, um intelligente Algorithmen gewinnbringend einzusetzen. Wie können auch diese Unternehmen heute oder in Zukunft von KI-Tools profitieren?

Ich denke, dass zumindest die kleineren Unternehmen in der Klasse der KMU nur dann von KI profitieren werden, wenn sie Produkte – Software oder Geräte – kaufen, in denen KI bereits integriert ist. Vorimplementierte sogenannte adaptive KI passt sich dann vor Ort selbstständig an die individuellen Gegebenheiten im jeweiligen KMU an, lernt also den Kontext, in dem sie sich befindet. So funktioniert die KI auch in "fremden" Umgebungen gut. Diese Art des KI-Einsatzes wird in Zukunft vermutlich eine große Rolle spielen, da adaptive KI-Algorithmen auf KI-Herstellerseite sehr gut skalierbar sind.

AI International hat IS-Predict als bestes Unternehmen für adaptive und erklärende KI-Lösungen in Deutschland ausgezeichnet. Was macht den Unterschied in der KI aus, die Ihr Unternehmen anbietet?

Es ist wohl die Kombination der beiden Aspekte Adaptivität und Erklärbarkeit. Adaptivität erreichen wir durch selbstlernende Algorithmen. Erklärbarkeit mit semantischen Netzen. Wir sind davon überzeugt, dass sich Künstliche Intelligenz in komplexen Produktionsumgebungen nur dann durchsetzen kann, wenn sie nicht nur für einen begrenzten Zeitraum, sondern dauerhaft Mehrwert schafft. Und da sich die Dinge in der Produktion im Laufe der Zeit ständig ändern, muss sich KI selbstständig an diese Veränderungen anpassen können. Schließlich lohnt sich der flächendeckende Einsatz von KI für ein Unternehmen nur dann, wenn nicht bei jeder kleinen Änderung ein Data Scientist vorbeischauen muss. 

Und erklärende KI auf Basis semantischer künstlicher Netze ist wichtig, weil Anwender wissen wollen, warum eine KI wie entscheidet. Sie wollen nicht die Algorithmik hinter der KI verstehen, sondern die Gründe für die Entscheidungen der KI aus ihrer fachlichen Sicht transparent dargestellt bekommen. Adaptivität und Erklärbarkeit sind die Schlüssel zur Akzeptanz von KI in der Produktion.

print
DRUCKEN

Weiterführende Themen

Die Hintergründe zu diesem Inhalt

    Marktübersichten

    Die im Laufe eines Jahres in der „adhäsion“ veröffentlichten Marktübersichten helfen Anwendern verschiedenster Branchen, sich einen gezielten Überblick über Lieferantenangebote zu verschaffen.