Ersetzen künstliche Intelligenzen bald den Vertriebsmitarbeiter? Springer Professional-Kolumnist und KI-Experte Peter Gentsch macht eine realistische Bestandsaufnahme.
Prof. Dr. Peter Gentsch ist Entrepreneur und Experte im Bereich Digital Management und Big Data sowie Inhaber des Lehrstuhls für Internationale Betriebswirtschaftslehre an der HTW Aalen mit den Schwerpunkten CRM, E-Business und Digital Intelligence. Seit Oktober 2018 schreibt er außerdem als Kolumnist im Channel Marketing+Vertrieb für Springer Professional.
Prof. Dr. Peter Gentsch
Wir alle kennen Hollywoods Horrorszenario aus dem Film Matrix: Ein superintelligentes Computersystem versklavt uns Menschen und simuliert unsere Realität, die Matrix. Vielleicht haben wir auch mit Will Smith und dem humanoiden Roboter Sonny in "I, Robot" auf Weltrettungsmission mitgefiebert. Doch wie realistisch sind solche Szenarien eigentlich? Kann es sein, dass wir kurz vor dem Durchbruch einer maschinellen Super-Intelligenz stehen, die uns um Welten überlegen ist? Übernimmt die Künstliche Intelligenz (KI) Aufgaben der Menschen? Brauchen wir künftig keine Vertriebsmitarbeiter mehr?
Warten Sie nicht auf die Super-Intelligenz!
Wenn Sie in den nächsten 20 Jahren Ihre Produkte oder Dienstleistungen verkaufen wollen, sollten Sie nicht auf eine Super-Intelligenz warten, die das für Ihr Unternehmen übernimmt. Am Ende des Tages basiert die heutige KI auf Daten und Statistik und ist damit immer noch recht mechanistisch. Ein KI-System hat derzeit nicht die Intuition und das Bauchgefühl eines Vertriebsmitarbeiters. Ein weiteres Problem der KI ist das Schlussfolgern nach gesundem Menschenverstand. Ein Computer kennt nur Fakten, die explizit aufgeführt und abrufbar sind. Für uns Menschen ist implizites Wissen selbstverständlich. Und dennoch kann die KI heute schon den Vertrieb substantiell verbessern.
Automation und Augmentation, aber nicht Substitution
Zum einen kann die KI Prozesse wie
- die Identifikation,
- Vorhersage und
- Profilierung von Leads automatisieren.
Ebenso hilft Künstliche Intelligenz als smarte Technologie dabei, die richtige Botschaft mit einer adäquaten Tonalität über den richtigen Kanal zur passenden Zeit und Zielgruppe zu senden. Auch die systematische Kommunikation mit Leads und Kunden kann zum Teil automatisiert werden. Das betrifft zum einen die KI Sales-Prozesse, zum anderen unterstützt sie Vertriebsverantwortliche dabei, bessere Entscheidungen zu treffen (Augmentation).
Gerade in einer immer dynamischer und komplexer werdenden Welt mit crossmedialen Customer Journeys, diversen Kundenkontaktpunkten und Vertriebskanälen hilft die KI, die richtigen Sales-Trigger zu identifizieren. Während sich bisherige analytische Lösungen im Vertrieb nur durch isolierte Datensilos aus historischen Daten wühlen, kann die KI Kommunikations-Trigger in den jeweiligen Kanälen und Kontexten antizipieren. Diese analytische Kontextualisierung der Sales-Situation in Echtzeit stellt einen klaren Wettbewerbsvorteil da. Wenn es aber um die richtige Sales-Strategie oder um persönlichen Kontakt, Empathie und Vertrauen geht, ist der Mensch unverzichtbar. KI wird damit den Menschen im Vertrieb nicht vollständig ersetzen.
Bei der Einführung von KI-Systemen in Unternehmen bestehen häufig Bedenken und Ablehnungen; insbesondere scheint das Herrschaftswissen des Vertrieblers attackiert zu werden. Dazu kann ich nur sagen: Ein Vertriebler sollte keine Angst vor KI haben, er sollte Angst vor Vertrieblern haben, die diese Technologie erfolgreich für ihren Job einsetzen.
Künstliche Intelligenz neu interpretieren
Das Erfolgskonzept Artificial Intelligence (AI) sollte in diesem Verständnis neu im Sinne des Augmented Intelligence interpretiert werden: Wir müssen KI-Systeme so einsetzen, dass sie uns Menschen in unserem Tun und Handeln stärkt. Künstliche Intelligenz muss die menschliche Intelligenz maximal unterstützen.
Ein Film über einen Supercomputer, der uns in diesem Verständnis in unserem alltäglichen und professionellen Leben unterstützt, wird wohl nicht genug Drama und Action für eine gute Hollywood-Story bieten. Wir sollten uns nicht von Fiktion beeindrucken lassen, die mit einer Angst spielt, die genauso lange existiert, wie die Faszination von einer durch uns kreierten Intelligenz.