Virtuelle Versicherungsassistenten verheißen Kunden eine bessere Customer Experience und Kostensenkungen für Unternehmen. Chatbots stellen sogar Weltrekorde in der Bearbeitung von Anfragen auf.
Versicherer vertrauen den Kontakt mit ihren Kunden zunehmend künstlicher Intelligenz an.
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Lästiger Papierkram, lange Wartezeiten und komplizierter Fachjargon: Seit Langem schlägt sich die Versicherungswirtschaft mit diesem Stigma herum. Nun bahnt sich eine Wende an. Denn smarte Chatbots und Sprachassistenten werden immer häufiger von Versicherungsanbietern eingesetzt und sorgen für eine deutliche Verbesserung des Kundenservice. Neben der so gesteigerten Kundenzufriedenheit arbeiten virtuelle Sprachassistenten auch erheblich effizienter. Während im herkömmlichen Kundenservice nur eine Anfrage nach der nächsten bearbeitet wird, bedienen virtuelle Sprachassistenten in Echtzeit mehrere Kunden auf einmal. Der ein oder andere Kritiker mag einwenden, dass bisher eingesetztes Personal seine Beschäftigung verliert. Befürworter von Chatbots halten dagegen, mit deren Implementierung hätten Mitarbeitenden die Möglichkeit, ihre Expertise in Aufgabenbereichen einzusetzen.
Bots und virtuelle Assistenten optimieren die Customer Experience
Während andere Technologien häufig an einem bestimmten Punkt ihrer Entwicklung scheitern, steckt in Chatbots das Potenzial, den Kundenservice in Versicherungsunternehmen zu verbessern. Chatbots optimieren die Customer Experience und senken die internen Kosten. Deshalb dürften sich Bots nach und nach gegen Websites, Apps und traditionelle Call-Center durchsetzen.
Die Vorteile, die Chatbots Versicherungsunternehmen bieten, lassen sich in folgenden sechs Punkten zusammenfassen:
- Chatbots schenken ein Gefühl von Sicherheit: Virtuelle Assistenten stehen für die Bearbeitung von Kundenanfragen rund um die Uhr zur Verfügung – egal wann jemand sein Handy verloren hat oder eine Reklamation erforderlich ist.
- Kunden wünschen sich Echtzeitreaktionen: Gerade in Zeiten der Schnelllebigkeit passen sich auch Versicherungen verstärkt an den geänderten Kundenbedürfnissen an. Bots und Sprachassistenten können diesem Anspruch gerecht werden, indem sie Policen einreichen, Schadensfälle bearbeiten und Fragen innerhalb von Sekunden beantworten. Zum Vergleich: Die Bearbeitungszeit des herkömmlichen Kundenservice kann mehrere Wochen dauern.
- Personalisierte Dienstleistungen: Chatbots und Sprachassistenten rufen nicht nur Kundendaten und vergangene Transaktionen innerhalb weniger Sekunden ab, sondern integrieren dieses Wissen in der Bearbeitung jeder neuen Anfrage und geben Empfehlungen in Anlehnung an die bisher gesammelten Daten dieser Person ab.
- Kundenbindung: Je zufriedener Kunden mit der Bearbeitung einer Anfrage sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich langfristig an die Versicherung binden.
- Zeiteffizienz: Der Einsatz von virtuellen Sprachassistenten erlaubt Unternehmen, mehrere Kundenanliegen gleichzeitig zu bearbeiten und somit mehr Kunden in einer kürzeren Zeit zu beraten.
Anwendungsfälle in der Versicherungsbranche
Nach der Theorie nun die Praxis: Wie verhält es sich mit Anwendungsfällen von Chatbots in Versicherungsunternehmen? Eine Vielzahl von Unternehmen in der Branche haben bereits Conversational AI in ihren Kundenservice integriert. Als Pioniere gelten folgende Versicherungsanbieter:
Lemonade: Das Versicherungsunternehmen strebt einen komplett mit Conversational AI gesteuerten Kundenservice an. Schon heute setzt der Versicherer drei verschiedene Chatbots ein, um seine Kunden zu bedienen und ist die erste Versicherungsgesellschaft, die die gesamten Kundendienstleistungen via Chatbots und KI anbietet. Die Bots, die bei den Versicherungsscheinen zur Anwendung kommen, sind in der Lage, die Policen innerhalb von 90 Sekunden zu verarbeiten.
Im Jahr 2018 verkaufte Lemonade mehr als 100.000 Policen – die Technologie dahinter erforderte dabei keinen einzigen menschlichen Eingriff. Zudem betrug die Bearbeitungszeit von Schadensfällen zwischen drei und acht Sekunden. Das Unternehmen hat einen Weltrekord in der schnellsten Schadensachbearbeitung aufstellen können und forscht weiter in Richtung Automatisierung vieler Backend-Aufgaben innerhalb des Unternehmens durch den Einsatz von Bots und Voice AI.
Helvetia: Die Schweizer Versicherungsgesellschaft setzt Chatbots ein, um Kunden eine mobile Lösung bei der Bearbeitung von Schadensfällen anzubieten. Kommt es zum Beispiel zum Fahrraddiebstahl, ist der Chatbot innerhalb weniger Sekunden und rund um die Uhr in der Lage, den Anspruch zu bearbeiten. Auch Reklamationen gestalten sich für Kunden einfach. Nach der Bearbeitung erfolgt die Rückerstattung des Betrags durch direkte Überweisung auf das Bankkonto des Kunden. Um die Identität des Kunden zu identifizieren, erfolgt eine mehrstufige Authentifizierung aus Fragen zu persönlichen Daten sowie Vertragsdaten. Hierdurch gewährleistet Helvetia, dass es sich tatsächlich um den jeweiligen Kunden handelt.
Leo: Damit Versicherungsgesellschaften in der digitalen Welt mithalten können, ist Leo entwickelt wurden. Der Chatbot steht Kunden 24 Stunden am Tag zur Verfügung und erleichtert so die Arbeit der Versicherungsvertreter. Um die Anfragen von Kunden bestmöglich zu bearbeiten, schöpft Leo sein Wissen aus ihren Antworten und deren bisher gesammelten Daten. Leo arbeitet eigenständig, indem er Daten automatisch erfasst. Hinzu kommt, dass der Chatbot Verträge verlängern, Werbeangebote versenden und Kunden mit Zahlungserinnerungen versorgen kann. Die dadurch gewonnene Zeit können die Mitarbeiter der Versicherungsgesellschaft für übergeordnete Aufgaben nutzen.
Axa: Die französische Versicherungsgesellschaft hat einige virtuelle Sprachassistenten im Kundenservice implementiert. Deutsche Kunden können dem Chatbot spezifische Fragen zur Gesundheitspolitik stellen. Dieser Chatbot bearbeitet seit seiner Einführung Anfang des Jahres 2019 durchschnittlich zwischen 600 und 700 Anfragen pro Tag. Der neueste Chatbot heißt Maxime und wurde von Axa Legal Protection auf den Markt gebracht. Auf der französischen Website des Unternehmens gibt dieser Bot kostenlose Antworten auf rechtliche Fragen. Seit seinem Start hat Maxime etwa 5.000 Gespräche geführt. Derzeit arbeitet die Axa an mehr als 30 Chatbots in ihrem multinationalen Unternehmen.
Allianz: Der deutsche Versicherungs- und Vermögensverwalter hat in einer Partnerschaft mit dem KI-Anbieter Inbenta Technologies einen Customer-Service-Bot sowie Dynamic Frequently Asked Questions eingeführt. Das Tool, das auf natürlicher Sprachverarbeitung und einem theoretischen linguistischen Rahmen basiert, schlägt Antworten auf Kundenfragen über Inbentas semantische Suchmaschinentechnologie vor. Conversational AI führt auch an dieser Stelle dazu, dass die Bearbeitungszeit erheblich verkürzt wird und mehr Kunden gleichzeitig bedient werden können.
Geico: Als eine der größten Autoversicherungen der USA, nutzt Geico, den virtuellen Assistenten Kate, um Kunden durch ihre mobile Navigation zu führen und bei der Beantwortung ihrer Anliegen zu unterstützen. Die Entwickler hinter Kate haben sie so programmiert, dass sie die Versicherungen auf intuitiver Ebene versteht und so den Kunden spezifische Versicherungsinformationen liefern kann. Sie ist eine interaktive Sprachassistenztechnologie, sodass sie sich nahezu menschlich mit den Kunden austauschen kann.
Wohin geht die Reise der Conversational AI?
Die Unternehmensbeispiele zeigen, wie Chatbots bereits jetzt erfolgreich in der Versicherungsbranche zum Einsatz kommen. Die Möglichkeiten und Vorteile, die Chatbots jetzt und in der Zukunft bieten, sind dabei noch vielfältiger. Dadurch, dass Chatbots eine große Zahl an Kundenanliegen autonom bearbeiten, haben die Versicherungsmitarbeiter die Möglichkeit, auf spezielle Kundenanfragen einzugehen. Ein weiterer Vorteil ist, dass Chatbots Kundendaten innerhalb von Sekunden durchgehen können, um individuell zugeschnittene Versicherungspolicen anzubieten.
Mit der Implementierung von Chatbots sparen Versicherungsgesellschaften Zeit und Geld, da sie in der Lage sind, Schadensfälle innerhalb von Sekunden zu bearbeiten. Bei traditionellen Versicherungsgesellschaften dauert dies manchmal Wochen. Zudem können die virtuellen Sprachassistenten Daten wie aktuelle Gesundheitsdaten und Fitnesslevel von tragbaren Fitnessgeräten erhalten, auf deren Grundlage Premium-Policen angeboten werden können. Hinzu kommt, dass sich mit Conversational AI Missbrauch leichter aufspüren lässt. Denn als Authentifizierungsstufe kann die eigene Stimme herangezogen werden, um das Konto zu schützen. Auch bei medizinischen Ansprüchen von Kunden können Chatbots gemäß der Kundenrichtlinien überprüfen, ob Zahlungen bei Schadensabwicklung im Auftrag des Unternehmens freigegeben werden.
Verbraucher noch skeptisch
In einer Umfrage von Accenture gaben 68 Prozent der Befragten aus der Versicherungsbranche an, dass sie Chatbots bereits im Unternehmen anwenden. Gartner prognostiziert, dass Chatbots bis 2020 85 Prozent der Kundeninteraktionen bewältigen werden. Das macht Conversational AI zur Kernkomponente der Zukunft im Kundenservice.
Doch so viele Vorteile auch im Einsatz von Conversational AI zu finden sind: Die Springer-Autoren Susanne Knorre, Horst Müller-Peters und Fred Wagner verweisen in 3. Big Data: Chancen und Risiken aus Sicht der Bürger (Seite 156) nicht unbegründet auf die Stimmung unter den Verbrauchern:
Eines der Haupteinsatzfelder von Scorings und Künstlicher Intelligenz liegt bereits heute im Bereich des Marketings oder – breiter definiert – des Kundenmanagements von Unternehmen. Auch diesbezüglich überwiegt die Skepsis. [...] ‚Mikrotargeting‘, ‚Dynamic Pricing‘ (vor allem auf Basis von Personenprofilen) und auch der Einsatz von Sprachcomputern basierend auf Künstlicher Intelligenz (sog. Chatbots) stoßen dagegen auf breite Kritik."