Im Interview erläutert Philipp Adamidis, CEO und Mitgründer von Quantpi, wie Künstliche Intelligenz (KI) schon heute in vielen Arbeitsbereichen wertvolle Dienste leistet.
Lange bevor ChatGPT auf den Markt kam, rief Philipp Adamidis das KI-Trust-Management-Unternehmen Quantpi ins Leben. Mittlerweile gehört er zu den führenden KI-Experten in Europa.
QuantPi
Herr Adamidis, in welchen Bereichen kommt Künstliche Intelligenz (KI) gegenwärtig im Arbeitsalltag schon zum Einsatz?
Philipp Adamidis: Es ist spannend zu beobachten, wie KI derzeit im Arbeitsalltag einer großen Zahl von Menschen ankommt. Viele Menschen befinden sich gerade erst am Anfang, die enormen Produktivitätspotentiale – etwa von KI-Chatbots – für sich zu entdecken. In vielen Branchen hat KI bereits seit längerem Einzug gehalten: In der Medizin etwa kommen KI-Tools in der Bildgebung und Robotik, in der Diagnostik, aber auch in der Analyse von Gesundheitsdaten zum Einsatz. Auch im Finanz- und Versicherungswesen leistet KI unter anderem in der Risikobewertung schon jetzt wertvolle Dienste. Ich denke aber auch an die Automobilbranche, in der die Revolution des autonomen Fahrens ohne den Einsatz von KI kaum zu denken ist. Allerdings ist in vielen der genannten Branchen auch eine gewisse Vorsicht und Skepsis wahrzunehmen: Unternehmen fürchten die finanziellen und rechtlichen Risiken, die der Einsatz von hochkomplexen KI-Technologien birgt. Die KI-Transformation wird meines Erachtens also erst richtig entfesselt werden, wenn wir dafür sorgen, dass KI-Tools transparent und verständlich sind.
Inwieweit ist die Sorge berechtigt, dass durch den Einsatz von KI mancher Arbeitsplatz komplett überflüssig werden könnte?
Natürlich geht eine Transformation dieser Größenordnung mit einem tiefgreifenden Wandel der Arbeitswelt einher. Im Kundendienst oder in Callcentern etwa wird KI schon bald einen Großteil der Aufgaben übernehmen können. Auch in diesen Bereichen jedoch müssen die Chatbots von Menschen sorgfältig überwacht und laufend überprüft werden. Deshalb rechne ich damit, dass es vor allem zu einer Umstrukturierung von Arbeitsaufgaben und -rollen kommen wird, dass also einige Berufe wegfallen, dafür jedoch neue entstehen.
Gleichwohl kommt es ganz entscheidend darauf an, wie wir den kommenden Wandel anpacken. Und mit "Wir" meine ich nicht nur die Akteure in Wirtschaft und Entwicklung, sondern die gesamte Gesellschaft: Es wird eine der größten politischen Aufgaben dieses Jahrhunderts sein, die KI-Transformation so zu gestalten, dass sie den Menschen nützt und nicht schadet. Es wäre fatal, wenn am Ende nur das Streben nach Effizienz- und Umsatzmaximierung leitend wäre. Denn es ist letztlich auch eine ethische Frage, wie wir KI zum Wohle aller einsetzen möchten. Eine Transformation, von der nur einige wenige profitieren, die aber mit Massenarbeitslosigkeit und Armut bezahlt ist, muss unter allen Umständen verhindert werden.
Welche Berufe werden von KI besonders stark profitieren oder sogar neu geschaffen?
Über einige Branchen, insbesondere die Finanz- und Versicherungsbranche sowie das Gesundheitswesen, hatten wir ja schon kurz gesprochen. Insbesondere in der Medizin sind die Innovationssprünge wirklich erstaunlich: Ärzte und medizinisches Fachpersonal werden in der Diagnosestellung und Chirurgie, aber auch in der Patientenbetreuung in noch kaum vorstellbarem Maße von KI profitieren. Generell lässt sich sagen: Überall dort, wo bereits große Datenmengen und detailliert beschriebene Prozesse zur Verfügung stehen, lässt sich KI sehr gut trainieren und kann rasch eine Vielzahl von Aufgaben übernehmen. Neue Berufe werden jedoch auch im IT-Bereich entstehen: KI-Sicherheitsexperten und auf KI spezialisierte Datenanalysten wird künftig eine wichtige Rolle zukommen. Auch der sog. "Human in the loop", der für das Training und die Überwachung von intelligenten Systemen verantwortlich ist, wird für die Entwicklung von verlässlicher und vertrauenswürdiger KI unverzichtbar sein.
Welches Innovationspotenzial steckt in Künstlicher Intelligenz?
Wir sind derzeit Zeugen der wohl gravierendsten Transformation seit der Einführung des Internets. KI wird Auswirkungen auf nahezu alle Lebensbereiche des Menschen haben. Wir werden in der Arbeitswelt eine Effizienz- und Produktivitätssteigerung ungeahnten Ausmaßes erleben. KI-Systeme revolutionieren die Robotik und das autonome Fahren, sie verbessern medizinische Diagnosen und beschleunigen die Arzneimittelentwicklung. Auch die prognostischen Potentiale sind enorm: KI kann immense Datenmengen analysieren, Muster erkennen und auf dieser Grundlage Vorhersagen treffen, die es etwa im Gesundheits- oder Finanzwesen ermöglichen, Risiken zu identifizieren und präventive Maßnahmen zu ergreifen. Gleichzeitig möchte ich hervorheben, dass das technologisch Mögliche nicht immer auch das gesellschaftlich Erstrebenswerte sein muss. Es ist deshalb wichtig, dass wir vor allen Dingen zu einem verantwortungsvollen Umgang mit KI gelangen.
Wie kann ein verantwortungsvoller Umgang mit KI aussehen?
Transparenz, Erklärbarkeit und Kontrolle sind die tragenden Säulen für eine verantwortungsbewusste Nutzung von KI. KI-Tools dürfen keine "Blackboxes" sein, mit denen Unternehmen ein unwägbares finanzielles und rechtliches Risiko eingehen. Ihre Funktionsweise muss zudem nachvollziehbar sein – und dies nicht nur für die KI-Experten, sondern auch für Entscheider, Compliance-Verantwortliche und Anwender. Schließlich benötigen wir auch klare Regeln für die Herstellung und Nutzung von KI, damit die intelligenten Systeme auch unseren ethischen Standards gerecht werden. Dies ist zugegebenermaßen eine anspruchsvolle Aufgabe. Doch stehen uns bereits heute wirksame Instrumente zur Verfügung: Mithilfe von innovativen Risikomanagement-Plattformen lassen sich mittlerweile ohne großen Aufwand Governance-, Compliance- und technische Tests durchführen, um KI-Systeme zu validieren. Damit eröffnen sich großartige Wege, um die KI-Transformation sicher und transparent zu gestalten.
Für den Einsatz von KI sollen in der EU künftig strengere Regeln gelten. Halten Sie den "EU AI Act" für den richtigen Ansatz zur Regulierung von KI oder bremst er KI-getriebene Innovationen aus?
Ein solch komplexes Regelwerk bietet selbstverständlich immer Anlass zu kleinerer und größerer Kritik. Auch ob die konkrete Umsetzung in den Unternehmen immer reibungslos gelingen wird, wird sich in den kommenden Jahren, bis das Gesetz endgültig in Kraft tritt, zeigen. Grundsätzlich ist es jedoch sehr begrüßenswert, dass sich die Europäische Union (so wie es derzeit aussieht) zu einem so umfassenden Gesetz durchringen konnte. Denn nur wenn Hersteller und Anwender von KI-Lösungen Rechtssicherheit haben, wird die KI-Transformation erst richtig Fahrt aufnehmen können. Deshalb würde ich den AI Act gerade nicht als Innovationsbremse, sondern als notwendigen Bestandteil einer zukunftsweisenden und vor allem auch verantwortungsbewussten KI-Strategie betrachten. Der EU AI Act hat damit auch Signalwirkung für andere Weltteile: Ich bin der festen Überzeugung, dass KI nur dann das Leben der Menschen verbessern wird, wenn wir alle gemeinsam zu klaren Regeln für ihre Herstellung und Nutzung gelangen.
Noch herrscht viel Unsicherheit und Skepsis gegenüber KI. Wie lässt sich das Vertrauen der Menschen in KI stärken?
Letztlich wird sich Vertrauen nur herstellen lassen, wenn die Menschen den positiven Nutzen von KI in ihrer unmittelbaren Lebenswelt erfahren. Wenn sich etwa die medizinische Versorgung durch den Einsatz von KI verbessert oder der Alltag durch autonome Systeme erleichtert wird. Oder wenn im Berufsleben durch automatisierte Prozesse mehr Zeit für anspruchsvolle und erfüllende Aufgaben bleibt.
Wichtig ist auch, dass sich die Menschen auf den Schutz ihrer Privatsphäre verlassen können und durch KI keine Diskriminierung erleiden. Vertrauen entsteht jedoch vor allem auch durch Verstehen. Bildung wird deshalb eine entscheidende Rolle spielen – in den Schulen, aber auch in der Gesellschaft insgesamt. Erst wenn wir gesamtgesellschaftlich zu einem tiefgreifenden Verständnis der Chancen und Risiken von KI kommen, können wir pointierte Forderungen an die Industrie stellen. Wir benötigen also eine klare politische Vision, wie wir künftig ein Leben mit intelligenten Systemen führen möchten. Dabei sollte übrigens auch die Expertise von Geistes- und Sozialwissenschaftlern unbedingt Berücksichtigung finden. Es ist in jedem Fall eine große Gemeinschaftsaufgabe, die uns in den kommenden Jahrzehnten beschäftigen wird. Das Fundament für eine positive Zukunft mit KI müssen wir allerdings schon jetzt legen.