Frank H. Baumann-Habersack, Springer-Autor und systemischer Organisationsberater, plädiert für eine neue Autorität in der Führung.
Frank H. Baumann-Habersack
Im letzten Jahrhundert war für Strategieentwicklung und Innovation überwiegend der Chef zuständig. Als der Fachmann versorgte er mit kongenialen Einfällen das Unternehmen mit Zukunftsfähigkeit. Seit der letzten Jahrhundertwende sind durch die digitale Vernetzung vollkommen neue Geschäftsmodelle entstanden. Auch die sich schneller wandelnden Kundenbedürfnisse haben diese bislang bewährte Form der Zukunftsgestaltung an ihre Grenze gebracht. Ein Gehirn allein kann die Komplexität und Geschwindigkeit der Veränderungen nicht mehr bewältigen.
Traditionelle Autorität war bislang hilfreich für die Zukunft
Doch eine spezielle Form von Führung erweist sich in diesem Zusammenhang als ein Hindernis für die Zukunftsfähigkeit: das traditionelle Autoritätsverständnis. Dabei sorgt eine Führungskraft auch dafür, dass seine Geistesblitze umgesetzt und seinen Anweisungen ohne Diskussionen Folge geleistet werden. Die Prüfsteine für die Wirksamkeit dieser Form von Autorität sind Gehorsam und Unterordnung. Diese werden über Kontrolle und Strafen oder Belohnungen getestet.
Da es für regelmäßige Geistesblitze in diesem Jahrhundert aber die vernetzten Gehirne Vieler braucht, ist es nötig, Freiraum für Experimente zu schaffen, schnelles Fehlerlernen zu kultivieren, auf Augenhöhe zu arbeiten sowie grundsätzlich mehr zu vertrauen. Diese Bedingungen für eine Zukunftsfähigkeit laufen jedoch den Bedingungen traditioneller Autorität fundamental entgegen. Das ruft danach, Autorität neu zu denken.
Demokratiekompetenz als Zukunftsfähigkeit für Unternehmen
In Übergangsphasen, nicht nur in Unternehmen, ist vielen bereits klar, dass große Teile des Bisherigen in der Zukunft unwirksam sein werden. Neues ist zwar erfunden oder just in der Erfindung, hat sich aber noch nicht flächendeckend bewährt und trägt somit noch nicht zur Orientierung bei.
Auch der vierte industrielle Wandel wird von einem Verlust von Arbeitsplätzen, teilweise ganzer Berufe, begleitet. Das löst bei Etlichen verständlicherweise Ängste und Identitäts- und Sinnkrisen aus. Die Unsicherheit steigt zusätzlich, weil Führungsfunktionen mit traditionellen Autoritätsformen in dieser Zeit auch keine Antworten mehr haben können. Menschen, die überwiegend eine Form von Autorität gewöhnt waren, die immer nur die eine richtige Meinung kannte, wenden sich nun von den nicht mehr glaubwürdigen Autoritäten ab. Ein Autoritätsvakuum entsteht.
Die Sehnsucht nach Autorität und schnellen einfachen Lösungen steigt, um das unangenehme Gefühl der Unsicherheit durch diese Form der Orientierung zu beseitigen. Autoritäre Ideologen versprechen in solchen Zeiten mit starker Hand im heroischen Einsatz für alle, alles wieder gut zu machen …
Eine Zukunftsfähigkeit, die in diesem Zusammenhang von Unternehmen vielfach nicht gesehen wird, ist die Zukunftssicherung unserer noch freiheitlichen, demokratischen Gesellschaftsordnung, zu der Unternehmen als Gesellschafter beitragen.
Unternehmen sichern die Demokratie und ihre eigene Zukunft
Jedes Handeln außerhalb des Privaten ist politisch, so Hannah Arendt, die renommierte politische Theoretikerin. Auch Unternehmen, die sich angeblich politisch nicht artikulieren, äußern sich politisch. Jedoch in dem Sinne, dass sie Räume in der Öffentlichkeit für Positionen und Meinungen unbesetzt lassen oder aufgeben. Insbesondere in Zeiten industriellen und damit auch gesellschaftlichen Wandels öffnet das Scheunentore für autoritäre Ideologien. Unsere Geschichte dreier industrieller Revolutionen und zweier Weltkriege dokumentiert das auf leidvolle Art und Weise.
Neue Führungsautorität sichert Zukunftsfähigkeit
Daher braucht es in Unternehmen Menschen, die aus blindem Gehorsam aussteigen, ermutigt sind zum kritischen Diskurs für gemeinsame Unternehmensziele. Dadurch vernetzen sie ihre Gehirne und gestalten den Wandel sowie die Zukunft des Unternehmens mit. Keiner braucht sie für den Wandel abholen oder mitnehmen. Nebenbei reduziert diese Art der Zusammenarbeit auch noch Angst und eine Sehnsucht nach dem allwissenden Chef.
Und wenn sich Menschen in Unternehmen auf diese Art und Weise weiterbilden, wird das auch außerhalb der 'Fabrikmauern' spürbar: Als Bürger in ihrem Verein, gegenüber staatlichen Institutionen, in Parteien … Das stärkt die Demokratie.
Für diese Bildung und Zukunftsfähigkeit braucht es eine Transformation der Haltung zu Autorität, weg von einer autoritären – und teilweise patriarchalen Autorität hin zu einer neuen, horizontalen Autorität. Und Führung ist in der Verantwortung, damit voran zu gehen.
Wie diese neue Form der Autorität konkret in der Zusammenarbeit aussieht, zeigt die Führungshaltung der Neuen Autorität.
Keiner hat gesagt, dass die vierte industrielle Transformation einfach ist. Doch wenn nicht wir und wenn nicht jetzt, wer und wann dann?