Aktuell stehen bei Banken und Sparkassen die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie ganz oben auf der Agenda. Doch zugleich spielen die Nachwirkungen der Finanzkrise, aber auch die Digitalisierung eine wichtige Rolle – auch im Personalmanagement.
Finanzinstitute befindet sich in einem enormen Spannungsfeld zwischen Regulierung, Digitalisierung, neuen Geschäftsmodellen und der aktuellen Krise. Um weiterhin im Wettbewerb bestehen zu können, müssen vor allem Führungskräfte besonders viel leisten.
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Die coronabedingte Rezession ist für die Bankenbranche eine immense Herausforderung. Kredite in Milliardenhöhe gingen seit Frühjahr 2020 an unzählige Privathaushalte und vor allem an die Realwirtschaft, um die schlimmsten Krisenfolgen abzuwenden. Nun droht eine zweite, schwere Infektionswelle, die den Finanzierungsbedarf der Unternehmen noch einmal kräftig anschieben dürfte.
Und laut Wirtschaftsexperten könnte 2021 auch noch ein Pleite- und damit ein Kreditausfalljahr werden. So rechnet die Wirtschaftsauskunftei Crif Bürgel in Deutschland mit rund 18.000 Insolvenzen. Zwar seien die Unternehmenspleiten aktuell rückläufig. Doch sei diese Entwicklung unter anderem der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht zuzuschreiben. Sie ist Teil des Corona-Maßnahmenpakets der Bundesregierung vom März.
Neue und alte Herausforderungen treffen die Finanzbranche
Darüber hinaus müssen die Banken und Sparkassen weiterhin die langfristigen Folgen der Finanzkrise stemmen. So zeigte unter anderem die HR-Branchenkonferenz "Banken und Versicherungen" des Beratungshauses Willis Towers Watson, dass die Institute noch immer mit der Umsetzung der deutlichen schärferen regulatorischen Vorgaben beschäftigt sind. Dabei müssen sie zeitgleich an neuen, nachhaltigen Geschäftsmodellen und einer zukunftsorientierten Unternehmenskultur arbeiten.
Damit stehen die Führungskräfte sehr gegensätzlichen Anforderungen gegenüber: Einerseits sollen sie den Mut zu neuen Wegen mitbringen, gleichzeitig aber Risiken möglichst ausschließen – ein Konflikt, der nicht leicht aufzulösen ist", erläutert Florian Frank, HR-Experte bei Willis Towers Watson.
"Die Digitalisierung verändert nicht nur Geschäftsmodelle, sondern auch die Art und Weise, wie Arbeit organisiert wird. Damit dieser Transformationsprozess gelingen kann, müssen die Banken ihre Mitarbeiter mitnehmen", fordert der HR-Experte.
Banken erleben kulturellen Wandel
Nach der Finanzkrise sei durch eine stärkere Regulierung auch ein kultureller Wandel forciert worden, betonte auch Hans-Peter Burghof, Professor für Bankwirtschaft und Finanzdienstleistungen an der Universität Hohenheim, in seinem Veranstaltungsbeitrag. Allerdings bewege sich der Markt derzeit von einer Unterregulierung hin zu einer Überregulierung.
In Zukunft wird es darum gehen, die regulatorischen Anforderungen in Verbindung mit dem eigenen Geschäftsmodell strategisch zu überdenken und für die Zukunft entsprechend angepasst neu zu definieren. All das wird zu einer Verschiebung in der Wertschöpfungskette führen. Erlösmodelle werden in Zukunft nicht mehr dieselben sein. Mit den neuen Systemen wird es im Finanzsektor auch darum gehen, wer die interessantesten, besten Schnittstellen sowie den größten Mehrwert für den Kunden bietet", bringt es Corinna Pommerening zu Beginn des einleitenden Kapitels ihres Buches "New Leadership im Finanzsektor" auf den Punkt.
Leadership und Personalmanagement der Banken brauchen einen Kurswechsel
Auf Seite 2 schreibt die Springer-Autorin: "Erodierende Profitabilität und zunehmender Wettbewerb verstärken den Handlungs- und Veränderungsdruck auf etablierte Banken. Denn die Digitalisierung ist mehr als nur die technologische Weiterentwicklung. Leadership, Organisationsentwicklung und Personalmanagement müssen auf einen notwendigen Kurswechsel geprüft werden, um die Zukunftsfähigkeit sicherzustellen."
Die komplexe Arbeitswelt des Finanzsektors stehe dabei vor großen Herausforderungen. "Die Digitalisierung verändert die Anforderungen an den Arbeitsplatz essenziell und Mitarbeiter müssen für die Veränderungsprozesse mobilisiert werden", meint die Autorin.
Arbeitsalltag der Bankmitarbeiter "neu gestalten"
Dabei trage die Digitalisierung durchaus dazu bei, dass Banken nicht nur für Kunden, sondern auch für Mitarbeiter attraktiver werden, betonte Sebastian Harrer, HR-Leiter bei der ING Deutschland, in seinem Diskussionsbeitrag. Es gelte, die gesamte Employee Experience – das tägliche Arbeitserlebnis der Mitarbeitenden, ihre Berührungspunkte mit dem Unternehmen, die daraus resultierenden Folgen für Umsatz und Gewinn – neu zu gestalten.
Vor allem in den Führungskräften von Banken und Sparkassen sieht Springer-Autorin Pommerening einen wichtigen Stellhebel, um Einflussfaktoren aufzugreifen, zu bewerten, Ableitungen zu treffen und anschließend Maßnahmen zu initiieren:
Ein digitales Zielbild, das die neuen Eckpunkte für die Wertschöpfung 4.0 des digitalen Zeitalters vorgibt, muss im Rahmen der digitalen Transformation unternehmensindividuell erarbeitet werden. Diese Grundsteinlegung sollte von Führungskräften und Mitarbeiter erfolgen, die über das erforderliche Know-how, Weitblick für strategische Themen des Finanzsektors und über viel Verständnis für neue Arbeitsweisen und Methoden verfügen", fordert die Beraterin für die digitale und kulturelle Transformation im Finanzsektor (Seite 3).
Mitarbeiter am Transformationsprozess beteiligen
Hierbei stellen sich laut ING-Fachmann Harrer zahlreiche Fragen: etwa zum Sinn der Arbeit und des Wandels, zu neuen Karrierewegen, zum Zusammenspiel von menschlicher und automatisierter Arbeit, aber auch zum Umgang mit der Angst einiger Mitarbeiter vor der Veränderung und mit neuen Belastungen. Wie eine solche Transformation mit Blick auf die Organisation und die Mitarbeiter abläuft, hat sein Haus gerade durchlebt.
Ziel der Transformation der ING Deutschland zur agilen Organisation war, frühzeitig in die Zukunfts- und Anpassungsfähigkeit zu investieren und dadurch gleichzeitig Wachstumschancen zu ermöglichen. Es galt, Strukturen zu harmonisieren, agile Arbeitsmethoden zu etablieren sowie ein neues Mindset zu verankern", schreiben Flavio Passaro, Kathrin Lemmes und Nadine Zasadzin in ihrem Beitrag "Erste agile Bank in Deutschland zieht Bilanz" im "Bankmagazin" (Ausgabe 10 | 2020).
Begleitet wurde die Transformation, die im Frühjahr 2018 startete, ganz agil "durch multidisziplinäre, end-to-end verantwortliche Teams", heißt es im Beitrag. In sogenannten Squads seien die Mitarbeiter, die für diese Aufgabe die erforderlichen Kompetenzen vereinen, zusammengefasst worden. Diese stammten zum Beispiel aus den Bereichen Regulatorik, Arbeitsrecht oder Organisationsentwicklung. "Der eigentliche Umbau erfolgte dann in drei Wellen. Zunächst wurden die produkt- und dienstleistungsentwickelnden Einheiten umgestellt, anschließend die Bereiche, die im Kundenkontakt stehen, und danach die Infrastruktur- und Stabseinheiten", erklären die HR-Fachleute.
Recruiting neuer Führungskräfte während des Umbaus
Die erste Bilanz zog die Bank nach 18 Monaten im Herbst 2019. "Knapp 4.000 Bankangestellte arbeiteten zu diesem Zeitpunkt bereits in neuen agilen Strukturen", heißt es in dem Beitrag. Zu diesem Zeitpunkt waren auch bereits knapp 200 Führungskräftepositionen neu besetzt sowie eine Einheit nebst Curriculum für agile Coaches ins Leben gerufen worden. Ergänzt wurde der Prozess durch "verschiedene Betriebsvereinbarungen zum agilen Arbeiten sowie neuen Raum- und Arbeitsplatzkonzepten".
Die Gruppe der Führungskräfte spielt hinsichtlich dieser Anforderungen eine entscheidende Rolle, um den langfristigen Erfolg einer Bank zu sichern. Durch ihre Verhaltensweisen und Handlungen tragen sie zur Fähigkeit der Mitarbeiter und somit des Betriebes bei, sich ständig anzupassen, um mit den sich wandelnden Umwelteinflüssen, Wertewandlungen und technischen Entwicklungen mithalten zu können. Führung in Banken stellt somit einen entscheidenden Erfolgs- und Wettbewerbsfaktor dar", bringt es Springer-Autor Christin Ehrlich im Buch "Rahmungen informeller Kompetenzentwicklung" auf den Punkt (Seite 11).