Teams arbeiten im Zuge der Digitalisierung vernetzter und agieren autonomer. Doch Führungskräfte werden dadurch nicht überflüssig.
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Viel zu selten wird danach gefragt, wie sich Führung mitten im eigenen Unternehmen verändern muss, um gewinnbringende Plattformen und Ökosysteme zu entwickeln und davon zu profitieren. Sich als Führungskraft in einem erfolgreich geführten Unternehmen der digitalen Transformation zu verschreiben, bedeutet, trotz des bisherigen Erfolgs das eigene Führungsverständnis zu hinterfragen.
Ökosystem-Wirtschaft
Laut Harvard-Professor Marco Iansiti bestehen Business-Ökosysteme aus "lose verbundenen Teilnehmern, die zum Zwecke der eigenen Wirksamkeit und des eigenen Überlebens voneinander abhängen" (vgl. Iansiti & Levien, 2004). Sie pflegen symbiotische, sich ergänzende Beziehungen. Innerhalb eines Ökosystems liefern Schlüsselakteure mit ihren (meist digitalen) Plattformen den Dreh- und Angelpunkt für die Interaktion der Teilnehmer (vgl. Reeves, Haanaes & Sinha, 2015). Sie prägen so die Spielregeln des Systems.
Paradigmenwechsel in der Führung: Von der klassischen Hierarchie zum Orchestrieren von Ökosystemen.
Duwe, 2018: Beidhändige Führung
Die Schlüsselakteure schaffen langfristig für sich selbst den größtmöglichen Wert, indem sie über ihren direkten Aktionsradius hinaus die Optimierung des Gesamtsystems verfolgen und die Teilnehmer im Ökosystem an der Wertschöpfung beteiligen. Will ein Unternehmen mit einer digitalen Plattform wirtschaftlich erfolgreich sein, hängt dies demnach in hohem Maße vom Aufbau eines funktionierenden Ökosystems ab. Jedoch verhindern in vielen Unternehmen, so das Ergebnis einer Accenture-Studie zu Innovationsökosystemen, "das Betriebsmodell und die Unternehmenskultur die effektive Teilnahme an einem digitalen Ökosystem" (Accenture, 2017). Es fehle an einer "kooperationsorientierten Unternehmenskultur".
Kommunikations- und Netzwerkstrukturen schaffen
Wenn Organisationen verstärkt die Fähigkeit zur Kooperation und zum Handeln in Kommunikations- und Netzwerkstrukturen ausprägen wollen, beginnt dies bei den Führungskräften selbst: Wer über Jahrzehnte Kontrolle über ein bestehendes System mit klar definierten Grenzen hatte, muss heute beobachten, wie diese Grenzen ihre Gültigkeit verlieren. Immer stärker geht es darum, dass Führungskräfte unternehmensweite Teams, Kunden und wechselnde Partner jenseits des Unternehmens orchestrieren und die Organisation durch ein komplexes und unsicheres Vorhaben navigieren.
Das Modell des allwissenden Vorgesetzten greift hier zu kurz. Die Führungskraft, die vollumfänglich die fachliche Antwort zu jedem technischen Problem, zu jeder Prozessgestaltung kennt und klare Anweisungen erteilt, wird es im Umfeld digitaler Plattformen mit ihren Ökosystemen nur noch selten geben. Viel zu groß ist die Komplexität der entstehenden Lösungswelten geworden.
Wie lösen Organisationen diesen Konflikt?
Um diesen Wandel zu begleiten, bauen Unternehmen verstärkt Kompetenzen im Management komplexer Beziehungsgeflechte auf. So werden beispielsweise in agilen Organisationen neue Rollen und Strukturen geschaffen, die die strickte Kopplung einer fachlichen und disziplinarischen Führung auflösen und die es Führungskräften ermöglichen, die Teams flexibel in Verbundsystemen zu vernetzen. In anpassungs- und wandlungsfähigen Organisationstrukturen geht es für die Führungsmannschaft immer stärker darum, das Know-how der Menschen zu stärken und Teams zu befähigen, sich für die Organisation gewinnbringend selbst zu steuern und zu regeln.
In solchen beweglichen Strukturen wird Kommunikation zum wichtigsten Führungsinstrument. Denn im Kern der Führungsarbeit steht nun die Vernetzung aller an der Wertschöpfung beteiligten Akteure. Und Vernetzung bedeutet, dass Menschen sich begegnen, sich austauschen und schließlich zusammenarbeiten.
Fazit: Mit kleinen Veränderungen starten
Nur wie fange ich an? Gebe ich als Führungskraft Antworten oder stelle ich Fragen? Entscheide ich Top-down hinter verschlossenen Türen oder schaffe ich Räume zur cross-funktionalen Entscheidungsfindung? Verhindere ich Kommunikation über Hierarchie-Ebenen hinweg oder schaffe ich eine Kultur der offenen Türen? Fördere ich zersplitterte Einzelaktivitäten oder arbeite ich am Erfolg des Gesamtsystems? Kontrolliere ich oder vertraue ich? Schon kleine Veränderungen im täglichen Handeln führen zu einer Veränderung der Kultur.
Der Wandel hin zu einer Führungskultur für die Arbeit in gewinnbringenden Ökosystemen – sowohl in intra- und interorganisationalen Verbindungen – liegt dabei in einem gleichen Kommunikationsverständnis aller Beteiligten: Weg von "Command & Control", hin zur Ermöglichung von Kommunikation zwischen interdisziplinären, cross-funktionalen und vernetzten Teams mit Eigenverantwortung.
Die Sorge, in Zeiten selbstorganisierter, vernetzter, autonomer Teams die Daseinsberechtigung zu verlieren, ist dabei völlig unbegründet. Denn im Umfeld der digitalen Transformation kommt den Führungskräften eine wegweisende Rolle zu: Sie beeinflussen maßgeblich, ob ein Unternehmen die Chance auf eine Schlüsselposition in digitalen Ökosystemen hat oder als Nischenspieler hinterherläuft.