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2016 | Buch

Lebensqualität in der Medizin

herausgegeben von: László Kovács, Roland Kipke, Ralf Lutz

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Über dieses Buch

„Lebensqualität“ ist in den letzten Jahrzehnten zu einem wesentlichen Konzept und Evaluationskriterium in Medizin, Forschung und Gesundheitssystem geworden. Sie wird immer häufiger gemessen, verglichen und standardisiert. Aber was ist Lebensqualität eigentlich? In welchem Verhältnis steht sie zu anderen Konzepten und Erfolgs-Parametern der Medizin wie dem guten Leben oder der Gesundheit? Ist sie überhaupt messbar? Wenn ja, wie? Welchen Nutzen können wir von dem so gewonnenen Wissen erwarten? Diese und weitere Fragen stehen im Zentrum dieses interdisziplinären Bandes.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Einleitung
Zusammenfassung
Die moderne Medizin hat auf naturwissenschaftlich-technischem Gebiet bewundernswerte Fortschritte erzielt und zahllose Erkenntnisse über den menschlichen Körper und seine Erkrankungen hervorgebracht. Doch diese Entwicklung hat zugleich deutlich gemacht, dass medizinische Eingriffe nicht nur Leben erhalten und Gesundheit wiederherstellen können, sondern dass sie damit auch in einen komplexen Lebenszusammenhang eingreifen, in dem psychische, soziale, geistige und existenzielle Faktoren eine Rolle spielen. Diese Einsicht führte dazu, dass man nicht mehr allein danach fragte, was Krankheiten mit dem menschlichen Körper machen, sondern was sie mit dem Menschen machen. Doch während das Verständnis der körperlichen Vorgänge bei vielen Krankheiten immer präziser wurde, wurde den anderen Aspekten in der Vergangenheit lange Zeit wenig Aufmerksamkeit geschenkt.
László Kovács, Roland Kipke, Ralf Lutz

A Historische, konzeptionelle und metaethische Grundlagen

Frontmatter
Die „Entstehung“ der Lebensqualität
Zur Vorgeschichte und Karriere eines neuen Evaluationskriteriums in der Medizin
Zusammenfassung
Lebensqualität gehört heute zum Standardvokabular der Medizin. Über Entstehung und Entwicklungsweg des Begriffs herrschen in der Wissenschaft jedoch unzureichende und falsche Vorstellungen. Im folgenden Beitrag gehe ich der Geschichte des Begriffs nach. Ich zeige, dass er in der Eugenik und der Medizin des beginnenden 20. Jahrhunderts geprägt wurde und welche Funktion er in diesem Kontext hatte. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde dieser Begriff von einem neuen Lebensqualitätsbegriff der Sozialwissenschaften und der Politik abgelöst. Lebensqualität galt hier als Reformbegriff, der die engen ökonomischen Evaluationskriterien der politischen Maßnahmen zu überwinden versprach. Dieser Reformbegriff eroberte bald auch die moderne Medizin. Hier musste er gegen die Dominanz der wissenschaftlich-technischen Entwicklungen die Perspektive des Patienten wieder diskursfähig machen. Solange jedoch in der Politik Lebensqualität als Oberbegriff alte und neue Evaluationskriterien in einem Begriff integriert, wird sie in der Medizin gegen bewährte objektive Evaluationskriterien wie Mortalität und Morbidität abgewogen.
László Kovács
Über einige (meta)ethische Fehlkonstruktionen in der Lebensqualitätsforschung
Zusammenfassung
Der Beitrag thematisiert die (meta)ethischen Voraussetzungen und Vorannahmen der empirischen Lebensqualitätsforschung und die Zusammenhänge zwischen ihnen. Geprüft wird die Hypothese, dass sich in die Ermittlung und Messung von Lebensqualität häufig unbemerkte „Fehlkonstruktionen“ einschleichen, etwa wenn es um die Differenzierung von Diskussionsebenen, aber auch um die Konstruktion ihres Verhältnisses zueinander geht. Ziel des Beitrags ist eine diesbezügliche philosophische Klärung, die sich insbesondere auf die Potenziale der analytischen Ethik und Metaethik stützt und sich in drei Schritten vollzieht: In einem ersten Schritt werden vier Themenfelder der ethischen Forschung und der metaethischen Reflexion im Bereich „Lebensqualität“ unterschieden, worauf in einem zweiten Schritt einige forschungskritische Bemerkungen zu den Zusammenhängen zwischen den verschiedenen Theorieebenen formuliert werden. Eine Antwort auf die Frage, worin der Wert solcher Erkenntnis liegt, geben drittens die abschließenden Überlegungen, die darüber hinaus einen Ausblick auf weiterführende wissenschaftliche Vorhaben eröffnen.
Markus Rüther
Philosophische Überlegungen zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität
Zusammenfassung
In diesem Beitrag möchte ich eine Einführung in die Theorie der gesundheitsbezogenen Lebensqualität skizzieren. Ich betone, dass das Konzept Lebensqualität ein sehr allgemeines Konstrukt ist, das für Entscheidungen im Gesundheitswesen weiterer Spezifizierung bedarf. Ich stelle einige Interpretationen des Konstrukts vor, werde mich aber auf die subjektivistische Interpretation konzentrieren, in der Lebensqualität die Zufriedenheit mit dem Leben bedeutet. Dazu stelle ich Interpretationen des Gesundheitsbegriffs vor und argumentiere für einen holistischen Begriff der Gesundheit. Ich vergleiche die vorgestellten Konzepte und weise die Unterschiede zwischen ihnen aus. Abschließend betone ich die Wichtigkeit dieses Konzeptes der Lebensqualität in klinischen Entscheidungen, denn würde man Lebensqualität sehr eng und krankheitsbezogen auslegen, könnte man die Person als Ganze und ihre Probleme im Leben aus dem Blick verlieren.
Lennart Nordenfelt
Was ist Lebensqualität in der Medizin?
Zur Klärung ihres Verhältnisses zu Gesundheit und gutem Leben
Zusammenfassung
Obwohl seit Jahrzehnten im Gebrauch, weist der Begriff der Lebensqualität in der Medizin bis heute konzeptionelle Unklarheiten auf. Der Aufsatz unternimmt eine Klärung des Begriffs, indem er ihn ins Verhältnis zu den verwandten Begriffen der Gesundheit und des guten Lebens stellt. Es stellt sich heraus, dass Lebensqualität weder mit Gesundheit noch mit dem guten Leben identisch ist bzw. aus ethischen Gründen und Gründen konzeptioneller Klarheit nicht damit identifiziert werden sollte. Vielmehr stellt sich „Lebensqualität“ als ein Brückenbegriff dar, der zwischen Gesundheit und gutem Leben vermittelt.
Roland Kipke
Lebensqualität in der Medizin und ihre Zeitstruktur
Zur Zeitlichkeit des guten Lebens aus moralphilosophischer Perspektive
Zusammenfassung
Der Beitrag vertritt die These, dass das Konzept der Lebensqualität in der Medizin aus mehreren Gründen strukturell um einen Zeitindex erweitert werden muss: (1.) um differenziertere Aussagen über diejenigen zeitlichen Aspekte zu ermöglichen, die die subjektiven Bewertungen der Lebensqualität (mit-)bestimmen, etwa über den spezifischen Einfluss der Vergangenheit oder der Zukunft, aber auch bezüglich der Ausdehnung des zeitlichen Bezugs von Lebensqualitätsaussagen, und (2.) um die zeitlichen Aspekte der Lebensqualität empirischer Forschung zugänglicher zu machen. Zur Begründung wird auf eine aristotelisch inspirierte Theorie der Handlungszeit verwiesen, die zeigt, dass Menschen immer in Zeit und aus Zeit heraus handeln und ihr (Er-)Leben bewerten, sodass auch Lebensqualitätsmaße im engeren Sinne über ihre Zeitstruktur eine Differenzierung erfahren können. Damit eröffnet sich neben einer vertieften empirischen Zugänglichkeit auch eine stärkere Anbindung des Konzepts der Lebensqualität sowohl an psychologische Theoriebildung, genauso wie an philosophische Theorien des guten Lebens.
Ralf Lutz
Lebensqualität als Selbstverwirklichung
Zusammenfassung
Dieser Aufsatz beschäftigt sich mit der werttheoretischen Frage, was das Leben einer Person für diese Person gut, schlecht oder neutral macht. Davon ist auch die Frage betroffen, was unter „Lebensqualität“ zu verstehen ist. Wohlfahrtstheorien geben Antwort auf diese Frage, indem sie sagen, was das Wohlergehen einer Person letztlich ausmacht. Der Aufsatz zielt darauf ab, die Vorzüge einer bestimmten Wohlfahrtstheorie zu präsentieren, die Wohlergehen als Selbstverwirklichung versteht. Da deren Stärken und Schwächen am besten im Vergleich mit anderen Wohlfahrtstheorien beurteilt werden können, werden zunächst die drei gängigsten Wohlfahrtstheorien vorgestellt, um im Anschluss daran die Selbstverwirklichungstheorie zu umreißen und um zu erläutern, warum sie so vielversprechend ist. Anschließend werden Wege aufgezeigt, die Selbstverwirklichungstheorie weiterzuentwickeln. Zum Schluss folgen Vorschläge zur Bestimmung und Messung von Lebensqualität (im Sinne von Selbstverwirklichung) in der medizinischen Praxis.
Tatjana Višak
Lebensqualität in der Medizin: Ethische Herausforderungen ihrer Bestimmung und Verwendung
Zusammenfassung
Wenn die Humanwissenschaften danach trachten, die Kontrollmöglichkeiten über die für unsere Lebensqualität maßgeblichen Kausalfaktoren auszuweiten, dann fördern sie damit das zutiefst humanistische Projekt der Befreiung von äußeren und inneren Hindernissen eines nach unseren je eigenen Ansichten gelingenden Lebens. Aber worum geht es ihnen, wenn von der Lebensqualität die Rede ist und worum sollte es ihnen gehen, wenn sie damit auf etwas Entscheidendes zielen, das sich nicht in der bloßen Länge unseres Überlebens ausdrücken lässt?
Der folgende Beitrag wirbt diesbezüglich um vier Dinge: (i) nicht von Lebensqualität zu sprechen, wo es vorrangig um die Qualität unserer gesundheitlichen Lebensumstände geht, (ii) sich im Gesundheitswesen auf die Beeinträchtigungen dieser Lebensumstände zu fokussieren, und zwar mit dem Ziel ihrer Beseitigung und Prävention, (iii) dabei nicht nur das individuell als belastend Empfundene zu betrachten, sondern auch das unsere Gesundheit objektiv Einschränkende und (iv) unseren jeweiligen Gesundheitszustand nicht zur ethisch übergriffigen Nutzenbewertung rettbarer Lebenszeit heranzuziehen, auch wenn dies den Nutzenvergleich medizinischer Maßnahmen erschwert.
Jan-Ole Reichardt
„Lebensqualität“ als patientenrelevante Zielgröße – in welchem Zusammenhang steht sie (noch) mit Konzepten des gelingenden Lebens?
Zusammenfassung
Medizinische Behandlungsmaßnahmen sollen Patienten nützen. Dies tun sie u. a. dadurch, dass sie den Patienten dabei helfen, ihre im gesunden Zustand realisierbaren Lebensziele und -pläne im Krankheitsfall nicht aufzugeben, sondern weiterzuverfolgen. Da Lebensziele und -pläne von Mensch zu Mensch sehr stark variieren und zudem extrem komplex sein können, werden heute komplexitätsreduzierende, messbare und ggf. intersubjektiv vergleichbare Zielgrößen als Referenzmarken zur Bewertung des Erfolgs oder auch nur der Erfolgsaussichten von Behandlungsmaßnahmen herangezogen. Die hier entscheidenden Größen werden in der Medizin patientenrelevante Endpunkte genannt, und Lebensqualität (LQ) ist – neben der Überlebenszeit – einer von ihnen. Um der Funktion als patientenrelevantem Endpunkt gerecht zu werden, ist anzunehmen, dass das Konstrukt LQ in einem bestimmten Zusammenhang mit den Lebenszielen und -plänen der Patienten steht, und zwar dergestalt, dass ein Mehr an LQ einem größeren Potenzial zur Umsetzung dieser Ziele und Pläne entspricht. Nachfolgend wird kritisch hinterfragt, ob dieser Zusammenhang für übliche Konzeptualisierungen von LQ und Verfahren der Lebensqualitätsmessung durchgängig als gewährleistet angesehen werden kann. Als problematisch wird dabei der Versuch gewertet, komplexen Gesundheitszuständen durch entsprechend komplexe Messinstrumente gerecht zu werden.
Daniel R. Friedrich
Was ist Lebensqualität eigentlich?
Philosophische Überlegungen zum Begriff von allgemeiner Lebensqualität
Zusammenfassung
Der vorliegende Essay ist eine rein begriffstheoretische Arbeit, in der – im Anschluss an die Überlegungen Philip Kitchers – ein Begriff von allgemeiner Lebensqualität vorgeschlagen wird. Mit allgemeiner Lebensqualität ist ein Begriff von Lebensqualität als Begriffskern gemeint, der in allen Kontexten und Anwendungsbereichen eine sinnvolle, jedoch je nach Zusammenhang unterschiedlich zu ergänzende Basis bildet. Der vorgeschlagene Begriff wird mit seinen beiden Komponenten, der Lebensthema-Komponente und der pain/pleasure balance-Komponente, u. a. mit Bezugnahme auf die Arbeiten Harry G. Frankfurts und Dieter Birnbachers erläutert. Ein Blick auf Anwendungsmöglichkeiten im medizinischen Kontext rundet das Paper ab.
Alexa Nossek
Der Capability-Ansatz als Grundlage für die Beurteilung von Lebensqualität in der Medizin
Zusammenfassung
In meinem Beitrag entwickle ich einen „Capability-Ansatz“ in Anwendung auf die Frage nach der gesundheitsbezogenen Lebensqualität, und zwar auf Basis der Arbeiten von Amartya Sen. Dieser Ansatz stellt die elementare Frage, welche Aspekte des menschlichen Lebens man beurteilen sollte, wenn man nach der Lebensqualität eines Menschen fragt. Er plädiert dafür, den Blick auf die Möglichkeiten zu richten, die einem Menschen tatsächlich offenstehen, d. h. auf die sog. capabilities. Ziel meines Beitrags ist es, aufzuzeigen, dass der Capability-Ansatz sich gut als evaluative Basis zur Beurteilung gesundheitsbezogener Lebensqualität eignet, weil er Aspekte der menschlichen Freiheit und des Wohlergehens einbezieht, die in vielen gängigen Auffassungen von gesundheitsbezogener Lebensqualität nicht adäquat berücksichtigt werden. Dazu untersuche ich im ersten Teil die begrifflichen Grundlagen des Konzepts der Lebensqualität auf Basis der Arbeit von Lennart Nordenfelt, um im zweiten Teil darzulegen, welche neue Perspektive sich mit Hilfe des Capability-Ansatzes auf gesundheitsbezogene Lebensqualität entwickeln lässt. Im dritten Teil wird anhand der Diskussion verschiedener Beispiele erläutert, wie der Ansatz auch in der Praxis bestehen kann.
Rebecca Gutwald

B Methodische Fragen der Messung

Frontmatter
Zur Messbarkeit von Lebensqualität
Zusammenfassung
Der Begriff Lebensqualität bezeichnet den von den Patienten erlebten Gesundheitszustand in körperlicher, psychischer, sozialer, mentaler und funktionaler Hinsicht. Eine Erfassung der Lebensqualität in der Medizin ist sinnvoll, um die Effekte von Diagnose und Behandlung auch aus Sicht der Patientinnen und Patienten sichtbar zu machen. Als Indikator des Behandlungserfolgs ist die „gesundheitsbezogene Lebensqualität“ in der Medizin inzwischen akzeptiert. Aber auch in der Prävention und Rehabilitation sowie in der Epidemiologie und Gesundheitsökonomie gewinnt Lebensqualität an Bedeutung. Zur Erfassung der Lebensqualität existiert eine Reihe von psychometrisch geprüften, standardisierten Messinstrumenten (Fragebögen), die in der Epidemiologie, in der Therapieevaluation, der Gesundheitsökonomie und in der Qualitätssicherung eingesetzt werden. Der vorliegende Beitrag gibt einen Überblick über die Lebensqualitätsforschung unter konzeptuellen, methodischen und anwendungsbezogenen Gesichtspunkten.
Monika Bullinger
Die Messung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität als Grundlage für Entscheidungen in der Gesundheitsversorgung
Zusammenfassung
Gesundheitsbezogene Lebensqualität hat sich in der Gesundheitsversorgung als ein Bewertungsmaßstab für den Nutzen von diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen etabliert. Messergebnisse von Lebensqualität beeinflussen Entscheidungen in unterschiedlichen Kontexten der Gesundheitsversorgung, die nach zwei Kriterien in vier Kategorien unterteilt werden können. Nach den Bezugspersonen beziehen sich Entscheidungen entweder auf Individuen oder auf eine Gruppe von Patienten; nach dem Grad der Verbindlichkeit gibt es Kriterien, die mehr (Verpflichtungen) oder weniger (Empfehlungen) verbindlich sind. Im Folgenden wird anhand von Beispielen gezeigt, wie Lebensqualitätsdaten Entscheidungen in der Gesundheitsversorgung beeinflussen. An diesen Beispielen lässt sich die Normativität der Anwendung von Lebensqualitätsdaten aufzeigen, die noch zahlreiche offene Fragen enthält.
Thomas Kohlmann
Wahl der Messinstrumente zur Ermittlung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität
Zusammenfassung
Für die Messung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität existieren zahlreiche Instrumente. Manche haben bessere, andere weniger gute psychometrische Qualitäten. Diese Qualitäten sollten aber nicht allein entscheidend sein, wenn man nach dem geeigneten Instrument für ein spezifisches Vorhaben sucht, denn die Wahl des Instrumentes muss in Abhängigkeit von den Zielen und den Gegebenheiten der Fragestellung getroffen werden. Welche Aspekte der Forschungsfrage man bei der Entscheidung für ein Instrument berücksichtigen sollte und welche Eigenschaften eines Instrumentes für eine solche Wahl ausschlaggebend sind, diese Fragen werden im folgenden Beitrag umfassend dargestellt. Es wird darauf hingewiesen, dass die gleichen Instrumente ggf. unterschiedliche Durchführungsverfahren erlauben, die bei der Interpretation der Ergebnisse ausschlaggebend sein können. Schließlich wird auch auf die Problematik der komplementären Interpretation der Ergebnisse verschiedener Instrumente eingegangen. Der Beitrag schließt mit einer Empfehlung zur strukturierten Vorgehensweise bei der Instrumentenwahl.
Peter G. Robinson
Lebensqualität als radikal subjektives Wohlbefinden: methodische und praktische Implikationen
Zusammenfassung
In der Medizin besteht weitgehende Einigkeit darüber, dass gesundheitsbezogene Lebensqualität ein subjektives Konzept darstellt, das nur aus der Perspektive des einzelnen Patienten beurteilt werden kann. Innerhalb dieser Grundannahme lassen sich verschiedene Konzepte der gesundheitsbezogenen Lebensqualität entlang eines Kontinuums anordnen, das von einem radikal subjektiven Ansatz im einen Extrem bis hin zur Lebensqualität als Folge objektivierbarer Beeinträchtigungsindikatoren im anderen Extrem reicht. Ein radikal subjektives Lebensqualitätsverständnis stellt ausschließlich auf das Wohlbefinden des einzelnen Menschen ab – unabhängig von objektiv vorliegenden Umständen wie etwa körperlichen Beeinträchtigungen. Beim entgegengesetzten Pol wird von der Ausprägung objektivierbarer Gegebenheiten auf die Lebensqualität geschlossen; wie diese Umstände vom Einzelnen tatsächlich wahrgenommen werden, wird dabei ausgeblendet. Die meisten Instrumente zur Lebensqualitätsmessung lassen sich zwischen diesen beiden Extremen einordnen.
Der Ansatz der Beeinträchtigungsindikatoren ist hinsichtlich der Validität problematisch: Die gleichen Umstände können – insbesondere aufgrund von Adaptationsprozessen – von verschiedenen Menschen als unterschiedlich beeinträchtigend erlebt werden. Durch ihren Fokus auf das Wohlbefinden wird diese Problematik bei der radikal subjektiven Lebensqualitätskonzeption vermieden, doch wirft dieser Ansatz konzeptuelle und praktische Fragen auf, die in diesem Beitrag diskutiert werden.
Christine Blome
Disability Weight – ein umstrittenes Maß zur Bewertung von Gesundheitsbeeinträchtigungen
Zusammenfassung
Das Disability Adjusted Life Year (DALY) ist ein etabliertes Maß zur Darstellung der Krankheitslast von Bevölkerungen. Zur Quantifizierung des DALYs werden Gewichtungsfaktoren (Disability Weights) für Gesundheitszustände benötigt, um mit einer Erkrankung verlebte Lebensjahre mit durch vorzeitigen Tod verloren Lebensjahren aufsummieren zu können. Zur Bestimmung der Disability Weights wird ein Gesundheitszustand auf einer Skala zwischen 0 und 1 eingeordnet, wobei 0 vollkommene Gesundheit abbildet und 1 einen Zustand vergleichbar mit dem Tod beschreibt.
Die Bewertung von Erkrankungen mittels Gewichtungsfaktoren ist umstritten. Komplexe Informationen über die Qualität des Lebens werden in einer einzelnen Maßzahl zusammengefasst. Viele wichtige Informationen, wie z. B. soziale und individuelle Präferenzen, gehen dabei verloren. Methodische Entscheidungen, beispielsweise die Definition von Gesundheitszuständen, die Auswahl der Herleitungsmethoden und des Befragungspanels, beeinflussen die Bewertung der Disability Weights. Strittig ist auch ihre Universalität und Kontextunabhängigkeit. Dennoch werden sie zur Bestimmung der nationalen und internationalen Krankheitslast angewendet. Um die Krankheitslast in Deutschland angemessen darstellen zu können, befürworten wir die Herleitung von nationalen Disability Weights, in denen kulturelle und demografische Besonderheiten berücksichtigt werden.
Myriam Tobollik, Claudia Terschüren, Nadine Steckling, Timothy McCall, Claudia Hornberg

C Klinische Anwendungen und ihre ethischen Implikationen

Frontmatter
Lebensqualität bewerten und Krankheit erfahren
Zur Problematik der prospektiven Einschätzung von Lebensqualität
Zusammenfassung
Dieser Beitrag stellt kritische Anfragen an die Bewertung der Lebensqualität, indem die radikale Unterschiedlichkeit von Innen- und Außen-, von Gesunden- und Krankenperspektive hervorgehoben wird. Anhand des fiktiven Beispiels der Krebserkrankung Walter Whites („Breaking Bad“) wird die soziale, psychische und biographische Komplexität von Lebensqualitätseinschätzungen illustriert. Vor dem Hintergrund dieses Beispiels offenbart sich trotz der guten Gründe für eine Einschätzung der Lebensqualität, wie kritisch es zu bewerten ist, wenn aus der Perspektive Gesunder die Lebensqualität Kranker eingeschätzt wird, und wenn die Messung von Lebensqualität vermeintliche Objektivität für sich beansprucht. Instrumente zur Messung der Lebensqualität laufen dann Gefahr, statt das Arzt-Patienten-Gespräch zu erweitern, dieses durch mutmaßlich objektive Messung abzukürzen. Daher hebt dieser Beitrag die Unversöhnlichkeit der Perspektiven hervor und betont die gerade im Krankheits- und Krisenfall besonders bedeutsame deliberative Kommunikation zwischen Arzt und Patient.
Lukas Kaelin
Alzheimer-Demenz und Lebensqualität – ein Widerspruch?
Ein narrativer Zugang zur Lebensqualität von Menschen mit Demenz
Zusammenfassung
Alzheimer-Demenz und Lebensqualität werden selten miteinander in Verbindung gebracht, da die Erkrankung vielmehr als Schreckgespenst wahrgenommen wird. Es wird gezeigt, dass es in allen Phasen der Erkrankung auch positive Momente geben kann. Die Herausforderung für Pflegende und Angehörige ist, diese positiven Momente wahrzunehmen und sie als Lebensqualität der Betroffenen anzuerkennen und in einem weiteren Schritt zu unterstützen. Die Auseinandersetzung mit Literatur in Form von Romanen und Erfahrungsberichten kann eine Sensibilisierung und Reflexion auf den eigenen Umgang mit Menschen mit Demenz bewirken und darüber hinaus auch eine Veränderung im Handeln. Textausschnitte, u. a. von Arno Geiger, Katharina Hacker und Gabriela Zander-Schneider sollen exemplarisch zur Sensibilisierung für diese Thematik dienen.
Martina Schmidhuber
Die Lebensqualität von Menschen mit Demenz
Eine Metasynthese basierend auf den Selbstäußerungen von Menschen mit Demenz
Zusammenfassung
Ziel der Metasynthese ist die Entwicklung eines Modells der demenzspezifischen Lebensqualität, basierend auf den Selbstäußerungen von Menschen mit Demenz. Das methodische Vorgehen erfolgte in vier Schritten: Systematische Datenbankrecherche, Analyse der Charakteristika der eingeschlossenen Studien, Qualitätsbewertung der eingeschlossenen Publikationen und Synthese der Selbstäußerungen von Menschen mit Demenz. Anhand der neun für die Metasynthese berücksichtigten qualitativen Studien konnten insgesamt 14 Dimensionen der LQ herausgearbeitet werden: Familie, soziale Kontakte und Beziehungen, Selbstbestimmung und Freiheit, Wohnumfeld, positive Emotionen, negative Emotionen, Privatheit, Sicherheit, Selbstwertgefühl, physische und mentale Gesundheit, Glaube/Spiritualität, Pflegebeziehung, Freude an Aktivitäten und Zukunftsaussichten. Diese Dimensionen unterstreichen die Bedeutung psychosozialer Dimensionen der Lebensqualität. Daneben liefern sie eine Orientierung für die zukünftige Entwicklung von Lebensqualitätsinstrumenten, sowie zur Entwicklung und Überprüfung von nicht-pharmakologischen oder psychosozialen Interventionen für die Versorgung von Menschen mit Demenz.
Martin N. Dichter, Rebecca Palm, Margareta Halek, Sabine Bartholomeyczik, Gabriele Meyer
Erfassung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität im Rahmen der Behandlung und Unterstützung onkologischer Patienten
Möglichkeiten und Herausforderungen
Zusammenfassung
Dieses Kapitel behandelt das Konzept „gesundheitsbezogene Lebensqualität“ im Rahmen der klinischen Behandlung von Krebspatienten. Es werden methodische und anwendungsbezogene Aspekte der Erfassung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität wie krankheitsspezifische Fragebögen, Voraussetzungen auf Anwenderseite sowie Möglichkeiten der Dokumentation der Ergebnisse aufgezeigt. Die Sicht der Betroffenen wird anhand von Definitionen von Krebspatienten zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität einbezogen. An ausgewählten Forschungsarbeiten und konkreten Anwendungsmöglichkeiten wird gezeigt, welche Funktionen das Konzept für die Behandlung von Krebspatienten haben könnte. Abschließend wird diskutiert, welche möglichen Barrieren einer Implementierung in den klinischen Alltag entgegenstehen.
Heike Schmidt
Lebensqualität als integraler Bestandteil der Therapieentscheidung
Darstellung am Beispiel alter Patienten
Zusammenfassung
Wesentliche Therapieziele der Behandlung von alten Patienten bleiben Erhalt des Lebens sowie Erhalt der individuellen Lebensqualität mit Autonomie und gesellschaftlicher Teilhabe. Das nominelle Lebensalter ist kein geeignetes Kriterium für oder gegen eine Therapie. Angesichts häufig fehlender eindeutiger oder gar alleiniger Therapieoptionen werden Patienten und professionelle Akteure unter Unsicherheit entscheiden müssen. In einem transparenten Therapieentscheidungsprozess im Sinne der evidenzbasierten Medizin ist die individuelle Lebensqualität, mit Lebenszielen und Präferenzen des Patienten, integraler Bestandteil. Der krankheitsorientierte Ansatz sollte durch eine personenzentrierte Perspektive mit Einbezug der Auswirkungen der Krankheit auf die Funktionalität im Alltag ergänzt werden. Daher bleibt anzustreben, dass Patienten sich mehr mit ihren eigenen Vorstellungen von Lebensgestaltung auseinandersetzen, um ihre Präferenzen in Therapieentscheidungsprozesse einbringen zu können. Wünschenswert wäre es, die Auseinandersetzung der Ärzte und anderer Gesundheitsberufe mit weiteren Therapiezielen wie der Lebensqualität zu unterstützen. Ein sektorenübergreifender Austausch zwischen Generalisten (Hausärzten) und Spezialisten sowie ein interdisziplinärer Austausch zwischen Pflegenden bzw. Therapeuten, Sozialarbeitern und Ärzten bleiben für diese personenorientierte Versorgung notwendig.
Regine Bölter, Antje Miksch, Katja Krug
Lebensqualität als Medikamentennutzen
Ein Vergleich von Werturteilen im AMNOG-Verfahren mit den Bewertungen onkologisch tätiger Ärzte
Zusammenfassung
Die Lebensqualität ist neben Mortalität und therapieassoziierten Beschwerden und Komplikationen ein Kriterium, das entsprechend der Arzneimittelnutzenverordnung für die Bestimmung des Nutzens von Medikamenten herangezogen wird. Der vorliegende Beitrag untersucht empirische und ethische Fragen der Bestimmung der Lebensqualität im Kontext der Behandlung von an Krebs erkrankten Patienten. Im Mittelpunkt steht der Vergleich der Operationalisierung des Medikamentennutzens durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) mit Ergebnissen einer qualitativen Interviewstudie mit onkologisch tätigen Ärzten zum Nutzen neuer Therapieverfahren. Im Rahmen der empirisch-ethischen Analyse der beiden Perspektiven auf die Bestimmung der Lebensqualität werden unterschiedliche normative Setzungen aufgezeigt, die für die Bewertung des Arzneimittelnutzens von Bedeutung sind.
Sebastian Wäscher, Jochen Vollmann, Jan Schildmann
Ist Lebensqualität ein angemessener Wert im Rahmen einer ethischen Entscheidungsfindung im Palliative Care Setting?
Exemplarische Reflexion
Zusammenfassung
Lebensqualität stellt im Palliative Care Setting ein anerkanntes Kriterium im Kontext von Therapieentscheidungen und -begründungen dar. Im Fokus steht hierbei insbesondere die Abwägung potenzieller Auswirkungen einer indizierten Intervention auf die zukünftige Lebensqualität des Patienten. Inwieweit Lebensqualität indes als ethisches Entscheidungskriterium im Palliative Care Setting opportun ist, ist Gegenstand der nachfolgenden Reflexion und Analyse. Angesichts der sich hier konkretisierend stellenden Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Lebensqualität als Bezugspunkt im Rahmen ethischer Abwägungs- und Entscheidungsprozesse ein angemessener Wert darstellt, werden die relevanten Dimensionen wie auch der spezifische Gegenstandsbereich von Lebensqualität beleuchtet. Die Analyse und Konzeptualisierung von Lebensqualität erfolgt mittels einer exemplarischen ethischen Fragestellung im Palliative Care Setting und wird entsprechend praxisbezogenen kontextualisiert.
Annette Riedel
Backmatter
Metadaten
Titel
Lebensqualität in der Medizin
herausgegeben von
László Kovács
Roland Kipke
Ralf Lutz
Copyright-Jahr
2016
Electronic ISBN
978-3-658-10679-9
Print ISBN
978-3-658-10678-2
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-10679-9