Bis spätestens 2050 will die EU eine funktionierende Kreislaufwirtschaft erreichen. Den Leichtbau stellt das vor Herausforderungen. Ideen für einen ressourcenschonenden Leichtbau gibt es aber bereits.
Der effizientere Einsatz von Werkstoffen wird in den nächsten Jahrzehnten eines der großen Themen für die Industrie. Wie auf den Seiten des Europaparlaments zu lesen ist, dürfte sich der weltweite Materialverbrauch in den nächsten 40 Jahren in etwa verdoppeln, während die Abfallmenge bis 2050 gegenüber heute um circa 70 % steigt. Gut, dass mit dem Leichtbau eine Technologie bereitsteht, die nicht nur die Mengen an eingesetztem Material in Autos, Flugzeugen oder Schiffen reduziert, sondern die auch dafür sorgt, dass dieselben weniger Kraftstoff oder Energie verbrauchen – was den Materialbedarf für den Ausbau der Energieinfrastruktur senkt. Aber ist Leichtbau deswegen eine umweltfreundliche Technologie?
Der Blickwinkel auf den Leichtbau hat sich in den letzten Jahren geweitet: Neben den unbestritten positiven Eigenschaften, die der Leichtbau in der Betriebsphase eines Fahrzeugs bewirkt, rückt nun auch der Ressourcenverbrauch der Leichtbaumaterialien in der Herstellung und ihre Recyclingfähigkeit am Produktlebensende in den Fokus.
Hochleistungswerkstoffe oft schwer zu recyceln
Sorgen bereiten hier insbesondere faserverstärkte Kunststoffe, die in der aktuellen Recyclingraxis bestenfalls zu minderwertigen Sekundärmaterialien verarbeitet werden. Neben den Fasern bereiten zudem Additive in den Polymerwerkstoffen Schwierigkeiten: Kunststoffe werden mithilfe einer unüberschaubaren Vielfalt an Additiven passgenau auf ihren späteren Einsatz konfiguriert. Die Additive später per Recycling zurückzugewinnen, ist technisch und wirtschaftlich kaum umsetzbar. Auch Metalle, die gemeinhin als hervorragend recycelbar gelten, bergen Herausforderungen. Beispielsweise enthalten die im Automobilbau verwendeten Hochleistungsstähle einen fein abgestimmten Mix aus Legierungselementen. Entsprechende Güten für Hochleistungsstrukturen lassen sich bislang fast ausschließlich aus Primärmetall herstellen.
Der Einsatz hochleistungsfähiger Leichtbaumaterialien entspricht heute in Teilen einem linearen Wirtschaftsmodell: Nehmen, Herstellen, Verwenden, Wegwerfen. Dem Ziel einer EU-weiten Kreislaufwirtschaft bis spätestens 2050 wird der Leichtbau entsprechend Tribut zollen müssen. Im Aktionsplan Kreislaufwirtschaft formuliert die Europäische Kommission ihre Pläne für die Automobilwirtschaft: Die Kreislaufführung von Werkstoffen und Komponenten soll schon während der Produktauslegung berücksichtigt werden, für bestimmte Werkstoffe sollen verbindliche Recyclatanteile gelten und der Verbrauch neuer Materialien soll sinken.
Werkstoffvielfalt senken, End-of-Life mitdenken
Noch ist nicht beschlossen, wie die Anreiz- und Regulierungsmaßnahmen für eine EU-weite Kreislaufwirtschaft im Detail ausgestaltet sein werden und in welchem Maße sie Leichtbaumaterialien betreffen. Doch klar ist: Sie werden sich auf wichtige Aspekte des Werkstoffeinsatzes auswirken. Davon sind Robert Kupfer, Levin Schilling und Maik Gude von der TU Dresden überzeugt. In ihrem Beitrag Werkstofftechnologien für nachhaltigen Leichtbau in der Zeitschrift Nachhaltige Industrie 3/22 regen sie deswegen Maßnahmen an, mit denen sich der Ressourcenverbrauch für den Bau hochbeanspruchbarer Leichtbaustrukturen auf ein Minimum senken lässt.
Die Forscher nennen diesen Ansatz Neutralleichtbau. Er soll technische, ökonomische und ökologische Aspekte berücksichtigen und sich unter anderem durch folgende Punkte auszeichnen:
- Die Palette an eingesetzten polymeren und metallischen Werkstoffen wird reduziert, wodurch sich das Recycling erheblich vereinfacht. Das für den Leichtbau erforderliche Eigenschaftsspektrum wird erreicht, indem Werkstoffe beispielsweise geschäumt werden oder indem Organobleche, Langfaser-Thermoplastformmassen und hybridgarnbasierte Hohlprofilen aus den gleichen Faser- und Matrixmaterialien kombiniert werden.
- Für hybride Bauweisen aus unterschiedlichen Materialien werden bereits in während der Entwicklung passende Entfüge-, Trenn- und Sortierprozesse mitgedacht.
- Neue Materialmodelle berücksichtigen das lebenszyklusübergreifende Werkstoffverhalten, sodass Konstrukteure über verlässliche Kennwerte für Sekundärmaterialien verfügen.
- Sofern alle anderen Maßnahmen ausgeschöpft sind, werden verunreinigte Polymere mithilfe von Pyrolyse, Solvolyse oder Chemolyse rohstofflich recycelt.
- Ressourcenschonung, Langlebigkeit und Kreislaufführung sollten in der Produktentwicklung höchste Priorität eingeräumt werden.
- Wo sich Materialverluste nicht vermeiden lassen, sollten Werkstoffe aus erneuerbaren Quellen eingesetzt werden, etwa aus Algen, Holz oder landwirtschaftlichen Abfallstoffen. Ein Beispiel sind Kohlenstofffasern aus Ligninen oder Zellulose.
Kreislaufwirtschaft stärkt Wettbewerbsfähigkeit
Der Übergang zur Kreislaufwirtschaft sollte dabei – zumindest aus der Volkswirtschaftlichen Perspektive – nicht als Belastung bewertet werden, argumentiert Hugo-Maria Schally. In der Einführung zum Buch Kreislaufwirtschaft in der EU schreibt Schally, der sich für die Europäischen Kommission in über zwölf Jahren in leitender Position mit Umwelt- und Wirtschaftsthemen befasst hat: "Der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft kann […] die europäische Wettbewerbsfähigkeit stärken, weil Unternehmen weniger mit Ressourcenknappheit und Preisschwankungen bei Rohmaterialien konfrontiert sein werden."
Europa habe nicht dieselben Ressourcen wie andere Teile der Welt. Europa könne deswegen nur eine führende Position im globalen Wettbewerb einnehmen – beispielsweise bei grünen Technologien –, wenn natürliche Ressourcen auf intelligentere und nachhaltigere Weise genutzt und wiederverwendet werden.