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17.07.2024 | Leistungselektronik | Schwerpunkt | Online-Artikel

Auf dem Weg zur kognitiven Leistungselektronik

verfasst von: Christiane Köllner

5:30 Min. Lesedauer

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WBG-Halbleitertechnologie, Informationstechnik und KI revolutionieren gemeinsam die Leistungselektronik. Bald könnte kognitive Leistungselektronik selbstständig auf Ereignisse reagieren. 

Die Leistungselektronik ist einer grundlegenden Transformation unterworfen. Zwei äußerst dynamische Sektoren sind aktuell die Automobilelektronik und die Energietechnik, wie das Fraunhofer IISB, das Fraunhofer ISIT und das Fraunhofer IMS erklären. In beiden Anwendungsbereichen finde "ein Wettlauf um immer effizientere, leistungsfähigere und kostengünstigere Leistungselektroniksysteme statt", so die Institute. Hinzu kämen erhöhte Anforderungen an die Zuverlässigkeit und Lebensdauer der elektronischen Bauteile und Komponenten.

"Leistungselektronik beschäftigt sich mit der verlustarmen Umformung elektrischer Energie mit Hilfe schaltender Halbleiterbauelemente", erklären die Springer-Autoren um Rik W. De Doncker im Buchkapitel Leistungselektronik. Ihre Anwendungsfelder reichen von Smartphone-Ladegeräten, über Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungssystemen (HGÜ) bis hin zu batterieelektrischen Fahrzeugen. Vor allem für die Elektromobilität spielen verlustarme und kostengünstige leistungselektronische Wandler eine Schlüsselrolle für die Elektromobilität. "Leistungselektronische Wandler sind die Bindeglieder zwischen den elektrischen Energiequellen, Verbrauchern und Speichern in Elektrofahrzeugen. Unter anderem steuern sie sämtliche Leistungsflüsse, wandeln Gleich- und Wechselspannungen ineinander um, passen Spannungsniveaus an oder treiben Elektromotoren an", so die Springer-Autoren. 

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„Ich schätze, dass 70 % des weltweiten SiC-Bedarfs auf die Elektromobilität entfallen wird“

Der Weg hin zu möglichst effizienten Hybrid- oder Elektrofahrzeugen erfordert den Einsatz von hocheffizienter Leistungselektronik, sowohl im Fahrzeug als auch in der Ladeinfrastruktur. Neben der Effizienz der Bauelemente besonders wichtig ist allerdings der Systemaufbau, denn insbesondere beim Packaging gibt es starke Einflussfaktoren auf die Gesamteffizienz, die eine genaue Betrachtung verdienen. Zu diesen und weiteren Themen sprach ATZelektronik mit Aly Mashaly von Rohm Semiconductor.

 

Klassische Siliziumbauteile stoßen an ihre Grenzen

Mit Antriebsleistungen von bis zu 1.000 kW und Reichweiten von über 1.000 km hätten elektrische Antriebsstränge für Elektroautos ein neues Niveau erreicht, so die Fraunhofer-Institute. Die elektrischen Umrichter würden sich in der Megawattklasse bewegen. Damit dringe die Fahrzeugelektronik stark in den Bereich größerer Antriebe vor und erschließe weitere Anwendungsfelder. Dazu gehörten die sich abzeichnende Elektrifizierung in Schiffen und in der Luftfahrt.

Die Hybridisierung, also die Kombination von Verbrennungsmotoren oder Jet-Antrieben mit Brennstoffzellentechnologie und Batteriespeichern, verspreche den Fraunhofer-Forschern zufolge große Einsparungen bei Kraftstoffverbrauch und Emissionen. Neben den Batterien werde auch Wasserstoff als Energieträger interessant. "Die Wasserstofftechnologie eröffnet wiederum eigene technologische Möglichkeiten, wie z.B. die Konstruktion von kryogenen Umrichtern oder den Einsatz von supraleitenden Kabeln und Motorwicklungen", heißt es. Allerdings stießen die klassischen Siliziumbauteile an ihre physikalischen Grenzen, sodass der Einsatz von Halbleitern mit breitem Bandabstand wie Siliziumkarbid oder Galliumnitrid notwendig werde.

WBG fördern Leistungseffizienz

Halbleiterbauelemente mit großem Bandabstand bzw. -lücke (Wide Bandgap, WBG) fördern die Leistungseffizienz. Wie die Fraunhofer-Institute erklären, böten WBG-basierte Leistungsbauelemente geringe Durchlassverluste, ermöglichten höhere Schaltfrequenzen und könnten hohe Ströme bei hohen Betriebsspannungen verarbeiten. Zudem hätten sie sehr gute thermische Eigenschaften und seien für den Betrieb in einem breiten Temperaturbereich geeignet. "Maßgeschneiderte Bauelemente- und Prozesstechnologien wie VDMOS ebnen den Weg, um das Potenzial von WBG-Halbleitern für die Leistungselektronik voll auszuschöpfen", heißt es.

Was die industrielle Anwendung betrifft, so haben die WBG-Halbleitertechnologien SiC (Siliziumkarbid) und GaN (Galliumnitrid) einen deutlichen Einfluss auf den Markt gewonnen. "GaN und SiC haben unterschiedliche Stärken. Ihre Vorteile hängen jedoch von der jeweiligen Anwendung ab. Die Vorzüge von SiC beruhen auf dessen Bandlücke. Neben der Elektronenbeweglichkeit ist auch die kritische Durchbruchspannung im Vergleich zu Silizium hoch. GaN besitzt eine noch größere Bandlücke und eine viel höhere Elektronenbeweglichkeit", so Infineon Technologies im Artikel Antriebsstrang und Halbleitertechnologien im Elektrofahrzeug von morgen aus der ATZelektronik 3-4-2023

Eine weitere Option sind Hybridumrichter, die sowohl Silizium als auch Siliziumkarbid kombinieren. Wie Aly Mashaly von Rohm Semiconductor im ATZelektronik-Interview betont, würden es diese Architekturen ermöglichen, "die Stärken beider Technologien optimal zu nutzen – jeweils den Anforderungen des Betriebs entsprechend". Mashaly prognostiziert, "dass der SiC-Markt die Marke von acht Milliarden US-Dollar bereits vor 2030 erreichen wird", so der Experte für leistungselektronische Systeme. Insbesondere der Automobilsektor werde den Großteil dieser Nachfrage ausmachen. Er schätzt, dass 70 % des weltweiten SiC-Bedarfs auf die Elektromobilität entfallen werde. 

1200-V-GaN-HEMTs für die Energiewende

Wie die Fraunhofer-Institute betonen, gebe es jedoch auf Systemebene noch immer ungenutzte Vorteile in Bezug auf Kosten, Effizienz und Bauvolumen. Die derzeitigen Forschungsaktivitäten würden sich auf ein tiefgreifendes Verständnis der Bauelemente- und Materialeigenschaften konzentrieren. Wie Experte Mashaly hervorhebt, seien "die physikalischen Grenzen der Wide-Bandgap-Technologien SiC und GaN noch lange nicht erreicht".

Aktuell arbeiten zum Beispiel Forscher des Fraunhofer IAF an der Realisierung von GaN-basierten HEMT-Technologien mit Sperrspannungen bis und über 1.200 V, die im Rahmen der Energiewende für Maßnahmen zur CO2-Reduktion genutzt werden könnten, etwa das bidirektionale Laden von Elektrofahrzeugen. GaN-HEMTs sollen eine Alternative zu bereits verfügbaren Metall-Oxid-Halbleiter-Feldeffekttransistoren (Metal Oxide Semiconductor Field-Effect Transistors, MOSFETs) aus SiC bilden, die sehr kostenintensiv seien. Und Hofer Powertrain und die ETH Zürich entwickeln einen dreistufigen GaN-Wechselrichter, der adaptive Gate-Treiber einsetzt und noch weniger Schaltverluste als bisher ermöglichen soll. Das diene dazu, die Leistung und Effizienz von Antriebssystemen für elektrifizierte Fahrzeuge zu verbessern.

Integration von IKT

Ein weiterer Trend in der Systementwicklung ist die fortschreitende Integration von Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT). Zusätzliche Funktionen zur Überwachung, Steuerung und Kommunikation sowie intelligente Fähigkeiten werden in die Netze implementiert: On-board Grids entwickeln sich zu Smart Grids. In der stationären Netztechnik, insbesondere bei Smart Grids oder lokalen Gleichstromnetzen sowie bei Batteriesystemen für das Batteriemanagement sei dieser Wandel bereits seit einiger Zeit zu beobachten, so die Fraunhofer-Forscher.

Die Verschmelzung mit der Datenverarbeitung erfordere eine zunehmende Integration von Komponenten der Digitaltechnik. "In Treibern und Regelkreisen für elektronische Leistungsschalter werden längst Mikrocontroller und System-on-Chips eingesetzt", heißt es. Auch Ansätze aus der klassischen Signalverarbeitung kämen zum Einsatz, zum Beispiel zur Formung der Wechselstromwellenform, um Platz und materialintensive passive Filterkomponenten zu sparen. Ein Beispiel dafür seien auch modulare Multilevel-Konverter, die aus einer Vielzahl von frei konfigurierbaren Wechselrichterzellen bestünden und damit ein sehr breites Anwendungs- und Leistungsspektrum abdecken könnten.

Neue Klasse: kognitive Leistungselektronik

Zudem wird derzeit eine neue Klasse von intelligenter Leistungselektronik mit zusätzlicher KI-Funktionalität entwickelt, die sogenannte kognitive Leistungselektronik, wie die Fraunhofer-Institute erklären. "Diese 'wahrnehmenden Systeme' sind mit Sensoren zur Erfassung verschiedener physikalischer Parameter und eingebetteter Elektronik zur Aufzeichnung und Analyse von Daten in Echtzeit ausgestattet. Elektrische Antriebe werden so zu integrierten intelligenten Systemen, die über ihren aktuellen Betriebszustand Bescheid wissen", heißt es. Basierend auf Methoden des maschinellen Lernens könnten kognitive leistungselektronische Systeme Vorhersagen treffen und selbstständig auf interne und externe Einflüsse und Ereignisse reagieren.

Bereits heute zeichne sich ab, so die Forscher, dass sich die geforderten Leistungsmerkmale der neuartigen Leistungselektronik mit den bisherigen Halbleiterbauelementen und Systemeigenschaften nicht mehr erreichen ließen. Leistungshalbleiter auf der Basis von Materialien mit extrem breiter Bandlücke und andere innovative Bauelemente, wie integrierte Dämpfungsglieder oder aktive Schutzschalter, seien in Vorbereitung. Die Fraunhofer-Institute resümieren: "Das integrierte leistungselektronische System – die Symbiose aus innovativen Leistungshalbleitertechnologien, Mikroelektronik und künstlicher Intelligenz – wird zur Realität."

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