Russische Beeinflussungsversuche in den deutschen Wahlkampf 2017 ließen sich hauptsächlich bezüglich Desinformationskampagnen auf SMP feststellen, welche nachfolgend genauer beschrieben werden.
6.1 Die russische Einflussnahme in den Bundestagswahlkampf 2017
Eine Echtzeitanalyse der Securing Democracy Alliance zeigte, dass eine Vielzahl von Troll-Accounts auf Twitter vor der Wahl russischen Einflussoperationen zugeordnet werden kann. Diese mobilisierten zum Wählen der Alternative für Deutschland (AfD), hetzten gegen den Islam oder diskreditierten Bundeskanzlerin Angela Merkel, besonders hinsichtlich ihrer Flüchtlingspolitik (Salvo
2017). Neben AfD-unterstützenden Posts richteten sich russische Botnetze vor allem auch auf die Amplifizierung bestimmter Hashtags. Das prägnanteste Beispiel hierfür ist der Hashtag #MerkelMussWeg, der ab August 2017 verstärkt genutzt wurde (Hegelich
2017). Jedoch verbreiteten auch in diesem Falle pro-russische sowie rechtsradikale Nutzer*innen die Nachrichten weiter (Nimmo
2017).
Darüber hinaus berichteten auch russische TV-Kanäle während des Wahlkampfes in stark verzerrender Weise über diverse Vorfälle, wie etwa Proteste am US-amerikanischen Luftwaffenstützpunkt in Rammstein, vermutlich mit dem Ziel, Misstrauen unter den NATO-Partnern zu säen (Hegelich
2017). Den Kanälen wird jedoch hierzulande eine noch eher begrenzte Reichweite zugesprochen (Nimmo
2017). Jedoch auch Akteure der sogenannten
Neuen Rechten agierten als
(un)witting agents wie etwa der Kopp-Verlag, das Magazin
Compact oder die AfD-nahe Wochenzeitung
Junge Freiheit (Kohrs
2016). Auch wenn der Fall Lisa, bei dem es um ein 2015 angeblich von Migranten vergewaltigtes russischstämmiges Mädchen aus Berlin ging, noch nicht im eigentlichen Zeitraum des Wahlkampfes lag, verdeutlicht er einerseits die Logik russischer Desinformationspolitik, unterstreicht jedoch vor allem das unterstellte prinzipielle Interesse Russlands an Einmischung auch in deutsche Belange.
6.2 Deutschland und seine demokratische Resilienz: Wer hat Angst vorm russischen Bär
Erklären die aufgestellten Hypothesen auch das unterschiedliche Ausmaß russischer Beeinflussung im Falle Deutschlands?
Zudem ist das Parteienspektrum in Deutschland – trotz abnehmender Abgrenzungsmerkmale der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) und der Christlich Demokratischen Union Deutschlands (CDU) (Stichwort
Politikverdrossenheit) – weitaus vielfältiger als in den USA, wodurch potenziell ein breiteres Spektrum an Themen erfasst werden kann (Woyke
2003, S. 480–481). Auch als Reaktion auf diese zunehmende Angleichung der
Volksparteien erlangte die AfD 2013 insbesondere im Osten des Landes bis zum Beginn des Wahlkampfes beträchtlichen Einfluss und eine große Anhängerschaft (Heimbach
2016). Deren radikalisierter Ton wurde in erster Linie in sozialen Netzwerken deutlich, ihrem wichtigsten Kommunikationsmedium. Dass bereits vor der Wahl Themen wie
hate speech in den Fokus der deutschen Politik rückten, liegt somit zu nicht unerheblichem Teil an der gegen Flüchtlinge, Migrant*innen sowie Kanzlerin Merkel gerichteten populistischen Diskursform der AfD-Anhängerschaft (Rosa, in Sapper und Kaspar
2017).
H1a kann für Deutschland somit zumindest in Bezug zu den festgestellten Desinformationskampagnen begründet werden: Aufgrund der bereits vor der Wahl zugenommenen Polarisierung des Online-Diskurses waren für die russischen Fake News im Wahlkampfzeitraum bereits die entsprechenden Konfliktlinien etabliert – z. B. Recht auf Asyl gegenüber Fremdenfeindlichkeit. Dass es jedoch nicht zu einer Art
Merkel-Leak kam, liegt vor allem an der diskutierten, grundlegend geringeren Polarisierung des deutschen Systems. Hierbei moderierten nicht nur die institutionellen Charakteristika populistische Stimmen stärker als in den USA, sondern etwa auch die nach wie vor größere
Issue-Basiertheit des deutschen Wahlkampfes. Trotz der Diskursverschiebung durch die AfD basierten selbst persönliche Diffamierungen der Kandidat*innen, beispielsweise Merkels im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise, im Kern doch überwiegend auf den im Wahlkampf dominanten Themen (Kortes
2019). Die Rollentrennung zwischen Politiker*innen als Privatpersonen und Amtsträger*innen erscheint in Deutschland nach wie vor stärker ausgeprägt als in den USA.
Bezüglich H1b kam hinzu, dass die traditionelle Medienlandschaft in Deutschland nach wie vor ein weitaus größeres Maß an Vertrauen genießt als zuvor in den USA (Forbrig
2017), trotz gegenteiliger Bemühungen seitens AfD- und PEGIDA-Anhänger*innen
13 (Stichwort Lügenpresse). Der DNC-Hack konnte seine landesweite Wirkung vor allem dadurch erzielen, dass er auch von etablierten Medien in der analogen Sphäre aufgegriffen wurde. Aufgrund der geringeren Reichweite populistischer Medien in Deutschland wäre etwas Vergleichbares hier schwieriger gewesen.
Somit könnte H2 erklären, warum ein Eingreifen Russlands auf technischer Ebene am Wahltag wenig erfolgsversprechend gewesen wäre: Eine Manipulation des Ergebnisses zu Gunsten von Schulz hätte aufgrund der vorherigen Umfragen vermutlich zu viel Aufsehen erregt. Auch hier erscheinen zur Erklärung der Resilienz vor technischer Einflussnahme vor allem jedoch technische Aspekte von größerer Relevanz zu sein. Die geringere Umkämpftheit der Wahl könnte im Falle Deutschlands eher das allgemein niedrigere bzw. auf manchen Ebenen nicht vorhandene Einflussstreben Russlands erklären.
Einzig bei der Übermittlung der Stimmen von Kommunen und Ländern an die Bundeswahlleitung ist der Einsatz von Software erlaubt. Dabei handelt es sich laut Aussagen der Landeswahlleiter*innen überwiegend um die Software PC-Wahl des Herstellers Vote IT. Jedoch gaben diese auch an, oftmals nicht genau zu wissen, mit welchen Hilfsmitteln die Kommunen zur Stimmenübermittlung agieren. Die überwiegend stark veraltete Software zeichnete sich laut Chaos Computer Club im September 2017 jedoch durch eine Vielzahl potenzieller Angriffspunkte zur Manipulation des zumindest vorläufigen Wahlergebnisses aus (Gruber und Horchert
2017). Der Bundeswahlleiter konstatierte jedoch, dass zwar das am Wahlabend rasch an die Öffentlichkeit gebrachte Ergebnis auf Grundlage dieser Prozesse entstünde, nicht aber das amtliche Endergebnis. Hierfür seien nach wie vor die Papier-Stimmen ausschlaggebend.
Somit spricht H3a aufgrund der veralteten Software für eine geringere Resilienz Deutschlands vor technischer Wahlbeeinflussung oder -störung. Dass es jedoch – zumindest nach öffentlichem Kenntnisstand – auch auf regionaler oder föderaler Ebene zu keiner (versuchten) Einflussnahme oder Störung kam, liegt wohl vor allem an den im Sinne von H3 insgesamt weitaus geringeren technischen Einfallmöglichkeiten als in den USA (H3c). Die überwiegend analogen Wahlverfahren moderierten gleichzeitig die größere Homogenität der verwendeten Software im Vergleich zu den USA (H3a). Im Falle Deutschlands herrschte lediglich im Sinne der Stimmenübermittlung eine gewisse Heterogenität vor. Aufgrund der Wirkung von H2, des prognostizierten großen Vorsprungs Merkels vor Schulz, hätte eine hierdurch potenziell ermöglichte Manipulation des Endergebnisses zu viel Aufsehen erregt und in Folge von Untersuchungen die intendierte Wirkung verloren (H3b). Ebenfalls moderiert wird vor allem durch die Wirkung von H3 die offenbar schwach ausgeprägte Transparenz darüber, welche kommunale Einheit sich welcher Hilfsmittel zur Stimmenübermittlung bedient (H3d). Somit bedingten sich H3a-H3d im Falle Deutschlands im Zusammenspiel mit H2 stärker gegenseitig und können in ihrer Wirkweise nicht isoliert voneinander bewertet werden. H3 kann jedoch als Oberthese auch für Deutschland plausibilisiert werden.
Im gemeinsam vom Bundesinnenministerium und dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik erstellten Lagebericht zur IT-Sicherheit 2016 wurde daher bereits auf die vor allem aus Russland und Asien identifizierte Bedrohung im Cyberspace hingewiesen sowie die erhöhte Alarmbereitschaft der Behörden im Vorfeld der Wahl herausgestellt (BSI
2016). Als empirisches Referenzereignis diente dabei nicht nur der DNC-Hack, sondern vor allem auch der Bundestagshack aus 2015, für welchen ebenfalls Fancy Bear verantwortlich gemacht wurde (Beuth et al.
2017).
Im Sinne von H4 kann somit von einer proaktiven Haltung der relevanten Akteure zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit vor externer Wahlbeeinflussung gesprochen werden.
16 Es wird davon ausgegangen, dass diese situative Präventivmaßnahme dazu beitrug, Maßnahmen wie Doxing in Deutschland aufgrund des fehlenden Überraschungseffektes zu verhindern.
Bezüglich der Resilienz Deutschlands gegenüber Desinformationskampagnen ist das wesentlich höhere Datenschutzniveau als in den USA zu nennen, was beispielsweise politisches
microtargeting zwar erschwert (Papakryriakopoulos et al.
2017), jedoch gerade für Dritt-Parteien nicht unmöglich macht. Die politischen Parteien Deutschlands kamen bereits im Vorfeld der Wahl darin überein, auf dieses Mittel zu verzichten, einzig die AfD behielt sich die Möglichkeit vor (Brien
2016). Die Meinungsfreiheit ist ebenfalls wie in den USA zwar stark geschützt, jedoch nur im Rahmen bestehender Gesetze:
Hate speech wurde somit von Seiten der Politik bereits im Wahlkampf sehr viel stärker adressiert als in den USA. Die Gesetzesinitiative zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz, welches am 30. Juni 2017 verabschiedet wurde, verdeutlicht die Bemühungen der Bundesregierung, auch auf gesetzlicher Ebene Entwicklungen wie in den USA vorzubeugen (Deutscher Bundestag
2017).
Eine weitere Gegenmaßnahme war das Angebot seitens des BSI an die zehn führenden Parteien, im Wahlkampf sogenannte
Penetrationstests auf ihre Online-Systeme durchzuführen, welches auch von allen in Anspruch genommen wurde (Schwirtz
2017). Somit kann auch H4a eine relevante Erklärungskraft zugesprochen werden, im Sinne demokratischer Resilienz vor Maßnahmen wie Doxing, aber auch einer noch stärker ausgeprägten Desinformationspolitik russischer Akteure auf SMP, welche zwar existierte, im Vergleich zu den USA jedoch weit geringer ausfiel.