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Lieferkettenmanagement befindet sich im Umbruch

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Die globalen Lieferketten stehen seit Jahren unter Druck. Gelegentliches Nachjustieren reicht nicht mehr aus. Die Supply Chain muss auch in Hinblick auf die Nachhaltigkeit grundlegend transformiert werden. Wie zeigen diverse Studien.

Der globale Handel und die Digitalisierung bringen dem Lieferkettenmanagement und dem Einkauf Vorteile. Doch sie tragen auch zu einer immer größeren Komplexität bei.


Die Krisenherde dieser Welt torpedieren reibungslos funktionierende Lieferketten immer wieder. Und die Risiken werden zunehmen, auch, weil regulatorische Anforderungen Rechtsverstöße wahrscheinlicher machen. Daher wollen dreiviertel der deutschen Industrie-Unternehmen in eine veränderte Beschaffungsstrategie investieren, ergibt eine Studie des Ifo-Instituts. Dabei stehen Maßnahmen wie die Diversifikation von Lieferbeziehungen (32 Prozent) sowie ein transparenterer Beschaffungsprozess (27 Prozent) im Zentrum. Ziel dabei ist es, die Resilienz zu verbessern und die Nachhaltigkeit zu erhöhen. 

Disruptionen zwingen zum Handeln in der Supply Chain

Wie weitreichend die Umbrüche in den globalen Lieferketten sind und wie sehr sie Supply-Chain-Verantwortliche dazu zwingen, ihre Konzepte diametral zu transformieren, dokumentiert die Studie "Reinventing Supply Chains 2030" der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers Deutschland (Pwc).

Für die Analyse wurden weltweit mehr als 1.000 Führungskräfte aus dem Bereich Supply Chain zu den wichtigsten Entwicklungen der Branche befragt. Demnach sorgen vor allem geopolitische Krisen, der Klimawandel und technologischer Fortschritt für drastische Veränderungen, die die globalen Lieferketten dauerhaft aus dem Takt bringen.  

Kontinuierliche Disruptionen sind das 'New Normal'. Unternehmen müssen daher Schritte einleiten, um ihre Lieferketten ganzheitlich neu zu denken. Anpassungsfähigkeit, Nachhaltigkeit und eine neues kognitives Ökosystem sind dabei der Schlüssel", sagt Stefan Schrauf, Partner und Co-Lead Operations Transformation and Supply Chain Europe bei Pwc Deutschland.

Neue Technologien optimieren Lieferketten

Die befragten Führungskräfte stehen daher unter Veränderungsdruck, ihr gesamtes Lieferkettenökosystem neu zu denken, um es flexibler und vorausschauender zu gestalten. Dafür wollen die Unternehmen auf neue Technologien und Digitalisierung setzen. Vor allem in intelligenten, selbst lernenden Systemen sehen die Entscheider langfristig die Zukunft (47 Prozent). Aber auch durch Künstliche Intelligenz (39 Prozent) sowie Robotik (30 Prozent) erwarten sie große Auswirkungen auf das Lieferkettenmanagement bis zum Jahr 2030. 

Kurzfristig, also für die nächsten ein bis zwei Jahren, ruhen für 56 Prozent die Hoffnungen hingegen auf digitalen Zwillingen, "also interaktiver virtueller Abbilder von physischen Objekten, Systemen und Prozessen", mit deren Hilfe Lieferketten und Logistik überwacht und optimiert werden können. Aber laut der Befragung gelingt derzeit allerdings nur einer Minderheit von "Supply Chain Champions" (acht Prozent), ihr Lieferkettenmanagement technologisch vollkommen zu modernisieren. Sie rechnen dadurch mit Kostensenkungen in der Lieferkette von 19 Prozent sowie Umsatzsteigerungen von 16 Prozent.

Nach ihrer Befähigung gefragt, technologische Disruptionen bewältigen zu können, gaben 45 Prozent der Unternehmen weltweit an, Initiativen zu planen, während 50 Prozent bereits bei der Umsetzung sind. In Deutschland beabsichtigen zwar erst 37 Prozent der befragten Unternehmen entsprechende Schritte zu ergreifen, dafür haben aber 61 Prozent bereits konkrete Maßnahmen angestoßen.

ESG-Anforderungen treiben Wandel voran

Auch die zunehmenden ESG-Anforderungen durch Gesetzgeber, Verbraucher und Investoren bringen neue Herausforderungen mit sich. Infolgedessen erachten mehr als 40 Prozent der befragten Unternehmen die Notwendigkeit, ihre Lieferketten ESG-konformer zu gestalten. Doch nur bei zwölf Prozent ist dies bereits geschehen. Immerhin bei 66 Prozent ist der Startschuss für entsprechende Maßnahmen bereits gefallen, während 22 Prozent der Unternehmen diese Herausforderung derzeit noch nicht angehen.

Auch eine Delphi-Studie mit 30 Experten aus der ganzen Welt vom Frühjahr durch die Frankfurter Unternehmensberatung Miebach kommt zu dem Ergebnis, dass die nachhaltige Transformation der Supply Chain die Zukunft bestimmen wird (76 Prozent). 98 Prozent betrachten die Verbesserung des Lieferanten-Netzwerkes als größtes Problem und erhoffen sich durch Künstlich Intelligenz (80 Prozent) positive Impulse.

Das Lieferkettengesetz als Chance

Eine empirische Analyse der Berater Isabelle Wehling und Nicolas Hilweg unterstreicht, dass die ESG-Regulatorik von Unternehmen nicht nur als Last betrachtet wird.

In der Praxis wird deutlich, dass das Lieferkettengesetz von Unternehmen als Chance für eine nachhaltige Entwicklung der Beschaffung wahrgenommen wird. Durch die erstmalige Verpflichtung der gesetzlichen Regelungen und dem dadurch steigenden Druck auf die Unternehmen rückt eine Nachhaltigkeitsstrategie in den Fokus der Wirtschaftsakteure. 

Vorteile erkennen Unternehmen demnach vor allem im Bereich des Lieferantenmanagements, weil

  • die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Lieferanten gefördert wird und
  • durch Nachhaltigkeit als weiteres Lieferantenbewertungskriterium nun nicht mehr überwiegend der Preis im Fokus steht.

Insgesamt handele es sich um keinen "Trend", "sondern um einen nicht mehr wegzudenkenden Bestandteil der Unternehmensstrategie. Die Verankerung in den Unternehmenszielen wird von Stakeholdern und Gesetzen eingefordert. Nachhaltigkeit polarisiert und die Einführung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes könnte den Einkauf revolutionieren."

In der Realität hat sich wenig geändert

Doch eine aktuelle Studie bringt Ernüchterung. Demnach scheint das Lieferkettengesetz in Deutschland seine Ziele verfehlt zu haben. So deutet die Umfrage des German Business Panel (GBP) unter mehr als 800 deutschen Unternehmen deutet darauf hin, dass Unternehmen ihre Zulieferer offenbar nach wie vor nach den gleichen Kriterien auswählen wie bisher - und nicht nach deren Engagement für Umweltschutz und Sozialstandards. Vielmehr bestimmen Preis, Produkteigenschaften, Zahlungs- und Liefermodalitäten, die Dauer der Geschäftsbeziehung und Finanzkennzahlen die Auswahl. Erst an sechster und letzter Stelle nennen die Unternehmen Nachhaltigkeit.

Politik zerrt am Lieferkettengesetz 

Gleichzeitig drängt die FDP einem Medienbericht zufolge Bundesarbeitsminister Hubertus Heil dazu, mehrere Gesetze aus der Wachstumsinitiative bis Anfang November vorzulegen. Angesichts der schwachen Konjunkturperspektiven fordern sie den SPD-Politiker dazu auf, die Regelung auszusetzen, berichtet die "Bild" unter Berufung auf ein Beschlusspapier des Vorstands der FDP-Bundestagsfraktion. Nach Ansicht des Parlamentarischen Geschäftsführers der FDP-Bundestagsfraktion, Johannes Vogel, kann die Wachstumsinitiative ihr Ziel ohne Aussetzen der Lieferketten-Bürokratie nicht erreichen, heißt es zur Begründung. 

Und offenbar bläst auch Kanzler Olaf Scholz in dieses Horn. Denn er hat der Wirtschaft Entlastung von Bürokratie zugesagt. "Das haben wir ja gesagt, das kommt weg", erkläre der SPD-Politiker beim Arbeitgebertag in Berlin mit Bezug auf das sogenannte Lieferkettengesetz und versprach: "Dieses Jahr noch."

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