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1997 | Buch

Gewaltenteilung und Parteien im Wandel

verfasst von: Winfried Steffani

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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Über dieses Buch

Organisationspolitisch zählen die Themenbereiche Gewaltenteilung und Par­ teien seit langem zu den als aktuell und bedeutsam angesehenen Auseinander­ setzungen und Wertungen. Als Charles de Montesquieu im Jahre 1748 vor dem Hintergrund der feudalistischen Gesellschaft seiner Tage zukunftsträchtige Gedanken zur Gewaltenteilung publizierte, waren ihm Parteien nach unserem Verständnis noch völlig unbekannt. Parallel zur Bildung von Parteien, ihrer weiteren Entwicklung sowie der Demokratisierung der politischen Systeme gerieten auch die Voraussetzungen und Umsetzungsmöglichkeiten von Gewal­ tenteilung zunehmend unter einen vielfältigen Problemdruck. Heute gehören gemäß den grundlegenden Normforderungen des modernen Verfassungsstaates sowohl die Prinzipien der Gewaltenteilung wie das Tätig­ werden von Parteien zu den unverzichtbaren Voraussetzungen aller westlichen Demokratien. Dabei werden wir allerdings immer wieder belehrt, daß diese als unverzichtbar geltenden Prinzipien der Gewaltenteilung vornehmlich aufgrund der gleichfalls im Prinzip als unverzichtbar angesehenen Wirksamkeit unserer Parteien faktisch "durchbrachen" seien. Kann es angehen, daß sowohl die Prin­ zipien der Gewaltenteilung wie das Tätigwerden von Parteien im demokrati­ schen System zur gleichen Zeit einerseits als unverzichtbar und andererseits als miteinander eigentlich unvereinbar gewertet werden können? Beruhen die Ver­ fassungen der westlichen Demokratien folglich in mehr oder weniger offenkun­ diger Weise auf "faulen Kompromissen" zwischen beiden Forderungen? Wer solche Vermutungen für begründet hält, läßt damit allerdings erkennen, daß er offenbar weder mit Montesquieus Aussagen hinreichend vertraut ist, noch den grundlegenden Wandel von Gewaltenteilung und Parteien sowie des Verhältnisses beider zueinander zu erfassen vermag. Zumal Gewaltenteilung als Verfassungsprinzip sicherlich nicht auf das institutionelle Wechselverhältnis von Parlament und Regierung reduziert werden darf.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Gewaltenteilung im Wandel

Frontmatter
I. Gewaltenteilung im demokratischen Verfassungsstaat
Zusammenfassung
Der politische Prozeß eines jeden politischen Gemeinwesens kann in zwei Phasen untergliedert werden: Willensbildung und Entscheidung. Willensbildung liegt dann vor, wenn beispielsweise ein einzelner, eine Gruppe oder eine Mehrheit für sich einen Willen bildet, dem sie Geltung verschaffen will. Von Entscheidung ist erst dann die Rede, wenn ein derartiger Wille durch staatliche Entscheidungsgewalt — etwa in der Form eines Gesetzes — für jedermann verbindlich gemacht wird.
Winfried Steffani
II. Grundzüge einer politologischen Gewaltenteilungslehre
Zusammenfassung
Wir waren es gewohnt, in der Auseinandersetzung zwischen Ost und West in den Modellen Demokratie und Totalitarismus zu denken und zu debattieren1. Die Begriffe bilden nicht unbedingt einen Gegensatz — Talmon konnte ein Buch unter dem Titel „The Origins of Totalitarian Democracy“2 schreiben. Der wahre Antipode des totalitären Staates ist der pluralistische. Pluralistische Staaten, oder allgemeiner und zutreffender: pluralistische (freiheitliche) Gemeinwesen, sind letztlich nur dort möglich, wo unveräußerliche, prinzipiell auch einer demokratischen Mehrheit nicht frei zur Disposition stehende Grundrechte anerkannt werden. Unverbrüchlich garantierte und faktisch wirksame Grundrechte (Individual- und Gruppenrechte) sind die Vorbedingung und Lebensbasis dafür, daß ein pluralistisches Gemeinwesen entstehen und bestehen kann, das heißt ein Gemeinwesen mit einem Höchstmaß autonomer Gestaltungschancen im gruppenoffenen3 Sozial- und Herrschaftsgefüge.
Winfried Steffani
III. Die Republik der Landesfürsten
Zusammenfassung
Eine vergleichende Analyse der Auswirkungen von Föderalismus auf die Arbeitsweise des Parlamentarismus läßt in eindrucksvoller Weise die Besonderheiten der Verfassungslage in der Bundesrepublik Deutschland erkennen. Föderalismus sei in diesem Zusammenhang als ein bundesstaatliches Ordnungskonzept definiert, das den Ländern bzw. Einzelstaaten, die den Bund konstituieren, in geschriebener Bundesverfassung im Rahmen allgemeiner Grundsätze und Kompetenzregelungen das Recht autonomer Verfassungsgebung zusichert. Unter Parlamentarismus wird ein Repräsentativsystem verstanden, in dessen politischem Entscheidungsprozeß das Parlament eine signifikante, d. h. eine für die Gesetzgebung, Haushaltsentscheidung und Kontrolle der Regierung wesentliche Rolle spielt.
Winfried Steffani
IV. Semi-Präsidentialismus?
Zusammenfassung
Unsere Fachsprache vermag nur dann eine sachangemessene Genauigkeit zu erreichen, wenn hinreichend transparent definiert und entsprechend argumentiert wird. Eine solche gedankliche Selbstdisziplin ist vornehmlich dann vonnöten, wenn es letztlich um die systematische Analyse komplexer Sachverhalte geht. Und was kann für einen Politologen schon eine umfassendere Herausforderung sein, als die Untersuchung komplexer politischer Herrschaftssysteme, von denen angenommen wird, daß sie in ihrer konkreten Organisation, ihrer konsensfördernden Handlungsweise, ihrer Entscheidungsfähigkeit und damit politisch-dynamischen Angemessenheit den davon betroffenen Menschen in ihrer jeweiligen historischen Lage „gerecht“ werden sollen und üblicherweise dies auch wollen?
Winfried Steffani
V. Regierungsmehrheit und Opposition
Zusammenfassung
Vergleichen heißt, zwei oder mehrere Sachverhalte anhand gleicher Fragen und Maßstäbe miteinander in Beziehung setzen. Als Erkenntnisziel geht es dabei üblicherweise um die Beantwortung der Frage, ob und inwieweit die miteinander verglichenen Sachverhalte als solche tatsächlich gleich, annähernd gleich, einander ähnlich oder ob sie — und in welcher Hinsicht — mehr oder weniger verschieden sind. Umgangssprachlich wird gelegentlich behauptet, gewisse Erscheinungsformen, Dinge bzw. Sachverhalte seien „nicht miteinander zu vergleichen“. Soll sich eine solche Aussage als kritikfest erweisen, müßte zuvor genau das getan worden sein, was die Aussage gerade bestreitet: es müßte verglichen worden sein. Wie könnte andernfalls eine Unvergleichbarkeit ernsthaft behauptet werden?
Winfried Steffani
VI. Das Demokratie-Dilemma der Europäischen Union
Zusammenfassung
In einem dürften sich nahezu alle West- und Mitteleuropäer einig sein: Unsere gemeinsame Zukunft heißt Europa. Nicht mehr das „Ob“, sondern allein das „Wie“ der weiteren Gemeinschaftsfindung steht zur Diskussion. Die Modalitäten dieser europäischen Gemeinschaftsfindung und Handlungskooperation (Integration) müssen allerdings noch ernsthaft erwogen werden.
Winfried Steffani

Parteien im Wandel

Frontmatter
VII. Bürger und Gemeinwesen in Europa
Zusammenfassung
„Menschsein“ bedeutet, sich seiner Gemeinwesen-Bezogenheit bewußt sein sowie entsprechend denken und handeln. Hierzu gehört sicherlich auch und vor allem, sich seiner kulturell-religiösen Wurzeln zu vergewissern und sein eigenes, tägliches Verhalten daran zu orientieren — auch und gerade dann, wenn man sich mit ihnen kritisch auseinandersetzt. Für das allgemeine Gestalten und Fortbestehen eines politischen Gemeinwesens sind jedoch vornehmlich zwei Bereiche wesentlich: Politik und Ökonomie.
Winfried Steffani
VIII. Parteien als soziale Organisationen. Zur politologischen Parteienanalyse
Zusammenfassung
Parteien sind in ihrer grundlegenden Bedeutung für den politischen Gestaltungsprozeß eines sozialen Gemeinwesens nur dann hinreichend umfassend zu analysieren, wenn sie in der Vielfalt ihrer Aufgaben (normative Funktionen) und tatsächlichen Handlungsweisen (praktizierte Funktionen) erfaßt werden.
Winfried Steffani
IX. Gesellschaftlicher Wandel als Herausforderung von Demokratie und Parteien
Zusammenfassung
Wenn heute von „westlicher Demokratie“ die Rede ist, dann wird damit keineswegs ein nur im territorialen Bereich Westeuropas und des englisch- sowie französisch-sprachigen Amerika entwickeltes und lediglich hier vorfindbares Verständnis von Demokratie gemeinte1. Vielmehr wird hiermit auf jene Formen und jenen Zustand von Demokratie abgehoben, für den die Begriffe Pluralismus und Repräsentation stehen. „Westliche Demokratie“ demnach — im Gegensatz zu „östlicher“, „monistisch-plebiszitärer Demokratie“ oder „Volksdemokratie“ — verstanden als pluralistisch-repräsentative Demokratie. Und dieser Typus von Demokratie ist heute zumindest als Orientierungskonzept global verbreitet: Nicht nur in Ländern und Regionen wie Japan, Australien, Indien, Südamerika, Nordafrika, Vorderasien und Osteuropa, sondern nach eigenem (verfassungspolitisch am 8. Mai 1996 offiziell proklamiertem) Selbstverständnis nun auch in der Republik Südafrika.
Winfried Steffani
X. Offene Wahl des Regierungschefs! Eine Kontroverse
Zusammenfassung
In parlamentarischen Regierungssystemen ist es üblich, daß das Staatsoberhaupt den Regierungschef ernennt, bevor das Parlament zu dieser Ernennung formell Stellung bezieht. In wenigen Fällen wie Spanien, Schweden oder Irland sowie heute in einigen neueren osteuropäischen Verfassungssystemen muß der Ernennung des Regierungschefs eine Entscheidung des Parlaments vorangehen. Dabei muß die regierungsbildende Parlamentsentscheidung selbstverständlich offen und somit öffentlich kontrollierbar erfolgen.
Winfried Steffani
XI. Repräsentative und plebiszitäre Elemente des Verfassungsstaates
Zusammenfassung
Martin Kriele hat seiner vorzüglichen „Einführung in die Staatslehre“ den Untertitel gegeben: „Die geschichtlichen Legitimitätsgrundlagen des demokratischen Verfassungsstaates“.1 Zwei Begriffe bilden nach Kriele den Schlüssel „zum Verständnis fast aller Probleme der Staatslehre, die sich auf den neuzeitlichen Staat beziehen: Souveränität und Legitimität“.2 Bezieht sich die Souveränität, das Recht der letztinstanzlich-verbindlichen Entscheidung, auf die „Durchsetzungsmacht der Staatsgewalt“, so die Legitimität auf deren Rechtfertigung. Da kein Staat seine Gewalt dauerhaft durch Bajonette begründen kann, hängt die Durchsetzungsmacht der Staatsgewalt von seiner Rechtfertigung ab. Die Legitimitätsfrage bildet insofern die „Innenseite der Souveränitätsfrage“.3
Winfried Steffani
XII. Parteiinterne Einsichtnahme in Mitgliederlisten — zugleich eine Dokumentation
Zusammenfassung
Das Grundgesetz bestimmt in Artikel 21 Absatz 1 Satz 3: „Ihre (der Parteien) innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen“. Ein zentraler Grundsatz jeder Demokratie besteht darin, zu wissen beziehungsweise erfahren zu können, wer ihr angehört. Hierzu müßte demnach auch das Recht eines jeden „einfachen“ Parteimitgliedes zählen, zumindest die Namen und Adressen der anderen Mitglieder der kleinsten territorialen Organisationseinheit der eigenen Partei feststellen zu können. Wer sich auf der Straße bewegt, kann davon ausgehen, daß nahezu alle über achtzehn Jahre alten Menschen, denen er begegnet, das allgemeine Wahlrecht haben. Wer jedoch zu den wenigen Bürgern zählt, die einer Partei — und gar noch der eigenen — angehören, ist so nicht auszumachen. Dazu bedarf es offenbar einer parteiinternen Einsichtnahme in die Adressenliste der Mitgliederl.
Winfried Steffani
Backmatter
Metadaten
Titel
Gewaltenteilung und Parteien im Wandel
verfasst von
Winfried Steffani
Copyright-Jahr
1997
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-663-08109-8
Print ISBN
978-3-531-12972-3
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-663-08109-8