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1997 | Buch

Jugendfernsehen auf dem Weg vom Infotainment zum Infomercial

Die Magazine „Elf 99“ und „Saturday“ zwischen Wende und Wiedervereinigung

verfasst von: Dirk Ziegert

Verlag: Deutscher Universitätsverlag

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Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
1. Einleitung
Zusammenfassung
Mit der letztmaligen Ausstrahlung des Jugendmagazins Elf 99 ging am 26.03.1994 eine Ära zu Ende: Das mediale Relikt aus Zeiten des ehemaligen DDR-Fernsehens hatte sich bis dahin erfolgreich auf dem Markt der kommerziellen Anbieter im Mediensystem der wiedervereinigten Bundesrepublik Deutschland behauptet; die von der gleichen Redaktion produzierte Elf 99-Nachfolgesendung saturday mit verjüngter Zielgruppenansprache und inhaltlich differentem Sendungskonzept hielt sich nur einen Monat im Programmschema privater Anbieter.
Dirk Ziegert
2. Begriffsbestimmung Fernsehmagazine
Zusammenfassung
Das Magazin als Medienangebot ist die derzeit quantitativ auffallendste Sendeform im Bereich der non-fiktionalen Genres des kontemporären TV-Programms. Der Begriff ‚Magazin‘ leitet sich etymologisch aus dem Arabischen ab; das Wort mahâzin bezeichnet ein Vorrats- und Lagerhaus. Der im anglophonen Bereich zur Kennung von Printmedienangeboten verwendete Begriff verbreitete sich ab Mitte des 18. Jahrhunderts auch im deutschsprachigen Raum. Als ‚Magazine‘ wurden Zeitschriften mit breiter Themenpalette bezeichnet, die sich die „Erweiterung des politischen, kulturellen und wissenschaftlichen Horizonts“l der Leser zum Ziel gesetzt hatten. Die formalen Charakteristika der historischen Printmagazine zielten auf „eine unterhaltende und belehrende Lektüre in leichter Lesart“2 ab; kurze, leichtverständliche Artikel, ein breites Themenspektrum und geringe Produktionskosten waren die Basis für eine rasche Ausdifferenzierung der Magazinangebote für spezifische Rezipientengruppen3 Schon gegen Ende des 18. Jahrhunderts fanden sich unterschiedliche Spezial- und Fachmagazine, die historische, ökonomische, politische etc. Themen behandelten. Daß Magazine keine nur journalistische Kategorie, sondern immer auch eine Vermarktungsform darstellen, zeigte sich mit Beginn der Industrialisierung am Anfang des 19. Jahrhunderts. Der aufklärerische, universalistische Gestus der Magazine nach dem rhetorischen Prinzip des delectare et prodesse wandelte sich entsprechend zu den Veränderungen des ökonomischen und medialen Systems. Das Magazin als billig herzustellendes Massenprodukt erzielte dank verbesserter Produktionstechnik eine ubiquitäre Verbreitung auch in sozialen Schichten mit geringer Kaufkraft; der Anspruch der Printmagazine entwickelte sich hin zur illustrierten Unterhaltungsschrift mit periodischem Erscheinungsdatum.4 Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war durch eine Konsolidierung der Angebotsmuster im Magazinbereich geprägt; als Beispiel sei die von 1854 bis 1939 erschienene illustrierte Wochenzeitschrift Reclams Universum genannt. Die Verwendung des Begriffs ‚Magazin‘ zur Kennzeichnung von Medienangeboten ging in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück5 und erfuhr erst in den 20er Jahren dieses Jahrhunderts mit der Ausprägung des Typus des modernen und aktuellen Nachrichtenmagazins (Time, Newsweek) einen neuerlichen Aufschwung. Durch den Erfolg der US-Nachrichtenmagazine, auf deren Vorbild auch der bundesdeutsche Spiegel rekurrierte, wurde der Magazinbegriff in der Folgezeit häufig mit einem nachrichtenorientierten, aktuellen und kritischen Printmagazin gleichgesetzt. Die Übernahme des Magazinbegriffs zur Kennzeichnung von Angebotsmustern in anderen Formen medialer Vermittlung läßt sich auf die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts datieren. Magazinsendungen im Hörfunk griffen das offene Strukturprinzip der Print-magazine auf, das Radiomagazin etablierte sich als teils informative, teils unterhaltende Mischform, die verschiedenste Präsentationsformen zuließ. Die einzelnen Magazinbeiträge waren in ein ‚Rahmenprogramm‘ von Musikbeiträgen und Produktwerbung eingefügt. Weitere Vorteile ergaben sich aus Aspekten der erleichterten Programmplanung:
„Eine Sendeform, deren Offenheit die Verknüpfung heterogener Beiträge in einer Einzelsendung erlaubt, gewährleistet gegenüber monothematischen Sendungen, wie z.B. den Features, eine höhere Flexibilität bei der Gestaltung, durch den Reihencharakter und die Person des Moderators wird darüber hinaus eine Programmkennung, sprich: Imagepflege der einzelnen Sendung sichergestellt.“6
Dirk Ziegert
3. ‘Jugendmagazine’ — Magazine für ‘Jugendliche’?
Zusammenfassung
Das Zitat verweist auf den augenfälligen Umstand, daß die mediale Sozialisation von Kindern und Jugendlichen durch Fernsehprogramme nicht auf eigens an sie adressierte Sendungen beschränkt ist. Vielmehr ist das gesamte Programmangebot des Mediums, d.h. auch der vorabendliche Unterhaltungsteil, die darin eingebetteten Werbeinseln und Teile des Abendprogramms, bestimmend für die Mediensozialisation der erwähnten gesellschaftlichen Gruppen. Die kontrovers geführte Diskussion Ober Sinn und Unsinn von Medienangeboten, die sich speziell an die Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen wenden, hat eine ähnlich lange Tradition wie die entsprechenden Programmangebote der Fernsehsender. Tautologische Stilblüten wie „Kinderfernsehen ist, wenn Kinder Fernsehen“2 zeugen von den Schwierigkeiten der Programmverantwortlichen, detaillierte programmatische Rahmenbedingungen für entsprechende Medienangebote zu beschreiben. Problematisch erscheint auch eine genauere Definition der angestrebten Zielgruppen: was charakterisiert ein idealtypisches ‚Kind‘, was einen ‚Jugendlichen‘? Wo ist die Übergangsschwelle von ‚Jugend‘ zum ‚Erwachsensein‘?
Dirk Ziegert
4. Entwicklungsgeschichte der Kinder- und Jugendmagazine in der DDR
Zusammenfassung
Die Entwicklungsgeschichte der Kinder- und Jugendmagazine in der DDR kann nur vor dem Hintergrund einer gegenseitigen Beziehung und Beeinflussung zwischen dem politischen und dem medialen System der DDR verstanden werden. Wurde der Rundfunk und später das Fernsehen in marxistisch-leninistischer Sichtweise als politisches Instrument der Agitation, als Mittel zur Durchsetzung und Verankerung sozialistischen Bewußtseins definiert, so sind im Umkehrschluß die Veränderungen und historischen Zäsuren in der Entwicklungsgeschichte der DDR-Medien als Ausdruck der politischen Veränderungen und Entwicklungsperioden der DDR zu betrachten. Damit wird die Mediengeschichte zum Abbild des Aufbaus, der Konsolidierung und der finalen Implosion des politischen Systems der DDR. Dies soll im folgenden Kapitel anhand der historischen Entwicklung der Kinder- und Jugendmagazine des DDR-Fernsehens aufgezeigt werden. Bevor ich mich dabei explizit auf Sendungen des Fernsehens der DDR beziehe, möchte ich zur Verdeutlichung des historischen Kontexts einen knappen Exkurs über die medienpolitische Entwicklung des Rundfunks in der damaligen SBZ2 vor der Aufnahme des Fernsehsendebetriebs am 21.12.1952 einschieben.
Dirk Ziegert
5. Elf 99 — Konzeption und Entstehungsgeschichte
Zusammenfassung
Der 01.09.1989, Datum der erstmaligen Ausstrahlung von Elf 99 markiert eine Zäsur in der historischen Entwicklung der Kinder- und Jugendsendungen im Programm des DFF. Nachdem ab Anfang der 80er Jahre seitens der Programmverantwortlichen mit der Einführung einer ‚Jugendschiene‘1 montags ab 18.00 Uhr der Versuch unternommen wurde, Jugendsendungen zu schaffen, die “den wachsenden Bedürfnissen nach Information, Orientierungshilfe und anregender Unterhaltung stärker Rechnung tragen“2, zeigte sich schnell, daß das wesentliche Problem bei der Etablierung neuer Jugendsendungen darin bestand, die Zielgruppe der Jugendlichen auch wirklich zu erreichen.
Dirk Ziegert
6. ‘Die Störung hat System’ — Elf 99 in der ‘Wende’
Zusammenfassung
Trotz der Tatsache, daß Tausende vorwiegend junger DDR-Bürger ihre Unzufriedenheit mit dem politischen System der DDR schon im September 1989 durch eine „Abstimmung mit den Füßen“ bekundeten, stand das Programm des DFF vom 06.07.10.1989 ganz im Zeichen der offiziell verordneten Feierlichkeiten und Jubelparaden zum 40. Jahrestag der Gründung der DDR. Über die zeitgleich verlaufenden Demonstrationen in Berlin, Leipzig, Dresden usw. und deren Niederschlagung durch bewaffnete Einheiten von Volkspolizei und Stasi durfte die Aktuelle Kamera auf direkte Weisung der ZK-Abteilung für Agitation hin nicht berichten. DDR-Bürger erfuhren davon nur durch westliche Nachrichtensendungen, die Diskrepanz zwischen der Selbstbeweihräucherung der „Erhabenen“2 und der tatschlichen Stimmung im Lande war total, das Vertrauen in die Berichterstattung der DDR-Medien völlig zerstört.
Dirk Ziegert
7. Die ‘Wende’ entläßt ihre Kinder: Elf 99 nach der ‘Abwicklung’ der DDR
Zusammenfassung
Schon vor der Wiedervereinigung zum 03.10.1990 hatte sich im Zuge der Übernahmeverhandlungen, die die Auflösung des DFF und dessen teilweise Überführung in eine neu zu schaffende Kette von Landessendern vorbereiten sollten, herausgestellt, daß Elf 99 “im Falle einer Vergabe der DFF-Frequenzen an die ARD nicht in deren Hauptprogramm übernommen2 werden würde. Als Alternative stellte die ARD in den Kooperationsverhandlungen, die allerdings unverbindlich blieben, in Aussicht, Elf 99 über die dritten Programme der ARD auszustrahlen. Dies bezog sich zum angegebenen Zeitpunkt nicht nur auf das aus DFF 1 und DFF 2 zusammengefaßte dritte Programm der ostdeutschen Rundfunkanstalten, sondern auf alle dritten Programme der ARD. Für die Redaktion von Elf 99 wäre dies ein wesentlicher Schritt hin zu nationaler Reichweite gewesen, die schon im neuen Redaktionskonzept vom Mai 1990 als Fernziel verankert worden war.
Dirk Ziegert
8. Infotainment, Video-Ästhetik und Corporate Identity: die Codes der Inszenierung bei Elf 99
Zusammenfassung
In der Ära des ‚TV-Supermarktes‘ mit einer schier unübersehbaren Angebotspalette gilt es für die Produzenten eines spezifischen Medienproduktes, diesem eine unverwechselbare Produktkennung zu verleihen, die es von gleichartigen Konkurrenzprodukten abhebt, und dem spezifischen Medienangebot zu einer singulären, jederzeit reidentifizierbaren Charakteristik verhilft. Im Falle der historischen Mediengattungsform ‚Fernsehmagazin‘, unter die die Gruppe der ‚Jugendmagazine‘ subsumiert werden kann, müssen die — strukturell determinierten — disparaten Elemente des Magazins zu einer komplementären Einheit verschmolzen werden, die es dem Zuschauer anhand der Rezeption eines einzelnen Beitrages idealiter erlaubt, diesen zweifelsfrei der gesamten Magazinsendung und deren Produktcharakteristik zuzuordnen. Nur so kann innerhalb des marktförmig organisierten Mediensystems zureichende Produktidentität ausgebildet werden; im Zeitalter des channel hopping und zapping entscheidet besonders der visuelle Wiedererkennungswert einer Sendung über die Annahme des Medienproduktes durch den Zuschauer oder den alles entscheidenden Druck auf den Knopf der Fernbedienung. Die grundsätzlich offene, modulare Angebotsstruktur des Fernsehmagazins kommt diesem Mediennutzungsverhalten bis hin zum ‚fertiggezappten‘ Beitrag entgegen; das Paradigma dessen findet sich in Form des Videoclips als Magazinbeitrag:
„Daraus erklärt sich wohl die Diskussion, die dem Medium insgesamt neben einer zunehmenden ‚Serialisierung‘ eine zunehmende ‚Magazinierung‘ nachsagt, damit aber nicht nur eine Vermehrung der Magazin-Typen anspricht, sondern eine gattungsübergreifende Tendenz zur ‚Beschleunigung‘ und ‚Kleinteiligkeit‘ unterstellt, die Vermittlung einer fragmentierenden ‚Magazinwelt‘, die von Gegnern des Mediums auch als nivellierte ‚Scherbenwelt‘ denunziert wird.“2
Dirk Ziegert
9. saturday — das kurze Nachspiel zu Elf 99
Zusammenfassung
Nach der letzten Elf 99-Sendung vom 26.03.1994 blieb der Redaktion der Elf 99 Medienproduktion und Vermarktung GmbH gerade eine Woche Zeit bis zur erstmaligen Ausstrahlung der Nachfolgesendung saturday.
Dirk Ziegert
10. Zusammenfassung und Bewertung
Zusammenfassung
Korreliert man das Zitat mit dem historischen Faktum, daß Elf 99-Redakteure die gleiche Sony-Technologie eingesetzt haben, um den Sturm auf die Stasi-Zentrale in der Normannenstraße live abzufilmen, so verweist dies auf die spezifischen Qualitäten der ‚Medienrevolution‘ in der DDR. Gleichzeitig wird deutlich, daß der von kritischem Engagement geprägte ‚Wendejournalismus‘ von Elf 99, der vielen als preiswürdig erschien, ohne den Zusammenbruch der dirigistischen Kommandostrukturen der SED-Medienpolitik nicht denkbar gewesen wäre: auch den ‚Machern‘ von Elf 99 wurde die ‚Gnade der späten Geburt‘ zuteil. Insofern erschiene es als verfehlt, den relativ autonomen Produktionskomplex Elf 99 die Redaktion eingeschlossen, als ‚Insel der Widerstandskämpfer‘ im DFF zu bezeichnen.
Dirk Ziegert
11. Bibliographie
Dirk Ziegert
12. Anhang: Interviews mit Elf 99-‘Machern’
Dirk Ziegert
Backmatter
Metadaten
Titel
Jugendfernsehen auf dem Weg vom Infotainment zum Infomercial
verfasst von
Dirk Ziegert
Copyright-Jahr
1997
Verlag
Deutscher Universitätsverlag
Electronic ISBN
978-3-663-08619-2
Print ISBN
978-3-8244-4250-8
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-663-08619-2