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03.05.2018 | Gesundheitsprävention | Schwerpunkt | Online-Artikel

Unternehmen ignorieren psychische Gefährdungsbeurteilung

verfasst von: Andrea Amerland

4 Min. Lesedauer

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Es ist ein eher trauriges Kapitel in Unternehmen: die psychische Gefährdungsbeurteilung von Mitarbeitern. Obwohl diese bereits seit Ende 2013 im Arbeitsschutzgesetz verankert und damit Pflicht ist, setzen Unternehmen sie nur selten um.

Die Fehlzeiten-Reporte der Krankenkassen in Deutschland sprechen eine deutliche Sprache. Die Zahl der Arbeitsausfälle wegen psychischer Probleme ist demnach in den vergangenen zehn Jahren überproportional stark gestiegen. Das zeigt unter anderem der Fehlzeiten-Report des Wissenschaftlichen Instituts (WIdO) der Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK), für den rund 12,5 Millionen Krankschreibungen von erwerbstätigen AOK-Mitgliedern untersucht wurden.

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2018 | OriginalPaper | Buchkapitel

Die Gefährdungsanalyse Psyche (GBU Psyche) und ihre Folgemaßnahmen – ein Erfahrungsbericht

Mit der Reform des Arbeitsschutzgesetzes im Jahr 2013 ist die Erfassung auch psychischer Gefährdungen am Arbeitsplatz im Rahmen eines ganzheitlichen Arbeits- und Gesundheitsschutzansatzes für Unternehmen und Organisationen verpflichtend geworden.


Neben privaten Krisen wie Tod oder Trennung steht bei den psychischen Belastungen die Arbeit weit vorne. Knapp vier von fünf Arbeitnehmern (79 Prozent) stufen die psychische Belastung an ihrem Arbeitsplatz eher hoch oder sehr hoch ein – und das quer über alle Berufs- und Altersgruppen hinweg. Das geht aus einer Forsa-Umfrage im Auftrag der Prüforganisation Dekra von 2017 hervor, für die 1.000 Beschäftigte zwischen 18 und 65 befragt wurden.

Unternehmen haben bei GBpsych Umsetzungsprobleme

Doch allen Gesundheitsreporten und der gesetzlichen Rahmenbedingungen zum Trotz setzen 41 Prozent der Unternehmen in Deutschland die sogenannte GBpsych oder GBUpsych (psychische Gefährungsbeurteilung) noch immer nicht um, hat die Unternehmensberatung Scopar (PDF) ermittelt. Auch wenn die Stichprobe mit 100 Teilnehmern (Führungskräfte, Mitarbeiter, Wissenschaftler und Experten) eher klein ist, zeigt sie einen Trend. 

Trotz der hohen wirtschaftlichen Relevanz psychischer Gesundheit und der rechtlichen Verpflichtung des Arbeitgebers im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung psychische Belastungen zu erfassen, ist zu beobachten, dass viele Unternehmen Umsetzungsprobleme haben oder ihren gesetzlichen Verpflichtungen nicht nachkommen", heißt es auch in der "Zeitschrift für Arbeitswissenschaft", Ausgabe 4/2017 auf Seite 296.

Die rechtlichen Rahmenbedindungen lassen Unternehmen eigentlich wenig Spielraum. Die Nichtumsetzung der GBpsych wird mit Bußgeldern geahndet, allerdings erst, wenn die Landesbehörde für Arbeitssicherheit Organisationen dazu aufgefordert hat, innerhalb einer Frist nachzubessern, dies aber nicht geschieht.

Führungskräfte bagatellisieren psychische Belastung

Doch was sind die Gründe für die Ignoranz? Darauf geben Interviews, die Wissenschaftler mit "Akteuren der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung" geführt haben, Hinweise:

  • Offenbar fallen Eigen- und Fremdwahrnehmung bei einigen betrieblichen Akteuren auseinander. Während sich die betrieblichen Interessenvertretungen ihrer Zuständigkeit und Verantwortung wohl bewusst sind, glauben beispielsweise Betriebsärzte und Sicherheitsfachkräfte, an ihre fachliche Grenzen zu stoßen. Dabei gelten gerade sie als die Experten im Unternehmen, die das Management beraten sollen. 
  • Tatsächlich gibt es unterschiedliche Wissensstände. Betriebsärzten und Sicherheitsfachkräften fehlen nicht nur das Know-how, sondern auch die Ressourcen, um die GBpsych selbstständig umsetzen zu können. In den Personalabteilungen mangelt es zudem grundlegend an Arbeitsschutzkenntnissen. 
  • "Des Weiteren können die identifizierten Wissensdefizite der Führungskräfte möglicherweise deren Tendenz zur Bagatellisierung psychischer Belastungen erklären", urteilen die Forscher.

Auch wenn die Wissenschaftler nur Anhaltspunkte finden, was die Durchführung einer psychischen Gefährdungsbeurteilung verhindert, bestätigen die Interviews, dass sich Unternehmen bei der Umsetzung der GBpsych schwer tun.  

Unternehmen schludern beim Arbeits- und Gesundheitsschutz

Doch dieses Auseinanderklaffen von Theorie und Praxis, ist nicht nur in diesem konkreten Fall gegeben, heißt es über die Beurteilung der Arbeitsbedingungen in der "Zeitschrift für Arbeitswissenschaft" weiter. 

Auch 20 Jahre nach dem Inkrafttreten des Arbeitsschutzgesetzes entspricht die betriebliche Praxis bei der Beurteilung der Arbeitsbedingungen in großen Teilen nicht dem Ziel und den formalen Bestimmungen des Arbeitsschutzgesetzes. Nur in einem kleinen Teil der Unternehmen wird auch tatsächlich der vom Arbeitsschutzgesetz intendierte Kreisprozess einer kontinuierlichen Verbesserung der Arbeitsbedingungen praktiziert", lautet das ernüchternde Fazit von Markus Kohn von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) und Bruno Zwingmann, Geschäftsführer Bundesarbeitsgemeinschaft für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit (Basi) e.V..

Diese Ansicht bestätigt die bereits erwähnte Dekra-Befragung. 41 Prozent der befragten Beschäftigten gaben demnach an, dass Führungskräfte oder Mitarbeiter in ihrem Betrieb Sicherheitsregeln und Vorschriften nicht oder nicht immer einhalten. Also ist der aktuelle Umgang mit der GBpsych in Unternehmen offenbar nichts anderes als business as usual.

Dabei ist eine Umsetzung gar nicht so schwierig. Denn in der Regel reicht es vollkommen aus, diese drei Schritte durchzuführen:

  • Die Mitarbeiter zu Belastungen aus dem Arbeitsumfeld befragen.
  • Die Mitarbeiter bei der Suche nach Verbesserungen oder Lösungen beteiligen.
  • Die gefundenen Lösungen umsetzen und den Erfolg prüfen.

Insofern kann die Umsetzung der GBpsych als ein Projekt des Betrieblichen Gesundheitsmanagements verstanden werden, mit dessen Hilfe Gefährdungen durch psychische Belastung reduziert und die Arbeitssituation von Mitarbeitern verbessert werden können. Zudem bietet die ASR V3 (PDF), die im Juli 2017 in Kraft getreten ist, zumindest technische Regeln für Arbeitsstätten, die für die psychische Gefährdungsbeurteilung hilfreich sind. Zu diesen technischen Aspekten gehören zum Beispiel der Einfluss von Maschinenlärm oder das Großraumbüro als mögliche psychische Stressoren.

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