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2018 | Buch

Grundbegriffe der Soziologie

herausgegeben von: Prof. Dr. Johannes Kopp, Prof. Dr. Anja Steinbach

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Über dieses Buch

Im vorliegenden Buch wird das Feld der Soziologie anhand von über 100 Grundbegriffen beleuchtet. Neben der begrifflichen Klärung wird dabei auch ein Überblick über die theoretischen Grundlagen der Soziologie und eine verlässliche Orientierung und Einführung geboten. Durch ein sorgfältig erarbeitetes Sach- und Stichwortregister werden nicht nur die einzelnen Grundbegriffe, sondern eine große Anzahl weiterer soziologischer und sozialwissenschaftlicher Fachausdrücke aufgenommen und erklärt und somit ein grundlegendes und breites Verständnis der Soziologie und ihrer Anwendungsfelder ermöglicht.

Der Inhalt

Von A wie Akkulturation bis Z wie Zivilgesellschaft

Die Zielgruppe

Studierende und Lehrende der Soziologie sowie angrenzender Fachbereiche

Die Herausgeber

Dr. Johannes Kopp ist Professor für Soziologie an der Universität Trier.

Dr. Anja Steinbach ist Professorin für Soziologie an der Universität Duisburg-Essen.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

A

Frontmatter
Akkulturation

Unter Akkulturation versteht man allgemein den Prozess der Übernahme von Elementen einer bis dahin fremden Kultur durch Einzelpersonen, Gruppen oder ganze Gesellschaften. Diese Übernahme betrifft Wissen und Werte, Normen und Institutionen, Fertigkeiten, Techniken und Gewohnheiten, Identifikationen und Überzeugungen, Handlungsbereitschaften und tatsächliches Verhalten, insbesondere aber auch die Sprache.

Hartmut Esser
Alltag

Als Alltag bezeichnet man den Handlungsbereich, der Menschen fraglos als ihr gewohntes Umfeld gegeben erscheint. Der Alltag ist maßgeblich für die Ausbildung von sozialen Orientierungen bei Individuen. Die meisten Handlungen sind wiederkehrender Art, so dass sie sich zu einer individuell habitualisierten und kollektiv jedermann verständlich erscheinenden, organisierten Lebenswelt zusammensetzen. Dieser sowohl intersubjektive als auch unmittelbar vertraute Charakter des Alltags und seine Stellung als vornehmliche Wirklichkeit jedes Menschen lassen den Alltag zu dem unmittelbaren Anpassungs-, Handlungs-, Planungs- und Erlebnisraum des Menschen werden.

Roger Häußling
Alter

Alter ist insofern ein für die Soziologie grundlegender Begriff, als das kalendarische Alter eines Individuums ein wichtiges zugeschriebenes, sich veränderndes Merkmal darstellt (Altern als Prozess), anhand dessen der Zugang zu einer Vielzahl unterschiedlicher Handlungsoptionen und Rollen institutionell geregelt wird (z. B. Schulbesuch, Eheschließung, Wahlrecht, Renteneintritt). Solche chronologischen Altersgrenzen haben im Zuge der modernen „Institutionalisierung des Lebenslaufs“ an Bedeutung gewonnen und können als gesellschaftliches Regulativ der individuellen Lebenslaufgestaltung betrachtet werden (vgl. Kohli, 1985).

Karsten Hank
Anomie

Der aus dem Griechischen entlehnte Begriff (a-nomos) bezeichnet wörtlich den Gegensatz oder die Abwesenheit von Gesetz und Ordnung und wurde von Emile Durkheim (1858–1917) zur Analyse sozialer Probleme, insbesondere abweichenden Verhaltens, infolge gesellschaftlicher Modernisierung verwendet. Seine weitere Verwendung in der Soziologie wurde maßgeblich von Robert K. Merton (1910–2003) geprägt, der Anomie mit den Folgen sozialstruktureller Ungleichheit in Verbindung brachte. Für die Kriminalsoziologie und Gewaltforschung ist Anomie bis heute ein wichtiger Begriff geblieben.

Dietrich Oberwittler
Anthropologie

Anthropologie stellt die Frage nach dem Menschen. Als Wort bedeutet Anthropologie Menschenkunde, nach den altgriechischen Wörtern für „Mensch“ (anthropos) und „Kunde“ bzw. „Wissen“ (logos). Anthropologie bezeichnet heute einen Strauß ganz verschiedener Wissenschaften oder Teildisziplinen, die sich mit dem Menschen, dem Menschsein, mit menschlichen Populationen und ihren Gesellschaften bzw. Kulturen inklusive ihrer materiellen Produkte befassen.

Christoph Antweiler
Arbeit

Arbeit kann soziologisch allgemein als eine zweckgerichtete bewusste Tätigkeit von Menschen definiert werden, die sie unter Einsatz von physischer Kraft und psycho-physischen Fähigkeiten und Fertigkeiten ausüben. Auch wenn Arbeit individuell verrichtet wird, ist sie zumindest indirekt immer in arbeitsteilige und sich historisch verändernde soziale Zusammenhänge (Kooperationen, Institutionen, Organisationen/Betriebe usw.) eingebunden und dadurch geprägt.

G. Günter Voß
Armut

Armut bezeichnet einen Zustand, in dem Menschen ihre Grundbedürfnisse – Nahrungsaufnahme, Wohnen, eine den klimatischen Bedingungen angemessene Bekleidung, medizinische Basisversorgung – nicht befriedigen können (absolute, extreme bzw. existenzielle Armut) oder von der Beteiligung am sozialen, kulturellen bzw. politischen Leben ihres Landes weitgehend ausgeschlossen sind (relative Armut).

Christoph Butterwegge

B

Frontmatter
Beruf

Beruf ist eine spezifisch zugeschnittene, auf produktive Aufgaben bezogene und aus gesellschaftlichen Bildungsprozessen hervorgehende soziale Form von Fähigkeiten und Fertigkeiten und/oder dazu komplementärer fachlicher Tätigkeiten und Leistungen. Berufe werden mehr oder weniger dauerhaft zur Erfüllung gesellschaftlicher (und insbes. wirtschaftlicher) Funktionen i. d. R. zum Erwerb von Geldeinkommen von Menschen übernommen (oder diesen zugewiesen).

G. Günter Voß
Bevölkerung

Die Bevölkerung ist die Gesamtzahl aller Einwohner eines bestimmten Gebietes (z. B. Staates) zu einem bestimmten Tag eines Jahres. Zu jedem Stichtag kann die Bevölkerungszahl variieren, weshalb eine Bevölkerung keine konstante Größe darstellt. Zum Stichtag 31.12.2013 umfasste die Wohnbevölkerung der Bundesrepublik Deutschland insgesamt 81 Millionen Personen (Destatis, 2015a).

Anne-Kristin Kuhnt
Bewegung, soziale

Als soziales Phänomen haben soziale Bewegungen eine weltweite Verbreitung – sie gehören zu den wichtigsten Faktoren des sozialen Wandels moderner Gesellschaften.

Annette Schnabel
Beziehung, soziale

Eine soziale Beziehung kann als realer oder auch nur virtuell-gedanklicher, strukturell wahrscheinlicher Kontakt wiederholbarer Art zwischen gesellschaftlichen Teilbereichen oder Gesamtgesellschaften, aber v. a. Personen, Gruppen und Organisationen definiert werden. Nach Max Weber (1864–1920) soll eine soziale Beziehung „ein seinem Sinngehalt nach aufeinander gegenseitig eingestelltes und dadurch orientiertes Sichverhalten mehrerer heißen“, bei der die Chance besteht, dass in einer sinnhaft angebbaren Art sozial – also sinnhaft am Verhalten anderer orientiert – gehandelt wird (Weber, 1984).

Johannes Kopp
Bildung

Als Allgemeinbegriff innerhalb der Sozialwissenschaften bezeichnet Bildung die Kultivierung von Handlungswissen einzelner Individuen. Bildung ist dabei eng mit Erziehung und Sozialisation verbunden. Während Erziehung die gezielte Formung der Heranwachsenden zum Zwecke der sozialen Integration bezeichnet, fokussiert Bildung vielmehr auf den Prozess der Herausbildung individuellen Handlungswissens durch soziale Austauschprozesse (Grundmann, 2011).

Simon Gordt, Rolf Becker

C

Frontmatter
Charisma

Charisma ist ein von Max Weber (1864–1920) prominent in die Soziologie eingeführter Begriff. Er steht neben anderen Begriffen wie bspw. Bürokratie im Zentrum seiner Herrschaftssoziologie, und kann, da wir in vielen Bereichen des sozialen Lebens Herrschaftsphänomene finden, überall dort auch relevant werden. Weber definiert den Begriff zunächst folgendermaßen: „‚Charisma‘ soll eine als außeralltäglich […] geltende Qualität einer Persönlichkeit heißen, um derentwillen sie als mit übernatürlichen oder übermenschlichen oder mindestens spezifisch außeralltäglichen, nicht jedem andern zugänglichen Kräften oder Eigenschaften [begabt] oder als gottgesandt oder als vorbildlich und deshalb als ‚Führer‘ gewertet wird“ (Weber, 1980: 140).

Gert Albert

D

Frontmatter
Differenzierung, gesellschaftliche

Das Konzept der gesellschaftlichen Differenzierung verbreitete sich innerhalb der Soziologie seit Herbert Spencers (1820–1903) evolutionärer Deutung gesellschaftlicher Entwicklung „from incoherent homogeneity to coherent heterogeneity“. Unter den soziologischen Klassikern waren Emile Durkheim (1858–1917) und Georg Simmel (1858–1918) explizite Differenzierungstheoretiker; andere klassische Gesellschaftstheoretiker, wie Karl Marx (1818–1883) und Max Weber (1864–1920), benutzten zwar den Begriff „Differenzierung“ nicht an prominenter Stelle, leisteten aber dennoch wichtige Beiträge zur Sache. Unter den Klassikern der zweiten Generation waren Talcott Parsons (1902–1979) und Niklas Luhmann (1927–1998) bedeutende Vertreter einer differenzierungstheoretischen Perspektive.

Uwe Schimank

E

Frontmatter
Ehe

Die Ehe stellt trotz aller gesellschaftlichen Veränderungsprozesse die im Lebenslauf von Erwachsenen dominante Organisationsform enger partnerschaftlicher emotionaler (Liebes-) Beziehungen dar. Sie bildet die Institution, die in modernen Gesellschaften immer noch im Mittelpunkt der privaten Lebensführung steht und zur Regelung der Sexual-, Lebens- und Solidarbeziehung der jeweiligen Partner dient. In den letzten Jahrzehnten lassen sich dabei ein deutlicher Wandel und die Zunahme verschiedener anderer Organisationsarten partnerschaftlicher Lebensformen wie zum Beispiel nichteheliche Lebensgemeinschaften beobachten.

Johannes Kopp
Einstellung, soziale

Das Konzept der Einstellung ist eines der „alt-ehrwürdigen“ Konzepte in der Psychologie und darüber hinaus den Sozialwissenschaften. Gordon Allport, der Gründervater der Einstellungsforschung in der Psychologie, bezeichnete dieses Konzept als „das herausragendste und unverzichtbarste Konzept der gegenwärtigen Sozialpsychologie“ (Allport, 1935). Diese Einschätzung ist für die Jahrzehnte nach Allports initialer Publikation sicherlich zutreffend gewesen.

Udo Rudolph, Minkyung Kim
Elite

Allgemein ist Elite eine durch besondere Merkmale (frz. élire = (aus-)wählen) aus der Gesamtbevölkerung herausgehobene Personengruppe. Der Elitebegriff wurde im 18. Jahrhundert vom aufstrebenden französischen Bürgertum als demokratischer Kampfbegriff gegen Adel und Klerus entwickelt. Die individuelle Leistung sollte statt der familiären Abstammung das entscheidende Kriterium für die Besetzung gesellschaftlicher Spitzenpositionen bilden. Im 19. Jahrhundert veränderte sich der Gebrauch des Begriffs grundlegend.

Michael Hartmann
Entfremdung

Entfremdung ist allgemein ein gestörtes oder mangelhaftes Verhältnis (zwischen dem Individuum und seiner Umwelt, zwischen Individuen, oder dem Individuum zu sich selbst), in dem eine ursprünglich natürlich-wesenhafte oder ideale Beziehung fremd geworden, aufgehoben oder entäußert ist. Theorien der Entfremdung beschäftigen sich oft mit den negativen Folgen modern-industrieller Vergesellschaftung für das Individuum.

Carolin Amlinger
Erklärung, soziologische

Unter einer Erklärung oder auch Kausalerklärung versteht man die logische Ableitung eines empirisch beobachtbaren Tatbestandes bzw. singulären Ereignisses, dem Explanandum, aus einer allgemeinen Theorie (einer kausalen Wenn-Dann-Aussage) und sogenannten Randbedingungen (singulären Verursachungsbedingungen bzw. -faktoren), dem Explanans. Diese Erklärungsfigur wird auch als Hempel-Oppenheim- Schema (H-O-Schema), Covering-Law-Modell oder als deduktiv-nomologische Erklärung (D-N-Erklärung) bezeichnet.

Paul B. Hill, Johannes Kopp
Ethnologie

Ethnologie, aber auch Kulturanthropologie, bzw. Völkerkunde (engl. cultural anthropology, social anthropology, frz. ethnologie; sp. antropologia cultural) ist eine empirische und vergleichende Wissenschaft, die die Daseinsgestaltung menschlicher Kollektive (Gruppen, Netzwerke) in einem umfassenden Sinn (holistisch) zum Gegenstand hat und deren Ziel es ist, die Vielfalt kollektiver menschlicher Lebensweisen zu erforschen, ´Weltverständnisse´ zu entschlüsseln und kulturübergreifend verstehbar und erklärbar zu machen; früher zu fremden, fernen und vermeintlich einfachen („primitiven“) Gesellschaften; heute nicht mehr nur zu indigenen Völkern (vgl. z. B. die Arbeit der Gesellschaft für bedrohte Völker in Göttingen) und ethnischen Minderheiten, sondern grundsätzlich zu jeglichen Kollektiven, auch zu spezifischen Bereichen der eigenen Gesellschaft dort, wo kulturelle Differenz, Vielfalt bzw. Grenzziehungsprozesse (Barth, 1969) eine Rolle spielen.

Michael Schönhuth
Evolution, soziale

Der Begriff der sozialen Evolution thematisiert die Entwicklung und den langfristigen Wandel gesellschaftlicher Organisationsformen, wobei historisch nachgewiesene Strukturformen ökonomisch, technologisch, sozialstrukturell und/oder kulturell unterschiedenen Entwicklungsstadien, -stufen oder -niveaus subsumiert werden. Theorien der sozialen Evolution fokussieren sich auf Fragen nach den Triebkräften, den Prozessmechanismen und einer eventuellen Logik der Entwicklung (Meleghy & Niedenzu, 2003; Sanderson, 1990; Sanderson & Alderson, 2005).

Heinz-Jürgen Niedenzu

F

Frontmatter
Familie

Die definitorische Festlegung des Begriffes Familie ist uneinheitlich. Ausgehend von dem etymologischen Ursprung (lat. familia – Hausgenossenschaft, Hausstand einschließlich der Dienerschaft) wurde oft die gesamte Hausgemeinschaft als Familie bezeichnet. Heute wird unter Familie in der Regel eine auf Dauer angelegte Beziehung zwischen Mann und Frau mit einem gemeinsamen Kind und einer gemeinsamen Haushaltsführung verstanden.

Paul B. Hill, Johannes Kopp
Figuration

Der Begriff der Figuration unterscheidet sich dadurch von vielen anderen theoretischen Begriffen der Soziologie, dass er die Menschen ausdrücklich in die Begriffsbildung einbezieht. Er setzt sich also mit einer gewissen Entschiedenheit von einem weithin vorherrschenden Typ der Begriffsbildung ab, die sich vor allem bei der Erforschung lebloser Objekte, also im Rahmen der Physik und der an ihr orientierten Philosophie, herausgebildet hat.

Norbert Elias

G

Frontmatter
Geld

Das Wort Geld geht auf althochdeutsch „gelt“ zurück, das Zahlung bzw. Zahlungsmittel bedeutet; die Bezeichnung „pecuniär“ stammt von lateinisch „pecunia“ und dies wiederum von „pecus“, das Vieh ab. Geld besitzt drei Funktionen: (1) es stellt ein in einer Gesellschaft allgemein anerkanntes, universell geltendes Tauschmittel dar; (2) es fungiert als wirtschaftlicher Wertmesser der Preise von Gütern und Leistungen; (3) durch seinen Sachwert oder – häufiger – durch die Garantie des symbolisch verkörperten Wertes kann Geld auch die Funktion eines Wertspeichers übernehmen.

Roger Häußling
Gemeinschaft

Gemeinschaft ist einer der am häufigsten verwandten Begriffe zur Bezeichnung jener Formen menschlichen Zusammenlebens, die als besonders eng, vertraut, aber auch als ursprünglich und dem Menschen „wesensgemäß“ angesehen werden; seit der Arbeit von Ferdinand Tönnies (1855–1936) über „Gemeinschaft und Gesellschaft“ (1887) ein Grundbegriff der Soziologie, mit dem die nicht-gesellschaftlichen Formen des Soziallebens bezeichnet werden.

Bernhard Schäfers, Bianca Lehmann
Generation

In der Soziologie werden gemeinhin zwei Generationenkonzepte voneinander unterschieden, die auf unterschiedlichen Analyseebenen angesiedelt sind: Das ist zum einen das Konzept der gesellschaftlichen Generation (Makroebene) und zum anderen das Konzept der familialen Generation (Mikroebene) (Kohli & Szydlik, 2000; Lüscher & Liegle, 2003).

Anja Steinbach
Gerechtigkeit, soziale

Der Begriff der sozialen Gerechtigkeit kann zunächst von den Fragen metaphysischer Gerechtigkeit (Warum lässt Gott Leid zu?), ethischer Gerechtigkeit (Welchem privaten Ideal eines guten Lebens soll ich nachstreben?; „Gerechtigkeit gegenüber sich selbst“) oder moralischer Gerechtigkeit (Was darf ich auf keinen Fall unterlassen?; Pflichten gegenüber einem vorsozialen Sittengesetz als Mensch) abgegrenzt werden: Er bezeichnet lediglich Gerechtigkeitsfragen, die sich aus dem Zusammenleben des Menschen in der Gesellschaft ergeben.

Felix Heidenreich
Geschlecht

Geschlecht ist zunächst nichts anderes als ein Kriterium der Einteilung der Bevölkerung in weibliche und männliche Individuen. In allen uns bekannten Gesellschaften ist das Geschlecht, vergleichbar dem Alter, eine mit der Geburt festliegende Dimension sozialer Strukturierung, damit auch ein Bezugspunkt für die Zuweisung von sozialem Status.

Ilona Ostner
Gesellschaft

Gesellschaft bedeutet dem Wortursprung nach „Inbegriff räumlich vereint lebender oder vorübergehend auf einem Raum vereinter Personen“ (Geiger, 1988). Die Komplexität des Begriffes lässt sich durch folgende Differenzierungen erfassen: 1.) Gesellschaft ist eine Bezeichnung für die Tatsache der Verbundenheit von Lebewesen (Menschen; Tiere; Pflanzen); 2.) als menschliche Gesellschaft eine Vereinigung zur Befriedigung und Sicherstellung gemeinsamer Bedürfnisse; 3.) i. e. S. jene Form des menschlichen Zusammenlebens, die seit der frühen Neuzeit als bürgerliche Gesellschaft, als nationale und industrielle Gesellschaft einen die individuelle Erfahrungswelt übersteigenden Handlungsrahmen entwickelte (des Rechts, der Ökonomie, des Zusammenlebens in großen Städten, der Kommunikation usw.) und in einen immer stärkeren Gegensatz zu den gemeinschaftlichen Formen des Zusammenlebens geriet; 4.) eine größere Gruppe, deren spezifischer Zweck mit dem Begriff Gesellschaft hervorgehoben wird, z. B. Abendgesellschaft, Reisegesellschaft, Tischgesellschaft; in der Form einer organisierten Zweckvereinigung und i. d. R. rechtsförmig ausgestaltet als Aktiengesellschaft, Gesellschaft der Wissenschaften, Gesellschaft der Musikfreunde, Gesellschaft Jesu (Jesuiten); 5.) in der Sprache der Theorien des sozialen Handelns und sozialer Systeme (T. Parsons; N. Luhmann): alle Interaktionssysteme mit Steuerungsfunktionen für gesellschaftliche Teilsysteme wie Familie, Schulen, Wirtschaft usw.; 6.) in einem historisch sich wandelnden Verständnis eine Bezeichnung für die kulturell und/oder politisch tonangebenden Kreise, von der Adelsgesellschaft zur „guten Gesellschaft“ bzw. high society; 7.) in wortursprünglicher Verwandtschaft mit Geselligkeit das gesellige Beieinandersein ganz allgemein: „eine Gesellschaft geben“; jemandem „Gesellschaft leisten“.

Bernhard Schäfers
Gesundheit

Befragungen zeigen mit konstanter Regelmäßigkeit, dass Gesundheit als ein sehr hoch bewertetes Gut gilt. Der Begriff Gesundheit taucht in einer Vielzahl von Komposita auf, wir sprechen von „Gesundheitssystem“, von „Gesundheitswissenschaften“, und mittlerweile auch von „Gesundheitskassen“. Dabei kann recht schnell in Vergessenheit geraten, dass es dabei um Krankheiten und deren Behandlung oder Vermeidung geht (Nettleton, 2013; Hurrelmann & Razum, 2012; Hurrelmann & Richter, 2013).

Rüdiger Jacob, Johannes Kopp
Gewalt

Gewalt ist im deutschsprachigen Raum ein höchst unscharfer Begriff, da er in einer Vielzahl von Kontexten Verwendung findet. Der Kernbereich der Gewalt ist die mit verschiedenen Mitteln betriebene direkte physische Verletzung eines Gegenübers. Gewalt meint damit zunächst einmal die physische Zwangseinwirkung von Personen auf Personen, die bestimmte angebbare Folgen zeitigt.

Peter Imbusch
Globalisierung

Globalisierung bezeichnet die intensivierten Verflechtungsprozesse und Abhängigkeitsverhältnisse innerhalb der modernen Gesellschaft bei gleichzeitig zunehmender Ausrichtung an ihrer planetaren Gebundenheit. Seit er als ‚buzz word‘ der 1990er Jahre die Debatten um Moderne und Postmoderne bereichert, wird der Globalisierungsbegriff in Alltags- wie Wissenschaftssprache gleichermaßen vielschichtig und oft missverständlich benutzt.

Jörg Dürrschmidt
Grundgebilde, soziale

Soziale Grundgebilde umfassen alle Formen menschlichen Zusammenlebens und stellen so den zentralen Untersuchungsgegenstand der Soziologie dar. Individuen sind im Verlaufe ihres Lebens Mitglied verschiedener sozialer Grundgebilde und gehören gleichzeitig unterschiedlichen sozialen Grundgebilden an.

Bianca Lehmann, Bernhard Schäfers
Gruppe

Eine Gruppe bezeichnet eine bestimmte Anzahl von Mitgliedern (Gruppenmitglieder), die zur Erreichung eines gemeinsamen Ziels (Gruppenziel) über längere Zeit in einem relativ kontinuierlichen Kommunikations- und Interaktionsprozess stehen und ein Gefühl der Zusammengehörigkeit (Wir-Gefühl) entwickeln. Zur Erreichung des Gruppenziels und zur Stabilisierung der Gruppenidentität sind ein System gemeinsamer Normen und eine Verteilung der Aufgaben über ein gruppenspezifisches Rollendifferenzial erforderlich. Gruppe gehört zu den wichtigsten Begriffen der Alltags- wie der Wissenschaftssprache zur Bezeichnung von grundlegenden Merkmalen und Formen menschlichen Zusammenlebens.

Bernhard Schäfers, Bianca Lehmann

H

Frontmatter
Handeln, soziales

Grundlegend ist bis heute Max Webers (1864–1920) Begriffsbestimmung. Weber unterscheidet zunächst zwischen Verhalten und Handeln. Ein Verhalten ist jegliche äußerlich sichtbare oder nicht sichtbare menschliche Tätigkeit oder Untätigkeit.

Ingo Schulz-Schaeffer

I

Frontmatter
Identität

Identität bezeichnet den Zusammenhang, den jene höchst verschiedenen Elemente und disparaten Momente, welche das Leben einer Person ausmachen, bilden können. Dieser stets subjektiv erlebte und gedeutete Zusammenhang bildet eine Einheit oder Gestalt, die mehr und anders ist als die bloße Summe ihrer Teile. Er ist im Übrigen niemals einfach gegeben, sondern muss vom Subjekt aktiv gebildet und vergegenwärtigt werden, etwa durch das Erzählen von Geschichten.

Jürgen Straub
Ideologie

Ideologie bedeutet allgemein die Produktion von Vorstellungen, Bedeutungen und Werten in Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlichen Leben. Ein enger Begriff der Ideologie verweist nicht nur auf Bewusstseinsinhalte und Wertesysteme, sondern auch auf Machtfragen. Ideologietheorien untersuchen demzufolge die gesellschaftliche Genese, Funktions- und Wirkungsweise von Ideen und wie diese dazu benutzt werden, Herrschaftsverhältnisse aufrechtzuerhalten.

Carolin Amlinger
Individuum

Individualität heißt wörtlich Unteilbarkeit. Betrachtet man einzelne Menschen als kleinste Einheit des Sozialen, soziale Zusammenhänge als Kommunikation und Kooperation zwischen Individuen, dann bringt man damit die verbreitete Sichtweise zum Ausdruck, dass die Gesellschaft sich aus Einzelmenschen zusammensetzt. Diese ist jedoch keineswegs unproblematisch.

Albert Scherr
Institution

Eine Institution ist eine normativ geregelte, mit gesellschaftlichem Geltungsanspruch dauerhaft strukturierte und über Sinnbezüge legitimierte Wirklichkeit sozialen Handelns. Der Begriff Institution bedeutet in seiner lateinischen Wortherkunft Einrichtung. Alltagssprachlich spricht man beispielsweise von der Institution der Ehe oder von der Schule als gesellschaftlicher Institution.

Roger Häußling
Integration

Der Begriff der Integration wird in der Soziologie äußerst vieldeutig verwendet. Gemeinsam ist der Gedanke des Verbindens von einzelnen Elementen zu einem bestimmten Zusammenhang. Drei zentrale Verwendungsweisen lassen sich ausmachen.

Jens Greve
Interaktion

Als Interaktion wird eine soziale Beziehung bezeichnet, die sich aus der wechselseitigen Orientierung von Akteuren ergibt. Dieser Begriff wird in einer engen und in einer weiten Bedeutung gebraucht. Die weite Bedeutung ist die ältere.

Rainer Schützeichel

J

Frontmatter
Jugend

Jugend ist weder unmittelbar eindeutig bestimmbar noch selbstverständlich: Altersmäßig junge Menschen gibt es in jeder Gesellschaft, Jugend nicht. Sie ist eine stark extern von „der“ Erwachsenengesellschaft, „den“ Wissenschaften (Soziologie, Psychologie, Pädagogik, Politik, Jurisprudenz) und kulturell definierte Kategorie. Jugend wurde zu einer relativ eigenständigen Lebensphase mit inzwischen relativ unscharfen Altersgrenzen und starker interner Differenzierung: Durch Jugendteilkulturen/Szenen, Geschlecht, Migration, ethnische und soziale Herkunft.

Jens Luedtke

K

Frontmatter
Kapitalismus

Auch wenn es aufgrund vielfältiger Forschungsrichtungen keine – schon gar nicht international – allgemeingültige Definition gibt, so sind sich die unterschiedlichen soziologischen Schulen weitgehend darin einig, dass Kapitalismus ein ökonomisches System oder eine Gesellschaftsformation ist, in der Waren um des Profits willen produziert und auf – mehr oder weniger freien – Märkten verkauft werden. Außerdem zeichnet er sich durch einen Arbeitsmarkt aus, auf dem Arbeitskraft als Ware ver- und gekauft wird. Kapitalistische Wirtschaft ist zudem dadurch gekennzeichnet, dass die Produktionsmittel in der Hand einer relativ kleinen Klasse von Kapitaleigentümern konzentriert sind.

Ulrich Brinkmann, Oliver Nachtwey
Kindheit

Als Kindheit wird die erste Altersphase eines Individuums im Lebenslauf, die gesellschaftlich, kulturell, historisch bedeutsam in der Unterscheidung zum „Erwachsenen“ gemacht wird, bezeichnet. Insofern wird Kindheit in der Soziologie weniger als eine individuelle Durchgangsphase behandelt, sondern vielmehr als eine wesentliche Strukturkategorie von Gesellschaften begriffen. Kindheit wird dabei als ein sozial hergestellter Raum innerhalb einer Gesellschaft angesehen, der als Bestandteil einer Sozialstruktur permanent existiert (Qvortrup, 1994) und der von wechselnden „Repräsentanten und Repräsentantinnen“, den Kindern, zeitlich begrenzt besetzt oder belebt wird.

Beatrice Hungerland
Klasse, soziale

Soziale Klasse meint eine Gruppierung von Menschen, die eine bestimmte Position im Wirtschaftssystem einnimmt (z. B. Arbeiter, Manager oder Selbstständige). Häufig werden zudem ähnliche sozio-ökonomische Verhältnisse (Einkommen, Macht, Bildung) und ähnliche Interessen als konstituierend für eine Klasse angesehen. In aller Regel wohnt der Einteilung der Gesellschaft in verschiedene soziale Klassen implizit oder explizit eine Hierarchisierung von sozialen Klassenpositionen inne.

Reinhard Pollak
Kommunikation

In den Wissenschaften werden unterschiedliche Kommunikationsbegriffe verwendet: Kommunikation bezeichnet 1.) den Vorgang der Informationsübermittlung von einem Sender an einem Empfänger mittels bestimmter Zeichen und Codes (informationstechnischer Kommunikationsbegriff); 2.) Prozesse, in denen sich Individuen zueinander in Beziehung setzen und über etwas verständigen (handlungstheoretischer Kommunikationsbegriff); 3.) durch Sprache und generalisierte Kommunikationsmedien (z. B. Macht und Geld) vermittelte Verknüpfungen von Ereignissen innerhalb sozialer Systeme sowie zwischen Systemen und ihrer Umwelt (systemtheoretischer Kommunikationsbegriff).

Albert Scherr
Konflikt, sozialer

Ein sozialer Konflikt (lat. confligere = zusammenstoßen) ist eine Beziehung zwischen mindestens zwei Akteuren, die durch eine tatsächliche und/oder wahrgenommene Unvereinbarkeit gekennzeichnet ist. Diese Unvereinbarkeiten können sich auf Unterschiedliches beziehen, etwa auf Interessen, Einstellungen, Identitäten oder Bedürfnisse. Als Alltagsphänomene gehören soziale Konflikte zum Zusammenleben von Menschen, wobei zu beobachten ist, dass mit zunehmender Pluralisierung und gesellschaftlicher Differenzierung Konflikte einerseits häufiger auftreten, sie andererseits aber seltener die Existenz größerer sozialer Einheiten gefährden.

Thorsten Bonacker
Kontrolle, soziale

Das Konzept ‚soziale Kontrolle‘ gehört zum terminologischen Traditionsbestand der Soziologie mit einer langen und wechselhaften Geschichte. Die Schwierigkeit der Formulierung einer allgemein akzeptierten Definition sozialer Kontrolle ergibt sich u. a. daraus, dass das Konzept zwar zumeist als ein allgemeiner soziologischer Grundbegriff akzeptiert wird, es aber gleichzeitig in der Spezial- oder Bindestrichsoziologie, der Devianzsoziologie, der Soziologie sozialer Probleme oder der Kriminologie in andere Weise Verwendung findet. Demnach oszilliert die Bedeutung sozialer Kontrolle im Laufe seiner Geschichte zwischen einer breiten Verwendung, bei der alle Mechanismen und Prozesse der Herstellung, Stabilisierung und Reproduktion sozialer Ordnung und sozialer Integration im Fokus stehen, und einer eher engen Begriffsverwendung, bei der mit sozialer Kontrolle nur die Mechanismen, Institutionen und Prozesse bezeichnet werden, mit denen auf abweichendes Verhalten reagiert wird (vgl. als Überblick Nogalla, 2000: 121 ff., Scheerer, 2000; Scheerer & Hess, 1997).

Axel Groenemeyer
Krise

Unter Krise versteht man jenen Zustand der Gesellschaft bzw. zentraler gesellschaftlicher Bereiche (Wirtschaft, Bildungswesen, Sozialstaat), in dem unter Zeitdruck schwierige Probleme der Anpassung, der Koordination und ggf. der Strukturveränderung und Systemerhaltung zu lösen sind (gr. krisis = „Entscheidung“; „entscheidende Wende“).

Bernhard Schäfers
Kultur

Im allgemeinsten Sinn meint Kultur die Summe der Effekte und Produkte menschlichen Gestaltens. Im Rahmen ihrer Daseinsgestaltung in Kollektiven schaffen Menschen aus Vorgefundenem Neues. Kultur ist das, was gestaltbar ist, also auch anders sein könnte (Kontingenz).

Christoph Antweiler

L

Frontmatter
Lebensformen

Das Konzept der Lebensformen findet zwar immer öfter Eingang in theoretische und empirische Arbeiten der Familiensoziologie und seit 2005 auch in die amtliche Statistik (Lengerer, Bohr & Janßen, 2005); die Kriterien, nach denen Lebensformen zu klassifizieren sind, variieren im Grunde aber mit jeder Veröffentlichung. Die Merkmale, die am häufigsten genannt werden, sind die Folgenden: Partnerschaftsstatus (alleinstehend oder in einer Partnerschaft lebend), Familienstand (ledig, verheiratet bzw. eingetragene Lebensgemeinschaft, geschieden bzw. getrennt lebend, verwitwet), Haushaltsform (in einem gemeinsamen oder in getrennten Haushalten lebend), Kinderzahl (kinderlos oder in Familie lebend), Geschlecht (in heterosexueller oder homosexueller Partnerschaft lebend).

Anja Steinbach
Lebenslauf

Lebenslauf bezeichnet im alltäglichen Verständnis die Bewegung eines Individuums durch seine Lebenszeit im Sinne einer individuellen Sequenz von Zuständen (Rollen, Positionen) und Ereignissen (Übergängen, Wendepunkten, Weichenstellungen, Entscheidungen). Im soziologischen Verständnis meint Lebenslauf die allgemeinen, regelhaften oder typischen Sequenzmuster der Bewegung durch die Lebenszeit. Wenn vom Lebenslauf als einer Institution gesprochen wird, liegt der Akzent auf der Lebenszeit als einer eigenständigen gesellschaftlichen Strukturdimension.

Martin Kohli
Lebensstil

Als Lebensstil wird der Gesamtzusammenhang des Verhaltens, das ein Einzelner regelmäßig praktiziert, bezeichnet. Er beruht auf der individuellen Organisation und expressiven Gestaltung des Alltags, wird in biografischen Prozessen entwickelt und bildet eine Synthese von bewusst vorgenommenen und unbewusst routinisierten Verhaltensweisen, von Einstellungen und Zielvorstellungen, von Kontakten und Interaktionen mit Mitmenschen. Individuelle Lebensstile finden sich meist in gleicher oder ähnlicher Form auch bei anderen Menschen.

Stefan Hradil
Legitimation

Der Begriff Legitimation bezeichnet die Etablierung und Aufrechterhaltung von Legitimität für soziale Ordnungen und Herrschaftsverhältnisse, sowie die Rechtfertigung von Entscheidungen. „Legitimität“ bezieht sich, wie Max Weber (1864–1920) schrieb, auf die „Verbindlichkeit“ und „Vorbildlichkeit“ sozialer Ordnungen und auf den Anspruch von Autoritäten auf Gehorsam. Es geht um besondere Rechtfertigungsgründe, auf die sie sich stützen.

Stefan Machura

M

Frontmatter
Macht – Autorität – Herrschaft

Macht, Herrschaft und Autorität bezeichnen jeweils komplexe soziale Beziehungsgeflechte, die einerseits eigenständige Phänomenbereiche konstituieren, andererseits aber auch miteinander verwoben sind. Sie sind soziale Tatsachen, die vielfältigen Deutungsmustern zugänglich sind. Nicht zuletzt deshalb ist ihr semantischer Gehalt bis heute umstritten.

Peter Imbusch
Markt

Märkte werden in der Soziologie als sozial geregelte, strukturierte Orte definiert, an denen Güter und Leistungen getauscht werden. Marktbeziehungen werden als eine besondere Form von Tauschbeziehungen verstanden. „Der Tausch kann sich auf alles erstrecken, was sich in irgendeiner Art in die Verfügung eines anderen ‚übertragen‘ lässt und wofür ein Partner Entgelt zu geben bereit ist“ (Weber, 1985: 37).

Andrea Maurer
Mechanismen, soziale

Soziale Mechanismen sind ein Erklärungskonzept in den Sozialwissenschaften und bezeichnen prinzipiell regelhafte und damit kausal wirksame Prozesse, aus denen soziale Phänomene hervorgehen. Mechanismenbasierte Erklärungen verweisen typischerweise auf Verkettungen sozialer Handlungen von einzelnen Individuen oder sozialen Gruppen, durch welche das zu erklärende soziale Phänomen „produziert“ wird. Wesentliches Ziel mechanismenbasierter Erklärungen ist die möglichst feinkörnige, d. h. analytisch-präzise Erklärung sozialer Phänomene.

Dominik Becker
Medien

Medien weisen begriffsgeschichtlich einen komplexen Bedeutungshorizont auf (vgl. Hoffmann, 2002), sind aber erst einmal in allgemeiner Hinsicht als Vermittlungstechniken und -instanzen zu verstehen. Der Anthropologie zufolge entstehen aus erstem Werkzeuggebrauch und dessen Pflege und Verbesserung (zur Bearbeitung und Veränderung der widerständigen Natur) immer weitere Techniken und Technologien, die für die psychophysische Gestalt des Menschen Ergänzung, Verstärkung und Entlastung (nicht selten aber auch Belastung) bedeuten (vgl. Leroi-Gourhan, 1980; Gehlen, 2003: 6f.). McLuhan (1968) schließt daran an und qualifiziert jede neue Technik- und Medienerfindung als Ausweitung oder Selbstamputation des Körpers und seiner Sinnestätigkeit.

Andreas Ziemann
Methoden der empirischen Sozialforschung

Soziologie bzw. allgemeiner Sozialwissenschaften sind in ihrem Kern empirische Wissenschaften. D. h. die Entwicklung von Hypothesen und Theorien und ihre Konfrontation mit den realen Fakten, deren Resultat die vorläufige Bestätigung oder vorläufige Zurückweisung der theoretischen Überlegungen zur Folge hat, ist ein ganz zentraler Bestandteil der erfahrungswissenschaftlichen Vorgehensweise. Das methodologische Fundament dieses Postulates wird in der Wissenschaftstheorie seit A. Comte vertreten und ist zugleich in wichtigen Teilen sehr deutlich differenziert und modifiziert worden. Im letzten Jahrhundert haben vor allem zwei Denktraditionen, der Logische Empirismus (Carnap, 1974) und der Kritische Rationalismus, die eine Vielzahl von Gemeinsamkeiten aufweisen, die Weiterentwicklung bestimmt.

Paul B. Hill
Migration

Migration oder Wanderung im weitesten Sinne ist eine Positionsveränderung einer oder mehrerer Personen im Raum und damit ein Unterfall der horizontalen bzw. räumlichen Mobilität. In Abgrenzung zu anderen, temporären Formen der räumlichen Mobilität (z. B. Urlaubs- und Geschäftsreisen, Besuche und Ausflüge, Pendelverkehr) wird von einer Migration bzw. einer Wanderung allerdings nur dann gesprochen, wenn die Positionsveränderung nicht nur vorübergehend ist und wenn mit ihr ein bestimmter qualitativer Aspekt (‚Lebensmittelpunkt‘) verbunden ist.

Frank Kalter
Milieu, soziales

Unter einem sozialen Milieu versteht man eine sozialstrukturelle Gruppe gleichgesinnter Menschen, die ähnliche Werthaltungen, Lebensführungen, Beziehungen zu Mitmenschen und Mentalitäten aufweisen. Die Mitglieder eines sozialen Milieus haben oft ein gemeinsames (materielles, kulturelles, soziales) Umfeld. Sie sehen, interpretieren und gestalten es in ähnlicher Weise.

Stefan Hradil
Minderheiten

Die Unterscheidung zwischen einer Mehrheitsbevölkerung und unterschiedlichen Minderheiten (religiöse, politische, sexuelle, ethnische u. a.) ist gesellschaftlich gängig und einflussreich. Soziologisches Grundmerkmal von Minderheiten ist jedoch nicht nur das Zahlenverhältnis zwischen Mehrheit und Minderheiten, sondern erstens die Annahme, dass eine Minderheit Merkmale aufweist, die sie von dem unterscheidet, was als typische Normen, Werte, Muster der Lebensführung usw. der Mehrheit gilt.

Albert Scherr
Mobilität, soziale

Soziale Mobilität bedeutet die Bewegung von Personen oder Personengruppen zwischen verschiedenen sozialen Positionen. Das Ausmaß der sozialen Mobilität wird häufig als Indikator für die Chancengleichheit in einer Gesellschaft interpretiert. Entsprechend zentral ist die Analyse sozialer Mobilität für die Beschreibung von Gesellschaften sowie für die Rechtfertigung bestehender Verteilungsungleichheiten.

Reinhard Pollak
Morphologie, soziale

Die auf Emile Durkheim (1858–1917) zurückgehende Bezeichnung soziale Morphologie steht für die Untersuchung der materiellen Formen des Sozialen. Gemeinsam mit ihrem Gegenstück, der „sozialen Physiologie“, bildet die soziale Morphologie für Durkheim den Gegenstandsbereich der Soziologie, der zwar streng arbeitsteilig organisiert ist, stets aber auf die Einheit und gegenseitige Durchdringung beider Bereiche abzielt: Während die Physiologie den sozialen Funktionszusammenhang der Gesellschaft untersucht, widmet sich die Morphologie dem materiellen Substrat (Durkheim) der Gesellschaft. Darunter fallen all diejenigen Phänomene, bei denen das Soziale eine sichtbare und greifbare Gestalt annimmt.

Markus Schroer

N

Frontmatter
Netzwerk, soziales

Der Begriff soziales Netzwerk bezieht sich auf das Geflecht (bzw. die Struktur) von Beziehungen. Die Untersuchung der Struktur sozialer Netzwerke findet in der Netzwerkforschung als Analyse sozialer Netzwerke (social network analysis) statt. Der Begriff des sozialen Netzwerkes wird in vielfältigen Zusammenhängen gebraucht – oft mit inhaltlichem Impetus oder mit metaphorischer Zielsetzung.

Christian Stegbauer
Norm, soziale

Eine soziale Norm ist eine mehr oder weniger verbindlich geltende und in der Regel sanktionsbewehrte Sollens-Erwartung, dass Akteure in spezifischen Situationen bestimmte Handlungen ausführen bzw. unterlassen.

Ulf Tranow

O

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Öffentlichkeit

Öffentlichkeit bezeichnet 1. ein Prinzip des allgemeinen Zugangs (z. B. zu Versammlungen, aber auch Örtlichkeiten); 2. den Grundsatz der Publizität als Voraussetzung der Transparenz bei Angelegenheiten von allgemeinem („öffentlichem“) Interesse; 3. die Gesamtheit der zum öffentlichen Diskurs versammelten bzw. angesprochenen Menschen (das Publikum); 4. eine Methode der Aufklärung (Öffentlichkeit als kritisches Forum, so z. B. bei Immanuel Kant) und damit der Freiheitssicherung der Bürger; 5. als politische Öffentlichkeit ein Strukturprinzip moderner Demokratien und damit ein Medium der Kontrolle von Herrschaft.

Bernhard Schäfers
Organisation

Drei grundlegend verschiedene Konzepte von Organisation lassen sich unterscheiden. Man kann Organisation als (1) Handlungsweise („way of acting“), als (2) Klassifizierungskategorie für gesellschaftliche (Sub-)Systeme oder als (3) soziale Entität begreifen.

Karina Becker, Ulrich Brinkmann

P

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Prozesse, soziale

Soziale Prozesse sind kontinuierliche, langfristige, d. h. gewöhnlich nicht weniger als drei Generationen umfassende Wandlungen der von Menschen gebildeten Figurationen oder ihrer Aspekte in einer von zwei entgegengesetzten Richtungen. Eine von ihnen hat gewöhnlich den Charakter eines Aufstiegs, die andere den Charakter eines Abstiegs. In beiden Fällen sind die Kriterien rein sachbezogen.

Norbert Elias

R

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Raum

Raum hat in der Soziologie und darüber hinaus Konjunktur. Es ist gar von einem „spatial turn“ die Rede, bei dem etwa Edward Soja „spatiality“ gleichrangig neben „historicity“ und sogar neben „sociality“ stellt (Soja, 1996: 6). Von dieser Konjunktur zeugt auch die Vielfalt der Begrifflichkeiten: angeeigneter physischer Raum, Sozialraum, space, place, Räumlichkeiten, Regionalisierungen, Raumausschnitte, Territorialisierungen, global-local, hybride Räume, relationaler Raum, wahrgenommener Raum, Heterotopien, Nicht-Orte, Platzierungen usw. Verstärkt wird die damit einhergehende Unübersichtlichkeit dadurch, dass (zumindest einige) dieser Begriffe teilweise beliebig mit Inhalt gefüllt werden (vgl. etwa die Beispiele zur Beliebigkeit des Begriffs „Sozialraum“ bei Kessl & Reutlinger, 2016).

Jan Wehrheim
Recht

Recht ist die wirkmächtigste normative Ordnung moderner Gesellschaften. Es schafft relative Verlässlichkeit von Verhaltenserwartungen und ermöglicht das Knüpfen langer Handlungsketten. Recht bietet einerseits Chancen für soziales Handeln, andererseits verschließt es Handlungsalternativen. Es wird zum ubiquitären Medium sozialer Steuerung. Seine Anwendung bewirkt allerdings häufig von den Interessenten nichtintendierte Konsequenzen.

Stefan Machura
Religion

Religion umfasst vielfältige und oft historisch differente Phänomene. Dabei ist zwischen dem komplexen Sinn- und Praxissystem einer Religion und Religiosität als einem persönlichen Ausdruck eines Bezuges zu Religion zu unterscheiden. Eine Religion besitzt in der Regel eine Sozialgestalt, kann kulturelle Prägekraft aufweisen und benötigt die Verankerung im Einstellungsgefüge von Individuen.

Gert Pickel
Ritual

Rituale sind performative soziale Ereignisse und Handlungen mit (syn)ästhetischem Charakter, in denen gesellschaftliche Rollen und Beziehungen in einem kollektiven Prozess erzeugt, gestaltet und verändert werden. Rituale bringen in diesem Sinne Gesellschaft hervor. Rituale bringen darüber hinaus die Kosmologie und das Selbstverständnis einer Gesellschaft durch die Nutzung von Symbolen und das Schaffen von ästhetischen Ereignissen zur performativen, praktischen Aufführung und machen so die Ordnung der Gesellschaft für die Gesellschaftsmitglieder sinnlich und emotional erfahrbar.

Aida Bosch
Rolle, soziale

„Soziale Rollen sind Bündel von Erwartungen, die sich in einer gegebenen Gesellschaft an das Verhalten der Träger von Positionen knüpfen.“ (Dahrendorf, 2006: 37) Die soziologische Rollentheorie dient der Beschreibung und Analyse von Formen der Verhaltensabstimmung zwischen menschlichen Akteuren, die dadurch gekennzeichnet sind, dass die Beteiligten bestimmte, wechselseitig aufeinander bezogene Stellungen innehaben, die mit bestimmten, wechselseitig aufeinander bezogenen Verhaltensweisen verbunden sind.

Ingo Schulz-Schaeffer

S

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Schicht, soziale

Eine soziale Schicht beschreibt eine Gruppe innerhalb einer Gesellschaft, deren Mitglieder jeweils bestimmte Schicht konstituierende Merkmale (oder eine Kombination davon) gemeinsam haben (z. B. Beruf, Einkommen, Bildung, Ansehen, Lebensführung). Soziale Schichten können in aller Regel vertikal angeordnet werden (Oberschicht, Mittelschicht, Unterschicht).

Reinhard Pollak
Segregation

Segregation bezeichnet die räumliche Ungleichverteilung von Bevölkerung über ein Stadtgebiet oder eine Metropolregion nach sozial relevanten Merkmalen.

Stefanie Kley
Sinn

Sinn stellt als Grundbegriff der Soziologie heraus, dass soziale Wirklichkeit auf Deutungen und Deutungszusammenhängen beruht. Im Unterschied zum Gegenstandsbereich der Naturwissenschaften, der durch deterministisch zu beschreibende Kausalverhältnisse bestimmt ist, ist soziale Wirklichkeit dahingehend sinnhaft hervorgebracht, dass die Verhältnisse zur Welt, die soziale Akteure handelnd erzeugen, stets auf Deutungen fußen, die auch anders hätten ausfallen können.

Gregor Bongaerts
Situation, soziale

Eine Situation ist eine Konstellation von Faktoren, die von einem Akteur oder einem Betrachter (oder mehreren Akteuren bzw. Betrachtern) als ein Zusammenhang wahrgenommen wird. Die Wahrnehmung als Zusammenhang beruht direkt oder indirekt auf der aktuellen oder potenziellen Handlungsbedeutsamkeit der betreffenden Faktorenkonstellation: Die Faktoren werden als Zusammenhang wahrgenommen, weil sie in der entsprechenden Konstellation von denjenigen, die mit ihnen konfrontiert sind, ein bestimmtes Handeln erfordern oder ihnen bestimmte Handlungen ermöglichen.

Ingo Schulz-Schaeffer
Sozialisation

Prozess, in dem der Mensch in die ihn umgebenden sozialen Kontexte hineinwächst, die dort gegebenen Sprache(n), Gewohnheiten, Regeln und Normen erwirbt und zugleich zu einem eigenverantwortlich und eigensinnig handlungsfähigen Individuum wird.

Albert Scherr
Sozialstruktur

Soziologie ist die Wissenschaft vom Sozialen, d. h. den verschiedenen Formen der Vergemeinschaftung (z. B. Familie, Verwandtschaft, Sippe, Nachbarschaft oder soziale Gruppe) und der Vergesellschaftung (Organisation, Gesellschaft, Staat) der Menschen; sie fragt nach den Strukturen des sozialen Handelns und der sozialen Gebilde und welchem sozialen Wandel diese unterliegen. Die Soziologie ist eine empirische Sozialwissenschaft; ihre Beziehungen zu den Geistes- und Kulturwissenschaften, aber auch zur Psychologie, sind evident.

Marcel Erlinghagen
Soziologie

Soziologie ist die Wissenschaft vom Sozialen, d. h. den verschiedenen Formen der Vergemeinschaftung (z. B. Familie, Verwandtschaft, Sippe, Nachbarschaft oder soziale Gruppe) und der Vergesellschaftung (Organisation, Gesellschaft, Staat) der Menschen; sie fragt nach den Strukturen des sozialen Handelns und der sozialen Gebilde und welchem sozialen Wandel diese unterliegen.

Bernhard Schäfers
Sprache

Das soziologische Interesse an sprachlichen Strukturen, Sprachformen und Sprechweisen gilt ihren jeweiligen Funktionen für den Aufbau und für die Reproduktion sozialer Ordnung, oder es richtet sich spezieller auf die Rolle der Sprache in gesellschaftlichen Konflikten um die Verteilung und Legitimation von Wissen, Positionen und Ressourcen. Die Aufmerksamkeit der Soziologie teilt sich dabei in zwei Hauptrichtungen. Sprache wird hier entweder als soziales „Medium“ oder als „Symptom“ sozialer Strukturen zum Thema.

Joachim Renn
Stadt

Die Stadt ist ein Siedlungsgebilde, das erstmals in der Zeit der Sesshaftwerdung der Menschen im Neolithikum vor ca. 6000 bis 8000 Jahren auftauchte, die bisherigen Siedlungsformen, zumal das Dorf in seinen vielfältigen Ausprägungen, ergänzte und seit dem Weltverstädterungsprozess im Zuge der Industrialisierung mehr und mehr verdrängte (über die Entwicklung der Stadt von ihren Anfängen bis ca. 1960, in weltweiter Perspektive, vgl. Mumford, 1979).

Bernhard Schäfers
Status, sozialer

Sozialer Status hat als Begriff in der Soziologie mehrere Bedeutungen. Die am weitesten verbreitete Verwendungsweise bezieht sich auf die vertikale sozio-ökonomische Verortung einer Person oder einer Personengruppe in einer Gesellschaft. Weiter gefasst meint sozialer Status die hierarchische Verortung einer Person oder Personengruppe in einem Sozialsystem (Betrieb, Gemeinde, Gesamtgesellschaft) auf Basis einer ihr entgegengebrachten Wertschätzung. Eine engere Verwendung findet der Begriff des Status als Synonym für eine soziale Position in der Rollentheorie.

Reinhard Pollak
Symbol

Unter einem Symbol versteht man im Allgemeinen einen Bedeutungsträger, dessen nur durch Deuten und Verstehen erfahrbarer Sinngehalt gesellschaftlich konventionalisiert ist.

Dariuš Zifonun
System, soziales

Unter Systemen werden generell Einheiten mit drei Grundmerkmalen verstanden: Ein System besteht aus Elementen, die in Beziehungen zueinander stehen und sich gegenseitig beeinflussen (Relationen). Diese Relationen sind in einer für das jeweilige Systeme kennzeichnenden Weise ausgeprägt (Strukturbildung). Das jeweilige System grenzt sich von seiner Umwelt ab (Grenzziehung und Grenzerhaltung).

Albert Scherr

T

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Tausch

Tausch beruht auf expliziter oder impliziter Wechselbeziehung des Gebens und Nehmens von Gütern und Dienstleistungen und kennzeichnet dabei zumeist den Prozess ihrer Weitergabe. Der Ausdruck Tausch tritt erstmals als Rückbildung des Verbs tauschen im 16. Jahrhundert auf und geht auf das mittelhochdeutsche „täschen“ zurück. Es besagt zunächst „unwahr reden, lügnerisch versichern“. Im engeren Sinn wird der Begriff Tausch entweder synonym für ökonomischen Warentausch, oder als Sammelbezeichnung für alle nicht-kommerziellen Weitergabeformen von Gütern oder Dienstleistungen, mit Ausnahme von Formen der Abgabe (Tribut, Spende, Entsorgung), verwendet.

Roger Häußling
Technik

In Anlehnung an Werner Rammert (1993) werden unter den Begriff Technik alle künstlichen Gebilde und Verfahren subsumiert, die es ermöglichen, einen Ursache- Wirkungs-Zusammenhang zu vereinfachen und dauerhaft möglichst effizient zu beherrschen. Für eine soziologische Definition von Technik ist die instrumentelle Dimension also unverzichtbar (Weyer, 2008).

Johannes Weyer
Theorie, soziologische

Als soziologische Theorien gelten alle konzeptionellen Ansätze, die in begründeter Weise verallgemeinerte Aussagen über soziale Phänomene treffen. Die Art der Begründung der jeweiligen soziologischen Theorie und der mit ihr verbundene Erkenntnisanspruch können recht unterschiedlich sein. Weitgehende Einigkeit besteht darin, dass soziologische Theorien in der Lage sein sollen, die sie interessierenden sozialen Phänomene in einer methodisch kontrollierten Weise zu beschreiben und dadurch zu Aussagen zu gelangen, die den häufig ad hoc erzeugten Beschreibungen des Alltagsbewusstseins in ihrer Aussagekraft überlegen sind.

Gregor Bongaerts, Ingo Schulz-Schaeffer

U

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Ungleichheit, soziale

Soziale Ungleichheit bezieht sich auf durch soziale Regeln erzeugte Ungleichheit hinsichtlich der Lebenschancen und Lebensrisiken der Gesellschaftsmitglieder. Lebenschancen und Lebensrisiken werden zwar auch durch natürliche Unterschiede zwischen den Individuen beeinflusst (z. B. genetische Dispositionen, Talente usw.), jedoch ist es Kennzeichen von Gesellschaften, dass der Mensch als vernunftbegabtes Wesen kollektive (soziale) Regeln (Normen, Gesetze usw.) aufstellt und durchsetzt, die natürliche Unterschiede überformen bzw. außer Kraft setzen (sollen) und dadurch eine gesellschaftliche Entwicklung und Fortschritt erst ermöglichen.

Marcel Erlinghagen
Universalien, soziale

Soziale Universalien (Kulturuniversalien, menschliche Universalien; engl. universals, cultural universals, human universals; frz. universeaux) sind Merkmale oder Phänomene, die in allen bekannten menschlichen Gesellschaften regelmäßig auftreten (Brown, 1991; Hejl, 2000; Messelken, 2002; Antweiler, 2018). Beispiele postulierter Universalien sind der Ödipuskomplex, die Dominanz von Männern in der öffentlichen Sphäre der Politik und besonders das sog. „Inzesttabu“ (Turner & Maryansky, 2005).

Christoph Antweiler

V

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Verhalten, abweichendes

Abweichendes Verhalten ist der allgemeinste Begriff für sehr unterschiedliche Verhaltensweisen, die gegen gültige soziale Normen verstoßen und negative Reaktionen und Sanktionen hervorrufen können. Nach dem lateinischen Wortstamm spricht man auch von „deviantem Verhalten“ oder „Devianz“ (franz. déviance, engl. deviant behaviour). Delinquenz – abweichendes Verhalten von Kindern und Jugendlichen, das sozial- oder strafrechtliche Sanktionen auslösen kann – sowie Kriminalität – Handlungen, die nach dem Strafrecht geahndet werden – sind enger definierte Teilmengen abweichenden Verhaltens, die von der Gesellschaft als besonders störend wahrgenommen und daher von staatlichen Kontrollinstanzen sanktioniert werden können.

Dietrich Oberwittler
Verhalten, soziales

Soziales Verhalten wird seit Max Weber (1864–1920) allgemein als ein äußeres oder innerliches Tun, Dulden oder Unterlassen bezeichnet, das sich eben nicht durch expliziten Sinnbezug auszeichnet und damit auch nicht als Handeln bezeichnet werden kann. Schon Weber (2006) stellte jedoch fest, dass „die Grenze sinnhaften Handelns gegen ein bloß (…) reaktives, mit einem subjektiv gemeinten Sinn nicht verbundenes, Sich verhalten“ durchaus unscharf sei.

Johannes Kopp
Vertrauen

Ungeachtet einer langen, auf Georg Simmel (1858–1918) zurückgehenden Tradition der Beschäftigung mit Vertrauen in klassischen soziologischen Beiträgen ist der Aufstieg des Begriffs zu einem Grundbegriff der Soziologie jüngeren Datums: zunächst im Bereich der Organisationsanalyse seit den 1980er Jahren einsetzende Forschungen (vgl. Lane & Bachmann, 1998) nahmen insbesondere angesichts einer zunehmenden Beunruhigung über den internen Zusammenhang von Modernität und Barbarei, aufgrund von Diagnosen zunehmender Pluralisierungsprozesse sowie insbesondere durch die Anschläge vom 11. September 2001 und die Weltfinanzmarktkrise seit 2008 weiter an Fahrt auf. Allgemein lässt sich sagen, dass mit diesen Aspekten – durchaus paradox – im Kern abgestellt wird auf die Erosion vormals als stabil gedeuteter Sozialverhältnisse und routinisierter Handlungsgrundlagen auf der einen Seite sowie eines ausgeprägt reflexiven Vertrauensverständnisses mit Blick auf die Problemlösungskompetenz demokratischer Systeme, die Leistungsfähigkeit moderner Technologien oder die Produktivität und Innovationsfähigkeit moderner Ökonomien auf der anderen Seite.

Martin Endreß
Vorurteil

Vorteile umfassen zwei Elemente: Erstens eine Stereotype, das heißt starre, durch Informationen und Erfahrungen nur schwer veränderbare Annahmen über die angeblich typischen Eigenschaften von Menschen, die einer sozialen Gruppe (z. B. „die Muslime“) oder einer Personenkategorie (z. B.: „Lernbehinderte“) zugerechnet werden; zweitens negative Einstellungen und Affekte gegenüber der jeweiligen Gruppen oder Personenkategorie in der Spannweite von leichter Ablehnung bis zu offenem Hass. Vorurteile setzen sich also auch einer bestimmten Wirklichkeit (kognitive Komponente) und einer affektiven Komponente zusammen.

Albert Scherr

W

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Wahrnehmung, soziale

Soziale Wahrnehmung ist der u. a. durch Hypothesen, Erwartungen, Werte, Normen, Interessen und Emotionen, aber auch durch direkte Einflussnahme anderer Personen gesteuerte Prozess der subjektiven Repräsentation äußerer Gegebenheiten. Menschen sind aufgrund ihrer biophysischen Natur nicht in der Lage, alle Umweltreize aufzunehmen. Wahrnehmung ist deshalb bereits auf einer ersten Stufe – bedingt durch die Art, Kapazität und Funktionstüchtigkeit der Sinnesorgane – selektiv.

Johannes Kopp
Wandel, sozialer

Sozialer Wandel kann als die prozessuale Veränderung der Sozialstruktur einer Gesellschaft in ihren grundlegenden Institutionen, Kulturmustern, zugehörigen sozialen Handlungen und Bewusstseinsinhalten verstanden werden.

Wolfgang Zapf
Werte

Werte (auch Wertorientierungen, Werthaltungen) werden in der Soziologie als Zielmaßstäbe oder „abstrakte Vorstellungen des Wünschenswerten“ betrachtet („concepts of the desirable“). Diese Definition (1951) von Clyde Kluckhohn (1905–1960) ist prägend für die Soziologie. Werte können danach explizit oder implizit sein und beeinflussen die Auswahl der zugänglichen Weisen, Mittel oder Ziele des Handelns (vgl. Klages, 1984).

Tilo Beckers
Wirtschaft

Wirtschaft bezeichnet in modernen Gesellschaften einen eigenständigen Handlungsbereich, der auf die Bereitstellung von begehrten Gütern und Leistungen angesichts von Knappheit ausgerichtet ist. Zwar wurden auch in der Antike und im Mittelalter Güter produziert, verteilt und konsumiert, die dafür notwendigen Handlungen waren jedoch in komplexe soziale Verhältnisse und moralisch-ethische Vorstellungen eingebunden. Das Wirtschaften in privaten Haushalten sowie auch das des Staates war daher Gegenstand moral- und staatsphilosophischer bzw. theologischer Abhandlungen.

Andrea Maurer
Wissen

Während sich Wissen gemeinhin auf die Gewissheit von Erfahrungen des Einzelnen bezieht, bezeichnet es soziologisch die Abhängigkeit des Wissens von den jeweilig Erfahrenden. Wissen variiert deswegen mit dem sozialen Standort. Wissen orientiert das Handeln der Einzelnen. Weil das meiste Wissen von anderen erworben wird, sind auch deswegen unsere Handlungen in einem Ausmaß von der sozialen Ordnung abhängig, die in manchen Theorien als begrenzt und vom Einzelnen beeinflussbar, in anderen als determiniert angesehen wird. Wissen bezeichnet damit die soziale Seite des Sinns.

Hubert Knoblauch, René Tuma
Wohlfahrtsstaat

Als Wohlfahrtsstaat werden zum einen ein spezifischer politischer Bereich und ein institutionelles Setting bezeichnet, die durch Zielsetzungen wie soziale Sicherheit und Verringerung sozialer Ungleichheit definiert sind. Zum anderen wird der Begriff zur Abgrenzung einer bestimmten staatlichen Entwicklungsform verwendet.

Carsten G. Ullrich

Z

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Zivilgesellschaft

Mit dem Begriff der Zivilgesellschaft wird zumeist ein Konglomerat von Akteuren bezeichnet, die sich auf eigene Initiative hin zu außerstaatlichen Vereinigungen zusammenschließen, um ihre Interessen zu vertreten. Abhängig von der genauen Definition des Interessensbegriffs lassen sich eine enge und eine weite Variante dieses Konzeptes unterscheiden. Ein enger, normativer Ansatz von Zivilgesellschaft konzentriert sich auf Vereinigungen, die öffentliche Interessen verfolgen.

Heiko Beyer, Annette Schnabel
Backmatter
Metadaten
Titel
Grundbegriffe der Soziologie
herausgegeben von
Prof. Dr. Johannes Kopp
Prof. Dr. Anja Steinbach
Copyright-Jahr
2018
Electronic ISBN
978-3-658-20978-0
Print ISBN
978-3-658-20977-3
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20978-0