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Open Access 2018 | OriginalPaper | Buchkapitel

5. Welche prophylaktischen Maßnahmen sollen welchem individuellen Risiko zugeordnet werden (Allokationskriterien)?

verfasst von : Friedhelm Meier, Anke Harney, Kerstin Rhiem, Anja Neumann, Silke Neusser, Matthias Braun, Jürgen Wasem, Rita Schmutzler, Stefan Huster, Peter Dabrock

Erschienen in: Risikoadaptierte Prävention

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

In diesem Kapitel wird angezeigt, welche Elemente zur Entwicklung von Allokationskriterien zu berücksichtigen sind. Zudem wird mit zwei allgemeinen Definitionen ein Rahmen zur Bildung von Allokationskriterien abgesteckt.
Da die zur Verfügung stehenden prophylaktischen Maßnahmen in ihrer Eingriffstiefe unterschiedlich sind, sollte innerhalb der Gruppe der Personen mithilfe der Bildung von Fallgruppen eine klare Zuordnung von Risiken und prophylaktischen Maßnahmen erfolgen.
Liegt aber mit der ‚risikoadaptierten Prävention‘ eine neue Rechtskategorie vor, welche Leistungsansprüche von Personen mit hohen und moderaten Risiken umfassen soll, und ist innerhalb der Risikokollektive zwischen Fallgruppen mit unterschiedlich hohem Risiko zu unterscheiden, so muss für die Allokation folgendes beachtet werden:
1.
Grundsätzlich muss mittels einer risikosensiblen-verhältnismäßigen Kriteriologie zwischen interventionsforderndem (‚sickness‘-Status) und nicht-interventionsforderndem Risiko unterschieden werden.
 
2.
Innerhalb des Bereiches des interventionsfordernden Risikos ist gemäß dem risikosensiblen-verhältnismäßigen Kriterium nochmals zu differenzieren, da nur so die in ihrer Eingriffstiefe unterschiedlichen prophylaktischen Maßnahmen mit einem entsprechend hohen ‚risk of disease‘ korrespondieren können.
 
3.
Da Risiko ein multifaktorielles Konstrukt darstellt, sind möglichst viele Risikofaktoren für die Risikoeinschätzung zu berücksichtigen. Dabei sollten möglichst neben den genetischen Basisfaktoren ‚illness‘-, Umwelt-, Lifestylefaktoren usw. beachtet werden (vgl. Abschn. 2.​1).
 
Es ergibt sich aus dem Gesagten, dass sich die Festlegung von Allokationskriterien innerhalb von sozialrechtlich zu berücksichtigenden Fallgruppen schwierig gestalten dürfte. Eine Debatte über diese Kriterien ist aber prinzipiell nur bei den Risikokollektiven sinnvoll, für die es wirksame medizinische prophylaktische Maßnahmen gibt. Unbedingtes Kriterium zur Bildung eines Leistungsanspruchs für bestimmte Risikokollektive ist somit die Verfügbarkeit von Interventionsmaßnahmen. Risikokollektive, auf die dieses Kriterium nicht zutrifft, fallen unter die Sachlage der risikoadaptierten Krebsfrüherkennungsuntersuchungen.
Für die in diesem Sinne zu berücksichtigenden Fallgruppen müssen die Allokationskriterien insbesondere folgende Elemente berücksichtigen:
1.
Die potenzielle Schadenshöhe gibt an, welche Schäden mit einem bestimmten ‚risk of disease‘ verbunden sind. Bei Vorliegen einer pathogenen BRCA1/2-Mutation wäre dies bspw. eine Brustkrebserkrankung und als Folge davon sogar der Tod.
 
2.
Die Eintrittswahrscheinlichkeit des Schadens wird allgemein auch schlicht als „Risiko“ angegeben. Dieser konstruierte Wert aus heterogenen Faktoren zeigt die individuelle Eintrittswahrscheinlichkeit des möglichen Schadens (‚disease‘) an.
 
3.
In manchen Fallgruppen wird die Manifestation einer ‚disease‘, für die eine genetische Disposition besteht, bestimmten Altersabschnitten zugeordnet werden können.
 
4.
Durch Früherkennungsmethoden erhöht sich zwar die Chance, bspw. Brustkrebs in einer Frühform zu diagnostizieren, sodass eine gute Therapiemöglichkeit besteht. Jedoch werden damit ggf. die Risiken einer Chemotherapie in Kauf genommen.
 
5.
Prophylaktische Maßnahmen können wie im Fall des hereditären Brustkrebses das Brustkrebsrisiko reduzieren, bergen aber zugleich erhebliche Eingriffsrisiken (siehe Abschn. 2.​1.​3e). Insofern sind Nutzen und Risiken der Maßnahmen miteinander zu vergleichen.
 
Betrachtet man diese fünf Elemente als konstitutiv für die zu bildenden Allokationskriterien, so bewegen sich die Kriterien im Rahmen folgender Komplementärsätze:
Je höher der potenzielle Schaden bei Manifestation der Erkrankung und je höher die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts ist, desto eher sind den Schaden verhindernde invasive prophylaktische Maßnahmen und mit ihnen einhergehende Risiken geboten.
Umgekehrt muss gelten:
Je geringer der potenzielle Schaden sowie die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind, desto eher sind (invasive) prophylaktische Maßnahmen mit hohen Risiken zu verweigern und alternative Therapieformen anzubieten, die ein geringeres Behandlungsrisiko versprechen.
Sozialrechtlich pragmatisch scheint aber die Allokation von prophylaktischen Maßnahmen anhand der neuen Rechtskategorie ‚risikoadaptierte Prävention‘, wenn auf untergesetzlicher Ebene der Gemeinsame Bundesausschuss anhand der prophylaktischen Maßnahme Fallgruppen erarbeitet, die einen Leistungsanspruch auf eben die konkrete prophylaktische Maßnahme haben (vgl. Abschn. 3.​3.​3). Dabei können bestimmte Fallgruppen auch mehrere prophylaktische Maßnahmen erhalten. Damit stellt sich die Entwicklung der Fallgruppen im Sinne der ‚risikoadaptierten Prävention‘, wie in Abb. 5.1 dargestellt, dar.
Ein solches Zuordnungsverfahren stellt einen angemessenen Handlungskorridor dar, weil
1.
es jenseits von Einzelfallentscheidungen der Rechtsprechung, durch einen klaren sozialrechtlichen Rahmen Rechtssicherheit für die Betroffenen schafft;
 
2.
es flexibel ist, um die Fallgruppen aufgrund neuer medizinischer Forschungsergebnisse anzupassen;
 
3.
es verfahrensgerecht ist, da für die Risikoprofilierung möglichst viele Faktoren berücksichtigt werden, die das Risiko modulieren;
 
4.
Patientinnen jenseits finanzieller Verhältnisse selbstbestimmt ihre Gesundheit gestalten können;
 
5.
es der Kritik gegenüber der Systemmedizin zuvorkommt, kategorisch aufgrund quantitativer Zahlenwerte Patienten einem Behandlungsspektrum zuzuordnen, da ebenfalls qualitative Komponenten berücksichtigt werden, die im Gespräch zwischen Patienten und Ärzten thematisiert werden können (vgl. Abschn. 3.​2).
 
Dieses Zuordnungsverfahren kann bei gut erforschten Risiko- und Krankheitsbildern durchaus kurzfristig, bei eher schwach erforschten Risiko- und Krankheitsbildern eher langfristig ausgehandelt werden. Konkreter kann die vorliegende Governance Perspective nicht sein. Sowohl die Kriterien zur Unterscheidung zwischen interventionsforderndem und nicht-interventionsforderndem Risiko (siehe Kap. 4) als auch die Allokationskriterien innerhalb der zu berücksichtigenden Fallgruppen müssen anhand konkreter Risiko- und Krankheitsbilder durchgespielt werden.
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Metadaten
Titel
Welche prophylaktischen Maßnahmen sollen welchem individuellen Risiko zugeordnet werden (Allokationskriterien)?
verfasst von
Friedhelm Meier
Anke Harney
Kerstin Rhiem
Anja Neumann
Silke Neusser
Matthias Braun
Jürgen Wasem
Rita Schmutzler
Stefan Huster
Peter Dabrock
Copyright-Jahr
2018
Verlag
Springer Fachmedien Wiesbaden
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20801-1_5