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2006 | Buch

Einfamilienhaus oder City?

Wohnorientierungen im Vergleich

verfasst von: Jürgen Schmitt, Jörg Dombrowski, Jörg Seifert, Thomas Geyer, Faruk Murat

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
1. Kontext der Forschungsarbeit
Auszug
Wenn heute, wie im Rahmen des Projektes „Entwicklung urbaner Prototypen — Realisierungsstudie Bodenseestadt“, Städtebauer und Soziologen zusammenarbeiten, so hat dies gewissermaßen Seltenheitswert. Man kennt solche Kooperationen eher aus den 60er Jahren, als sich vor dem Hintergrund der immer deutlicher zu Tage tretenden Probleme der rasanten Verstädterung und der gleichzeitigen Expansion der Städte ins Umland die beiden Disziplinen des Städtebaus und der Soziologie — die zuvor nur wenig Berührungspunkte hatten — gegenseitig entdeckten. Nicht zuletzt unter dem Einfluss von viel beachteten Neuerscheinungen wie Alexander Mitscherlichs „Die Unwirtlichkeit unserer Städte“ aus dem Jahre 1965, „Tod und Leben großer amerikanischer Städte“ von Jane Jacobs — in Deutschland erstmals 1963 erschienen — und vor allem „Die moderne Großstadt“ von Hans Paul Bahrdt aus dem Jahre 1961 entwickelten sich Anfang der 60er Jahre sowohl eine rege Diskussion über mögliche Formen der Zusammenarbeit als auch konkrete Kooperationen zwischen Stadtsoziologen und Städtebauern.
2. Fragestellung
Auszug
Egal, wie gut ein neuer städtebaulicher Ansatz aus theoretischer, intellektueller und künstlerischer Sicht ist: ob er auch angenommen wird — und das heißt nicht zuletzt marktfähig, also verkauf- oder vermietbar ist — hängt wesentlich davon ab, inwiefern er auch den Wohnbedürfnissen seiner Zeit entspricht. Für die erfolgreiche Entwicklung neuer Wohntypen muss also die richtige Mischung zwischen einer innovativen Überwindung vorhandener Wohnstrukturen einerseits und einem Eingehen auf vorhandene Ansprüche und Wünsche andererseits gefunden werden. Aus diesem Grund beinhaltet das Projekt „Entwicklung urbaner Prototypen — Realisierungsstudie Bodenseestadt“ auch eine soziologische Befindlichkeitsstudie zum „Wohnen im Bodenseeraum“, die sich mit eben diesen Wohnbedürfnissen, -ansprüchen und -wünschen analytisch auseinander setzt.
3. Untersuchungsdesign
Auszug
Aus dieser Fragestellung ergeben sich Konsequenzen für die Wahl des methodischen Forschungsansatzes. Zunächst einmal legt sie einen Ansatz nahe, bei dem sich das Erkenntnisziel auf die Entdeckung von bisher unbekannten Erklärungsmustern statt auf die Überprüfung bereits vorab formulierter, bestehender Erklärungsansätze für das untersuchte Feld richtet. Diese Ausrichtung an einer entdeckenden statt an einer überprüfenden Forschungslogik entspricht der grundsätzlichen Herangehensweise der so genannten qualitativen Sozialforschung. Der Begriff des Qualitativen bezieht sich dabei auf die Unterscheidung zu den Methoden der quantitativen Sozialforschung, die sich an den Naturwissenschaften orientieren und vor allem mit zahlenmäßigen Messungen arbeiten. Neben ihrer anderen Forschungslogik unterscheidet sich die qualitative Sozialforschung von den quantitativen Ansätzen vor allem in der Offenheit und Reflexivität des methodischen Vorgehens, dem Einfließen introspektiver Daten in den Forschungsprozess, der besonderen Berücksichtigung der subjektiven Perspektiven, des Wissens und des Handelns der Menschen im untersuchten Feld und einer argumentativen statt einer statistischen Begründung der Verallgemeinerbarkeit ihrer Ergebnisse.15 Ihre Anwendung empfiehlt sich nach Gerhard Kleining insbesondere dann, wenn Thema und Gegenstand einer Forschung „komplex, differenziert, wenig überschaubar, widersprüchlich sind oder wenn zu vermuten ist, daß sie nur als ‚einfach‘ erscheinen, aber — vielleicht — Unbekanntes verbergen“16. Ein qualitativer Ansatz schien auch für die vorliegende Studie wesentlich besser als ein quantifizierendes Vorgehen geeignet, sich den subjektiven, von widersprüchlichen Anforderungen und vielfältigen Faktoren geprägten Gründen für bestimmte Wohnpräferenzen zu nähern.
4. Empirische Ergebnisse
Auszug
Im Folgenden soll nun vorgestellt werden, welche empirischen Ergebnisse zur Wohnorientierung aus den Fallstudien entwickelt wurden. Dabei ist es zum Verständnis dieser Ergebnisse wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass es sich bei dem Wohnen um ein multidimensionales Phänomen aus baulichen, geographischen, ökonomischen, sozialökologischen, soziologischen, psychologischen, historischen und anderen Faktoren handelt, die zudem noch in einem komplexen Geflecht von Interdependenzen zueinander stehen. Um diese Komplexität bewältigen zu können, muss bei der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Phänomen des Wohnens daher immer versucht werden, dieses in einzelne Faktoren bzw. Dimensionen zu unterteilen. Je nach Perspektive der Untersuchung kommt man hierbei allerdings zu sehr unterschiedlichen Dimensionen:
  • So findet sich etwa bei Silbermann die Unterscheidung des Wohnens als individuelle Angelegenheit (sozio-ökonomische Charakteristika des Bewohnertypus etc.), als psychologische Angelegenheit (Bedürfnisse nach Schutz, Privatheit etc.), als physiologische Angelegenheit (Bequemlichkeit, Handlichkeit, Hygiene, Gesundheit etc.), als technologische Angelegenheit (technische Bau- und Wohnstandards etc.), als soziale Angelegenheit (Status, Prestige etc.), als sozio-kulturelle Angelegenheit (Geschmack, Stil) und als soziologische Angelegenheit (Wohnerlebnis als Prozess zwischen Dingen und Menschen).49
  • Hartmut Häußermann und Walter Siebel nähern sich u.a. in ihrem Grundlagenbuch „Soziologie des Wohnens“ den Charakteristika des modernen Wohnens über die Fragen nach der funktionalen Bedeutung des Wohnens (Was tut man, wenn man wohnt?), der sozialen Einheit des Wohnens (Wer wohnt mit wem zusammen?), der sozialpsychologischen Bedeutung des Wohnens (Wie wird Wohnen erlebt?) und der rechtlichen und ökonomischen Verfügung des Wohnens.50
  • In der psychologischen Auseinandersetzung mit dem Thema Wohnen von Antje Flade wiederum findet man die Unterscheidung in fünf Dimensionen von Wohnumwelten, nämlich Öffentlichkeit und Privatheit, Individualität und Konformität, Anregung und Monotonie, Ortsverbundenheit und Ortsidentität sowie Nachbarschaft.51
5. Diskussion der Ergebnisse aus soziologischer Sicht
Auszug
Im folgenden Kapitel soll nun eine theoriebezogene Diskussion der empirischen Ergebnisse mit einem thesenhaften Bezug auf die Praxis des Städtebaus erfolgen. Für das Verständnis dieser Thesen ist dabei wichtig, sich daran zu erinnern, dass qualitative Fallstudien kein spezifisches Ziel von Generalisierbarkeit verfolgen. Die Ergebnisse solcher Studien sind meist „keine generellen Theorien mit dem Anspruch auf universelle Gültigkeit, universelle Anwendbarkeit und universelle Relevanz, sondern kontextualistische Erklärungen, die von befristeter Gültigkeit, von lokaler Anwendbarkeit und von perspektivischer Relevanz sind.“75 Die folgenden Thesen sind daher als Angebot für mögliche Erklärungsansätze und die daraus erwachsenden Konsequenzen zu verstehen.
6. Diskussion der sozialwissenschaftlichen Erkenntnisse aus architektonisch-städtebaulicher Sicht
Auszug
Wie bereits in Kapitel 1 dargestellt, handelt es sich bei dem hier dargestellten Forschungsprojekt um ein Kooperationsvorhaben zwischen Soziologen, Architekten und Städtebauern, bei dem die sozialwissenschaftliche Studie zu den Wohnorientierungen am Bodensee in den Kontext der Projektarbeit der Forschungsgruppe Bodenseestadt gestellt wurde.123 Daher soll in Kapitel 6 die von soziologischer Seite eingeleitete Diskussion aufgegriffen und aus architektonisch-städtebaulicher Perspektive fortgesetzt werden. Diese weiterführende Erörterung, die sich infolge der übergeordneten städtebaulichen Fragestellungen nicht allen vier Typen mit gleicher Intensität zuwenden wird, ist dabei von den folgenden Fragen bestimmt: Welche Aspekte bestätigen die Erwartungen der beteiligten Architekten und Städtebauer und welche sind dagegen entsprechend der entdeckenden Forschungslogik unerwartet neu? Welche Konsequenzen ergeben sich hieraus hinsichtlich des Handlungsbedarfs und Handlungsspielraums im Hinblick auf eine exemplarische Umsetzung von Alternativen zum Einfamilienhaus — etwa im Rahmen einer Bauausstellung? Welche Anregungen der Soziologen können dabei aufgegriffen werden, welche nicht? Die letzte Frage leitet über zu Kapitel 7, in dem die weitere Arbeit der Architekten und Städtebauer mit den Erkenntnissen aus dem soziologischen Teil skizziert wird, bevor abschließend in Kapitel 8 eine kurze Reflexion der interdisziplinären Zusammenarbeit erfolgt.
7. Anwendung der Ergebnisse
Auszug
Wurde in den bisherigen Ausführungen der Handlungsbedarf anhand der sozialwissenschaftlichen Erkenntnisse untermauert, geht es im Folgenden darum die konkreten Schritte einer Anwendung der Ergebnisse durch die involvierten Architekten und Städtebauer zu skizzieren. Wie bereits angedeutet, wurden vor dem Hintergrund der Fragestellung, welche Bedingungen städtische Wohnformen erfüllen müssen, um von den suburbanen Einfamilienhausbewohnern als echte Alternativen wahrgenommen zu werden, realisierte Beispiele von Häusern und Siedlungen analysiert, die genau mit dem Anspruch entwickelt wurden, dieser Klientel eine vergleichbare Lebensqualität unter anderen Rahmenbedingungen zu geben. Es handelt sich hierbei um unterschiedlichste Ansätze, beginnend in der Zeit der klassischen Architekturmoderne bis hin zu aktuellen, noch nicht umgesetzten Entwürfen.
8. Reflexion der interdisziplinären Zusammenarbeit
Auszug
Wissenschaftliche Ergebnisse sind stets auch im Kontext ihres Entstehungsprozesses zu sehen. Um eine diesbezüglich differenziertere Bewertung der vorliegenden gemeinsamen Arbeit von Soziologen und Architekten durch einen lesenden Dritten zu erleichtern, soll im abschließenden, achten Kapitel in der Retrospektive eine kurze selbstreflexive Betrachtung dieser Zusammenarbeit erfolgen. Dies geschieht nicht zuletzt auch in der Hoffnung, anderweitigen Forschungsvorhaben mit ähnlich gelagerten Konstellationen einige Anhaltspunkte und Entscheidungshilfen hinsichtlich der Kompetenzverteilung und Projektkoordination liefern zu können. Folgende Fragen dürften hierbei von Interesse sein: In welcher Form fanden Kooperationen und Austausch zwischen Soziologen einerseits und Architekten und Städtebauern andererseits statt? In welchen Punkten funktionierte die Zusammenarbeit gut und wo zeigten sich Grenzen der Zusammenarbeit? Was hätte man besser lösen können?
Backmatter
Metadaten
Titel
Einfamilienhaus oder City?
verfasst von
Jürgen Schmitt
Jörg Dombrowski
Jörg Seifert
Thomas Geyer
Faruk Murat
Copyright-Jahr
2006
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-531-90178-7
Print ISBN
978-3-531-14854-0
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-531-90178-7