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2004 | Buch

Netzwerke der Medien

Medienkulturen und Globalisierung

verfasst von: Andreas Hepp

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

Buchreihe : Medien • Kultur • Kommunikation

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Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Einstieg

1. Einstieg
Zusammenfassung
Die ersten Jahre des 21. Jahrhunderts können vielleicht als eine Zeit gewertet werden, in der durch verschiedene Ereignisse Globalisierang für breite Bevölkerungsteile in extremen Dimensionen greifbar wurde: Im Juli des Jahres 2001 fand im italienischen Genua der vielleicht letzte G-8-Gipfel unter Beteiligung umfassender Regierungsdelegationen statt. Auch die von 12.000 Polizisten und Soldaten geleistete hermetische Abriegelung des Innenstadtbereichs, in dem sich die Delegationen trafen, konnte gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten nicht verhindern. Gerade durch die Medienberichterstattung über das umfassende Polizeiaufgebot zur Absicherung des Gipfels und die dennoch — oder vielleicht gerade deshalb — einsetzenden, umfassenden Auseinandersetzungen zwischen Polizei und einzelnen radikalen Gruppen der Globalisierungskritiker wurde die Aufmerksamkeit in den unterschiedlichsten Ländern und Kontexten auf Fragen der Globalisierung gelenkt. In noch größerem Maße für ein Bewusstsein von Globalisierung entscheidend waren aber die Ereignisse vom 11. September 2001, als von Terroristen gekaperte amerikanische Flugzeuge live über Fernsehen, Radio und Internet übertragen das World Trade Center in New York zum Einsturz brachten und Teile des Pentagons zerstörten. Auf schreckliche Weise zeigten diese Ereignisse, dass auch der Terrorismus selbst zu einer globalisierten Kraft geworden ist.
Andreas Hepp

Geschichten

Frontmatter
2. Presse, Kultur und lokale Differenzen
Zusammenfassung
Nach zeitweiliger Abstinenz gegenüber einer Auseinandersetzung mit medienkulturellen Phänomenen ist in den letzten Jahren dieser Bereich wissenschaftlicher Forschung wieder zunehmend in das Interesse der sozialwissenschaftlich orientierten Medien- und Kommunikationswissenschaft gerückt. Fast ist man sogar geneigt zu sagen, dass der „cultural turn“ (S. Hall 1997a und 2002) nun auch die Medien- und Kommunikationswissenschaft erreicht hat.16 Die zunehmende Hinwendung zu einem — wie man es nennen könnte — medienkulturellen Paradigma hat vielerlei Gründe, die in den folgenden Kapiteln deutlich werden sollten. Nun darf diese jüngst stattgefundene Neufokussierung aber nicht darüber hinweg täuschen, dass es unabhängig von dem gegenwärtigen, auch durch die Rezeption angloamerikanischer Arbeiten der Cultural Studies angeregten Boom eine langjährige Tradition einer kulturtheoretisch orientierten Beschäftigung mit Medien im deutschsprachigen Raum gibt. Allerdings hat diese häufig nicht im Zentrum des allgemeinen Blicks auf die Fachgeschichte gestanden.
Andreas Hepp
3. Kritische Medienforschung, Kulturindustrie und die globale Kultur
Zusammenfassung
Eine weitere, in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zurück reichende Traditionslinie der kulturtheoretischen Medienforschung im deutschsprachigen Raum ist jene der Kritischen Theorie. Ihre medien- und kommunikationswissenschaftliche Fokussierung fand die Kritische Theorie vor allem in den 1940er Jahren in den USA, von wo sie mit der Rückkehr von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer in die BRD nach dem Zweiten Weltkrieg in den deutschen Sprachraum reimportiert wurde. Mit der Studentenbewegung Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre rückte dieser medientheoretische Ansatz zunehmend ins Interesse der Sozialwissenschaften: Es wurden mit Rekurs auf die Kritische Theorie Ansätze kritischer Medienforschung entwiekelt.44 Aber auch gegenwärtige Aktualisierungsversuche zeigen, dass die Kritische Theorie nach wie vor in der deutschsprachigen Medien- und Kommunikationsforschung als eine relevante sozialwissenschaftliche Medientheorie diskutiert wird.45 Die bestehende Aktualität fällt um so mehr ins Gewicht, als im englischen Sprachraum einerseits gefordert wird, bestehende Differenzen zwischen der Medienforschung der Kritischen Theorie und der der Cultural Studies zu überwinden (vgl. beispielsweise D. Kellner 1995a), andererseits in aktuellen Untersuchungen der Cultural Studies an einzelne Überlegungen der Kritischen Theorie durchaus produktiv angeknüpft wird (vgl beispielsweise K. Negus 1997, 1999a und 2002).
Andreas Hepp
4. Medienkultur zwischen Integration und Entgrenzung
Zusammenfassung
Auch jenseits der Kritischen Theorie bedeutete das Jahr 1945 für die Medien- und Kommunikationswissenschaft im deutschsprachigen Raum keinen vollkommenen Neubeginn, sondern war der Versuch, teilweise die begonnene Tradition der Publizistik-bzw. Zeitungswissenschaft fortzuführen, teilweise an andere Traditionen für eine Neubegründung anzuknüpfen. Eine kulturtheoretisch orientierte Auseinandersetzung mit Medien fand dabei außerhalb der Kritischen Theorie eher selten statt, wenn man von den bereits diskutierten Überlegungen von Otto Groth oder denen von Erich Feldmann absieht. Letzterer machte sich in den 1950er und 1960er Jahren für eine kulturtheoretisch begründete Medienforschung stark. Sicherlich ist das wertorientierte kulturtheoretische Konzept von Erich Feldmann aus heutiger Perspektive problematisch. Erwähnenswert sind seine Überlegungen an dieser Stelle dennoch, weil sie auf den Diskussionsrahmen verweisen, in dem erhebliche Teile der Auseinandersetzung mit Medien und Kultur jenseits der Kritischen Theorie in der deutschsprachigen Medien- und Kommunikationswissenschaft zu verorten sind.
Andreas Hepp

Theoretisierungen

Frontmatter
5. Transkulturalität als Perspektive
Zusammenfassung
Schaltet man gegenwärtig an einem beliebigen Tag in Deutschland den Fernsehapparat ein und zappt durch die Kanäle, so erhält man einen ersten Blick dafür, was die Globalisierung von Medienkommunikation, was gegenwärtige ‚Netzwerke der Medien6 lokal bedeuten: Neben scheinbar ‚eindeutig deutschen ‘Fernsehsendungen wie Mundart-Theater oder einer Tatort-Sendung mit Lokalkolorit kann man unter einer Vielzahl von ‚amerikanischen‘, ‚britischen‘, ‚französischen‘, ‚australischen ‘und teilweise auch Sendungen aus ‚anderen ‘kulturellen Kontexten wählen. Die Übertragungen großer Sportereignisse werden nicht selten aus sehr verschiedenen Ländern der Welt gesendet und vereinzelt ist zumindest auf ARTE oder 3sat auch ein Beitrag aus einem Land der so genannten Dritten Welt zu sehen. Ein zweiter, etwas detaillierterer Blick — und dies bestätigen wissenschaftliche Untersuchungen — würde aber gleichzeitig zeigen, dass zur Primetime zumindest im Bereich der fiktionalen Fernsehsendungen nach wie vor eine Tendenz zu ‚nationalkulturellen ‘Produkten besteht. Daneben existiert aber auch eine Anzahl von Sendungen mit Videoclips wie auf MTV, bei denen man sich mir einer ‚nationalkulturellen Zuordnung ‘überhaupt schwer tut.
Andreas Hepp
6. Deterritorialisierung als kultureller Wandel
Zusammenfassung
Wie ich bisher argumentiert habe, macht der Wandel, der mit der Globalisierung im Allgemeinen und der Globalisierung von Medienkommunikation im Speziellen verbunden ist, eine neue Perspektive der Medienforschung notwendig: An die Stelle einer intemationalen bzw. interkulturellen Perspektive muss die der Transkulturalität treten. Doch wie genau ist der kulturelle Wandel zu fassen, der einen solchen Perspektivenwechsel hin zum Transkulturellen begründet? Wie ist dieser zu beschreiben, wenn man die Widersprüchlichkeit gegenwärtiger ‚Netzwerke der Medien ‘fassen möchte? Auf diese Fragen sollen in dem folgenden Kapitel Antworten gegeben werden. Hierzu möchte ich zuerst einmal fassen, was genau unter Globalisierung bzw. Globalisierung der Medienkommunikation zu verstehen ist. Dies dient mir als Ausgangspunkt dafür, den kulturellen Wandel der Globalisierung — die mit ihr verbundene Deterritorialisierung — zu fassen. Doch in welcher Beziehung steht dieser Wandel zu der weitergehenden wissenschaftlichen Debatte um die Veränderung der gegenwärtigen Kultur, wie sie vor allem in der Postmoderne-Diskussion greifbar wird? Auch dies gilt es zu diskutieren, wenn man sich vergegenwärtigen möchte, in welchem Maße die Deterritorialisierung die Welt verändert hat und verändert.
Andreas Hepp
7. Translokalität als Analysekategorie
Zusammenfassung
Ausgangspunkt der bisherigen Argumentation war der Versuch, in der Perspektive der transkulturellen Medienforschung einen Theorierahmen für eine Auseinandersetzung mit der Globalisierung von Medienkommunikation zu bestimmen. In einer solchen Perspektive rücken zunehmend Fragen der Deterritorialisierung in den Mittelpunkt der Betrachtung — Fragen also, die die Aufweichung der Beziehung von Kultur und sozialen bzw. geografischen Territorien betreffen. Will man diesen Makroprozess des kulturellen Wandels fassen, so erseheint es kaum möglich, Kategorien einer Medienkulturforschung zu verwenden, die eine territoriale Referentialität von Kultur als Ausgangspunkt haben.
Andreas Hepp

Artikulationsebenen

Frontmatter
8. Deterritorialisierte Medienproduktion
Zusammenfassung
Betrachtet man die Artikulationsebene der Produktion, so fällt auf, dass die kulturelle Produktion deterritorial verfügbarer Medienprodukte insbesondere von einer beschränkten Zahl von global agierenden Medienkonzernen getragen wird. Ausgehend von dieser Lage hat Dieter Prokop den gegenwärtigen Medienkapitalismus als einen supranationalen Kapitalismus mit einer zunehmenden Oligopolbildung charakterisiert (vgl. D. Prokop 2001, S.403). Ähnliche Beschreibungen finden sich aber auch bei anderen Autorinnen und Autoren.250 Dabei hat die Entwicklung innerhalb des letzten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts die Oligopolbildung eher voran gebracht, als dass hier gegenläufige Tendenzen auszumachen wären. Deutlich wird dies an einem Vergleich der 15 umsatzstärksten Medienkonzerne in den Geschäftsjahren 1996, 1998 und 2001 (siehe unten stehende Tabelle). Während sich die Namen der Unternehmen in dieser ‚Hitliste ‘nicht nachhaltig gewandelt haben, so ist doch auszumachen, dass der Umsatz der die Liste führenden Medienunternehmen im Vergleich zu den in dieser Liste weiter hinten platzierten stärker gestiegen ist. Während das gesamte Umsatzvolumen der 50 umsatzstärksten Medienkonzerne in den drei Jahren von 1995 bis 1998 um 60 Prozent auf 258,1 Milliarden € wuchs, können die ersten zehn Unternehmen einen Sprung von 72,3 auf 194,8 Milliarden € und damit ein Plus von 86 Prozent verzeichnen (vgl. L. Hachmeister 2000, S.21). Ende der 1990er Jahre gab es hier nochmals einen deutlichen Sprung: Der Gesamtumsatz der 50 umsatzstärksten Medienkonzerne stieg bis 2001 auf 424,895 Milliarden €, was einer Zuwachsrate von 64,65 Prozent entspricht. Der Umsatz der zehn führenden Unternehmen wuchs dabei auf 247,859 Milliarden € und damit um 84,06 Prozent.
Andreas Hepp
9. Repräsentationen translokaler Medienkulturen
Zusammenfassung
Im vorherigen Kapitel stand eine Auseinandersetzung mit den Produktionsaspekten translokaler Medienkulturen in Zeiten der Globalisierung von Medienkommunikation im Mittelpunkt der Betrachtung. Dabei hat sich gezeigt, dass der globale Medienkapitalismus und seine Produktionskulturen selbst zunehmend deterritorialisiert sind, indem global orientierte Medienproduktion in einem komplexen Netzwerk globaler Medienstädte zu verorten ist. Bedeutung gewinnt damit eine spezifische Form von Medienunternehmen, nämlich der deterritoriale Medienkonzern. Es versteht sich von selbst, dass hiermit nur ein Aspekt der Globalisierung von Medienkommunikation gefasst ist, andere bei einer solchen Betrachtungsperspektive vollkommen untergehen. So ist die Globalisierung von Medienkommunikation ja nicht nur eine Frage der kulturellen Produktion, sondern auch der ‚Inhalte‘, d.h. der kulturellen Repräsentation. Im folgenden Kapitel soll es genau um diese Artikulationsebene gehen, nämlich eine Auseinandersetzung damit, durch welche spezifischen medialen Repräsentationen die translokalen Konnektivitäten gegenwärtiger ‚Netzwerke der Medien ‘hergestellt werden.
Andreas Hepp
10. Die Aneignung translokaler Ressourcen
Zusammenfassung
Setzt man sich mit der Artikulationsebene der Aneignung im Kreislauf der Medienkultur auseinander, so hat der Begriff des Alltagslebens einen zentralen Stellenwert. Diese Feststellung ist vor dem Hintergrund der Argumentation von Michel de Certeau zu sehen. Dieser hat darauf aufmerksam gemacht, dass eine Beschäftigung mit den (Konsum-)Praktiken des Alltags häufig nicht hinreichend in eine Auseinandersetzung mit soziokulturellen Prozessen eingeflossen ist. So kritisiert de Certeau exemplarisch das Werk von Michel Foucault und insbesondere dessen in „Überwachen und Strafen“ dargelegte Überlegung, die moderne Gesellschaft würde umfassend durch ein Raster der Überwachung kontrolliert. Foucault geht davon aus, dass Gesellschaften basierend auf bestimmten panoptischen „Prozeduren“, „Techniken“ und „Dispositiven“ von einer „Mikrophysik der Macht“ durchzogen seien, die deren Strukturierung bestimmten (vgl. M. Foucault 1977, 177f.). De Certeau kritisiert, dass Foucault die Disziplin produzierenden Dispositive für effektiver hält, als sie sind. Eine Gesellschaft besteht nicht nur aus disziplinierenden Mechanismen, sondern umfasst auch eine Vielzahl von weiteren Praktiken, die „klein“ und „minoritär“ (M.d. Certeau 1988, S.1 10) geblieben sind. Zu diesen „kleinen“, von der Geschichte nicht „privilegierten“ Praktiken zählen die Alltagspraktiken, die zwar primär Formen des Konsums und damit auf zur Verfügung stehende Ressourcen angewiesen sind, in ihrer Gesamtheit jedoch nicht determiniert werden können:
„Das Gegenstück zur rationalisierten, expansiven, aber auch zentralisierten, lautstarken und spektakulären Produktion ist eine andere Produktion, die als ‚Konsum ‘bezeichnet wird: diese ist listenreich und verstreut, aber sie breitet sich überall aus, lautlos und fast unsichtbar, denn sie äußert sich nicht durch eigene Produkte, sondern durch die Umgangsweise mit den Produkten, die von einer herrschenden ökonomischen Ordnung aufgezwungen werden.“ (M.d. Certeau 1988, S.13 Herv. i. O.)
Andreas Hepp
11. Ausstieg
Zusammenfassung
Dieses Buch begann als ‚Einstieg ‘mit dem Verweis auf den Umstand, dass die ersten Jahre des 21. Jahrhunderts als eine Zeit gewertet werden können, in der durch verschiedene Ereignisse ‚Globalisierung ‘für breite Bevölkerungsteile in EurAm greifbar wurde. Eines dieser Ereignisse war sicherlich das globale (Medien-)Ereignis der Terroranschläge vom 11. September 2001. Aber auch darüber hinaus wurde ‚Globalisierung ‘zum Thema: Verweisen kann man hier exemplarisch auf das Engagement der globalisierungskritischen Bewegung und die weitere politische Diskussion um ‚Globalisierang ‘ebenso wie auf die fortschreitende lokale Zugänglichkeit von populären Kulturprodukten unterschiedlichster Kontexte.
Andreas Hepp
Backmatter
Metadaten
Titel
Netzwerke der Medien
verfasst von
Andreas Hepp
Copyright-Jahr
2004
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-322-81002-1
Print ISBN
978-3-8100-4133-3
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-322-81002-1