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1981 | Buch

Probleme des Empirismus

Schriften zur Theorie der Erklärung, der Quantentheorie und der Wissenschaftsgeschichte Ausgewählte Schriften

verfasst von: Paul K. Feyerabend

Verlag: Vieweg+Teubner Verlag

Buchreihe : Wissenschaftstheorie Wissenschaft und Philosophie

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Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Einleitung
Zusammenfassung
Die Aufsätze im ersten Teil des ersten Bandes sowie die Kapitel 4 bis 12 des vorliegenden Bandes befassen sich mit drei Ideen, die in der Philosophie, den Wissenschaften und auch im politischen Leben eine wichtige Rolle spielen; es handelt sich um die Ideen der Kritik, des Pluralismus und des Realismus.
Paul K. Feyerabend
Kapitel 1. Der Pluralismus als ein methodologisches Prinzip
Zusammenfassung
Der Pluralismus von Auffassungen und Lebensformen wurde von John Stuart Mill „aus vier verschiedenen Gründen“1 befürwortet. Erstens, weil eine Auffassung, für deren Verwerfung es Gründe gibt, doch wahr sein kann. „Das leugnen heißt Unfehlbarkeit für den Menschen in Anspruch nehmen.“ Zweitens, weil eine problematische Auffassung „etwas Wahres enthalten kann und das gewöhnlich auch tut; und da die allgemeine oder herrschende Meinung über irgendeinen Gegenstand selten oder nie die ganze Wahrheit ist, darum hat der Rest der Wahrheit nur im Zusammenprall entgegengesetzter Meinungen eine Chance“. Drittens wird auch eine Auffassung, die vollständig wahr ist, bei mangelnder Kritik „wie ein Vorurteil vertreten, mit wenig Verständnis oder Gefühl für ihre Vernunftgründe“. Und viertens versteht man nicht ihren Sinn; das Bekenntnis zu ihr wird zu „einer bloßen Formalität“, wenn kein Gegensatz zu anderen Meinungen zeigt, worin dieser Sinn besteht.
Paul K. Feyerabend
Kapitel 2. Der wissenschaftliche Realismus und der philosophische Realismus
Zusammenfassung
Der wissenschaftliche Realismus (abgekürzt WR) ist eine allgemeine Theorie der (wissenschaftlichen) Erkenntnis. In einer seiner Formen nimmt er an, daß die Welt unabhängig ist von unserer Erkenntnissuche und daß sie am besten mit Hilfe der Wissenschaften erforscht werden kann. Die Wissenschaften liefern nicht nur Voraussagen, sondern handeln auch von der Beschaffenheit der Dinge; sie sind Metaphysik und Technologie in einem.
Paul K. Feyerabend
Kapitel 3. Wissenschaftliche Praxis und philosophische Theorie: Betrachtungen zum Degenerationsprozeß der Wissenschaftstheorie
Zusammenfassung
Selbständige Traditionen stellen nur selten Fragen zur Existenz und Wirklichkeit. Ein Angehöriger einer solchen Tradition fragt vielleicht, ob ein besonderes Ereignis stattgefunden hat, und er bezweifelt auch vielleicht eine bestimmte Geschichte — aber kaum jemand überlegt sich die „ontologischen Konsequenzen“ aller Ausdrücke, Aussagen, Geschichten auf einem bestimmten Gebiet1.
Paul K. Feyerabend
Kapitel 4. Erklärung, Reduktion und Empirismus
Zusammenfassung
Die Hauptthese des vorliegenden Essays lautet, daß eine formale Analyse von Reduktion und Erklärung für allgemeine oder, wie sie auch genannt werden, nicht instanzielle Theorien1 unmöglich ist. Insbesondere soll gezeigt werden, daß überall dort, wo derartige Theorien eine entscheidende Rolle spielen, sowohl Nagels Theorie der Reduktion2 als auch die Theorie der Erklärung von Hempel und Oppenheim3 nicht mehr mit der Wissenschaftspraxis wie auch einem vernünftig aufgefaßten Empirismus übereinstimmen. Zugegeben ist, daß diese beiden „orthodoxen“ Analysen ganz gut die Beziehungen zwischen Sätzen von der Form „Alle Raben sind schwarz“ darstellen, die in den mehr trivialen Bereichen der wissenschaftlichen Tätigkeit überwiegen4. Versucht man aber, diese Analysen auf umfassende Gedankengebäude anzuwenden wie die Aristotelische Theorie der Bewegung, die Impetustheorie, die Newtonsche Himmelsmechanik, die Maxwellsche Elektrodynamik, die Relativitätstheorie oder die Quantentheorie, so versagen sie völlig.
Paul K. Feyerabend
Kapitel 5. Antwort an Kritiker
Bemerkungen zu Smart, Sellars und Putnam
Zusammenfassung
In den Aufsätzen, die Smart, Putnam und Sellars diskutieren und kritisieren, stellte ich mir die Aufgabe, ein abstraktes Modell für die Erkenntnisgewinnung vorzulegen1, seine Konsequenzen zu entwickeln und diese mit dem historischen Phänomen Wissenschaft zu vergleichen. Man kann erwarten, daß ein Vergleich historischer Erscheinungen mit erkenntnistheoretischen Auffassungen oder Modellen zü neuen historischen Daten führt wie auch zu neuen Ideen über die tatsächliche Struktur der Wissenschaft (oder des Gesetzes, oder der Philosophie, oder des Alltagsdenkens). Doch man sollte auch im Auge behalten, daß diese Struktur die Modelle nicht beeinflussen darf. Modelle geben an, wie man vorgehen muß, wenn man ein bestimmtes Ziel erreichen will. Sie sind eine Grundlage für die Kritik wie auch die Reform des Bestehenden. Eine Theorie der Erkenntnis, die so auf Kritik und Reform ausgerichtet ist, unterscheidet sich erheblich von einer analytischen Theorie, die im Konflikt zwischen Wirklichkeit und Idee die letztere als ein bloßes Phantasiegebilde ansieht, als eine Flucht vor der Wirklichkeit, als ein Luftschloß2, das zur Bedeutungslosigkeit herabsinkt, wenn es mit den harten Tatsachen des (wissenschaftlichen, juristischen, Alltags-)Lebens zusammenstößt3.
Paul K. Feyerabend
Kapitel 6. Der klassische Empirismus
Zusammenfassung
Im vorliegenden Aufsatz möchte ich einige Eigenschaften der nach-Galileischen oder „klassischen“ Naturwissenschaft beschreiben, die bisher nicht genügend Beachtung gefunden haben.
Paul K. Feyerabend
Kapitel 7. Besprechung von Ernest Nagel, “The Structure of Science”
Zusammenfassung
Nach Nagel geht die Wissenschaft „letzten Endes von Problemen aus, die durch die Beobachtung von Gegenständen und Ereignissen aus der konkreten Erfahrung aufgeworfen werden“ (78); „sie strebt nach-einem Verständnis dieses Beobachtbaren durch Aufdeckung einer in ihm enthaltenen systematischen Ordnung“, also durch seine Erklärung (78) . Dieses „Streben nach systematischen und gleichzeitig von den Erfahrungstatsachen kontrollierten Erklärungen bringt die Wissenschaft hervor“ (4 ; 15). Das Verständnis der Struktur der Wissenschaft ist somit das Verständnis der Struktur wissenschaftlicher Erklärungen (15) .
Paul K. Feyerabend
Kapitel 8. Der Materialismus und das Leib-Seele-Problem
Zusammenfassung
Der vorliegende Aufsatz hat ein zweifaches Ziel. Erstens verteidigt er den Materialismus gegen gewisse kritische Bemerkungen, die zwar ganz offenkundig wahr zu sein scheinen, aber trotzdem völlig an der Sache vorbeigehen. Und zweitens möchte er der Philosophie ihren richtigen Platz zuweisen . Nur zu oft werden Versuche, zu einem zusarnmenhängenden Weltbild zu gelangen , durch philosophische Nörgeleien aufgehalten und womöglich aufgegeben, ehe sie noch ihre Vorzüge zeigen können. Es scheint mir, daß die Urheber solcher Versuche etwas weniger ängstlich sein sollten, es sollte ihnen doch möglich sein, die Gegenargumente zu durchschauen und ihre Irrelevanz zu erkennen. Und wenn sie die Irrelevanz der Gegenargumente erkannt haben, dann sollten sie sich der weitaus interessanteren Aufgabe zuwenden, ihre eigenen Auffassungen im einzelnen zu entwickeln, ihre Fruchtbarkeit zu untersuchen und so nicht nur einige allgemeine, sondern auch sehr konkrete und ins einzelne gehende Erkenntnisse zu gewinnen. Eine solche Entwicklung vorn Abstrakten zum Konkreten zu fördern und zur Erfindung neuer Ideen beizutragen, das ist die rechte Aufgabe einer Philosophie, die mehr sein will, als ein Hemmschuh für den Fortschritt.
Paul K. Feyerabend
Kapitel 9. Zur Verteidigung der klassischen Physik
Zusammenfassung
Auf der Internationalen Konferenz über Wissenschaftstheorie 1965 in London hielt K.R. Popper ein Einführungsreferat unter dem Titel “Rationality and the search for invariants”. Darin kritisierte er „die Lehre, daß die Wissenschaft auf die Suche nach Invarianten beschränkt sei“ und äußerte „die Vermutung, daß die Suche nach Invarianten zwar ohne Zweifel eine der wichtigsten Aufgaben der Wissenschaft überhaupt ist, aber nicht die Grenzen der Rationalität oder der Wissenschaft bildet oder absteckt“. Ich bin anderer Auffassung. Mir scheint, daß die Beschränkung auf eine Suche nach Invarianten von Vorteil sein und eine Lockerung des Rahmens einige sehr schädliche Folgen haben kann. Insbesondere möchte ich die Auffassung vertreten, daß der klassische Rahmen voreilig aufgegeben wurde und daß man ihn weiter verwenden und benützen sollte. Die Ideen, die sich in Poppers Referat finden, werden auch genauer dargestellt werden. (Wörtliche oder sinngemäße Zitate daraus sind mit den Initialen KRP bezeichnet.)1
Paul K. Feyerabend
Kapitel 10. David Bohms Naturphilosophie
Zusammenfassung
Dies ist eine verspätete Besprechung eines hochinteressanten und anregenden Buches1. Obwohl es sich mit gewissen Schwierigkeiten einer sehr speziellen Theorie der Gegenwart beschäftigt , nämlich der Quantentheorie, dürfte es auch für die vielen Nichtphysiker von Interesse sein, die etwas über die Welt erfahren möchten, in der wir leben , wie auch über die Ideen, die heute zum Verständnis dieser Welt entwickelt werden. Man meint oft — und die Grundeinstellung vieler heutiger Physiker spricht dafür — , daß Spekulation und Erfindungsgabe in den Naturwissenschaften keine sehr große Rolle spielen, denn physikalische Theorien sind ja durch die Tatsachen mehr oder weniger eindeutig bestimmt . Natürlich meint man auch, daß unsere heutigen Kenntnisse des Mikrokosmos auf eben dieser Art bestimmt und daher zumindest in ihren Hauptzügen unwiderruflich sind . Das Buch zeigt die Unrichtigkeit dieser Vorstellungen ; es zeigt, daß es Meinungsverschiedenheiten in einigen ganz grundlegenden Fragen gibt , daß das imposante und vielleicht ein wenig fürchteinflößende Bild der Wissenschaft als einer unveränderlichen und nur ständig wachsenden Sammlung von Tatsachen nichts als ein Märchen ist und daß Erfindungsgabe und Spekulation in der Physik keine geringere Rolle spielen als sonstwo . Es zeigt weiterhin, daß man auch heute noch schwierige Fragen interessant und verständlich behandeln kann. Und damit zeigt es schließlich, daß die oft beklagte Kluft zwischen den Natur- und den Geisteswissenschaften auf einem falschen Bild , ja einer Karikatur der Naturwissenschaften beruht . Das Buch kritisiert dieses falsche Bild. Es widerlegt auch die Idee, daß die Komplernentarität und sie allein alle ontologischen und theoretischen Probleme der Mikrophysik löst ; daß diese Lösung absolut gültig ist , und daß der Physiker der Zukunft nur noch Gleichungen zur Voraussage ansonsten unproblematischer Ereignisse aufzustellen und zu lösen braucht. Kurz , es widerlegt die Idee, daß der Physiker der Zukunft wie ein mittelalterlicher Gelehrter vorgehen wird, nur eben mit Bohr stat Aristoteles als seiner Autorität in metaphysischen Fragen.
Paul K. Feyerabend
Kapitel 11. Zur Quantentheorie der Messung
Zusammenfassung
In der klassischen Physik wurde die Beziehung zwischen der physikalischen Theorie und der gewöhnlichen Erfahrung folgendermaßen gefaßt: Die gewöhnliche Erfahrung läßt sich im Rahmen der Physik beschreiben und verstehen. Eine solche Beschreibung beruht neben der physikalischen Theorie auf gewissen Näherungen. Doch deren Geltungsbedingungen (sie entsprechen den Anfangsbedingungen etwa in der Himmelsmechanik) zusammen mit der Theorie reichen für eine vollständige Erklärung der gewöhnlichen Erfahrung aus. Die klassische Theorie des Messens (die, wie jede andere Theorie des Messens, Begriffe der Alltagserfahrung und theoretische Begriffe zusammenbringt) ist ein Stück angewandte Physik, und alle Vorgänge beim Messen lassen sich auf Grund der Bewegungsgleichungen allein analysieren.
Paul K. Feyerabend
Kapitel 12. Der dialektische Materialismus und die Quantentheorie
Zusammenfassung
Die Erörterung, ja schon die bloße Beschreibung von Verfahren und Vorgängen in einer Gesellschaft, deren Grundsätze nicht allgemein anerkannt sind, ist immer eine heikle Sache. Nur zu oft werden die Schwierigkeiten des beschriebenen Gegenstands und die ganz natürlichen Fehler derer, die ihn weiterentwickeln, auf die ungeliebte Ideologie projiziert und als klare Beweise für deren Schwächen und Mängel angesehen. Untersuchungen der geschichtlichen Entwicklung des dialektischen Materialismus und Versuche, den Einfluß dieser Philosophie zu beurteilen, sind von dieser Tendenz niemals frei. Sie leiden auch unter der Unwissenheit ihrer Verfasser auf naturwissenschaftlichem Gebiet und ihrer recht primitiven Wissenschaftstheorie. Nur wenige Autoren auf diesem Gebiet sind mit der heutigen Naturwissenschaft so gut vertraut wie Lenin mit der Naturwissenschaft seiner Zeit; und niemand besitzt seinen erstaunlichen philosophischen Instinkt. Das Buch von Wetter ist voll von interessanten Informationen; es ist ein guter Ausgangspunkt. Philosophisch aber ist es wertlos, denn Wetter hat sehr primitive Vorstellungen von der Wechselwirkung zwischen Naturwissenschaft und Ideologie. Dasselbe gilt für Bochenski. Gelegentlich gibt ein Autor seine Schwächen zu, so Lukacs im Vorwort zu seinem Buch,,Die Zerstörung der Vernunft“: von den Naturwissenschaften hat er keine Ahnung und läßt sie also aus. Das unterstreicht nur die Notwendigkeit einer Darstellung, die die Naturwissenschaften berücksichtigt. Grahams interessante, kenntnisreiche, klare und zielsichere Darstellung einer wichtigen Episode der Wissenschaftsgeschichte leidet an keinem dieser Mängel.
Paul K. Feyerabend
Kapitel 13. Eine Bemerkung zum Neumannschen Beweis
Zusammenfassung
Die Angriffe, die Bohm [1], de Broglie [2], Weizel [5] und andere gegen den Neumannschen Beweis der Unmöglichkeit einer deterministischen Interpretation der elementaren Quantenmechanik (QM) gerichtet haben, zeigen, daß der Beweis Schwächen hat, sie zeigen aber nicht, wo diese Schwächen liegen. Am besten ist in dieser Hinsicht die Diskussion, die Fenyes [3] dem Problem gewidmet hat. Er zeigt, daß Konsequenzen der QM, die man als für sie charakteristisch hielt, Konsequenzen des in ihr enthaltenen interpretierten Teils P der Wahrscheinlichkeitsrechnung sind. Diese Konsequenzen treffen also für jede Theorie zu, die P enthält. Aber die Ausführungen von Fenyes sind kompliziert und lassen sich durch eine relativ einfache Betrachtung ersetzen. Das soll in dieser Bemerkung geschehen.
Paul K. Feyerabend
Kapitel 14. Zwei Theorien des Erkenntniswandels: Mill und Hegel
Zusammenfassung
Der Gedanke, daß eine pluralistische Methodologie sowohl für den Erkenntnisfortschritt als auch für die Entwicklung der menschlichen Individualität notwendig sei, wurde von J. S. Mill in seinem bewundernswerten Essay „On Liberty“ diskutiert. Dieser ist nach Mill „eine Art philosophisches Lehrbuch über eine einzige Wahrheit, und die Änderungen, die in unserer modernen Gesellschaft in immer größerem Ausmaß stattfinden, haben die Tendenz, diese Wahrheit immer deutlicher hervortreten zu lassen: sie liegt in der Bedeutung, die eine große Verschiedenheit von Charaktertypen für Mensch und Gesellschaft hat, wenn man nur der menschlichen Natur volle Freiheit gibt, sich in zahllosen und einander widersprechenden Richtungen auszudehnen“1. Die Vielfalt ist nowendig für die Entstehung „wohlentwickelter Persönlichkeiten“ (S. 258)1a wie auch für den Fortschritt der Kultur. „Was hat die europäische Völkerfamilie zu einem sich vorwärtsentwickelnden und nicht sich gleichbleibenden Teil der Menschheit gemacht? Keine besondere Fähigkeit, die, wenn vorhanden, die Wirkung und nicht die Ursache wäre, sondern ihre bemerkenswerte Vielfalt von Kultur und Charakter. Individuen, Klassen, Völker sind sehr verschieden voneinander: sie haben eine große Vielfalt von Wegen gebahnt, deren jeder zu etwas Wertvollem hinführt; und wenn auch jene, die verschiedene Wege gingen, einander nur wenig Tolerenz zeigten und es für gut gehalten hätten, hätte man jedermann sonst in ihre eigene Richtung gezwungen, so hatten doch ihre Versuche, einander zu behindern, nur selten dauernden Erfolg, und jede Tradition blieb erhalten und empfing die Güter, die ihre Rivalen zu bieten hatten.
Paul K. Feyerabend
Kapitel 15. Wittgensteins „Philosophische Untersuchungen“
Zusammenfassung
Bei der Diskussion dieses Buches werde ich folgendermaßen vorgehen: Zunächst formuliere ich eine philosophische Theorie T, die in dem Buch ständig angegriffen wird. Dabei benütze ich nicht die gewöhnliche Formulierung der Theorie (sofern es eine solche überhaupt gibt), sondern die Wittgensteinsche, die natürlich eine Idealisierung sein könnte. Sodann werde ich zeigen, wie die Theorie von Wittgenstein kritisiert wird — erst anhand eines Beispiels (das in den „Untersuchungen“ eine erhebliche Rolle spielt, mit dem ich aber Argumente entwickle, die in dem Buch im Zusammenhang mit diesem Beispiel nicht auftreten), und zweitens werde ich in allgemeiner Form die durch das Beispiel aufgedeckten Schwierigkeiten erörtern. Drittens werde ich angeben, was Wittgensteins eigene Auffassung zu dieser Frage zu sein scheint, und zwar in der Form einer philosophischen Theorie T′, was aber nicht heißen soll, daß Wittgenstein eine philosophische Theorie habe entwickeln wollen (das ist nicht der Fall). Zuletzt werde ich die Beziehung zwischen der aufgestelllten Theorie und Wittgensteins Anschauungen von der Philosophie behandeln und mit einigen kritischen Bemerkungen schließen.2
Paul K. Feyerabend
Kapitel 16. Poppers Objektive Erkenntnis
Zusammenfassung
Das Buch2 ist eine Sammlung von Aufsätzen, einige neu, einige wieder abgedruckt. Es enthält Vorschläge für drei Forschungsgebiete: Ontologie, Methodologie und Evolutionstheorie. In der Ontologie empfiehlt Popper einen pluralistischen Ansatz, in der Methodologie empfiehlt er die kritische Diskussion konkurrierender Auffassungen als ein Mittel des Erkenntnisfortschritts; in der Evolutionslehre schlägt er eine Theorie vor, die sich auf eine „darwinistische“ (261, dt. 289) Erkenntnistheorie stützt und die Erkenntnis für ein sich ständig wandelndes „exosomatisches“ (251, dt. 278) Produkt des Organismus erklärt, für eine Art Abscheidung, die durch Versuch und Irrtum ständig verändert und erweitert wird und den Organismus davor schützt, selbst verändert zu werden. Nach dieser Theorie ist die Erkenntnis weder eine besondere Form des Glaubens — sie ist zum Beispiel nicht ein wohlfundierter oder ein sehr wahrscheinlicher Glaube; sie ist nicht einmal ein falsifizierbarer und hochbewährter Glaube —, noch besteht sie aus ewigen Ideen, die wir erfassen, aber nicht verändern können. Die Erkenntnis ist ein Produkt des Menschen, er kann sie verändern, sie ist aber trotzdem objektiv und sogar autonom, das heißt, sie läßt sich nicht auf physische oder psychische Vorgänge reduzieren. Objektiv ist sie, weil sie eigenen Gesetzen folgt, die unabhängig sind von den Absichten ihrer Schöpfer; ist sie einmal vom Menschen geschaffen worden, dann richtet sie sich nicht mehr nach allen seinen Wünschen.
Paul K. Feyerabend
Kapitel 17. Zu einer neueren „Kritik“ an der Komplementarität
Zusammenfassung
Die Diskussionen zur Interpretation der Quantentheorie leiden gegenwärtig an (1) der zunehmenden Axiomanie in Physik und Philosophie, die Grundprobleme durch Formulierungsprobleme in einem vorgegebenen Kalkül ersetzt, und (2) am (seit 1927) abnehmenden philosophischen Interesse und Feingefühl bei Fachphysikern wie auch Fachphilosophen, das zur Ersetzung differenzierter durch grobe Positionen und dialektischer Argumente durch dogmatische geführt hat. Des näheren bestehen Hindernisse in der Ignoranz der Gegner sowie auch der Verteidiger der Kopenhagener Auffassung bezüglich älterer Argumente für diese. Das Erscheinen von Bunges Quantum Theory and Reality und insbesondere des Popperschen Beitrags dienen als Anlaß zu einer Neuformulierung der Bohrschen Position und der Widerlegung einiger recht beliebter, aber überraschend naiver und kenntnisloser Einwände gegen sie. Bohrs Position unterscheidet sich sowohl von der Heisenbergs als auch von den Vulgärformen, die in die sogenannte „Kopenhagener Deutung“ eingegangen sind, und deren Undifferenziertheit ein Segen für alle jene Kritiker war, die leichte Siege einer vernünftigen Diskussion vorziehen. Einsteins Haupteinwand wird erörtert, und seine Widerlegung von Bohr wird neu formuliert. Auch der philosophische Hintergrund sowie ältere Formen von Bohrs Auffassungen werden dargestellt. als jede vorhandene Alternative; daher muß die Grundlagendiskussion erst einmal auf sie zurückgehen. Es wird aber nicht behauptet, daß sie die einzigen sind. Hier ist der Verfasser immer noch der Ansicht, daß hundert bescheidene Blümchen besser sind als eine einzige noch so prächtige Blüte. Doch hundert bescheidene Blümchen plus eine prächtige Blüte sind noch besser. Diese Auffassungen sind detaillierter und den Tatsachen der Mikrophysik näher als jede vorhandene Alternative; daher muß die Grundlagendiskussion erst einmal auf sie zurückgehen. Es wird aber nicht behauptet, daß sie die einzigen sind. Hier ist der Verfasser immer noch der Ansicht, daß hundert bescheidene Blümchen besser sind als eine einzige noch so prächtige Blüte. Doch hundert bescheidene Blümchen plus eine prächtige Blüte sind noch besser.
Paul K. Feyerabend
Kapitel 18. Probleme der Mikrophysik
Zusammenfassung
Als der Formalismus der elementaren Quantentheorie konzipiert wurde, war es unklar, wie er sich mit der Erfahrung in Verbindung bringen ließ und welche anschauliche Vorstellung man mit seiner Anwendung verknüpfen sollte. „Der mathematische Apparat der … Theorie“, schreibt Heisenberg über dieses Stadium1, „lag … Mitte 1926 in seinen wichtigsten Teilen fertig vor, doch die physikalische Bedeutung war noch äußerst unklar.“ Es gab eine Reihe verschiedener Deutungen, deren jede sich aber im Laufe der Zeit als unbefriedigend erwies. Nur die Vorstellungen von Niels Bohr und seinen Mitarbeitern, die etwas später systematischer dargestellt wurden und dann den Namen „Kopenhagener Deutung“2 erhielten, schienen die meisten der Probleme zu lösen, an denen ihre Konkurrenten gescheitert waren. Diese Deutung wurde schließlich von der großen Mehrheit der Physiker angenommen, darunter auch einigen derer, die vorher philosophische Einwände gegen sie erhoben hatten3. Etwa von 19304 (oder eher von etwa 19355) bis 1950 war die Kopenhagener Deutung die Mikrophilosophie, und die Einwände einiger weniger Gegner, vor allem von Einstein und Schrödinger6, wurden immer weniger ernst genommen.
Paul K. Feyerabend
Backmatter
Metadaten
Titel
Probleme des Empirismus
verfasst von
Paul K. Feyerabend
Copyright-Jahr
1981
Verlag
Vieweg+Teubner Verlag
Electronic ISBN
978-3-322-83165-1
Print ISBN
978-3-528-08412-7
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-322-83165-1