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1999 | Buch

Risikojournalismus und Risikogesellschaft

Sondierung und Theorieentwurf

verfasst von: Alexander Görke

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

Buchreihe : Studien zur Kommunikationswissenschaft

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Über dieses Buch

Über den Kreterkönig Midas heißt es in Ovids Metamorphosen: "Da be­ schenkte der Gott, der sich freut' ob der Heimkehr des Alten, / Ihn mit der Gnade des Wunsches, die jener nutzlos vergeudet. / Übel nützte der das Glück, da er sprach: 'Laß, was mit dem Leibe / Je ich berühre, laß alles in glänzendes Gold sich verwandeln. '" (Ovid, Metamorphosen XI, 100-105) Der Sage nach geht dieser Wunsch in Erfüllung und von nun an hat König Midas Probleme ohne Ende: "Und wie die Diener dem Frohen die Tafel be­ reiten, / Reich mit Speisen besetzt und versehen mit köstlichem Brote, / Ob nun jener dabei mit der Rechten die Gabe der Ceres / Hatte berührt - es er­ starrten zu Gold die Geschenke der Ceres. / Ob er mit gierigem Zahn die Speisen wollte zermalmen, / kaum berührte sie der Zahn, deckt goldene Kruste die Speise. Mischt er die Gabe des Gottes, der Zauber gewährte, mit Wasser, / Hättest Du flüssiges Gold durch die Kehle ihm fließen gesehen. / Reich und elend zugleich und betäubt von dem seltsamen Unglück, / Will er dem Reichtum enfliehn und haßt, was er eben begehrte. Nichts stillt mehr seinen Hunger, von Durst brennt trocken die Kehle, / Überall quält ihn das leidige Gold, das er selbst sich gewählt hat. " (Ovid, Metamorphosen, XI, 119-131 ) Elend und unendlich reich zugleich hat auch die moderne Gesellschaft Probleme - Probleme mit ihrer Komplexität.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Risiken, Journalismus und funktionale Analyse

Frontmatter
1. König Midas und die Folgen — eine Einleitung
Zusammenfassung
Über den Kreterkönig Midas heißt es in Ovids Metamorphosen: „Da beschenkte der Gott, der sich freut’ ob der Heimkehr des Alten, / Ihn mit der Gnade des Wunsches, die jener nutzlos vergeudet. / Übel nützte der das Glück, da er sprach: ‘Laß, was mit dem Leibe / Je ich berühre, laß alles in glänzendes Gold sich verwandeln.’“ (Ovid, Metamorphosen XI, 100–105) Der Sage nach geht dieser Wunsch in Erfüllung und von nun an hat König Midas Probleme ohne Ende: „Und wie die Diener dem Frohen die Tafel bereiten, / Reich mit Speisen besetzt und versehen mit köstlichem Brote, / Ob nun jener dabei mit der Rechten die Gabe der Ceres / Hatte berührt es erstarrten zu Gold die Geschenke der Ceres. / Ob er mit gierigem Zahn die Speisen wollte zermalmen, / kaum berührte sie der Zahn, deckt goldene Kruste die Speise. Mischt er die Gabe des Gottes, der Zauber gewährte, mit Wasser, / Hättest Du flüssiges Gold durch die Kehle ihm fließen gesehen. / Reich und elend zugleich und betäubt von dem seltsamen Unglück, / Will er dem Reichtum enfliehn und haßt, was er eben begehrte. Nichts stillt mehr seinen Hunger, von Durst brennt trocken die Kehle, / Überall quält ihn das leidige Gold, das er selbst sich gewählt hat.“ (Ovid, Metamorphosen, XI, 119–131)
Alexander Görke
2. Risikoforschung: Perspektiven und Probleme
Zusammenfassung
Die interdisziplinäre Risikoforschung ist ein vergleichsweise junges und inhomogenes Forschungsfeld, da jede neu hinzukommende Teildisziplin einen ganz eigenen Fundus an Theorien, Methoden und Erklärungsansätzen mit sich bringt. Bei allen Schwierigkeiten, die der ständige Import disziplinspezifischer Wissensbestände mit sich bringt, lassen sich gleichwohl drei grundlegende Denkrichtungen identifizieren, die teilweise die Risikoforschung bis auf den heutigen Tag bestimmen. Orientiert man sich an den jeweils vorherrschenden Disziplinen und Methoden, kann man in Anlehnung an Bechmann (1993b) von formal-normativen, empirisch-psychologischen und kultur-soziologischen Ansätzen sprechen.2
Alexander Görke
3. Journalismusforschung: Perspektiven und Probleme
Zusammenfassung
In der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft begegnet uns die Beobachterproblematik in Form der Unterscheidung zwischen Realität und Medienwirklichkeit. Anders als in der Risikoforschung ist das Problembewußtsein hier jedoch weniger stark ausgeprägt (vgl. Kap. 3.1). Da dieser Umstand als Defizit aufgefaßt wird, der u.E. die Anschlußfähigkeit kommunikationswissenschaftlicher Befunde (entscheidend) limitiert, sollen darüber hinaus diejenigen kommunikationswissenschaftlichen Ansätze vorgestellt werden, die der Beobachterproblematik einn zentralen Stellenwert einräumen. Hierbei wird zunächst zwischen frühen systemtheoretischen Konzepten (Kap. 3.2), radikal-konstruktivistischen Konzepten (Kap. 3.3) und Ansätzen der neueren (funktional-strukturellen) Systemtheorie (Kap. 3.4) unterschieden.16 Abschließend werden wir erörtern, wie sich auf der Basis dieser Konzepte eine Theorie der journalistischen Wirklichkeits- und Risikokonstruktion entwickeln läßt (Kap. 3.5).
Alexander Görke
4. Vorgehensweise, Ziel und Relevanz der Studie
Zusammenfassung
Die kommunikationswissenschaftliche Beschäftigung mit der Risikoproblematik interessiert sich bislang vor allem für die empirische Analyse riskanter (kritischer) (Einzel-)Ereignisse (vgl. Hilgartner/Bosk 1988: 55; Schanne/Meier 1992a; Dunwoody/Griffin 1994: 23).28 Diese Studien widmen sich mit anderen Worten vor allem der Fragestellung, wie die Medien bzw. die Journalisten über (groß-)technologische Risiken berichten, die sich in Unfällen bzw. Katastrophen wie Bhopal, Seveso, Harrisburg oder Tschernobyl manifestieren. Vergleichsweise schwach ausgeprägt ist dagegen das Interesse an einem integrierenden theoretischen Bezugsrahmen (vgl. Hansen 1991: 454).
Alexander Görke

Perspektiven und Probleme der Risiko-Journalismusforschung

Frontmatter
1. Risiko-objektivistische Ansätze
Zusammenfassung
Nachdem im ersten Teil dieser Untersuchung grundsätzliche Perspektiven der allgemeinen Risiko- und Kommunikationsforschung erörtert wurden und wir hierbei die Beobachterproblematik als zentrales Bezugsproblem kennengelernt haben, soll dieser Befund im nun folgenden Teil der Untersuchung für eine Sekundäranalyse der kommunikationswissenschaftlichen Risikoforschung nutzbar gemacht werden. Als Differenzkriterium fungiert hierbei das den kommunikationswissenschaftlichen Studien zugrundeliegende Wirklichkeitsverständnis. Dementsprechend wird zwischen einer risikoobjektivistischen (vgl. Kap. 1) und einer risiko-konstruktivistischen Tradition (vgl. Kap. 2) innerhalb der kommunikationswissenschaftlichen Risikoforschung unterschieden.
Alexander Görke
2. Risiko-konstruktivistische Ansätze
Zusammenfassung
Im folgenden Kapitel sollen die Beiträge der risiko-konstruktivistischen Kommunikationsforschung dargestellt werden. Hierzu zählen Studien, die erkennen lassen, daß Aussagen über die Risikowirklichkeit nur von einem Beobachter getroffen werden können. Oft geschieht dies in expliziter Abgrenzung zu den Positionen und Befunden der risiko-objektivistischen Forschung (vgl. Kap. I). Fehlende Würdigung (originär) journalistischer Selektionsmechanismen und Mißachtung des aktiven Publikums sind die beiden Hauptkritikpunkte an der risiko-objektivistischen Forschung. Systemtheoretische und konstruktivistische Beiträge zur kommunikationswissenschaftlichen Risikokoforschung versuchen, diese Leerstellen zu füllen.
Alexander Görke

Öffentlichkeit als Funktionssystem der Gesellschaft

Frontmatter
1. Risiko(-)Journalismus und Systemperspektive
Zusammenfassung
Eine systemtheoretisch fundierte Perspektivierung des Risiko(-)Journalismus muß auf bestimmte zentrale Theorieelemente zurückgreifen, die nicht umstandslos vorauszusetzen sind. Diese Elemente sollen kurz vorgestellt, erläutert und wenn nötig mit kommunikationswissenschaftlichen Erfordernissen sowie der laufenden Fachdiskussion abgeglichen werden (Kap. 2). Nachdem der Theorierahmen abgesteckt worden ist, werden wir uns mit denjenigen Theorieentwürfen beschäftigen, die Massenmedien/Journalismus/Publizistik/Massenkommunikation als Funktionsysteme der Gesellschaft bezeichnen. Dies schließt radikal konstruktivistische Perspektivierungen der Medien mit ein (Kap. 3). Vor dem Hintergrund der dort getroffenen Beobachtungen wird argumentiert, daß die Publizistik und Kommunikationswissenschaft um eine Revision eingeführter Begrifflichkeiten nicht umhin kommt. Unsere These ist, daß man hierbei mit den Termini Interaktion, Massenkommunikation, Verbreitungsmedien und Massenmedien beginnen sollte (Kap. 4), bevor geklärt werden kann, durch welche Funktion ein wie auch immer zu bezeichnendes Funktionssystem gesellschaftsfähig wird (Kap. 5). Im Anschluß daran wird Öffentlichkeit als Funktionssystem und Journalismus als Leistungssystem modelliert (Kap. 6) und sondiert, welche Erkenntnisgewinne sich durch eine solche Perspektivierung für eine Theorie des Risiko()Journalismus erzielen lassen (Kap. 7).
Alexander Görke
2. Theoretischer Bezugsrahmen
Zusammenfassung
Nachvollziehbar dürfte sein, daß ein Theorieentwurf zum Risiko Journalismus in der Gesellschaft nicht die Gesamtheit aller Theorieelemente benötigt, welche die funktional-strukturelle Systemtheorie zur Verfügung stellt. Es muß eine problemadäquate Auswahl getroffen werden. Im folgenden beschäftigt uns daher zunächst die System-Umwelt-Differenz (Kap. 2.1) und die Unterscheidung von Kommunikation und Bewußtsein (Kap. 2.2). Sinn als basale Bedingung der Möglichkeit jedweden Kommunizierens und Denkens darf hierbei genausowenig ausgespart werden (Kap. 2.3) wie die den systemtheoretisch-konstruktivistischen Dauerdisput bedingende Unterscheidung von Handlung und Kommunikation (Kap. 2.4). Die evolutionäre Ausdifferenzierung von Systemen (Kap. 2.5) und speziell die funktionale Differenzierung der modernen Gesellschaft (Kap. 2.6) beschließen dieses Kapitel.1 Der Zusammenhang von Systembildung, Komplexität, Selektionszwang, Kontingenz und Risiko wird sich hierbei wie ein roter Faden durch die Argumentation ziehen.
Alexander Görke
3. Massenmedien/Journalismus/Publizistik als Funktionssystem?
Zusammenfassung
Die Begriffe Massenmedien, Massenkommunikation, Journalismus, Öffentlichkeit und Publizistik beschreiben höchst differente Phänomenbereiche. Journalismus und Publizistik bedienen sich der Massenmedien, um ihre Publika zu erreichen. Aber nicht jede Publizistik ist journalistische Publizistik. Auch läßt sich fragen: Muß öffentliche Kommunikation zwingend publiziert werden, um als solche erkennbar zu sein und welcher Stellenwert käme dann dem Akt des Publizierens zu? Der Diskurs über diese und andere Fragen steht erst am Anfang (vgl. Weischenberg 1995a: 106 ff.; Görke/Kohring 1996; Rühl 1996; Görke/Kohring 1997). Möglichkeiten und Limitationen der aktuellen Theoriediskussion kulminieren offenbar insofern, als mit jedem (neuen) Theorieentwurf eine eigene System-Umwelt-Differenz behauptet wird, die mit derjenigen anderer Entwürfe nicht oder nur teilweise deckungsgleich ist: Betrachtet man Journalismus als Funktionssystem, dann findet Werbung (Public Relations) in der Umwelt des Systems statt und ist gleichzeitig codierte Kommunikation im System der Publizistik bzw. im System der Massenmedien. Mit einem Funktionssystem Publizistik teilt das Journalismussystem jenen Systembereich, der sich als journalistische Kornmunikation (z.B. Nachrichtenjournalismus) fassen läßt.
Alexander Görke
4. Medientechnik-Theorie oder Medien-Theorie?
Zusammenfassung
Über Theorieentwürfe hinweg, ja, selbst über die Unterschiede zwischen Systemtheorie und Konstruktivismus hinweg werden bislang technologische Verbreitungsmedien mal mit Massenmedien, mal mit Publizistik und mal mit dem Massenmediensystem gleichgesetzt. Umgekehrt kann man systemtheoretisch von technischen Verbreitungsmedien sprechen und begegnet wieder einem Konglomerat von Presse, Fernsehen, Hörfunk, elektronischen Medien, Internet etc.. Wie im vorangegangenen Kapitel gezeigt wurde, führt dies in jedem Fall dazu, daß die Grenzen des Systems verschwimmen und die Beobachtung (als Handhabung von Unterscheidungen) eigentümlich erstarrt. Letztendlich scheinen wir gezwungen, mit eingeführten Unterscheidungen zu operieren, die sich gleichsam von selbst aufzwingen. Resultat und gleichzeitig Teil des Problems dieser (tradierten) Problemlage ist die Unschärfe des Medienbegriffs (nicht nur) in der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (vgl. Jokisch 1997).57
Alexander Görke
5. Funktion und Leistung
Zusammenfassung
Mit dem Begriff der Funktion kommt die Rede auf ein weiteres Theorieelement, das es zu identifizieren gilt, soll die Bezeichnung von Massenmedien/Publizistik/Journalismus als eigenständiges Funktionssystem gelingen. Wie schon bei der Unterscheidung von Code und Programm gesehen, ist auch der systemtheoretische Funktionsbegriff als Differenz angelegt: als Differenz von Funktion und Leistung(en). Mit Hilfe (der Einheit) der Differenz von Funktion und Leistung(en) lassen sich die vielfältigen Umweltbeziehungen beobachten und voneinander unterscheiden, die ein Funktionssystem unter der Bedingung operationaler Geschlossenheit ausbildet. Jedes Funktionssystem erbringt demnach exklusiv eine — und nur eine — Funktion für die Gesellschaft. Darüber hinaus kann jedes Funktionssystem die unterschiedlichsten Leistungen für einzelne gesellschaftliche Teilsysteme erbringen (vgl. Luhmann 1990a: 355).68
Alexander Görke
6. Wer hat Angst vor der Öffentlichkeit?
Zusammenfassung
Wie die bisherigen Ausführungen gezeigt haben, benutzen sämtliche Theorieentwürfe zu Massenmedien/Journalismus/Publizistik auf die eine oder andere Weise den Terminus Öffentlichkeit (öffentliche Kommunikation) als Verweisungshorizont (vgl. Rühl 1980; Blöbaum 1994; Marcinkowski 1993; Luhmann 1996a). Die Gründe hierfür sind vielschichtig. Entscheidend dürfte sein, daß dem Begriff der Öffentlichkeit eine ähnliche Komplexität zugetraut wird wie dem Kulturbegriff.83 Deshalb wird auf Öffentlichkeit verwiesen, aus demselben Grund wird sie theoriebautechnisch gemieden.
Alexander Görke
7. Die journalistische Beobachtung von Risiken
Zusammenfassung
Auf der Basis der vorliegenden Journalismus-Konzeption, die zweifelsohne die makrostrukturellen Aspekte betont, soll im folgenden ausgelotet werden, welche Konsequenzen sich für eine mögliche Risikojournalismus-Theorie ergeben. Hierbei geht es zunächst um die Frage, unter welchen Bedingungen die Entwicklung einer eigenständigen Risikojournalismus-Theorie aussichtsreich und gewinnbringend sein kann (Kap. 7.1). Ausgehend von unseren journalismustheoretischen Überlegungen beschreiben wir dann die Attraktivität fremder Risikokommunikationen vor dem Hintergrund der Funktion des Risikojournalismus (Kap. 7.2). Abschließend beschäftigen wir uns mit der Frage, was vom Risiko(-)Journalismus der Gesellschaft erwartet werden kann und was nicht (Kap. 7.3).
Alexander Görke
Backmatter
Metadaten
Titel
Risikojournalismus und Risikogesellschaft
verfasst von
Alexander Görke
Copyright-Jahr
1999
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-322-95613-2
Print ISBN
978-3-531-13204-4
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-322-95613-2