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2012 | OriginalPaper | Buchkapitel

Souveräne Teilhabe unter Unsicherheit und Halbwissen: Politisches Wissen und politische Partizipation

verfasst von : Bettina Westle

Erschienen in: Die verstimmte Demokratie

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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Zusammenfassung

Darf solch ein Titel überhaupt sein? Er weckt womöglich sogleich die Assoziation von Beschimpfung der Bürgerinnen und Bürger als politisch ignorant und begibt sich damit in gefährliche Nähe zu antidemokratischer, elitärer Hybris. Vielmehr ist Demokratie doch nach modernem Verständnis gerade dadurch gekennzeichnet, dass jedem Mitglied der politischen Gemeinschaft dasselbe Recht auf politische Beteiligung zukommt – und zwar unabhängig von differenzierenden Zusatzkriterien. Dies ist in Deutschland auch verfassungsrechtlich niedergelegt, wenn es in Art. 20 GG heißt, die Staatsgewalt geht vom Volk aus und wird in Wahlen und Abstimmungen ausgeübt, wenn in Art. 33 GG explizit betont wird, dass alle Deutschen die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten haben und in Art. 38 die Wahlen als allgemeine und gleiche definiert werden.

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Fußnoten
1
Z. B. Schumpeter, Josef A. (1942/1975): Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie. München; Sartori, Giovanni (2006): Demokratietheorie. Darmstadt.
 
2
Vgl. z. B. Pateman, Carol (1970): Participation and Democratic Theory. Cambridge; Barber, Benjamin (1984): Strong Democracy: Participatory Politics for A New Age. Berkeley; Fishkin, James S. (1991): The Voice of the People. New Haven; Habermas, Jürgen (1992): Drei normative Modelle der Demokratie: Zum Begriff deliberativer Politik. In: Münkler, Herfried (Hg.): Die Chancen der Freiheit. Grundprobleme der Demokratie. München/Zürich, S. 11 – 24; Dalton, Russel J. (2008): Citizenship Norms and the Expansion of Political Participation. In: Political Studies, Vol. 56, S. 76 – 98. Zum Aspekt des Kreislaufs bzw. der Partizipation als Einflussvariable auf Wissen besonders: Warren, Michael (1993): Can Participatory Democracy Produce Better Selves? Psychological Dimensions of Habermas’ Discursive Model of Democracy. In: Political Psychology, Vol. 14, S. 209 – 234.
 
3
Z. B. Dahl, Robert A. (1971): Polyarchy. Participation and opposition. New Haven/London; Schudson, Michael (1998): The Good Citizen. A History of American Civic Life. New York; Heater, Derek B. (2004): Citizenship: The Civic Ideal in World History, Politics and Education. Manchester; Strömbäck, Jesper (2005): In Search of a Standard. Four models of democracy and their normative implications for journalism. In: Journalism Studies, Vol. 6, S. 331 – 345; Denters, Bas/ Gabriel, Oscar/Torcal, Mariano (2007): Norms of Good Citizenship. In: Van Deth, Jan W./Montero J. Ramón/Westholm, Anders (Eds.): Citizenship and Involvement in Europe. London, S. 88 – 108.
 
4
Z. B. Graber, Doris A. (1994): Why Voters fail Information Tests: Can the hurdles be overcome? In: Political Communication, Vol. 11, S. 331 – 346; Gerhards, Jürgen (1997): Diskursive versus liberale Öffentlichkeit. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Jg.49, H.1, S. 1 – 34; Norris, Pippa (2000): A Virtuous Circle, Political Communications in Postindustrial Societies. Cambridge; Schulz, Winfried (2009): Superbürger und Chronisch Unwissende in der neuen Medienumwelt. Beziehungen zwischen politischer Mobilisierung und Informationsverhalten bei der Bundestagswahl 2005. In: Holtz-Bacha, Christina/Reus, Gunter/Becker, Lee Bo (Hg.): Wissenschaft mit Wirkung. Wiesbaden, S. 161 – 180.
 
5
Hoffmann-Lange, Ursula (2000): Bildungsexpansion, politisches Interesse und politisches Engagement in den alten Bundesländern. In: Niedermayer, Oskar/Westle, Bettina (Hg.): Demokratie und Partizipation. Opladen, S. 46 – 64.
 
6
Die hohen Anteile falscher Antworten bei dieser Frage sind vermutlich nicht auf Raten/soziale Wünschbarkeit zurückzuführen, denn bei anderen Wissensfragen wie bspw. zur EU geben die Befragten in deutlich höherem Ausmaß an, die Antwort nicht zu kennen, zeigen also keine generelle Tendenz zu substanziellen Antworten.
 
7
Ferner zeigt diese Frage auch starke Unterschiede in den Anteilen der „weiß nicht“ Antworten sowie der falschen Antworten (Erststimme oder beide gleich), die kaum inhaltlich bedingt sein können, sondern an unterschiedlicher Interviewführung liegen dürften.
 
8
Vetter, Angelika/Maier, Jürgen (2005): Mittendrin statt nur dabei? Politisches Wissen, politisches Interesse und politisches Kompetenzgefühl in Deutschland, 1994 – 2002. In: Gabriel, Oscar W./ Falter, Jürgen W./Rattinger, Hans (Hg.): Wächst zusammen, was zusammen gehört? Stabilität und Wandel politischer Einstellungen im wiedervereinigten Deutschland. Baden-Baden, S. 51 – 90.
 
9
Zum Stand der Forschung zu politischem Wissen sowie zu Problembereichen der empirischen Erfassung vgl. z. B. Maier, Jürgen (2009): Was die Bürger über Politik (nicht) wissen – und was die Massenmedien damit zu tun haben – ein Forschungsüberblick. In: Pfetsch, Barbara/Marcinkowski, Frank (Hg.): Politik in der Mediendemokratie (PVS Sonderheft). Wiesbaden, S. 393 – 414.
 
10
Es handelt sich dabei um die von GESIS in zweijährigem Abstand mündlich durchgeführte die „Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften“ ergänzt durch die schriftliche Befragung des „International Social Science Programme“; hier konnten im Rahmen eines „Call for Modules“ von Rüdiger Schmitt-Beck und der Autorin die Fragen zu politischem Wissen eingebracht werden.
 
11
Sowohl bei dem Quiz als auch bei den Politikerzuordnungen handelt es sich um reine Faktenfragen. Für das Links-Rechts-Spektrum gilt zwar, dass in der Politikwissenschaft eine eindeutige Ordnung dieser Parteien üblich ist. Jedoch können sich Parteipositionen innerhalb dieses Spektrums durchaus verschieben und je nachdem, ob Befragte z. B. eher auf die Position der Parteien in ökonomischen oder aber in gesellschaftlichen Fragen achten, kann eine eindeutige Klassifikation als richtig oder falsch ggf. in Grauzonen geraten. Dies betrifft vor allem die FDP (gesellschaftlich eher links, ökonomisch eher rechts), aber auch die Grünen im Verhältnis zur SPD (gesellschaftlich weiter links als die SPD, ökonomisch weiter rechts); aus Platzgründen kann hier jedoch nicht weiter auf diese Problematik eingegangen werden und die Parteieinordnungen werden daher wie Faktenfragen behandelt.
 
12
Einige Beispiele zum sog. tieferen Verständnis sollen dies illustrieren: Wenn bspw. kein Faktenwissen zu Aufgaben von Bundestag und Bundesrat vorhanden ist, kann das Zusammenspiel dieser beiden Institutionen bei der Bundesgesetzgebung nicht verstanden werden. Wenn aktuelle Mehrheitsverhältnisse wie bspw. andere Mehrheiten im Bundesrat als im Bundestag nicht bekannt sind, kann Blockadepolitik nicht verstanden werden und auch das eigene Wahlverhalten bei Landtagswahlen wird ggf. nicht mit Bundespolitik in Verbindung gebracht. Zu Heuristiken: Wenn bspw. nicht bekannt ist, welche Organisationen die Interessen von Arbeitnehmern vertreten, können sich Bürger/innen nicht an Wahlhinweisen der für sie einschlägigen Gewerkschaft orientieren (die Heuristik ist für sie wertlos). Wenn einer Partei eine bestimmte Programmatik fälschlich zugeschrieben wird, kann die Orientierung an dieser Partei dazu führen, dass Bürgerinnen und Bürger entgegen ihren eigenen Interessen wählen (die Heuristik ist irreführend).
 
13
Vgl. z. B. Westle, Bettina/Johan, David (2010): Das Wissen der Europäerinnen über die Europäische Union. In: Faas, Thorsten/Arzheimer, Kai/Roßteutscher, Sigrid (Hg.): Information – Wahrnehmung – Emotion. Politische Psychologie in der Wahl- und Einstellungsforschung. Wiesbaden, S. 353 – 374.
 
14
Wird bspw. die NPD auf einer Position am weitesten links eingeordnet, ergeben sich „automatisch“ auch für alle anderen Parteien Fehlzuordnungen; würden die Grünen am weitesten links eingeordnet, ergibt sich zwangsläufig für die Linke eine fehlerhafte Zuordnung etc. Wird der Anspruch an richtige Antworten nicht so hoch gelegt, sieht die Verteilung wesentlich besser aus. So ordnen über 70 Prozent der Befragten die Linke auf den Skalenpunkten 1 und 2, also weit links, und die NPD auf den Skalenpunkten 9 und 10, also außen rechts, ein; die Grünen und die SPD werden von 42 bzw. 45 Prozent auf den moderat linken Skalenpunkten 3 und 4 gesehen und von weiteren 23 bzw. 29 Prozent auf den mittleren Skalenpunkten 5 und 6; die FDP wird mit 48 Prozent am häufigsten in der Mitte (5,6) verortet und die CDU sowie CSU von 40 Prozent moderat rechts auf den Skalenpunkten 7 und 8 sowie von weiteren 32 bzw. 20 Prozent in der Mitte (Skalenpunkte 5 und 6).
 
15
In einer explorativen Faktorenanalyse mit allen Wissensfragen ergeben sich sechs Faktoren. Der erste Faktor wird von allen Items der Politikerzuordnungen gebildet (mit Fremdladungen bei Zypries und Jung auf anderen Faktoren). Die Links-Rechts-Zuordnungen der Parteien bilden drei weitere Faktoren (NPD und Linke auf einem gemeinsamen Faktor, CDU, CSU und FDP auf einem Faktor und SPD und Grüne auf einem weiteren Faktor). Die Quizfragen bilden schließlich die restlichen beiden Faktoren, wobei die Itemzuordnung nicht inhaltlich, sondern durch den unterschiedlichen Kenntnisstand bedingt ist. Bildet man jeweils Zählindizes der richtigen Antworten und korreliert diese untereinander, so zeigt sich dass die Politikerzuordnungen mit Pearson’s r = .69 am engsten mit dem Quiz zusammenhängen, während sie mit den Links-Rechts- Verortungen der Parteien einen Korrelationswert von .43 aufweisen, und zwischen den Quizfragen und den Parteiverortungen eine Korrelation von .45 besteht (alle signifikant auf dem Niveau von p = −.001).
 
16
Die Reliabilität über Skalen der richtigen Antworten ist bei den Quizfragen mit alpha = .57 am schwächsten, während die Parteieinstufungen alpha .75 und die Politikerzuordnungen alpha .77 erreichen. Die nachfolgend weiter verwendete Skalierung über alle Items erreicht einen guten Reliabilitätswert von alpha = .80. Aus Platzgründen muss hier auf die Differenzierung von falschen Antworten und dem Offenlegen von Unkenntnis (weiß nicht Antworten) verzichtet werden, obwohl davon ausgegangen wird, dass es für politische Einstellungen und politisches Handeln einen Unterschied ausmacht, ob Bürger/innen von falschen Vorstellungen ausgehen oder aber sich ihrer Unkenntnis bewusst sind; vgl. dazu auch Westle, Bettina (2005): Politisches Wissen und Wahlen. In: Falter, Jürgen/Gabriel, Oscar W./Weßels, Bernhard (Hg.): Wahlen und Wähler. Analysen aus Anlass der Bundestagswahl 2002. Wiesbaden, S. 484 – 512 und Westle, Bettina (2009): Politisches Wissen als Grundlage der Entscheidung bei der Bundestagswahl 2005. In: Kühnel, Steffen/ Niedermayer, Oskar/Westle, Bettina (Hg.): Wähler in Deutschland. Sozialer und politischer Wandel, Gender und Wahlverhalten. Wiesbaden, S. 366 – 398.
 
17
Bei entsprechenden Indizes für die falschen und die weiß nicht Antworten liegen die Mittelwerte bei 6.11 und 6.05. Umfassende Fehlinformation ist nur selten (knapp vier Prozent geben auf mehr als 12 der 24 Fragen falsche Antworten), aber immerhin knapp 40 Prozent beantworten 7 bis 12 Fragen falsch (die restlichen 55 haben nur 0 bis 6 falsche Vorstellungen). Je rund ein Sechstel gibt bei über 12 Fragen bzw. 7 bis 12 Fragen keine substanzielle Antwort und 65 Prozent äußert bei nur 0 bis 6 Fragen Unkenntnis.
 
18
Eine ebenso starke Korrelation besteht zwischen politischem Wissen und der internalen politischen Effektivität, die jedoch wegen der großen konzeptuellen Nähe zwischen objektivem Wissen und subjektivem Kompetenzgefühl hier nicht in die Ursachenanalyse mit aufgenommen wird, sondern eher als Begleitmerkmal verstanden wird.
 
19
Das Zusammenhangsmaß Pearson’s r beträgt .42**; wobei .00 einen fehlenden Zusammenhang und 1 einen perfekten Zusammenhang (bzw. Identität) anzeigen würde.
 
20
Vgl. z. B. Westle, Bettina (2006): Politisches Interesse, subjektive politische Kompetenz und politisches Wissen – Eine Fallstudie mit Jugendlichen im Nürnberger Raum. In: Roller, Edeltraud/ Brettschneider, Frank/van Deth, Jan W. (Hg.): Jugend und Politik: „Voll normal !“ Der Beitrag der politischen Soziologie zur Jugendforschung. Wiesbaden, S. 209 – 240.
 
21
Dekker, Henk/Margreet, Nuus (2007): Political knowledge and Its Origins, including Cognitive Ability, Political Motivations, Political Cynism, Political Education and Political and Civic Participation. In: GPJE (Hg.): Wirkungsforschung zur politischen Bildung im europäischen Vergleich. Schwalbach/Ts., S. 27 – 44.
 
22
Vgl. Weinberg, Johannes (2006): Standards in der Theorieklärung und empirischen Forschung der Politischen Erwachsenenbildung. In: GPJE (Hg.): Standards der Theoriebildung und empirischen Forschung in der politischen Bildung. Schwalbach/Ts., S. 41 – 52.
 
23
Vgl. zu jüngeren Entwicklungen Weißeno, Georg (2005): Standards für die politische Bildung. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 12, S. 32 – 38.
 
Metadaten
Titel
Souveräne Teilhabe unter Unsicherheit und Halbwissen: Politisches Wissen und politische Partizipation
verfasst von
Bettina Westle
Copyright-Jahr
2012
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-531-19035-8_4