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2010 | Buch

Alternative Weltordnungsmodelle?

IB-Diskurse in China

verfasst von: Nele Noesselt

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Einleitung

Einleitung
Zusammenfassung
Die Jahre 1989 / 1991 markieren eine Zäsur in der politischen und politikwissenschaftlichen Weltbetrachtung, die mit den Ansätzen „end of history“ (Fukuyama) vs. „return of history“ (Kagan) nur unzureichend beschrieben wäre. Zwar bedeutete die Auflösung der Sowjetunion zugleich das Ende der bipolaren Blockkonfrontation auf internationaler Ebene, die anfängliche Annahme aber, dass der Kapitalismus in Verbindung mit demokratisch verfassten Systemstrukturen unweigerlich zu einem grundlegenden und universellen Orientierungsmodell avancieren würde, ist mittlerweile doch etwas relativiert worden. Die mit Blick auf die Ereignisse von 1989 / 1991 konzipierte Demokratisierungs- und Transformationstheorie richtet ihren Fokus auf den Niedergang sozialistischer Systemstrukturen. Staaten-Akteure wie die VR China hingegen, die eine Transformation ihres politischen Systems nach dem westlichen Muster zurückweisen, schreiben dieser Zäsur eine hiervon abweichende Bedeutung zu, indem sie anstelle einer Transformation auf nationaler und subsystemischer Ebene die Möglichkeit einer Neuordnung der aus den Zeiten des Kalten Krieges datierenden Strukturen und Regelwerke des internationalen Systems thematisieren.
Nele Noesselt

Vorbetrachtungen

I. Theorie-Dilemma
Zusammenfassung
Die Analyse der chinesischen Außenpolitik und der Rolle Chinas in der internationalen Politik ist angesichts der gegenwärtigen Entwicklungen, die unter dem Begriff des ökonomischen und politischen „Aufstiegs“ der VR China subsumiert werden, zu einem zentralen Forschungsgebiet der internationalen Politikwissenschaft avanciert. Dass der Ausgangspunkt und auch das Zentrum dieser politikwissenschaftlichen Forschung in den USA liegen, ist dabei wenig erstaunlich. Denn Kern und zugleich Angelpunkt dieser Chinabetrachtungen ist die Annahme, dass ein aufsteigendes China sich zu einer revisionistischen Macht entwickeln wird, welche die Machtposition und Vorherrschaft der USA regional, d.h. in Ostasien, aber auch global in Frage stellt. Dieses Szenario, das in der Tradition neorealistischer Denkmodelle steht, geht von der Unvermeidbarkeit eines militärischen Konflikts zwischen den USA und der VR China aus, da ein friedlicher Wandel des internationalen Systems nicht vorstellbar ist.
Nele Noesselt

Feldstrukturen

II. Bestandsaufnahme des Feldes
Zusammenfassung
Um eine Aussage über den gegenwärtigen Stand der IB-Forschung in China treffen zu können, ist es zunächst erforderlich, die historische Entwicklung der Disziplin nachzuzeichnen und den Zwischenstand festzuhalten. Aus den chronologischen Betrachtungen allein jedoch lässt sich noch nicht die Frage beantworten, inwiefern mit der chinesischen IB-Forschung nun eine eigenständige wissenschaftliche Disziplin vorliegt. Hierzu muss weiterführend der Grad der formellen und informellen Institutionalisierung der Disziplin beleuchtet werden. Um schließlich eine Aussage über die Autonomie des Forschungsfeldes – die von chinesischen Wissenschaftlern immer wieder als notwendige Voraussetzung für die internationale Anerkennung der „chinesischen“ Forschung angeführt wird – treffen zu können, muss zudem auch die Entwicklung der politikwissenschaftlichen Theoriesuche in Abhängigkeit von den Beschlüssen des ZK untersucht werden.
Nele Noesselt

Theoriebausteine: Zwischen Ontologie und Epistemologie

Frontmatter
III. Systemstrukturen
Zusammenfassung
Die chinesische Diskussion zu Natur, Beschaffenheit und grundlegenden Charakteristika des internationalen Systems setzt sich aus drei Themensträngen zusammen, welche oftmals so dicht miteinander verwoben sind, dass eine konsequente Trennung und Entflechtung der Argumentationsstränge nur bedingt möglich ist. Denn die chinesische Theoriebildung beschränkt sich nicht auf die Interaktionsmatrix der bi- und multilateralen Beziehungen, sondern schließt zugleich auch Konzeptionen einer übergeordneten Weltordnung oder mitunter auch Weltstruktur mit ein. Zudem sind mit Blick auf die voranschreitende Globalisierung auch Konzepte einer globalen Weltstruktur erneut thematisiert worden, welche die bestehenden nationalen Grenzen und somit auch die internationalen Beziehungen überschreiten und letztendlich ablösen würde (vergl. auch 6.4.). Es ist anzunehmen, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen der Konzeption dieser Systemstrukturen, der chinesischen Perzeption der internationalen Konstellationen sowie den außenpolitischen Zielsetzungen der VR China besteht.
Nele Noesselt
IV. Ordnungsprinzip: Harmonie
Zusammenfassung
Auf dem 6. Plenum des 16. ZK der KPCh, das vom 8. bis 11. Oktober 2006 in Peking stattfand, wurde eine Resolution zu „Zentralen Fragen beim Aufbau einer harmonischen Gesellschaft“ verabschiedet, welche zentrale governance-Aspekte auf theoretischer Ebene behandelt (Jueding 11-10-2006). Die „harmonische Gesellschaft“ (hexie shehui) entspricht einer chinesischen Version von good governance, wobei die Partikularität des Theoriekonzepts dadurch zum Ausdruck gebracht wird, dass von einer dezidiert „sozialistischen harmonischen Gesellschaft“ die Rede ist, welche, so die offiziöse Darstellung, durchaus in der Tradition des Marxismus-Leninismus, der Mao-Zedong-Ideen und der Theorien Deng Xiaopings stehe.
Nele Noesselt
V. Krieg und Frieden
Zusammenfassung
Die antagonistischen und doch zugleich komplementären Begriffskonzepte Krieg und Frieden gelten gemeinhin als Ausgangspunkt der philosophischen und theoretischen Betrachtungen zu den internationalen Beziehungen. Nicht zuletzt bedingt durch die Erfahrung zweier Weltkriege widmet sich die politikwissenschaftliche Theoriebildung der Frage, unter welchen Voraussetzungen Kooperation und Frieden im internationalen System erzielt und Kriege verhindert werden können.
Nele Noesselt
VI. Akteursebene
Zusammenfassung
Auf den ersten Blick scheint die Akteursbestimmung im Rahmen der chinesischen IB-Forschung eher nachrangig behandelt zu werden. Die Verfasstheit der anderen Staatenakteure steht nicht zur Diskussion, sie wird als gegeben angenommen. Die systematische Analyse der Binnendifferenzierung der Akteure obliegt den auf einzelne Länder oder Regionen spezialisierten Instituten und fällt nicht in den Bereich der IB-Theorie. Hieraus folgt, dass die Systemstrukturen der anderen Staaten-Akteure aus chinesischer Sicht – im Sinne des Prinzips der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten – weder kritisiert noch im Rahmen der Theoriebildung normativ ausgerichtet werden sollen. Dies steht durchaus im Einklang mit den von chinesischer Seite angeführten Grundkonzepten der „friedlichen Koexistenz“ und der „gemeinsamen Entwicklung“. Im Unterschied hierzu wird mit Blick auf die VR China von den anderen Staaten- Akteuren mehr oder weniger explizit die Forderung nach einem Systemwandel formuliert, wodurch erneut sichtbar wird, dass die internationalen Konstellationen in Theorie und Praxis asymmetrisch angelegt sind.
Nele Noesselt

Wirkungszusammenhänge und Hintergründe

VII. Wirkungsebenen der chinesischen IB-Theoriesuche
Zusammenfassung
Um die verwobenen und für einen außenstehenden Betrachter oftmals kodiert erscheinenden Argumentationsketten und Perzeptionen der chinesischen Theoriedebatten aufzuschlüsseln, ist es angebracht, die Funktionen und Inhalte der chinesischen Theoriesuche auf ihren verschiedenen Wirkungsebenen zu betrachten.
Nele Noesselt
VIII. Schlussbetrachtungen
Zusammenfassung
Solange die chinesische Theoriesuche als Thema innerchinesischer Diskussionskreise gesehen werden kann, wenn sich auch hieraus noch keine abstrakten Theoriemodelle entwickelt haben, könnte es nahe liegen, diese in den westlichen Chinabetrachtungen lediglich als Variation innenpolitischer Kampagnen und Mobilisierungsmaßnahmen anzusehen. Wenn aber, wie die genannten Beispiele des „Friedlichen Aufstiegs“ und der „Harmonischen Welt“ illustrieren, die Debatte bereits, wenn auch weitgehend unbemerkt, in die globalen Diskurse eingebracht wurde und diese Konzepte auch Eingang in bi- und multilaterale Abkommen der VR China gefunden haben, ergeben sich hieraus möglicherweise auch Implikationen und Anstöße für eine theoriegestützte Neuausrichtung der „westlichen“ Chinaforschung. Dabei müssen vorhandene Analyseansätze überdacht und wohlmöglich modifiziert werden, wobei jedoch zu vermeiden ist, dass im Zuge der kritischen Überprüfung lediglich die etablierten Prämissen durch „chinesische“ Modelle ausgetauscht werden.
Nele Noesselt
Backmatter
Metadaten
Titel
Alternative Weltordnungsmodelle?
verfasst von
Nele Noesselt
Copyright-Jahr
2010
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-531-92329-1
Print ISBN
978-3-531-17328-3
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-531-92329-1