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2020 | OriginalPaper | Buchkapitel

4. Exzentrisch positionierte Wesen

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Zusammenfassung

In dem obigen Kapitel zu ZPW haben wir die Mindestbedingungen beschrieben, die in der Plessnerschen Konzeption von Lebendigkeit vorherrschen müssen, um als ein Lebewesen zu erscheinen, welches selbstbezogen und in Differenz zu einer Selbst-Umfeld-Relation agiert. Dabei haben wir herausgearbeitet, dass zentrisch positionierte Wesen dazu fähig sind, sich adaptiv praktisch und aktuell auf das Feld bezogen zu verhalten und auf jener Ebene momenthaft, mit weiteren ZPW, ein rudimentär soziales, da mitfeldliches, Berührungsgefüge einzugehen. Als Maßstäbe für die sozial-kognitiven Kapazitäten der ZPW gelten dabei 1.) der Zeichengebrauch der ZPW, welcher auf Signale und deiktisch-kontextuell gebundene Zeichen begrenzt ist, sowie 2.) die Reichweite der Fertigkeit zur Perspektivübernahme und das In-Beziehung-zu-anderen-Wesen-Setzen der ZPW, welche beide im Einklang mit der Reichweite der kontextuell-situativen Welterfassung von ZPW stehen.

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Fußnoten
1
Leiblichkeit wird von Lindemann im Sinne von Schmitz vertreten (1965). Dieser Auffassung wollen wir implizit folgen, wollen auf den Leibbegriff hier allerdings aus Platzgründen nicht weiter vertieft eingehen.
 
2
Auf diese Reflexionsebene der eigenen sowie fremden Aktionen bezieht sich Lindemann im weiteren Verlauf als inhärente objektivierende Drittenposition.
 
3
Plessner charakterisiert Menschen als genuine Wesen mit exzentrischem Positionalitätscharakter, seine Ausführungen zur Exklusivität von EPW gegenüber anderen Lebewesen, als in eine soziale Welt „hineingeboren“, zeigt sich mitunter in der folgenden Passage: „In einem Mitverhältnis, d. h. in einer der nackten Gegenüberbeziehung (die überhaupt nur ein dem Menschen, der Sinn für Gegenständlichkeit hat, vorstellbarer Grenzfall ist) nicht vergleichbaren Relation des Mitgehens, des Nebeneinanders und Miteinanders steht alles Lebendige aus Gründen seiner Lebendigkeit. (…) Vor allem beherrscht das Mitverhältnis die Beziehung des Lebewesens zu seiner Umwelt, einerlei, ob an ihrer Bildung tote oder belebte Dinge beteiligt sind. Ein echtes Gegenverhältnis (…) kennt nur der Mensch. Und auch seine Welt ist notwendig getragen von Umweltcharakteren, wie in der Organisation seiner eigenen Existenz das Höhere und spezifisch menschliche vom tierischen getragen wird. Auch sie zeigt sich notgedrungen (…) als Milieu, als ungegliederte ‚Atmosphäre‘, als Fülle der Umstände, die den Menschen umgeben und tragen. Die tausend Dinge mit denen wir täglich zu tun haben, (…), sind nur der Möglichkeit nach Objekte, als Elemente des Umgangs mit ihnen aber Komponenten des Umfeldes, Glieder des Mitverhältnisses zu ihnen.“ (Plessner 1975: 308).
 
4
Die Leib-Mitwelt Relation kann auch als eine Form der „Zwischenleiblichkeit“ (bzw. „intercorporéité“) betrachtet werden, wie sie von Merleau-Ponty (1974) beschrieben wird.
 
5
Zu dem Themenfeld der Anschlusskommunikation als bedeutungsgenerierende Bedingung für EPW in Interaktion, siehe Abschnitt 4.7.
 
6
Weder Lindemann noch Plessner gehen auf die Relation von gemischten/interspezischen ZPW/EPW-Konstellationen ein.
 
7
Vgl. Gehlen (2004) und Berger/Luckmann (2003 [1980]) über Institutionen als Stützen der Kultur im Sinne einer „künstlichen Natur“.
 
8
Siehe auch Schütz zu „Wirbeziehung“ (1993 [1932]) bzw. Ansätze der „shared mind“ (Zlatev 2008) und „shared intentionality“ (Tomasello & Carpenter 2007).
 
9
Zu dem Verstehens- und Kommunikationsbegriff und zur Bedeutungsgenerierung siehe Abschnitt 4.6 f. Exemplarisch zu dem Problem vom Fremdverstehen von Ausdruckshandlungen siehe Scheler (1974).
 
10
Siehe hierzu das „anthropologische Quadrat“, worauf Menschenrechte basieren, die sich auf anerkannte Sozialpartner beziehen.
 
11
Gleichwohl Berger/Luckmann sich bei der Generierung von sozialen Realitäten auf den „sozialen Konstruktivismus“ beziehen und Lindemann diesem mit strukturierten „Weltordnungen“ entgegensteht, ist das Berger/Luckmannsche Objektivierungsprinzip zur Erörterung von Drittenpositionen hilfreich. Eine Weiterentwicklung des sozialen Konstruktivismus und die Verschiebung der Mittel zur Realitätsgenerierung von Wissensinhalten auf Kommunikation unternimmt der neuere Ansatz des „kommunikativen Konstruktivismus“ (vgl. hierzu Keller, Reichertz & Knoblauch 2013).
 
12
Innerhalb der „primären Sozialisation“ kann es mitunter zu inkonsistenten Weltauffassungen zwischen den Subjekten bzw. zu ideologischen Konstrukten von gesellschaftlicher Wirklichkeit kommen. Siehe hierzu auch Descolas vier kosmologische Weltauffassungen (2013).
 
13
Die Erfassung von subjektiver als auch objektiver Wirklichkeit verläuft über die Prozesse der Externalisation, Objektivation und Internalisierung, welche mitunter auch die Vorstellungen von Gesellschaft, Identität und Wirklichkeit prägen (vgl. Berger/Luckmann 2003 [1980]: 139 ff.). Als „Sinnweltstützen“ für Wirklichkeitskonstruktionen benennen Berger/Luckmann Wissenschaft, Theologien bzw. Mythologien.
 
14
Das Konzept des Tertius/Dritten umfasst die Vorstellung sowohl von signifikanten als auch von generalisierten Anderen als Bezugspunkt zur Bewertung anderer Wesen als potentiellen EPW.
 
15
Zur Rolle von Gesellschaft für das soziale Bewusstsein siehe auch Mead (2003) oder Vygotsky (1981).
 
16
So entspricht die einfache Antwort „Gut“ auf die alltägliche Frage nach der Befindlichkeit Alter Egos („Wie geht es Dir?“) der Erwartungshaltung (EEE) Egos. Abweichungen von der gesellschaftlich geprägten Erwartungshaltung auf Zustandsbekundungen liefert die Studie von Sacks (1975), in der ehrliche Zustandsbekundungen als Antwort auf Begrüßungsfloskeln analysiert und als Abweichungen von der EEE des Fragenden deutlich wurden.
 
17
Lindemann benennt die offene Mitweltstruktur als unbestimmte Relation gegenüber anderen EPWs, die sich durch a) raum-zeitliche Strukturen, b) leibliche Selbste und c) sachliche Inhalte in ein geordnetes Gefüge ableiten lässt. Zu näheren Bestimmungen und weiteren Ausführungen siehe Lindemann (2014: 100).
 
18
Siehe z. B. die animistische bzw. schamanistische Weltauffassung indigener Völker, die auch Geister/Ahnen/andere Realitätsebenen als gegeben ansehen (vgl. Descola 2013).
 
19
Für Lindemann bezeichnet die Reflexion der Beziehungsrelation von EPW aus der Perspektive Dritter eine operative Realisierung der exzentrischen Positionalität. „Wenn man diese Erweiterung vornimmt, lässt sich klarer verstehen, worin die Reflexivität der exzentrischen Positionalität besteht. Sie ist zu begreifen als Reflexion der Leib-Umwelt-Beziehung, in der der Sachverhalt vorkommt, dass leibliche Selbste die Berührungen anderer Selbste erleben. (…) Dies wird ermöglicht durch die Einführung des Dritten. Der Dritte ist zu verstehen im Sinne einer operativen Realisierung der reflexiven Struktur exzentrischer Positionalität. Bezogen auf die Berührungsbeziehung zwischen Ego und Alter heißt das, dass diese das Erleben der Berührung durch den anderen aus der Perspektive realer Dritter erleben.“ (Lindemann 2014: 201).
 
20
Die Bezugnahme auf Dritte sollte, als implizit mitklingendes Wissensrepertoire über gängige und sozialisierte Muster, jedoch nicht als primäre und über den aktuellen Akteuren stehende, Adressierungsinstanz dargestellt werden. Daher gehört die Ebene des Dritten/Tertius als Interpretationsstütze in den Bereich des (prä-reflexiven – möglicherweise habitualisierten) Wissens der Akteure – welches nicht frei von den Wissensstrukturen der Akteure, und schon gar nicht denen übergeordnet gedacht werden kann. Der Dritte bleibt als Wegbereiter zur Reflexion der Interaktion als soziales Geschehen bestehen – nicht jedoch als aktuelle Referenz jeglicher Interaktion. Dies bleibt in erster Linie das Metier der sich aufeinander beziehenden Akteure Ego und Alter Ego.
 
21
Dabei sollen soziomotorische Angebote den Erwerb spezifischer Kompetenzen beim Erwerb von Bewegungstechniken und die Entfaltung personaler und sozialer Handlungskompetenzen fördern. Zur ergotherapeutischen Gewichtung von Soziomotorik siehe Schmitz (2007).
 
22
Beavin Bavelas & Chovin (1997: 339) betonen das Zusammenspiel von simultan ablaufenden Gesichtsausdrücken („facial displays“) mit symbolischen Gesten sowie dem Kontext für die Generierung von Bedeutung.
 
23
Chovil (1997: 323) bezeichnet Kommunikation als einen „multichannel process“ von nonverbalen und verbalen Einheiten, die aufeinander abgestimmt, flexibel und adaptiv und miteinander ablaufen bzw. als „work in a concert“.
 
24
LaFrance (1982) spricht hier von „posture mirroring“. LaFrance führt die Spiegelung der Postur des Gegenübers darauf zurück, dass die Akteure miteinander einen gemeinsamen Standpunkt teilen bzw. auf derselben Wellenlänge sind: “When two people or more come together in an interaction, they need to establish a coordinated system of engagement. When an interaction is appropriately coordinated, the participants might describe the encounter as one in which they appear to be ‘on the same wavelenght’ or ‘in tune with’ one another. However, when coordination has not been achieved, these same participants might describe themselves as ‘not having gotten it together’ or ‘out of step’ with each other.” (LaFrance 1982: 280).
 
25
Siehe auch folgendes Zitat: “I do feel that interactional synchrony or entrainment, however is mediated, is occurring most of a time when a listener is listening to a speaker. As I stated earlier, I feel it is a basic reflection of the auditory perceptual process. I do not means that the body of the listener must move in isomorphic configurations with the articulatory structure of the speaker’s speech for hearing to take place. I see the synchronization of the listener’s body as a motoric reflection of the hearing process.” (Condon 1982: 72).
 
26
LaFrance betont die Signifikanz der temporalen Koordination: “These expressions suggest some important aspects of interpersonal accommodation. First, a significant feature is the sharing of a common orientation toward the encounter – a common definition of the situation. A second aspect is the need for temporal coordination. Temporal coordination is reflected, for example, in the predictable sequencing of actions such as the ‘one turn at a time’ nature of most conventional exchanges. Temporal coordination is also manifest in the actual co-occurrence of certain actions, such as the handshake.” (LaFrance 1982: 280).
 
27
In der Sozialrobotik wird eben jene Übersetzung von der Sensomotorik hin zur Soziomotorik im Bereich des Ingenieurswesens notwendig, wodurch sich die Komplexität der Adjustierung von Bewegungskomponenten in Echtzeitinteraktionsszenarien vervielfacht.
 
28
Bühler betont in seiner Arbeit, dass die Zeichenkomponente des Organonmodells sich sowohl auf verbale als auch auf nonverbale Ausdrücke beziehe.
 
29
Dies ist auch der Grund, weshalb wir nicht näher auf die Spitzfindigkeiten der Sprache eingehen wollen, die Bühler in seiner Sprachtheorie ausführlich erörtert.
 
30
Die folgenden Ausführungen könnten analog als „Organonmodell der Symbole“ betitelt werden.
 
31
Daher ergibt sich auch der Begriff des Organons von Zeichen, sprich des Werkzeugcharakters von Zeichen.
 
32
Die Ich-Jetzt-Hier-Origo als Bühlersches Origo-Modell zur Indikation eines aktuellen Bezugspunkts findet sich u. a. auch bei Peirce (1985) als „Indexicals“. Im deutschen Kontext wird von deiktischen Ausdrücken gesprochen. Um jene Origo mit der Möglichkeit allgemeiner Zeichenverwendung zu vereinbaren, können Zeichen für Bühler auch die Funktion von Signalen haben.
 
33
„Auch sie sind Symbole (nicht nur Signale); ein da und dort symbolisiert, es nennt einen Bereich, nennt den geometrischen Ort sozusagen, d. h. einen Bereich um den jeweils Sprechenden herum, in welchem das Gedeutete gefunden werden kann; genau so wie das Wort heute den Inbegriff aller Tage, an denen es genannt werden kann, faktisch nennt und das Wort ich alle möglichen Sender menschlicher Botschaften und das Wort du die Klasse aller Empfänger als solcher. Doch ein Unterschied dieser Namen von den übrigen Nennwörtern der Sprache bliebt trotzdem bestehen; er liegt darin beschlossen, daß sie ihre Bedeutungspräzisierung vom Fall zu Fall im Zeigfeld der Sprache erwarten, und dem, was das Zeigfeld den Sinne zu bieten vermag.“ (Bühler 1999: 90).
 
34
Von Hegel geprägter Begriff, der bedeutungstragende Leistungen des menschlichen Geistes benennt, welche sozial vermittelt werden. Hierzu zählen mitunter Wissenschaft, Religion, Künste und Sprache etc.
 
35
Zur Dichotomie Abbildung/Symbolik vergleiche Bühlers Aussage beim X. Psychologenkongress: „Wir brauchen zum Begriff Symbol einen Gegenbegriff, etwas, von dem er sich abheben kann, und verwenden den Namen ABBILDUNG dafür. [… ] Es gibt erscheinungstreue Abbildungen wie das Photogramm und relationstreue Abbildungen in den verschiedenen Abstufungen. Das eine Mal gehen die Zeichen mit ihren sinnlichen Qualitäten und Relationen in das Abbildungsgeschäft ein. (…) Das ist alles sehr einfachbegrifflich ins Reine zu bringen, und dann haben wir eine erschöpfende Disjunktion vor uns: Abbildung – Symbolik. Alle darstellenden Zeichen symbolisieren oder bilden ab: tertium non datur.“ (Bühler 1928: 406 f.).
 
36
Symbole sind nicht nur zwangsläufig an gesellschaftlich-historische Bedeutung gebunden, sondern können vermittels ihres arbiträren Charakters, ihrer situativen Ausrichtung und variierenden Akteurskonstellationen, mehrere Bedeutungen (Polysemantik) haben. So können auch divergente symbolische Zeichen ein und dieselbe Bedeutung haben. Die Bedeutung wird also vom Begriff abgelöst/entkoppelt. Auch bei Bühler findet sich der Ansatz, dass die Bedeutung von Sprache in Folge von Kommunikation erfasst werden muss und dass Wortbedeutungen im Gesamtgefüge eines Satzes, des übergeordneten kontextuellen Anlasses sowie ideosynkratischer Alliterationen zu suchen sind.
 
37
Eine nähere Ausführung mit den Besonderheiten der Sprache findet sich für den interessierten Leser bei Bühler (1999).
 
38
Bühler unterscheidet Zeigwörter, die dem Zeigfeld, von Nennwörtern, die dem Symbolfeld der Sprache angehören. Zeigfeld und Symbolfeld sind zwei verschiedene Arten von „Umfeldern“ (Bühler 1999: 154), in denen das sprachliche Zeichen seine „Bedeutungserfüllung“ erfährt. Das Zeigfeld ist an die Situation gebunden in der das Zeichen geäußert wird; das Symbolfeld besteht aus dem durch andere sprachliche Zeichen gebildeten Kontext, dem „syntaktischen und lexikalischen Moment der Sprache“ (ebd.: 151) oder dem „synsemantischen Umfeld“ (ebd.: 81). Das Nennwort ist gekennzeichnet durch seine „Wasbestimmtheit“ (ebd.: 103). Es wird „im Munde jedes und aller als Symbol für denselben Gegenstand verwendet (…), sofern er (…) nicht grundsetzlich (sic!) mit dem Gebrauchsfall wechselnden Eigenschaften hat“ (ebd.: 103).
 
39
Als Voraussetzungen für das Gelingen von symbolhafter Verständigung lassen sich bei Lindemann drei Ankerpunkte ausmachen, welche auf ihre Perspektive der Bedeutungslehre einwirken. Dabei handelt es sich um a) den Rückgriff der interagierenden EPW auf die Drittenposition als regelleitenden Deutungsmaßstab (Tertius), b) das Ziel des Erreichens einer identischen Bedeutung der Symbole („Verweisung vom Bedeutungsträger auf die Bedeutung“) über antizipierte Kritik und c) das Interpretationsprimat der symbolischen Äußerung von Seiten des Rezipienten (Ego über Tertius). Die Gebrauchstheorie der Bedeutung nach Lindemann entspricht dem Vorhaben eine Gebrauchstheorie im Hinblick auf die Etablierung von sozialer Ordnung und mit der Unverzichtbarkeit des Drittenbezugs, zu formulieren. Bei der Rezeption des Ansatzes sind wir auf einige Unstimmigkeiten in der von Lindemann verwandten „erneuerten Gebrauchstheorie der Bedeutung“ gestoßen, welche offene Fragen bezüglich der Gebrauchstheorie aufwerfen, die uns dazu veranlasst haben, diese Unstimmigkeiten zu benennen und einen weiteren Gegenvorschlag zu formulieren. Die Kritik an der Lindemannschen Gebrauchstheorie bezieht sich dabei vorwiegend auf die vier Punkte der a) fehlenden sprachanalytischen Reflexion des erneuerten Ansatzes (sowie der Referenz auf Sprache als gestisches Symbol zur Verständigung zwischen EPW prima facie), der b) Konventionalisierung von identischen Bedeutungen und symbolischen Gesten, der c) Egalisierung der Drittenbezüge als auch d) einem dyadisch formulierten Zeichenmodell. Jene Diskussion des Ansatzes ist Teil der ungekürzten Dissertation und zur Publikation in Bearbeitung (Straub (2019), unveröffentlichtes Manuskript).
 
40
Der „regelhafte Verweis von Bedeutungsträger auf die Bedeutung“ (Lindemann 2014: 212) fügt sich parallel zu dem Saussurschen Zeichenmodell, welches den Ausdruck (Signifikant) und den Inhalt/die Bedeutung (Signifé) mit dem Zeichen in eine direkte Abbildrelation stellt. Jene dyadische Zeichenrelation birgt allerdings einige Fallgruben, die in der theoretischen Diskussion über die Reichweite der Reflexionsfertigkeit bei EPW, für die Generierung von Bedeutungen als auch für die Zeichennutzung restringierte Erörterungswege liefert. Dabei verharrt das dyadisch gedachte Zeichenmodell in einer Bedeutungsstatik, welche wechselnde Bezüge hinsichtlich der Beziehungen zu einem bezeichneten Objekt als auch zu verschiedenen Interpretanten außer Betracht lässt. Ein Ausdruck – Signifikant – ist in jener Sichtweise mit einer Bedeutung – Signifé – belegt, die für alle Sprachteilnehmer dieselbe darstellt. Mit dem dyadischen Zeichenmodell wird die pragmatische Dimension von Zeichennutzern und Symbolen untergraben und die symbolische Geste einem fixen lexikalisch zurückführbaren Bedeutungssystem zugeordnet. Im Hinblick auf den praktischen Sprachgebrauch und den polysemantischen Wandlungen von Begriffsbedeutungen, ist diese These jedoch nicht haltbar.
 
41
Der Zeichenbegriff bei Peirce ist ein triadischer, welcher das Relationsgefüge zwischen Objekt, Zeichen/Repräsentamen und dem Interpretanten bestimmt und mit deren Semiose eine Bedeutungsgenerierung erzielt wird. Somit setzt sich das Zeichen zusammen aus a) dem Zeichen als Repräsentant und Verweis auf ein b) Objekt oder einem Sachverhalt zu dem es in Beziehung gesetzt wird und c) der Relation von Representamen und Objekt zu einem Interpretanten (vgl. Oehler 1993: 126 ff.), der als „interpretierendes Bewusstsein“ auf der Basis von Gesetzmäßigkeiten fungiert. Der semiotische Zeichenprozess entfaltet seine Bedeutung vermittels des Interpretanten, der als verbindende Drittheit das Zeichen und das Objekt zueinander in Beziehung setzt.
 
42
Das Teilen einer Lebensform macht die Akteure zu einer sozialen Gemeinschaft, aus der heraus die Implikationen einer symbolischen Geste verstehbar werden.
 
43
Wittgenstein sieht die Vagheit und Unbestimmtheit eines Begriffs und dessen Semantik als maßgebliche Bedingung für die Bedeutungsvarianz im praktischen Gebrauch. Mit dem Konzept der „Familienähnlichkeit“ wird die Ungewissheit von Bedeutungen auf ein Ähnlichkeitsmaß reduziert, welches es den Nutzern ermöglicht, die soziale Interaktion, ohne andauerndem Zweifel, über die Unverständlichkeit der Äußerung – fortzuführen. Vergleiche auch Abschnitt 4.6.3 zu Luhmann und der „Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation“ sowie dem Ungeheuerschen Konzept zur „Fallibilität von Kommunikation“.
 
44
Bei Lindemann stellt sich die als ähnlich gehandhabte Bezugsgröße als Drittenperspektive, respektive Tertius, dar. Das Regelwerk über Tertius bietet dabei einen fluktuierenden Bedeutungsgehalt, der über eine antizipierte Kritik Egos nach einer „regelgemäßen Interpretation des Symbols“ den „regelhaften Verweis vom Bedeutungsträger auf die Bedeutung“ ermöglicht (Lindemann 2014: 212). Die Passung an das Regelwerk ergibt sich in der jeweiligen Praxis in der entschieden wird, ob die Anwendung des Begriffs regelkonform bzw. als abweichende Verwendung des Begriffs erfolgt.
 
45
Wittgenstein nutzt „Privatsprache“ als Beispiel für die Notwendigkeit der sozialen Bedeutungsgenerierung. Privatsprache benennt dabei Begriffe, die lediglich subjektive Bedeutungen haben und keinerlei Schnittpunkte zum gemeinschaftlich-vermittelbaren Bedeutungsgehalt bieten. Als Beispiel kann man ein Idiom für einen Empfindungszustand nennen, welcher noch keinem anderen Wesen aus der Gesellschaft erfahren wurde (z. B. Buddhas Zustand der „Erleuchtung“ oder die Beschreibung eines Schmerzes in einer bestimmten Körperpartie).
 
46
Zum Zusammenhang von Anthropomorphisierung und sozialer Wahrnehmung in interspezifischer Interaktion siehe Kwan et al. (2008b). Als Extremfall zur Vereinheitlichung von Sozialität und Personenstatus siehe Latour (1988).
 
47
Vgl. hierzu auch den Sammelband „Der Mensch - das Medium der Gesellschaft?“ von Fuchs & Göbel (1994), in dem die Implikationen der Auflösung des Menschen in „psychische“, „physische“ sowie in „soziale“ Systeme in der Systemtheorie diskutiert werden.
 
48
Auch Luhmann betont die Relevanz des Kontextes als wesentlich für die Sinnerfassung von kommunikativen Semantiken.
 
49
Damit wird die akteursgebundene Konstituierung von sozialen Einheiten aufgehoben und auf die Ebene der Systemoperation Kommunikation verschoben. Physische als auch psychische Systemtypen operieren nach ihren eigenen Anschlussoperationen, wie Stoffwechsel oder Gedanken, welche ebenfalls geschlossene Operationsweisen darstellen. So kann im psychischen System Gedanke an Gedanke, nicht jedoch Kommunikation an Bewusstseinsinhalte anschließen. Die unterschiedlichen Systemtypen können sich lediglich durch „strukturelle Kopplung“ gegenseitig irritieren. Bei sozialen Systemen äußert sich die strukturelle Kopplung zu psychischen Systemen beispielsweise über die Vermittlung von Bewusstseinsinhalten anhand symbolischer Gesten. Kommunikation ist nicht in einzelnen Bewusstseinen verortbar oder mit Bewusstseinsoperationen zu erörtern, sondern ist immer auf kommunikative Operationen, die an kommunikative Operationen anschließen, bezogen. (Luhmann 2001d).
 
50
Dies gilt auch für Leben (physisches System) und Bewusstsein (psychisches System) (vgl. Luhmann 2001d).
 
51
Eigenes Verstehen und Missverstehen läuft entsprechend im eigenen Bewusstsein ab – zum Zwecke der Selbstbeobachtung und -kontrolle des Akteurs.
 
52
Siehe auch das Kommentar Luhmanns zur kommunikativen Emergenz und Bedeutungsvarianz gegenüber der Übertragung von Nachrichten/Information/Verstehen, welches sich gegen die Konzepte Austin/Searles und Habermas wendet „Das alles geht aber immer noch von einem handlungstheoretischen Verständnis von Kommunikation aus und sieht den Kommunikationsvorgang deshalb als eine gelingende oder mißlingende Übertragung von Nachrichten, Informationen oder Verständigungszumutungen. Demgegenüber wird bei einem systemtheoretischen Ansatz die Emergenz der Kommunikation selbst betont. Es wird nichts übertragen. Es wird Redundanz erzeugt in dem Sinne, daß die Kommunikation ein Gedächtnis erzeugt, das von vielen auf sehr verschiedene Weise in Anspruch genommen werden kann.“ (Luhmann 2001a: 100). Sowie Kritik an Habermas konsensgerichtete Entelechie „Die Kommunikation hat keinen Zweck, keine immanente Entelechie. Sie geschieht oder sie geschieht nicht – das ist alles was man dazu sagen kann.“ (Luhmann 2001a: 102).
 
53
Sinn hat die drei Dimensionen der Sozialdimension (Unterschied zwischen Ego/Alter Ego), Sachdimension und Zeitdimension (Zukunft/Gegenwart/Vergangenheit).
 
54
Luhmann geht hier auf die symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien/Mediencodes ein, die entsprechenden Funktionssystemen in funktional differenzierten Gesellschaften zugeordnet sind. An dieser Stelle soll nicht gänzlich die Terminologie und das Gesellschaftssystem Luhmanns übernommen werden, da dies den Rahmen der vorliegenden Arbeit übersteigt. Daher belassen wir es hier zunächst auf diesen Verweis. Gesellschaft ist also nicht von der Zusammenkunft einzelner Menschen abhängig, sondern von der Systembildung durch Kommunikation: „Gesellschaft betreibt Kommunikation, und was immer Kommunikation betreibt, ist Gesellschaft. Die Gesellschaft konstituiert die elementaren Einheiten (Kommunikation), aus denen sie besteht, und was immer so konstituiert wird, wird Gesellschaft, wird Moment des Konstitutionsprozesses selbst.“ (Luhmann 1987: 555).
 
55
Luhmann unterteilt die gesellschaftlichen Funktionssysteme in die Teilbereiche der Kunst, Religion, Wirtschaft, Recht, Politik, Wissenschaft, Erziehung, Massenmedien, intime Beziehung, Familie. Als symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien (und Codes) dienen den Funktionssystemen Kunst: Werke (schön/hässlich), Religion: Glaube (Immanenz/Transzendenz), Wirtschaft: Geld (Zahlung/Nichtzahlung), Recht: Rechtsprechung (Recht/Unrecht), Politik: Macht (Regierung/Opposition), Wissenschaft: Wahrheit (Wahrheit/Unwahrheit), Erziehung: Lebenslauf (Lob/Tadel), Massenmedien: Information (Information/Nichtinformation), Gesundheit: Diagnostik (krank/gesund), intime Beziehung: (Liebe/Hass).
 
56
Gesellschaft gilt bei Luhmann als soziales; sinnkonstituierendes System, welches gesellschaftliche Operationen als Operationen im Medium Sinn vollzieht (Luhmann 1997: 50).
 
57
Soziale, psychische und physische Systeme sind füreinander Umwelten und eigenständig operierende Systemarten. Das Aufrechterhalten von Systemgrenzen von der Umwelt ist daher eines der Voraussetzungen für stabile Ordnungen.
 
58
Was bei Lindemann über die reflexive Struktur auf Tertius erfolgen würde, wird bei der Luhmannschen Systemtheorie über strukturelle Kopplung erzielt.
 
59
„Der Leib selbst ist aber nicht einfach eine geformte Materie, sondern er ist der materiale Operator der Umweltbeziehung, des Wahrnehmens und Agierens. Insofern ist es nie ganz sicher, dass der Leib in der kommunikativ dargestellten Ordnung bleibt. Der Leib ist zwar in eine Sensibilitätsform gebracht, aber er ist in diese nicht eingeschlossen. Es ist nie sicher, ob ein leibliches Selbst nicht spontan andere neuartige Sensibilisierungen bzw. De-Sensibilisierungen entwickelt.“ (Lindemann 2014: 123).
 
60
Lindemann nutzt einen triadischen Kommunikationsbegriff über Tertius, um die Objektivierung der Alter Ego/Ego Relation durchzuführen: „Von der Position des Dritten ausgehend werden die Erwartungs-Erwartungen zwischen Ego und Alter zu einem Muster objektiviert.“ und weiter: „Ego deutet die Mitteilungshandlung Alters mit Bezug auf die Erwartung, die Tertius an den Vollzug dieser Deutung hat. Wenn Ego die Deutung nicht einfach nur vollzieht, sondern die Deutung als eine versteht, die vor Tertius stattfindet, wird die Deutung aus der Perspektive von Tertius objektiviert; die Deutung existiert für Ego als eine vor Tertius vollzogene Deutung. Die Objektivierung ermöglicht es, in der Deutung ein Muster zu identifizieren, das als solches von der situativen Anwendung unterschieden werden kann. Orientiert an diesem Muster kann eine Regel der Anerkennung gebildet werden. Durch diese wird festgelegt, wie Entitäten als erwartende und damit kommunikativ beobachtende Entitäten, die als solche anzuerkennen sind, identifiziert werden können. Diese Regel ist die Lösung des Problems der Kontingenz der Mitwelt, denn sie legt eine Ordnung der Sensibilisierung/Desensibilisierung fest. Durch die Bildung und Anwendung der Regel wird der Übergang von der Mitwelt in eine konkrete Mitwelt zum Ausdruck gebracht.“ (Lindemann 2014: 119).
 
Metadaten
Titel
Exzentrisch positionierte Wesen
verfasst von
Ilona Straub
Copyright-Jahr
2020
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-31384-5_4