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Open Access 2021 | OriginalPaper | Buchkapitel

7. Diskussion

verfasst von : Philipp Schäfer

Erschienen in: Recycling – ein Mittel zu welchem Zweck?

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

In diesem Kapitel sind die Methoden, Auswertungen und Ergebnisse der vorliegenden Arbeit kritisch reflektiert. Abschnitt 7.1 diskutiert vor dem Hintergrund des sich wandelnden globalen Energiesystems die zukünftige Entwicklung der Relevanz des KEA als Aufwandsindikator.  Dabei sind ebenso die mit der Energiesystemtransformation verbundenen Implikationen für die Metallbereitstellung adressiert. In Abschnitt 7.2 ist auf die Einschränkungen und Unsicherheiten der erstellten Recyclingmodelle und vorgenommenen Auswertungen eingegangen. Eine weitere wesentliche und weitreichende Einschränkung bezieht sich auf die, für die vorgenommenen Auswertungen der KEA-optimierten EoL-RQ unumgängliche, Ein-Metall Betrachtung. Abschnitt 7.3 beinhaltet eine ausführliche Diskussion dieser Einschränkung und gibt Empfehlungen für weitere Forschungen.
In diesem Kapitel sind die Methoden, Auswertungen und Ergebnisse der vorliegenden Arbeit kritisch reflektiert. Abschnitt 7.1 diskutiert vor dem Hintergrund des sich wandelnden globalen Energiesystems die zukünftige Entwicklung der Relevanz des KEA als Aufwandsindikator. Dabei sind ebenso die mit der Energiesystemtransformation verbundenen Implikationen für die Metallbereitstellung adressiert. In Abschnitt 7.2 ist auf die Einschränkungen und Unsicherheiten der erstellten Recyclingmodelle und vorgenommenen Auswertungen eingegangen. Eine weitere wesentliche und weitreichende Einschränkung bezieht sich auf die, für die vorgenommenen Auswertungen der KEA-optimierten EoL-RQ unumgängliche, Ein-Metall Betrachtung. Abschnitt 7.3 beinhaltet eine ausführliche Diskussion dieser Einschränkung und gibt Empfehlungen für weitere Forschungen.

7.1 Zukünftige Entwicklung der Relevanz des Energieindikators

Dass der KEA ein geeigneter Indikator ist, um die Aufwände der primären und sekundären Metallgewinnung einheitlich zu erfassen und so Kommensurabilität der beiden Optionen ermöglicht, ist ausführlich in Kapitel 3 beschrieben. Insbesondere die THGE können aktuell gut über den KEA abgebildet werden. Das bestätigt Abbildung 7.1. Hier sind die KEA und THGE des Kupfer-, Tantal- und Kobaltrecyclings aus Kapitel 5 und zum Vergleich die KEA und THGE der Primärgewinnung zahlreicher Metalle abgetragen. Die Darstellung zeigt, dass bei der primären und der sekundären Metallgewinnung pro eingesetzte Energieeinheit in etwa die gleiche Menge an THGE ausgestoßen wird.
Die Energieversorgungen bzw. die Energiesysteme vieler Länder, insbesondere diejenigen der westlichen Welt, befinden sich derzeit im Wandel. Der Ausbau an Erneuerbaren Energien mit dem Ziel der Klimaneutralität wird stark forciert. Gleichzeitig verharren weite Teile der Welt noch in der fossilen Energieerzeugung bzw. treiben den Umschwung auf Erneuerbare Energien nur sehr gedämpft voran. Das World Economic Forum (WEF) ermittelt hierzu regelmäßig den sogenannten Energy Transition Index (ETI), eine Kennzahl, die anhand zahlreicher Indikatoren den Status der Energiewende einer Volkswirtschaft angibt. Alle vom WEF bereitgestellten ETI sind auf der Weltkarte der Abbildung 7.2 durch die entsprechende Farbgebung abgetragen. Europa, Nordamerika, einige Länder Südamerikas sowie Australien und Ozeanien weisen die größten Fortschritte in der Energiewende auf, wobei die meisten Länder Europas derzeit das Ranking anführen (Deutschland befindet sich im derzeitigen Ranking auf Platz 17). Die Länder Afrikas und weiter Teile Asiens zeigen noch keine bzw. geringe Fortschritte in der Energiewende (WEF 2019). In Abbildung 7.2 sind zudem die, nach einer Einstufung der deutschen Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR), 15 wichtigsten Bergbauländer markiert. China führt, gefolgt von Brasilien, Australien und Russland, dieses Ranking an. Der Schwerpunkt der primären Metallgewinnung liegt also in Ländern, die eine geringe bis mittlere Performance beim Erreichen der Energiewende aufweisen. China, ein Land, das auch noch in Zukunft gezielt auf fossile Energieträger setzen wird (McCrone et al. 2018), will in Zukunft seine Rolle als führendes Bergbauland weiter ausbauen. Bereits heute fördert China über 50 % des weltweiten Bedarfs von 11 Rohstoffen (u. a. Seltene Erden, Wolfram und Antimon) (Schüler-Zhou et al. 2019).
Die Erkenntnisse aus Abbildung 7.2 lassen die erste Vermutung zu, dass Recycling, sofern es in Ländern stattfindet, die eine hohe Performance in Bezug auf die Energiewende aufweisen, in Zukunft auch dann zur Reduktion der THGE beiträgt, wenn die Energiebedarfe dafür wesentlich höher ausfallen als die der primären Gewinnung. Diese erste Vermutung ist nachfolgend ausführlich analysiert und diskutiert.
Beim Recycling, wie auch bei der Primärgewinnung, gibt es Prozesse, die auch bei fortschreitender Energiewende auf fossilen Energien basieren werden. Das betrifft insbesondere die metallurgischen Verfahren. McLellan et al. (2012) kommen in ihrer Studie zu den Energiebedarfen der Metallindustrie zu dem Ergebnis, dass 81 % der Energiebedarfe der primären Metallgewinnung auf fossile Energieträger für die thermische Nutzung (hauptsächlich in der Metallurgie) zurückzuführen sind und 71 % der THGE verursachen. Die verbleibenden 19 % sind elektrische Energie, die bei einer fortschreitenden Energiewende klimaneutral werden würden. Derzeit führen sie jedoch zu 29 % der THGE.1 Große Minen sind nun vermehrt bemüht, diese Potenziale der Treibhausgasminderung zu heben und wollen in Zukunft ihren Strombedarf aus Erneuerbaren Energien decken (siehe z. B. Moore (2019)). Grundsätzlich ist die Industrie der primären Metallgewinnung noch weit davon entfernt klimaneutral produzieren zu können, das zeigen u. a. McLellan et al. (2012). Der Wechsel auf Erneuerbare Energien in der Stromerzeugung ist jedoch mittel- bis langfristig – zumindest bei großen Minen – realistisch. Reuter et al. (2019) zeigen anhand ausgewählter Metalle auf, welche Ersparnisse an THGE dadurch erzielt werden könnten.
Auch Recycling ist von metallurgischen Verfahren und damit vom Einsatz fossiler Energieträger abhängig. In Zukunft vermutlich noch mehr als heute, was auf die zunehmende Komplexität der sekundären Quellen zurückzuführen ist. Materialverbünde, die durch mechanische Verfahren nicht mehr separiert werden können, bedürfen metallurgischer Verfahren. Ein Beispiel hierfür sind die LIB, die durch komplexe und meist chemische Metallverbünde gekennzeichnet sind (Zeng et al. 2014; Heelan et al. 2016). Deren Recycling wird daher auch durch fossile Energieträger dominiert – siehe Kobalt in Abbildung 7.3. Im Falle von Tantal ist zum einen eine (energieintensive) mechanische Separation (der Kondensatoren) möglich. Zum anderen basiert die darauffolgende metallurgische Behandlung hauptsächlich auf dem Einsatz elektrischer Energie, was den direkten Anteil an fossilen Energieträgern auf ein Minimum reduziert. Kupfer, das stellvertretend für die Massenmetalle steht, die den Großteil der für ein Recycling zur Verfügung stehenden Massen ausmachen (siehe auch Abschnitt 6.​3), zeigt in etwa eine Gleichverteilung der fossilen Energieträger und der elektrischen Energie. Mit knapp über 40 % an elektrischer Energie sind die Einsparpotenziale an THGE durch den Ausbau Erneuerbarer Energien hier also wesentlich höher als bei der primären Gewinnung (29 %).
Die obigen Erkenntnisse bestätigen weitestgehend die eingangs getroffene Einschätzung. Es ist davon auszugehen, dass Recycling, sofern es in Ländern stattfindet, die eine hohe Performance in Bezug auf die Energiewende aufweisen, tendenziell ein geringeres Treibhausgaspotenzial pro eingesetzte Energieeinheit aufweist als die primäre Gewinnung. Demnach ist Recycling zukünftig auch noch dann klimafreundlicher als die primäre Gewinnung, wenn die dafür notwendigen Energiebedarfe höher ausfallen. Ausnahmen sind Metalle, deren Recycling aufgrund der hohen Komplexität des Materialverbundes ihrer sekundären Quellen durch metallurgische Verfahren und damit durch den Einsatz fossiler Energieträger dominiert wird. Hier wird deutlich, dass eines der noch größten Potenziale, um THGE in der Metallproduktion einzusparen, die Elektrifizierung der metallurgischen Systeme durch einen technologischen Wandel ist.
Den aktuellen Entwicklungen zufolge wird Recycling in europäischen Ländern bzw. Ländern mit vergleichbaren ETI tendenziell immer klimafreundlicher werden. Gleichzeitig wird die Schere zwischen dem ökologischen und ökonomischen Optimum des Recyclings (siehe hierzu z. B. Abschnitt 6.​3) immer weiter auseinandergehen, denn der Energieeinsatz, der geleistet werden muss, bleibt derselbe.2 Die mit dem Energieeinsatz verbundenen Kosten werden aktuellen Prognosen zufolge sogar leicht ansteigen (Pezzutto et al. 2018). Somit könnte es zukünftig im Sinne des Klimaschutzes durchaus sinnvoll sein, stromintensive Recyclingbetriebe durch z. B. Stromsteuererleichterungen zu unterstützen, um die ökonomischen Optima der Recyclingaktivitäten näher an die ökologischen zu rücken bzw. die Schere nicht größer werden zu lassen.

7.2 Einschränkungen und Unsicherheiten

Die in Kapitel 5 vorgenommenen Auswertungen unterliegen einigen Einschränkungen und Unsicherheiten, die in diesem Abschnitt diskutiert sind. So sind die erstellten Recyclingmodelle, auf denen viele weiterführende Auswertungen basieren, zwar so konzipiert, dass sie möglichst realitätsnahe Daten des Zielsystems erzeugen, sie sind jedoch keineswegs ein genaues Abbild der Realität. Basierend auf der vorhandenen Datenlage hätten für noch detailreichere und komplexere Modelle weitreichende Annahmen getroffen werden müssen, die die Unsicherheiten der Modellergebnisse entscheidend erhöht hätten (Saltelli 2019). Zudem gelten die Modellergebnisse ausschließlich für die angenommenen Technologien und die existierende Recyclinginfrastruktur. Änderungen in den Aufbereitungstechnologien oder der Recyclinginfrastruktur können zu grundlegenden Änderungen in den Ergebnissen \(({{KEA}_{S}} \left( {x_{i} } \right))\) führen. Auch Änderungen in der unterstützenden Infrastruktur (z. B. Effizienzänderungen im Energiesystem) können die Ergebnisse entscheidend beeinflussen.
Da die KEA-optimierten EoL-RQ auf aktuellen Massenbilanzen der sekundären Quellen basieren, ist ihre Gültigkeit auf den Zeitraum der Untersuchung beschränkt. Insbesondere bei Metallen, deren Anwendungsgebiete hohe Marktdynamiken aufweisen (siehe Tantal und Kobalt), unterliegen die Massenbilanzen der sekundären Quellen signifikanten Änderungen in nur kurzen Zeiträumen. Neben den zeitlichen Einschränkungen existieren auch räumliche Einschränkungen. So gelten die ermittelten Massenbilanzen und damit auch die KEA-optimierten EoL-RQ ausschließlich für den Untersuchungsrahmen Deutschland. Die modellbasierten \({{KEA}_{S}} \left( {x_{i} } \right)\) können für weitere europäische Länder, die ein vergleichbares Recyclingsystem wie das deutsche aufweisen, annäherungsweise verwendet werden.
Die Auswertungen des Beispielmetalls Kobalt veranschaulichen die Unsicherheiten, die mit einer schlechten Datenlage bzw. Datenvalidität verbunden sind. Im Falle von Kobalt führt die hohe Datenvarianz des KEA der primären Gewinnung zu fundamental unterschiedlichen Ergebnissen in den KEA-optimierten EoL-RQ, die daher kaum Aussagekraft besitzen. Die Ergebnisse der Auswertungen von Kupfer und Tantal sind durch die valide und transparente Datenlage der Primärgewinnung weitestgehend abgesichert.
Bei der Beschreibung des methodischen Vorgehens (Abschnitt 4.​4.​1) zur Ermittlung der KEA-optimierten EoL-RQ ist darauf verwiesen, dass die Annahme der Substitution eines durchschnittlichen KEA der primären Gewinnung getroffen wurde. Die Begründung, dass diese Annahme, basierend auf dem derzeitigen Stand des Wissens, gerechtfertigt ist, kann ebenfalls diesem Abschnitt entnommen werden. Dennoch ist diese Annahme mit gewissen Unsicherheiten verbunden, denn es ist de facto nicht bekannt, welche primären Quellen mit welchen Gewinnungsverfahren und KEA tatsächlich substituiert werden. Die generierten KEA-optimierten EoL-RQ sind also keine exakten und definitiven Ergebnisse, sondern sollten vielmehr als eine erste empirisch fundierte Annäherung verstanden werden, die eine konzeptionelle Ausrichtung der Recyclingaktivitäten vorgeben sollen. Es sind noch weitere umfangreiche Forschungen notwendig, um exakte und vollständig valide Aussagen darüber treffen zu können, welche primären Quellen mit welchem KEA und in welcher Reihenfolge tatsächlich durch Recycling substituiert werden. Nur so können die Ergebnisse dieser Arbeit weiter präzisiert und verbessert werden.
Eine weitere wesentliche Einschränkung der Ergebnisse ist auf die durch Allokationen vorgenommene Ein-Metall Betrachtung zurückzuführen, wie sie im Bereich der Ökobilanzierung üblich ist. Auf diese Einschränkung und die damit verbundenen Herausforderungen ist im nachfolgenden Abschnitt 7.3 ausführlich eingegangen.

7.3 Grenzen der Ein-Metall Betrachtung und Notwendigkeit des systemischen Denkens

Sekundäre Quellen existieren meist aus einer Vielzahl an unterschiedlichen Materialien und Metallen, die komplex miteinander verbunden sind. Das Recycling eines Metalls aus einer solchen sekundären Quelle erfüllt nun nicht nur den Zweck der (sekundären) Produktion dieses einen Metalls, sondern unterstützt ebenso das Recycling der weiteren Metalle, die in der sekundären Quelle verbaut sind.3 Diese unterstützende Funktion kann auf verschiedene Art und Weisen erfolgen. Ein Beispiel: Wird Kupfer aus Elektroaltgeräten rückgewonnen, so ist ein wesentlicher Nutzen dieses Recyclings die Produktion von Kupfer. Gleichzeitig dient Kupfer jedoch auch als metallurgisches Trägermetall für eine Vielzahl an weiteren Metallen, insbesondere für die in Elektroaltgeräten sehr niedrig konzentrierten Edelmetalle (Langner 2011). Das Recycling von Kupfer ist somit maßgeblich für das gut funktionierende Recycling der Edelmetalle aus dieser sekundären Quelle verantwortlich. Ebenso kann Kupfer, wenn es nicht aus einer sekundären Quelle separiert wird, das Recycling anderer Metalle behindern. Verbleiben größere Anteile von Kupfer z. B. in Stahlfraktionen, reichert sich das Kupfer in der Eisenmetallurgie im Stahl an und mindert so entscheidend die Qualität des Stahls, was nur durch die Zugabe von reinem Primärstahl wieder behoben werden kann (Pauliuk et al. 2013). Die Zusammensetzung der sekundären Quelle und die metallurgische Kompatibilität der Metalle (siehe auch Abschnitt 2.​2) entscheiden darüber, ob das Nicht-Recycling eines Metalls zu Verunreinigungen anderer Metallfraktionen führt oder in der zu deponierenden Schlacke endet (siehe hierzu auch Baxter et al. 2017).
In der vorliegenden Arbeit sind Ein-Metall Betrachtungen vorgenommen. Dabei wird ein komplexes Mehrmetallsystem über Allokationen auf ein spezifisches Metall disaggregiert, wie es im Bereich der Ökobilanzierung üblich ist. Die oben erwähnten weiteren Dimensionen des Recyclings können durch eine solche Ein-Metall Betrachtung nicht erfasst werden, da sie die systemischen Interaktionen der Metalle untereinander vernachlässigen. Nachfolgend ist daher eine gesamtsystemische Betrachtung des Kupferrecyclings vorgenommen, um die Einschränkungen, die mit der Ein-Metall Betrachtung verbunden sind, zu veranschaulichen.
Abbildung 7.4 zeigt die energetischen Aufwände und Ersparnisse des erweiterten Kupferrecyclingsystems für alle relevanten sekundären Quellen. Hier sind also alle Metalle berücksichtigt, die ebenfalls aus den jeweiligen sekundären Quellen recycelt werden und mit der mechanischen und/oder metallurgischen Aufbereitung von Kupfer direkt oder indirekt in Verbindung stehen. Die Aufwände des modellierten Kupferrecyclingsystems (siehe Abschnitt 5.​2.​3) sind aufgrund der Systemerweiterung ohne Allokationen erfasst. Diese energetischen Aufwände sind den energetischen Ersparnissen gegenübergestellt, die durch die Substitution von Primärmetall erzielt werden. Dabei ist zwischen den Ersparnissen, die durch das recycelte Kupfer und die weiteren recycelten Metalle erzielt werden, differenziert. Letztere sind im Diagramm als diskontierte Ersparnisse bezeichnet. Denn das Recycling dieser Metalle ist zwar zu einem bestimmten Teil über das Kupferrecyclingsystem abgedeckt, es werden dennoch weitere Schritte benötigt, um deren Recycling abzuschließen. Beispiele hierfür sind weitere metallurgische Verfahrensschritte, um die Edelmetalle aus dem Anodenschlamm der Kupferelektrolyse rückzugewinnen oder das Sortieren und Wiedereinschmelzen des Aluminiums, nachdem es aus der kupferhaltigen sekundären Quelle abgetrennt wurde. Die mit diesen weiteren Recyclingschritten verbundenen Aufwände sind von den entsprechenden metallspezifischen Ersparnissen abgezogen. Die Nettoersparnisse des Diagramms in Abbildung 7.4 sind die Summe der Ersparnisse aller Metalle abzüglich der (nicht-allozierten) Aufwände des Kupferrecyclingsystems und zeigen somit, ob das erweiterte Kupferrecyclingsystem energetisch profitabel ist.
In Abbildung 7.4 ist ersichtlich, dass das erweiterte Kupferrecyclingsystem aller sekundären Quellen Nettoersparnisse erzielt. Würde das Recycling von Kupfer aus diesen sekundären Quellen nun nicht mehr vorgenommen werden, so hätte das weitreichende Folgen für das Recycling aller weiteren Metalle, denn Kupfer würde dann nicht mehr als Trägermetall fungieren und zudem als Verunreinigung anfallen. Die Nettoersparnisse des Gesamtsystems könnten sich dadurch fundamental ändern. Denselben Effekt können bereits geringfügige Änderungen in der Recyclingquote von Kupfer hervorrufen.
Des Weiteren gibt es Recyclingprozesse, die mit oder ohne Kupferrecycling praktiziert werden, z. B. Sammel- und Schredderprozesse oder auch der Rückbau von Gebäuden. Bei einer Ein-Metall Betrachtung bzw. Ein-Metall Analyse werden die Aufwände dieser Prozesse über Allokationsfaktoren anteilig Kupfer zugerechnet. Würde kein Kupfer recycelt werden, so würden diese Prozesse dennoch stattfinden. Ist es also richtig, einen Teil dieser Aufwände Kupfer zuzurechnen und auf dieser Basis dann Vergleiche mit der Primärgewinnung anzustellen? Auch hier stößt die Ein-Metall Betrachtung an Grenzen.
Diese Einschränkungen können nicht durch Verbesserungen der Allokationsmethodik behoben werden, wie es z. B. von Stamp et al. (2013) vorgeschlagen ist. Ein produktzentrierter Ansatz, wie er von Reuter et al. (2018) verfolgt wird, ist definitiv ein Schritt in die richtige Richtung, da er das Recycling eines kompletten Produktes und die damit verbundenen Interkonnektivitäten der Metalle miteinbezieht. Recycling findet jedoch in den seltensten Fällen produktspezifisch statt, sondern meist für Produktgruppen, wie z. B. Altautos oder bestimmte Gruppen von Elektroaltgeräten, die in der vorliegenden Arbeit als sekundäre Quellen definiert sind. Für ein vollumfassendes und möglichst realitätsnahes Bild müssten also sekundärquellenzentrierte Untersuchungen vorgenommen werden, die alle Materialien und Metalle umfassen, die in den mechanischen und metallurgischen Aufbereitungsschritten gemeinsam verarbeitet werden – ähnlich der oben für Kupfer aufgeführten Auswertung. Die Zielfunktion bei der Optimierung der Recyclingquoten der involvierten Metalle sollte demnach die Maximierung der Nettoersparnisse des Gesamtsystems sein. Um solche Untersuchungen vornehmen zu können, müsste das gesamte sekundärquellenspezifische Recyclingsystem umfangreich modelliert sein. Dabei müssten insbesondere die Wechselwirkungen der Metalle untereinander erfasst werden, was eine enorme Komplexität der Modelle bedeutet und weitreichende Kenntnisse der mechanischen und metallurgischen Aufbereitung sowie der stofflichen Zusammensetzung der sekundären Quellen bedarf.
Die Auswertungen dieser Arbeit, die auf den metallspezifischen KEA basieren – das betrifft insbesondere die ermittelten KEA-optimierten EoL-RQ – sind also mit gewissen Unsicherheiten verbunden. Je mehr Metalle mit dem Recycling des zu untersuchenden Metalls verknüpft sind und je stärker die Wechselwirkungen des Metalls mit den anderen sind, desto höher sind die Unsicherheiten der metallspezifischen KEA und damit der Ergebnisse der darauf basierenden Auswertungen. Das Recycling von Kupfer hat wie gezeigt bei beiden Aspekten starke Ausprägungen. Die damit verbundenen Unsicherheiten sind durch die obige Auswertung des erweiterten Kupferrecyclingsystems abgeschwächt bzw. transparent gemacht. Auch Kobalt ist ein Metall, dessen Recycling mit weiteren Metallen verknüpft ist. Allerdings weist Kobalt kaum Interkonnektivitäten mit anderen Metallen auf. Es fungiert nicht als Trägermetall und reichert sich aufgrund seiner Eigenschaften nur in sehr wenigen Fällen als Verunreinigung in anderen Metallen an. Ähnlich verhält sich Tantal. Hier kommt noch hinzu, dass das Recycling von Tantal, insbesondere aus seinen dominierenden sekundären Quellen (den Kondensatoren), meist nicht mit dem Recycling von anderen Metallen in Verbindung steht, sondern weitestgehend isoliert stattfindet. Die Ergebnisse der Auswertungen für Tantal und Kobalt können daher als valide eingestuft werden.
Wie die sekundäre Gewinnung ist auch die primäre Gewinnung durch Kuppelproduktionen mehrerer Metalle aus einer primären Quelle bzw. einem Erz geprägt. Auch hier existieren systemische Zusammenhänge, die durch eine Ein-Metall Betrachtung vernachlässigt werden. Bei der primären Gewinnung spielen insbesondere die Trägerfunktionen der Hauptmetalle (bzw. major metals) in den Erzen und Begleiteffekte, die durch die ohnehin stattfindende Aufkonzentration des Hauptmetalls erzeugt werden, eine entscheidende Rolle. Um diese beiden Effekte zu veranschaulichen, ist nochmals das Beispiel Kupfer herangezogen. Kupfererze beinhalten meist noch zahlreiche Nebenmetalle (bzw. minor metals) wie z. B. Edelmetalle oder auch Tellur. Während Kupfer mit ca. 0,6 % (Northey et al. 2014) verhältnismäßig hoch in diesen Erzen konzentriert ist, sind die Nebenmetalle sehr gering konzentriert. Tellur ist beispielsweise meist nur zu 0,0081 % (Bullock et al. 2018) enthalten. Der Abbau des Kupfererzes und die Gewinnung des Kupfers erhöhen nun gleichzeitig auch die Konzentrationen der Nebenmetalle. Tellur, wie auch die Edelmetalle, verbleiben bis zur abschließenden Elektrolyse im Kupfer enthalten. In der Elektrolyseschlacke ist Tellur mit 2–10 % konzentriert (Kavlak und Graedel 2013b). Zu diesen Konzentrationen kann Tellur dann gezielt gewonnen werden. Die Gewinnung von Kupfer würde auch ohne die Präsenz dieser Nebenmetalle, die als Kuppelprodukte ausgebracht werden, stattfinden. Dennoch tragen die Nebenmetalle zum Gewinn bei, der durch den Betrieb der Mine und die nachfolgenden Aufbereitungsanlagen erzielt wird. Ihnen wird somit auch über Allokationen ein Teil der Aufwände der Gewinnungsprozesse zugerechnet – obwohl ein Großteil der Prozesse auch ohne ihre Präsenz stattfinden würde. Diese systemischen Zusammenhänge kommen dann zum Tragen, wenn das Recycling von Kupfer die primäre Gewinnung substituiert. Würde auf dieser Basis eine Kupfermine stillgelegt werden, dann würde in diesem Zuge auch die damit verbundene Produktion der Nebenmetalle eingestellt werden. Oder das Kupfererz würde nur aufgrund der Nebenmetalle abgebaut werden und deren Aufwände entsprechend signifikant höher ausfallen. In Abschnitt 4.​4.​1 ist erläutert, dass aufgrund der weiterhin steigenden Metallbedarfe keine existierenden Minen substituiert werden, sondern vielmehr mögliche zukünftige Minen. Diese zukünftigen Minen agieren noch nicht mit dem existierenden interkonnektiven System der Metallgewinnung. Solange der Metallbedarf weiter steigt, kommt den erläuterten Zusammenhängen also noch keine wirkliche Bedeutung zu.
Trotz der diskutierten Unsicherheiten und Einschränkungen sind Ein-Metall Betrachtungen unumgänglich. Nur auf diesem Weg können die KEA und Umweltwirkungen für einzelne Metalle bzw. Sekundärmetalle bestimmt werden, die wiederum unabdingbar für Produktökobilanzen sind. Metastudien über Ökobilanzen der Metallproduktion, wie z. B. von Liu und Müller (2012), weisen darauf hin, dass die Wahl des Allokationsfaktors (siehe auch Abschnitt 4.​3.​4) noch keinem Konsens unterliegt – ein Phänomen, das eine generelle Unsicherheit in ökobilanziellen Betrachtungen darstellt (van der Voet et al. 2010; Yellishetty et al. 2009; Nordelöf et al. 2014). Hier bedarf es noch umfassender Harmonisierung der Allokationsmethode, um eine einheitliche und vergleichbare Datenbasis zu generieren.
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Fußnoten
1
Es existieren jedoch auch Ausnahmen wie z. B. die elektrolytische Gewinnung von Aluminium, bei der Strom die dominierende Energie ist und die Potenziale der Erneuerbaren Energien umfangreich ausgeschöpft werden (EAA 2013).
 
2
Der Energieeinsatz unterliegt Änderungen, sofern technische Weiterentwicklungen oder Änderungen in den sekundären oder primären Quellen dazu beitragen. Das ist jedoch insbesondere im Bereich der Primärproduktion ein jahrzehntelanger Prozess.
 
3
Natürlich wird durch Recycling auch das Abfallaufkommen minimiert, allerdings sind die alternativen Umweltwirkungen durch die Deponierung vernachlässigbar (siehe Abschnitt 3.​3).
 
Metadaten
Titel
Diskussion
verfasst von
Philipp Schäfer
Copyright-Jahr
2021
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-32924-2_7