Zwei Fragestellungen liegen dieser Studie zugrunde: Zum einen war von Interesse, was die Praxis von Social-Media-Analysen für die deutsche Automobilindustrie bedeutet oder vielmehr noch für das Wissen und die Wissensgenese des Automobilherstellers, den diese Arbeit betrachtet; zum anderen wurde die Wissensverwendung mit einem Bezug zu Social-Media-Analysen untersucht, also der Frage nachgegangen, welche Wissenstypen der deutsche Automobilhersteller im Kontext sozialer Medien erzeugt. Die in dem betrachteten Unternehmen angewandte Praxis der Social-Media-Analysen, verstanden als die praktizierte organisationale Wissensgenese, wurde bereits mit deskriptiver Schwerpunktsetzung dargestellt. Es ist an der Zeit mit einem interpretativen und deutenden Fokus sowohl die Wissensverwendung innerhalb des Unternehmens als auch das Wissen, das für den Automobilhersteller von Interesse ist, darzulegen und die spezifische Art der Wissensgenese, die die Praktiker offenbaren, zu rekonstruieren. Beides leistet das hier vorliegende Kapitel über die ‚Konstruktion‘ von Wissen in der Automobilindustrie.

Bei den Erfahrungen der Befragten mit der Methode der Social-Media-Analysen handelt es sich um Praktikerwissen. Daraus ließen sich zwei Typen der Wissensverwendung rekonstruieren, die dieses Kapitel präsentiert. Eine Darlegung der ‚Konstruktion‘ von Wissen in der Automobilindustrie rundet das Kapitel ab und geht auf die Bedeutung des Wissens für das betrachtete Unternehmen und auf die Art seiner Genese ein.

Die Befragten erheben mit Social-Media-Analysen Wissen im Sinne von Erfahrungen der Nutzer sozialer Medien, um sich daran orientieren zu können. Zunächst schien es bei der Auswertung des Datenmaterials, als würde das Unternehmen Wissen diverser Art erheben, wie Erfahrungswissen und Meinungswissen oder Deutungswissen. Doch sämtliche in sozialen Medien vorhandene Wissensarten, welche über Monitoring und Listening Eingang in das Unternehmen finden, lassen sich letztlich unter das Wissen subsumieren, das Oliver Dimbath (2016) beschrieben hat. Menschlicher Weltzugang beruht, so Dimbath, maßgeblich auf Vergangenheitsbezügen:

Was wir als Wissen bezeichnen, erwächst dem Reagieren von aus ihrem Werden geformten Menschen auf ihre unter der Mitwirkung anderer Menschen geschaffene Umwelt. Wissen ist die durch Vergangenes konstituierte Orientierungsfähigkeit handelnder Bewusstseine in ihrer Gegenwart (Dimbath, 2016a, S. 271).

Nach Dimbath ist Wissen die körperlich-geistige Voraussetzung dafür, dass Menschen sich in gegenwärtigen Situationen orientieren können und dazu in der Lage sind, die Fähigkeit zu entfalten, in diese Situationen einzugreifen:

Jeder Mensch wurde, wie Émile Durkheim [. . . ] einmal festgestellt hat, in einer Welt hineingeboren, die er nicht gemacht hat. Um in dieser Welt zurechtzukommen, braucht er Wissen, aber dieses Wissen umfasst mehr als das, was er sich gedanklich vorstellen kann (Dimbath, 2016b, S. 274).

Neben einem sagbaren, deklarativen Wissen gibt es gemäß Dimbath ein praktisches, implizites Wissen. Es handle sich bei diesen beiden Ausprägungen des Wissens um Erfahrungen, die nur teilweise expliziert werden können. Erfahrungen charakterisiert Dimbath weiter als die Reflexion über Erlebnisse, welche das Potential des Machbaren entfaltet. Aufgrund von Erfahrungen weiß man, wie man sich in bestimmten Situationen verhält und auch wie diese Situationen weitergehen. Somit ermöglicht auf Erfahrungen und damit auf Erlebnissen beruhendes Wissen und dessen Reflexion letztlich Verhalten:

Es hängt also von der Gewordenheit und der sich aus dieser ergebenden Disposition des Subjekts ab, welche Selektionen sein Wahrnehmungsapparat unter den gegebenen Umständen vornimmt. Gewordenheit meint, dass jedes Subjekt oder Bewusstseinssystem in Bezug auf seinen Austausch mit seiner Umwelt eine Vergangenheit hat: Es ist aufgrund mannigfacher Erlebnisse so geworden, wie es hier und jetzt ist (Dimbath, 2016b, S. 275).

Kurzum, Erfahrungen orientieren oder, umgekehrt formuliert, Orientierung entsteht anhand von Erfahrungen. Die auf Erfahrungen und damit auf einer Reflexion über Erlebnisse basierende Orientierung, die Verhalten ermöglicht, ist laut Dimbath Wissen:

Eine Orientierung ohne Rückgriff auf das, was in der Vergangenheit geprägt hat, ist unmöglich. Und jeder Rückgriff verändert die Möglichkeiten weiterer Vergangenheitsbezüge (Dimbath, 2016b, S. 276).

Einzelne Botschaften, so eine dieser Arbeit zugrunde liegende Annahme, die die Social-Media-Analysten des Automobilherstellers aus sozialen Medien schöpfen, bestehen in Erfahrungen oder beruhen auf Erlebnissen, die die Kunden der Automobilindustrie oder die Nutzer der sozialen Medien gemacht haben. Wie zuvor bereits gezeigt, sprechen die Praktiker oft von „Meinungen“, die sie mit Monitoring und Listening ermitteln. In der Wissenssoziologie beziehungsweise in Anlehnung an Dimbath können Meinungen als Bestandteil von Erfahrungen verstanden werden, da Meinungen anhand von Erlebnissen entstehen oder darauf beruhen. Jedoch können Meinungen aus Erfahrungen heterogener Art hervorgehen. Es gilt zu unterscheiden, ob es sich um Erfahrungen erster Ordnung oder aber um Erfahrungen zweiter Ordnung handelt. Sämtliche in sozialen Medien platzierte Inhalte sind zunächst als Meinungen anzusehen, die ihre Nutzer veröffentlicht haben. Weiter differenziert werden könnten diese Meinungen dahingehend, ob es sich um unreflektierte oder reflektiert-begründete oder unbegründete Erfahrungen handelt. Als eine unreflektierte Erfahrung wird eine in sozialen Medien kundgetane Meinung dann eingeordnet, wenn sich zum Beispiel ein Nutzer über eine Dienstleistung eines der Automobilindustrie angehörenden Unternehmens wie ein Car-Sharing-Angebot wertend äußert, ohne diese Dienstleistung jemals selbst in Anspruch genommen und ‚am eigenen Leib‘ erlebt zu haben. Die Meinung dieses Nutzers beruht dann auf einer Erfahrung zweiter Ordnung oder auch mehreren. Eine unbegründete Erfahrung ist zu verzeichnen, wenn sich in sozialen Medien eine Bewertung eben dieses Car-Sharing-Angebots findet, die positiv oder negativ ausfallen kann, jedoch ohne Begründung vorliegt. Eine Meinung ist schließlich als reflektiert-begründete Erfahrung zu klassifizieren, wenn ein Nutzer sozialer Medien das besagte Car-Sharing-Angebot bewertet und diese von ihm innerhalb sozialer Medien geäußerte Bewertung auch begründet. Reflektiert-begründete Erfahrungen sind ebenso wie unbegründete Erfahrung zumeist Erfahrungen erster Ordnung. In der Regel entstehen Begründungen von Bewertungen, die im Zuge von Social-Media-Analysen zum Beispiel im Hinblick auf spezifische Fragestellungen von Interessen sind, anhand der Reflexion über selbsterfahrene Erlebnisse.Footnote 1

Bezüglich der Frage, welche in Social Media enthaltene Wissensart für den betrachteten deutschen Automobilhersteller bei der Durchführung seiner Social-Media-Analysen von Interesse ist, kann festgehalten werden, dass die Praktiker von Monitoring und Listening Wissen im Sinne einer vergangenheitsbezogenen Orientierung zutage fördern. Dieses Wissen beruht auf Erfahrungen und damit auf Meinungen und Deutungen erster oder zweiter Ordnung der Nutzer sozialer Medien. Die Wissenssoziologie spricht Wissen eine Orientierungsfunktion zu, das betrachtete Unternehmen ergänzt diese um eine Legitimationsfunktion, wie der weitere Verlauf dieses Kapitels noch zeigen wird. Bevor jedoch der zweite Teil der dieser empirischen Studie zugrunde liegenden Fragestellung in den genannten beiden Schritten anhand der Berichte der Praktiker beantwortet wird, ist über einen Exkurs ein Einblick in zwei weitere theoretische Konzepte zu geben.

6.1 Exkurs: Praktikerwissen und Inkrementalismus

Zwei theoretische Konzepte, derer sich die Ergebnisdarstellung der empirischen Studie über die organisationale Wissensgenese anhand von Social-Media-Analysen und der Wissensverwendung in der deutschen Automobilindustrie bedient, thematisiert dieser Exkurs: Praktikerwissen und Inkrementalismus. Zum einen handelt es sich um die von Werner Nienhüser (2002, 1998) konzipierte Kontrastierung von „gutem Wissen“ und „schlechtem Wissen“ in der Unternehmenspraxis und auch um seine Bestimmung von Praktikerwissen; zum anderen geht es um den Inkrementalismus nach Charles Lindblom (1959) mit den beiden Aspekten „Satisficing“ und „Muddling Through“. Zwar scheint es, als würden beide Konzepte aufeinander aufbauen, doch ein Bezug zueinander wird nicht hergestellt.

Der für die vorliegende Forschungsarbeit bedeutsame Befund von Nienhüser lautet, dass in der Unternehmenspraxis „gutes Wissen“ von „schlechtem Wissen“ verdrängt wird, da sich bestimmte sozialwissenschaftliche Paradigmen und Managementkonzepte gegen andere durchsetzen. „Schlechtes Wissen“ begreift er als schlechte Konzepte aus wissenschaftlicher Perspektive, also Konzepte, die relativ vage Aussagen enthalten, mit fragwürdigen Grundannahmen arbeiten, kaum empirisch fundiert und teilweise auch falsch sind. Nienhüser stellt folgende These auf:

Die Hauptaufgabe des Managements besteht nicht nur darin, die richtigen Entscheidungen zu treffen; die Entscheidungen müssen auch gerechtfertigt und häufig gegen erhebliche Widerstände durchgesetzt werden. Ich behaupte nun, daß sich das Management aus dem Angebot der Wissenschaft vorrangig die Konzepte und Ansätze herausgreift, die es zur Rechtfertigung, zur Legitimation von Entscheidungen benötigt. Dies sind nur zum Teil wissenschaftliche Theorien, sondern oftmals Aussagensysteme, die man als „Managementkonzepte“ bezeichnen kann (Nienhüser, 2002, S. 1).

Managementkonzepte entstünden zwar durchaus unter Rückgriff auf wissenschaftliche Theorien, jedoch komme das „Steinbruchverfahren“ zum Einsatz; nur Passendes werde aufgegriffen, Unpassendes hingegen ignoriert oder umgedeutet.

Eine zentrale Ursache dafür, dass wissenschaftlich nicht haltbare Ergebnisse auf diese Weise überleben und in der betrieblichen Praxis wesentliche Funktionen übernehmen, erkennt Nienhüser in betrieblichen Entscheidungsprozessen und der Bedeutung, die dem Wissen innerhalb dieser zukommt. Betriebliche Entscheidungen seien meist kollektive Entscheidungen, da in der Regel mehrere Personen daran beteiligt sind. Ferner nimmt Nienhüser an, dass sich betriebliche Entscheidungspersonen nur beschränkt rational verhalten; sie streben nach zufriedenstellenden Lösungen, nicht nach maximalen. Hinzu komme, dass Wissen etwas kostet und die Kapazität für dessen Aufnahme und auch Verarbeitung beschränkt ist. Entscheidungen würden von zwei Mechanismen gesteuert; von „intrapersonalen Spannungsverhältnissen in Form kognitiver Dissonanzen“ und von „interpersonalen Spannungen in Form von Konflikten“. Nienhüser versteht Wissen auch wie Managementkonzepte als „Instrumente der Interessendurchsetzung“; Wissen werde machtstrategisch genutzt:

Aus der Annahme des beschränkt rationalen Verhaltens und daraus, daß Wissen nicht kostenlos zu haben ist, folgt, daß überhaupt ein Problem bestehen muß, damit Akteure im Praxissystem, also vor allem in Betrieben, nach Wissen suchen. Ohne Problem wird kein Wissen gesucht (Nienhüser, 2002, S. 6, Hervorheb. i. O.).

Der Wissensbedarf in Unternehmen würde durch mehrere Probleme ausgelöst. Es gelte „Wissensprobleme“ und „Konflikt- oder Legitimationsprobleme“ zu unterscheiden. „Wissensprobleme“ beruhen laut Nienhüser auf Nichtwissen; beispielsweise wird nicht gewusst, wie ein Ziel erreicht werden kann, welche Folgen mit dem Einsatz bestimmter Mittel einhergehen oder es besteht Unkenntnis in Bezug auf einen Zustand. Daher wird nach Informationen, die dem Unwissen entgegenwirken, gesucht; sind die Erkenntnisse vorhanden und werden genutzt, spricht Nienhüser von einer „instrumentellen Nutzung“. „Konflikt- oder Legitimationsprobleme“ sind gegeben, wenn Uneinigkeit in Bezug auf die Bewertung bestimmter Ziele, Mittel und Zustände vorherrscht. In solchen Fällen werde dann oft die „Autorität der Wissenschaft“ benutzt, um Entscheidungen gegenüber Gegnern und Skeptikern abzusichern und durchzusetzen; Nienhüser nennt dies eine „politische Nutzung“.

Praktikerwissen nun begreift Nienhüser als Alternative zu wissenschaftlichem Wissen und vergleicht es mit Erfahrungswissen. Je mehr von diesem vorhanden sei, desto weniger sei es für ein Unternehmen erforderlich, nach komplizierten Ansätzen zu suchen, die es sich auch noch aneignen muss. Bei Entscheidungsproblemen würde in der Unternehmenspraxis meist erst gar nicht damit begonnen, nach wissenschaftlichem Wissen zu suchen; Praktikerwissen gelte den Unternehmen zumeist als ausreichend, zumindest wenn ein Wissensproblem besteht. Zunächst werde versucht, auf Lösungen aus dem Unternehmen zurückzugreifen; auf abstrakte Konzepte der Wissenschaft wird verzichtet.

Nienhüser stellt des Weiteren fest, dass Wissen, welches in Unternehmen akzeptiert und genutzt werden soll, keine „kognitive Dissonanz“ auslösen darf:

Es werden Informationen bevorzugt, die mit dem Wert-Wissens-System von Entscheidern harmonieren bzw. Dissonanzen zum Verschwinden bringen: „Managers selectively choose from the jungle of existing theories, those that closely describe their own world views and ideologies . . .“ [. . . ]. Dies zeigt, daß Ansätze vermutlich nicht akzeptiert werden, wenn sie die bestehende Ordnung zu sehr in Frage stellen. Sie dürfen zwar Neues enthalten, aber nicht zu radikal sein. [. . . ] Insgesamt deuten die Ergebnisse darauf hin, daß die kognitive Dissonanz einen wichtigen Einfluß darauf hat, welche Managementansätze Akzeptanz und Verbreitung finden (Nienhüser, 2002, S. 8 f.).

Praktikerwissen und wissenschaftliches Wissen unterscheiden sich gemäß Nienhüser grundlegend voneinander. Praktikerwissen kann mit Nienhüser auch als „reduziertes wissenschaftliches Wissen“ beschrieben werden. Bei Praktikern sind laut Nienhüser wissenschaftliche Theorien weniger verbreitet; bekannt sind Konzepte, welche in der Sprache der Praktiker formuliert, leicht verständlich, gut kommunizierbar und einfach reproduzierbar sind. Oft würden nur einzelne Elemente aus teilweise komplexen Konzepten und Kontexten herausgelöst. Jedoch erkennt Nienhüser in Bezug auf Praktikerwissen auch einen Widerspruch: Einerseits sei belegt, dass Praktiker Theorien in erster Linie nach praktischem, instrumentellem Wert beurteilen; die Anwendbarkeit auf bestimmte Situation sowie die Profitabilität gelte als bedeutsam. Praktiker verlangen demnach nach praktischen Theorien. Andererseits belege eine weitere Untersuchung, dass die in der Praxis bekannten und verbreiteten Theorien einen geringen instrumentellen Wert haben:

Es sind also unter Praktikern unpraktische Theorien besonders verbreitet, obwohl sie doch eigentlich praktische Theorien bevorzugen. In der mikropolitischen Perspektive löst sich dieser Widerspruch auf. Danach könnte eine Theorie oder anderes Wissen sehr wohl nützlich sein, auch wenn der instrumentelle Wert gering ist und kein Beitrag zur Lösung des Wissensproblem geleistet wird. Wenn man bestimmte Aussagensysteme nämlich politisch, d. h. symbolisch-legitimatorisch für die Durchsetzung und Rechtfertigung von Entscheidungen verwenden könnte, wären sie zur Lösung des Konfliktproblems geeignet und insofern in einem anderen Sinne praktisch. So deutet einiges darauf hin, daß die politische Nutzung von Theorien und Konzepten kein seltener Fall ist, ja möglicherweise sogar der häufigere Fall im Vergleich zur instrumentellen Nutzung. In vielen theoretischen Arbeiten wird explizit oder implizit behauptet, daß Wissenschaft vorrangig symbolisch-legitimatorisch bzw. politisch genutzt wird und weniger instrumentell (Nienhüser, 2002, S. 10, Hervorheb. i. O.).

Wissen, das der Soziologie oder der Politikwissenschaft entstammt, weist, so merkt Nienhüser an, in der Unternehmenspraxis weniger Legitimationskraft auf als Wissen anderer Disziplinen; Sozialwissenschaften und die von ihnen geübte Gesellschaftskritik werden mit „Revolutionary Movements“ assoziiert.

Eine Relevanz politischer Nutzung sieht Nienhüser auch darin bestätigt, dass oft bereits antizipativ, durch entsprechende meist selektive Nutzung von Wissenschaft vermieden wird, dass überhaupt Entscheidungen getroffen werden müssen und Konfliktprobleme entstehen. Nienhüser erkennt weiter sogar eine „vorbeugende politische Nutzung“ und meint damit, dass Entscheider sich an den bestehenden Machtstrukturen orientieren, um ihre eigenen Interessen nicht in Gefahr zu bringen. Aus diesem Grund seien sie bemüht, konflikterhöhendes Wissen abzuwehren und auf konfliktreduzierendes Wissen selektiv für Problemlösungen zurückzugreifen. Nienhüser konstatiert ein affirmatives Vorgehen:

Man könnte also vermuten, daß Forschungsergebnisse nicht selten lediglich zur Bestätigung bereits getroffener Entscheidungen verwendet werden (Nienhüser, 2002, S. 11).

Es sei anzunehmen, dass Vorbehalte gegen wissenschaftliches Wissen beziehungsweise die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung dann bestehen, wenn mühsam hergestellte Ressourcenverteilungen und Interessengleichgewichte in Frage gestellt werden. Draus folgert Nienhüser, dass die politische Nutzung von Wissen theoretisch plausibel, in etlichen Situationen funktional und damit kein Einzelfall ist. Die Frage, in welchen Situationen welches Wissen funktional ist, beantwortet er wie folgt:

Zusammenfassend kann man sagen, daß insbesondere in sehr unsicheren Situationen rechtfertigendes Wissen gefragt ist. Abstrakte, widerlegbare Theorien und transparentes, empirisches Wissen stellen solche politisch gefragten Inhalte weniger zur Verfügung als einfache, anschauliche Schemata oder unwiderlegbare, mit metaphysischen und wertenden Elementen durchsetzte Managementphilosophien (Nienhüser, 2002, S. 16).

Nienhüser stellt fest, dass Unternehmen zumeist keine Managementkonzepte und erst recht keine Theorien im Sinne von wissenschaftlichem Wissen benötigen. In der Regel gilt Praktikerwissen als ausreichend. Nur in sehr unsicheren und von Konflikten durchzogenen Situationen gelten Theorien, insbesondere aber Managementkonzepte als nützlich; diese sollten dann allerdings die folgenden Eigenschaften aufweisen:

Diese Konzepte müssen erstens mit den zentralen Werten der Anwender harmonieren, es darf keine Dissonanzen auslösen. Zweitens dürfen sie nicht widerlegbar sein, d. h. müssen möglichst vage und offen formuliert sein. Drittens müssen die Konzepte einfach und leicht kommunizierbar sein. Viertens ist es hilfreich, wenn Beispiele aus erfolgreichen Unternehmen enthalten sind und wenn die Ansätze von erfolgreichen, bekannten [. . . ] Persönlichkeiten mit hohem Prestige getragen werden (Nienhüser, 2002, S. 16).

Wissenschaftliches Wissen, in Gestalt von widerlegbaren Theorien und transparentem, empirischem Wissen, würde derartige von Unternehmen politisch gefragte Inhalte nicht bereitstellen. Daher kommt Nienhüser zu dem Schluss, dass in der Unternehmenspraxis wissenschaftliches Wissen von Managementkonzepten verdrängt wird und in Betrieben „eine affirmative Übernahme von sich vielfach als Legitimationswissen erweisenden unwiderlegbaren Theorien und Managementphilosophien“ erfolgt. Nienhüser hat die Bedeutung von Wissen in der Unternehmenspraxis, vor allem in Bezug auf betriebliche Entscheidungsprobleme thematisiert. Obwohl er keinen Bezug zu Lindblom herstellt, so scheint er doch an mancher Stelle auf Lindbloms Konzept des „Inkrementalismus“ oder des „inkrementalistischen Entscheidens“ aufzubauen.

Mit der Frage, wie Akteure in der modernen Gesellschaft Gestaltungsentscheidungen treffen, setzt sich Uwe Schimank (2005) auseinander und thematisiert dabei auch das Konzept von Lindblom, das im Folgenden unter Rückgriff auf Schimank vorgestellt wird. Inkrementalismus beschreibt Schimank als

[. . . ] ein Bündel von Strategien begrenzt rationalen Entscheidens, die auf einem mittleren Niveau hoher Komplexität adäquat sind (Schimank, 2005b, S. 34).

Lindblom hat empirisch an der Politik untersucht, wie ‚reale‘ Entscheidungen ablaufen und dabei bestimmte Strategiekomponenten erkannt. Bereits im Titel seines Aufsatzes The Science of „Muddling Through“ charakterisiert Lindblom den Inkrementalismus als „Wissenschaft des Sich-Durchwurschtelns“. Muddling Through ist, so Schimank, nicht heroisch, eher verdächtig und deutet darauf hin, dass jemand zu unbeholfen oder zu faul ist, um dem eigenen Entscheiden eine klare Linie zu geben. „Science“ aber ziele darauf ab, dass Muddling Through auf Reflexion gründet. Vielen gilt, so betont Schimank, der Inkrementalismus als Universalrezept; dieser sei, unabhängig von der Komplexität einer Entscheidungssituation, immer die richtige Strategie. Manche würden auch nicht von Inkrementalismus sprechen, sondern über die „Methode von Versuch und Irrtum“ oder „Trial and Error“, was letztlich das Gleiche bedeutet. Jedoch ist Inkrementalismus, so merkt Schimank weiter an, nicht in jeder komplexen Entscheidungssituation die beste Option.

Satisficing markiert laut Schimank die vierte Komponente des inkrementalistischen Entscheidens. Es geht dabei um die Bewertung und auch Auswahl von Alternativen. Satisficing meine, dass die „erste beste“ Alternative, im Sinne der ersten befriedigenden, auf die ein Akteur stößt, gewählt wird:Footnote 2

Befriedigend heißt dabei: Die Alternative erscheint dem Akteur sowohl als hinreichend sach-gerecht als auch als sozial durchsetzbar (Schimank, 2005b, S. 274).

Zeitgerechtigkeit ist das zentrale Rationalitätspotential, das bei Entscheidungen nach dem Prinzip des „Satisficing“ zum Tragen kommt. Durch niedrig gehaltene sachliche wie soziale Rationalitätsansprüche wird die Chance, rechtzeitig eine Entscheidung zu treffen, zwar maximiert, aber nicht garantiert. Das Anspruchsniveau bei Entscheidungen nach dem Prinzip des „Satisficing“ liegt über dem Status quo; wie hoch darüber hängt von der Zeitkomponente sowie von weiteren Faktoren ab. Satisficing ordnet Schimank als eine allgegenwärtige Praktik inkrementalistischen Entscheidens ein.

Nachdem eine der insgesamt vier Komponenten inkrementalistischen Entscheidens, wie beispielsweise Satisficing, ausgewählt ist, folgt deren Implementation; diese beruht gemäß Schimank auf dem Prinzip des „Muddling Through“, das durch eine „Serialität iterativer Problemverschiebung“ gekennzeichnet ist. Ein Akteur müsse bei begrenzter Zeit in der Regel zahlreiche Entscheidungen treffen; käme er wiederholt auf dasselbe Entscheidungsproblem zurück, würden darunter alle weiteren Probleme leiden:

Einerseits bemüht sich eine inkrementalistische Entscheidungsstrategie also darum, einem Entscheidungsproblem nicht mehr als einen Durchgang zu gewähren. [. . . ] Andererseits ist der Inkrementalismus prinzipiell von vornherein darauf eingestellt, dass doch Folgeentscheidungen nötig sein könnten. Mehr noch: Es besteht nicht der Optimismus, ein bestimmtes Problem ein für alle Mal – und sei es in mehreren Durchgängen – loswerden zu können, wenn man sich nur genügend Mühe bei der Entscheidung gibt. Vielmehr wird die Serialität des Entscheidens einkalkuliert [. . . ] – was bis hin zu einer Totalrevision der ursprünglichen Entscheidung reichen kann (Schimank, 2005b, S. 281).

Daher planen Akteure, die eine inkrementalistische Entscheidungsstrategie verfolgen, nicht langfristig, sondern praktizieren eine „Politik der kleinen Schritte“. Laut Schimank sind Prozesse „inkrementalistischer Serialität“ von nicht-teleologischem Charakter. Sich situativ aufdrängende Probleme würden abgearbeitet, was neue Probleme erzeuge, die wieder abgearbeitet würden. Inkrementalistisches Entscheiden mündet so in iterativem Problemverschieben. Organisatorische Gestaltungsentscheidungen verliefen ähnlich:

Auf diesen Ebenen ist die Serialität iterativer Problemverschiebung teilweise als reflektierte Selbstkorrektivität installiert. Es hängt dann nicht mehr von der – vorhandenen oder nicht vorhandenen – Einsicht eines Entscheidungshandelnden ab, dass Folgeentscheidungen angebracht sind, ob diese in die Wege geleitet werden; sondern es gibt dafür institutionalisierte Wege (Schimank, 2005b, S. 290).

Wegen Zeitdrucks sei es für Organisationen unmöglich, mit einem Mal eine optimale Problembearbeitung zu erreichen und das Entscheidungsproblem so weit zu erfassen, dass eine optimale Entscheidung getroffen werden kann. Aus diesem Grund erscheine ein Vorgehen nach dem Prinzip „Trial and Error“ angebracht:

Aufgrund mehr oder weniger reichhaltiger Erfahrungen mit mehr oder weniger ähnlichen Problemsituationen wird eine vorläufige Form der Problembearbeitung gewählt, die auf ihre verschiedenen Wirkungen hin möglichst genau beobachtet wird; sobald sich herausstellt, dass die tatsächliche Problembearbeitung hinter den Erwartungen zurückbleibt, erfolgen – auf der Basis der hinzu gewonnenen Erfahrungen! – gezielte Korrekturen in Richtung einer adäquateren Problembearbeitung [. . . ] (Schimank, 2005b, S. 291).

Da die getroffene Entscheidung nicht endgültig sein muss, ermöglicht ein derartiges Vorgehen, so erklärt Schimank, dass relativ schnell entschieden wird. Dadurch könne dem zeitlichen Problemdruck entsprochen werden. Ferner baue jede Folgeentscheidung auf allen ihr vorangegangenen auf. Auf diese Weise würde die zu Beginn unübersehbare Entscheidungssituation durch die sukzessive Realisierung von Entscheidungsfolgen und deren Bearbeitung durch nachfolgende Entscheidungen mit der Zeit abgebaut. So lasse sich zudem das dem Innovationspotential einer Entscheidung inhärente Risikopotential kontrollieren. Selbstkorrektive Entscheidungen zeichnen sich, so Schimank, durch zwei eng verwobene Komponenten aus: Sequenzialität und Reversibilität. Sequenzialität meine, dass Probleme schrittweise bearbeitet werden; Akteure tasten sich gemäß Trial and Error weg von dem problematischen Status quo hin zu einer Lösung des Problems. Damit bestehe der Sinn von Sequenzialität darin, Reversibilität zu ermöglichen:

Jede der Teilentscheidungen kann sich als falsch erweisen; aber da jede von ihnen immer nur eine vergleichsweise geringe Entfernung vom vorherigen Zustand bedeutet, also keinen radikalen Bruch mit dem Status quo ante vollzieht, lässt sich jede nötigenfalls in ihren negativen Auswirkungen korrigieren (Schimank, 2005b, S. 294).

Schimank hält fest, dass das Wirtschaftssystem Selbstkorrektivität in seine Eigenlogik eingebaut hat. Der Marktmechanismus sorge dafür, dass sich das Warenangebot und damit die Investitionsentscheidungen eines Unternehmens beständig an der Nachfrage der Konsumenten orientiert. Mit den Konzepten von Nienhüser und Lindblom sind der folgenden Darstellung der empirischen Forschungsergebnisse zwei weitere Theorien vorangestellt, die deren Deutung und soziologische Einordnung ermöglichen.

6.2 Typen der Wissensverwendung

Automobilhersteller setzen Social-Media-Analysen zum Zweck der Wissensgenese ein:

Befragter: Ähm, über die Erkenntnis, dass du im Netz ein UNGLAUBLICHES Wissen hast. Über unsere Produkte. Ähm, und auch eine sehr große Einschätzung dazu. Also, ich sage dir ein Beispiel: Wenn du irgendeine (…) Reparatur an einem Auto machen willst, was 20, 30 Jahre alt ist, da findest du im Netz Leute, die (…) die Farben von Kabeln von Steuergerät XY im Kopf haben, die ein UNGLAUBLICHES Wissen darüber haben, was wir selber in der Company gar nicht haben. Wahrscheinlich gibt es jemanden, der auch einen Uralt-[Marke des Unternehmens des Befragten]/ der dir bei einem [Fahrzeug Modell Rosa] sagen kann, was dieses ABS-Steuergerät oder so was ist, aber im Netz findest du sie sehr, sehr zielsicher. Diese Leute haben ein Wissen und haben eine Einschätzung, zu [Marke des Unternehmens des Befragten]. Und, ähm, (…) das ist das Eine mal, dass du das Wissen hast. Zum anderen ist mir immer wieder klar geworden, dass wir eine Riesengroße Fan-Gemeinde haben, ne. Es gibt Leute, die lassen sich unser Firmenlogo tätowieren. Die sind wirklich/, (stockt) die sind völlig begeistert von uns. Und, ähm, deren Einschätzung zu Innovationen von uns und, ähm, ist, glaube ich, sicher (stockt) wichtig zu kennen. Also, wenn die Frage ist, können wir das einfach eins zu eins übernehmen, was diese Leute zu uns sagen, nein, natürlich NICHT. Aber es ist sehr wichtig es zu kennen (I16/ S1/ Z30–43).

Die Wissenssoziologie beschäftigt sich mit der Entstehung oder Erzeugung von Wissen und auch mit dessen Verwendung. Daher wurde das Untersuchungsmaterial ebenso auf die Frage hin analysiert, wie das betrachtete Unternehmen das von ihm über Social-Media-Analysen gewonnene Wissen im Anschluss an dessen Genese verwendet.

Soziale Medien sind Bestandteil der Netzöffentlichkeit. Social-Media-Analysen werden von den Befragten als ein Instrument zur Erforschung des in dieser Netzöffentlichkeit zu findenden Wissens, das Kunden der Automobilindustrie und Nutzer der sozialen Medien in diesen platzieren, eingesetzt. Wie im Verlauf dieses Abschnitts noch vertieft wird, begreifen die Praktiker Monitoring und Listening als Verfahren zur Erforschung von frühen Meinungen der Kunden und Nutzer sozialer Medien, die „ungefiltert“ in der Netzöffentlichkeit platziert werden, sich durch ihre Authentizität auszeichnen, öffentlich sichtbar und somit für eine Untersuchung zugänglich sind. Über Social-Media-Analysen möchten die praktischen Anwender zu einem frühen Zeitpunkt herausfinden, wie beispielsweise bestimmte Produkte oder auch Kommunikationsmaßnahmen „wirklich“ bewertet oder welche Themen als Innovationen diskutiert werden:

Befragter: [. . . ] Ist vielleicht auch so was, wo ich sage, hat mich überrascht bei Social Media, ähm, (…) es wird ja nicht nur gejammert über die Sachen, wie sie umgesetzt sind, sondern es wird auch philosophiert (stockt) oder richtige Lösungsbeschreibungen gegeben, wie sie es gerne umgesetzt hätten (atmet ein) und die Sachen kann man natürlich perfekt aufgreifen (I20/ S1/ Z44–48).

Social-Media-Analysen würden damit ein Element, ähnlich einem „Mosaikstein“ oder auch „Puzzleteil“, in einer Gesamtbetrachtung darstellen und neben anderen Methoden wie der Marktforschung einen Beitrag zu dem Wissen leisten, das zum Beispiel zur Beantwortung von spezifischen Fragestellungen zusammengetragen wird. Dem über Monitoring und Listening generierten Wissen kommt auch in der Automobilindustrie eine Orientierungsfunktion zu; es befähigt den deutschen Automobilhersteller zum Handeln. Über Social-Media-Analysen werden „detaillierte“ Informationen erhoben, Fragestellungen beantwortet, Erklärungen generiert und Verstehen ermöglicht. Über Exploration wird Wissen aus sozialen Medien geschöpft und in das Unternehmen zur Orientierung ‚hineingeholt‘ sowie über eine Reflexion zur Legitimation genutzt. Um dies deutlich zu machen, wurden anhand des untersuchten Datenmaterials die bei dem Automobilhersteller anzutreffenden Typen der Wissensverwendung rekonstruiert. Diese anhand von Praktikerwissen in Bezug auf Social-Media-Analysen rekonstruierten Typen der Wissensverwendung werden nun vorgestellt. Sie können ebenso als die der Praxis von Monitoring und Listening innerhalb des Unternehmens zugrunde liegenden Intentionen aufgefasst werden.

Damit behandelt dieser Abschnitt zum einen die Frage, was die Praxis von Social-Media-Analysen für das betrachtete Unternehmen, dessen Wissen und Wissensgenese bedeutet, und geht zum anderen den Intentionen für die Durchführung von Social-Media-Analysen auf den Grund. Letzteres steht im Mittelpunkt der Auseinandersetzung. Beide Aspekte werden anhand der dieser Arbeit zugrunde liegenden Berichte der befragten Social-Media-Analysten über zwei Schritte beleuchtet. Zunächst wird gezeigt, wie sich der deutsche Automobilhersteller Orientierung durch eine Exploration von Wissen verschafft. Daran anschließend geht es um die Entstehung oder vielmehr um die Erzeugung von Legitimation anhand der Reflexion von Wissen.

6.2.1 Orientierung über Exploration von Wissen

Das zur deutschen Automobilindustrie gehörende Unternehmen, dem das dieser Studie zugrunde liegende Datenmaterial entstammt, setzt Social-Media-Analysen als Methode ein, um Orientierung über Exploration von Wissen herzustellen:

Befragter: [. . . ] Ähm, insofern löst da die Social-Media-Analyse das Problem des Blindflugs (…) (I19/ S8/ Z42–43).

Was unter Wissen zu verstehen ist, wurde ebenso schon dargelegt wie die vom betrachteten Unternehmen angewandte Praxis der Exploration bereits herausgearbeitet wurde. Inwiefern nun Monitoring und Listening eine Orientierungsfunktion bei dem deutschen Automobilhersteller übernehmen und sich dieser über die Exploration von Wissen orientiert, beleuchtet dieser Abschnitt ebenso wie die Frage, ob die durch die Exploration von Wissen erzeugte Orientierung als erster Typ der Wissensverwendung und damit als eine der angewandten Praxis von Social-Media-Analysen zugrunde liegende Intention ausgemacht werden kann.

Social-Media-Analysen bieten sich als ein exploratives Verfahren an. Zum Zweck der Exploration, also der Erkundung mit dem Ziel der Generierung von Erkenntnis, werden Monitoring und Listening auch von den befragten Social-Media-Analysten eingesetzt. Jedoch praktizieren sie – dies sei in aller Deutlichkeit hier nochmals betont – die Methode nicht mit dem entsprechenden Methodenwissen, sondern gemäß dem Denkstil ihres Unternehmens. Es handelt sich bei den von den Praktikern umgesetzten Social-Media-Analysen damit nicht um explorative Untersuchungen, wie der Sozialforschung bekannt, sondern eher um allgemeine Erkundungen. Da das Vorgehen der Befragten jedoch am ehesten mit explorativer Forschung zu vergleichen ist, wird hier trotzdem auf den Begriff „Exploration“ zurückgegriffen. Den praktischen Anwendern geht es darum, über die Methode der Social-Media-Analysen Wissen zum Zweck der Orientierung in ihr Unternehmen ‚hineinzuholen‘. Die Begriffe „Wissen“ und „Exploration“ wählen sie selbst nicht; stattdessen sprechen sie von einem „Kristallkugellesen“:

Befragter: [. . . ] Da ist natürlich viel Kristallkugel mit dabei, ABER auch der große Vorteil von Social Media, ich habe hier eine sehr große Datenbasis potentiell, ja. Ich rede ja nicht von irgendwie drei, vier Stichproben, die ich da habe, sondern ich rede ja dann im Idealfall von Millionen von Stichproben, ja. Millionen von Kundenaussagen, die mir gewisse Trends aufzeigen könnten. Da sehe ich das größte Potential, ja (I25/ S16/ Z31–35).

Das „Kristallkugellesen“, als das Social-Media-Analysen mitunter begriffen werden, ist nicht in jedem Fall nur positiv konnotiert, wie auch die Interviewpassage illustriert. So gelten Monitoring und Listening zwar als Verfahren, die – um im Bild zu bleiben – zum „Lesen einer Kristallkugel“ befähigen, doch diese Metapher wird auch angewendet, um Zweifel oder Unsicherheit in Bezug auf die Gültigkeit und Verlässlichkeit der über die Methode gewonnenen Ergebnisse auszudrücken. Anhand der bislang in dieser Arbeit dargelegten Befunde erklärt sich die Wahl der Metapher nicht zuletzt auch mit der Delegitimierung, welche qualitative Verfahren bei dem deutschen Automobilhersteller erfahren. Social-Media-Analysen sind als Methode für explorative Untersuchungen geeignet; für diese sind fundierte Kenntnisse qualitativer Sozialforschung vonnöten. Letztere sind jedoch, wie dargelegt, bei den befragten Social-Media-Analysten nicht zu verzeichnen. Aus diesem Grund ist davon auszugehen, dass diese auch mit der Methodik, die hinter Social-Media-Analysen steht oder zumindest stehen sollte, nicht vertraut sind. Somit und auch, da Social-Media-Analysen unternehmensintern als ‚exploratives Novum‘ angesehen werden, assoziieren die Praktiker die Anwendung der Methode mitunter mit einem „Kristallkugellesen“ oder auch „Glaskugellesen“:

Befragter: (…) Ich glaube, ich würde sehr viel mehr pilotieren. Ich würde sehr viel stärker, ähm, Dinge ausprobieren ohne zu wissen, ob das funktioniert oder nicht. Aber ich würde definitiv dann, auch mal (…) Aktivitäten starten, von denen ich mir nicht sicher bin, ob das überhaupt funktioniert. Aber man kann es ja eben (stockt), man weiß es eben nicht. Es ist oftmals Glaskugellesen (I6/ S10/ Z25–29.)

Trotz einer auch pejorativen Konnotation der Metapher wird mit dieser ein Potential angeführt, welches mit den Verfahren des Monitorings und Listenings einhergeht. Nicht zuletzt deutet dieses auch auf die Erkenntnisse hin, die über Social-Media-Analysen generiert werden und in Orientierung für das Unternehmen besteht.

Dass die Methode als Ergänzung einer Gesamtbetrachtung und Lieferant zusätzlicher Informationen zu einem „Mosaik“ oder „Puzzle“ umgesetzt wird, wurde zuvor bereits thematisiert. Zur Illustration sei ein schon aufgeführter Interviewausschnitt nochmals angeführt:

Befragter: Ist eigentlich, dass dieses Instrument ALLEINE mir als relativ wenig scharfes Schwert erschien, weil, das war eben der Fall, dennoch vorher berichtet habe, im Sinne von, „ja, müssen wir jetzt was machen?“ und mein Eindruck ist, dass da Social-Media-Analyse immer nur quasi einen ersten, einen schnellen Einblick geben kann, ähm, dass ich daraus aber nur selten wirklich Maßnahmen ableiten kann (I32/ S16/ Z44–48).

Social-Media-Analysen werden – und dabei handelt es sich um eine zweite Metapher – als ein „wenig scharfes Schwert“ bezeichnet und neben andere in dem betrachteten Unternehmen genutzte Methoden eingereiht. Die Methode habe im Vergleich eine nur geringe Aussagekraft und sei nicht „belastbar“, für sich alleine eben nicht „scharf“. Dies bedeutet, dass Monitoring und Listening nur in Kombination mit anderen Methoden eingesetzt werden können, um gemeinsam mit diesen ein „Mosaik“ oder „Puzzle“ für die Beantwortung einer Fragestellung zu vervollständigen; für eine Fertigstellung dieses „Mosaiks“ oder „Puzzles“ werden die Ergebnisse, die die Methode liefert, allerdings als erforderlich angesehen. Zum einen beruht auch diese Beurteilung der Verfahren wohl in der schon festgestellten Delegitimierung qualitativer Forschung, zum anderen aber sind einzelne „Mosaiksteine“ oder „Puzzleteile“, so klein sie auch sein mögen, bedeutsam, um ein Bild, das orientieren kann, als Ganzes zu sehen oder, um eine Orientierung für die Herstellung eines solchen zu leisten. Social-Media-Analysen liefern demnach keine ‚harten‘ „Zahlen, Daten, Fakten“ und gelten auch nur als ein „wenig scharfes Schwert“, doch wird ihr Beitrag zur Komplettierung eines „Mosaiks“ und „Puzzles“ anerkannt und vor allem offenbar auch benötigt. Als eines von mehreren Elementen, die eine Gesamtbetrachtung ermöglichen, gibt die Methode dem deutschen Automobilhersteller Orientierung. Wie bei der Suche nach einem geographischen Ziel kann Orientierung mitunter nur auf einer Deutung in die Richtung, in der dieses liegt, beruhen, und muss nicht unbedingt in einer genauen Adressangabe gründen:

Befragter: [. . . ] Äh, wir haben das so ein bisschen als Einstieg in ein Innovationsprojekt immer gemacht. Also, äh, eigentlich gleich am Anfang. Innovationsprojekt heißt, dass wir da nach Inspiration für Bedürfnisse des Menschen suchen. Und darauf basierend dann Innovationen (…), äh, zu entwickeln. Das heißt, wenn wir es vorher eingesetzt haben, dann war es wohl noch vor dem eigentlichen User-Research, um (stockt) eine Ziel-Richtung besser rauszufinden, wo man denn reingeht, dort, in welche Thematik. Oder da nochmal eine Basis abzuklappern. [. . . ] Und da irgendein Gefühl zu kriegen, ähm, wie wird mit dem Thema umgegangen? (Stockt) wie wird darüber diskutiert? Oder so was. Was brauche ich dort? (I15/ S2/ Z24–33).

Social-Media-Analysen weisen in Richtungen, erzeugen Deutungen und bedürfen der Interpretation, wie dies bei qualitativer Sozialforschung und explorativem Vorgehen üblich ist. Auch über das Deuten in Richtungen und über Interpretationen werden Ziele erreicht oder, wie das untersuchte Datenmaterial zeigt, ermittelt:

Befragter: Also es war eigentlich immer (stockt), ganz grob gesagt, immer am Anfang eher so eine/ so eine Ausrichtung, so eine Sortierung, (stockt) so eine, mhm (überlegend), Unterstützung (stockt) in der Zielrichtung. So was. Also eher Orientierung geben oder eine/ ein Baustein, eine gewisse Grundlage geben, auf der ich dann, äh, tiefer einsteige, eigentlich rein/ tiefer rein drille (I15/ S2/ Z37–41).

Die Methode wird von den praktischen Anwendern auch eingesetzt, um Ergebnisse, die schon vorliegen, zu überprüfen und gegebenenfalls auch zu bestätigen. Darüber hinaus kommen Monitoring und Listening zur Anwendung, um Vergleiche anzustellen; zum Beispiel hinsichtlich in sozialen Medien enthaltenen Bewertungen von Produkten oder Kommunikationsmaßnahmen, auch für den Vergleich unterschiedlicher Märkte, oder um Wettbewerber miteinander in Beziehung zu setzen:

Befragter: [. . . ] Ähm, und haben uns überlegt, wer denn da so Vergleichs-Marken wären, an denen wir uns orientieren können, und da haben wir vor allem geguckt, also, zum einen, was bedeutet Social Media, wo können wir erfolgreich sein, in welchen Kanälen, ähm, (stockt) da sage ich gleich noch was dazu, wir haben geschaut, welche Bildwelten wir zeigen wollen und welche Textlängen wir zeigen wollen. Und haben sowohl/ oder ich habe damals das zum einen mit Wettbewerbern verglichen, aber auch mit, äh, Design spezifischen Marken, wo wir gesagt haben, da können wir uns gut daran orientieren oder, ähm, die machen das sehr schön einfach vom Auftritt. Und damals waren vor allem gleich [Luxus-Modemarke Sommer] und [Luxus-Modemarke Winter], die ja auch, ähm, durch ihre (…), mhm (überlegend), die nicht in jedem Bild, äh, Fahrzeuge, (stockt) äh, oder Produkte zeigen, aber alleine durch ihre Bildwelten einen Wiedererkennungseffekt erzeugen (I24/ S2/ Z6–15).

Des Weiteren ist die Durchführung von Zeitpunkt- und Zeitraumbetrachtungen sowie von kontrastierenden Untersuchungen von Gegenwart und Vergangenheit bei Social-Media-Analysen üblich. Nicht zuletzt wird mit dem Einsatz der Methode das Ziel verfolgt, Kunden und Nutzern sozialer Medien „zuzuhören“ und diese „zu beobachten“; auf diese Weise sollen deren mögliche Meinungen, Anliegen, Bedürfnisse, Wünsche, aber auch Motive sowie deren Dispositionen in Erfahrung gebracht und verstanden werden. Sämtliche Intentionen, die den Social-Media-Analysen der Befragten zugrunde liegen, bestätigen, dass mit der Methode Wissen explorativ untersucht wird. Dies geschieht nicht, um Erkenntnis zu generieren, sondern um über die Auseinandersetzung mit Wissen dem betrachteten Unternehmen die benötigte Orientierung zu geben, die eine Handlungsbefähigung begründet:

Befragter: [. . . ] Aber es ging eigentlich los mit diesem Thema, „wir wollen die Kunden besser verstehen, wir wollen ja kundenorientierter sein“, dazu muss man mehr verstehen, auch was braucht der Kunde eigentlich, losgelöst ein Stück weit von den, ähm, was damals auch schon, äh, stark im Fokus war, dieses ganze Thema, ähm, [Studie Weiß], aber, wir fragen ja dann den Kunden immer, „findest du jetzt die Klima-Anlage gut oder ist die difficult to use?“. Und dann macht halt der sein Kreuzchen und wir kra/ haben aber kein/, ähm, keine Möglichkeit rauszufinden, stört ihn jetzt die Sitzverstellung mehr wie die Klimaanlage? Ja, so ein bisschen, um eben rauszufinden, was bewegt denn die Kunden, wenn wir sie nicht (…) fragen, sondern einfach nur mal zuhören. Über was spricht der denn? Und das war so der Beweggrund mit dem Thema auch anzufangen. Genau (I5/ S2/ Z10–19).

Im weiteren Verlauf dieses Abschnitts wird der nun dargelegte Befund detaillierter herausgearbeitet und im Zusammenhang der bereits gezeigten ‚quantitativen Logik‘ des betrachteten Unternehmens diskutiert. Dafür ist zunächst zu zeigen, dass Social-Media-Analysen genutzt werden, um der Netzöffentlichkeit „zuzuhören“ beziehungsweise diese „zu beobachten“. Des Weiteren kommt die Methode zum Einsatz, um die ‚Außenwelt‘ wahrzunehmen und wird in dieser Ausprägung in einem nächsten Schritt vorgestellt. Daraufhin werden Monitoring und Listening als Verfahren zum Zweck der Exploration und dem Entdecken von Innovationen und Ideen thematisiert. Eine Darstellung von Social-Media-Analysen als Instrument des explorativen ‚Krisen-Monitoring‘ beschließt den vorliegenden Abschnitt.

6.2.1.1 Social-Media-Analysen als Alethiometer

Ein Alethiometer ist ein fiktives Instrument, welches der Protagonistin in dem Roman Der Goldene Kompass von Philip Pullman (1996) Fragen beantwortet, nachdem sie es zu handhaben gelernt hat. Oliver Dimbath (2011b) hat, auf die altgriechischen Wurzeln des Wortes rekurrierend, ein Alethiometer als ‚Wahrheitsmesser‘ beschrieben. Für diese Forschungsarbeit scheint es eine geeignete Metapher, anhand derer sich nachzeichnen lässt, aus welcher Intention heraus die befragten Social-Media-Analysten Monitoring und Listening anwenden. „Einfach nur mal zuhören“ möchten sie den in sozialen Medien oder der Netzöffentlichkeit zu vernehmenden Stimmen. Die Praktiker verfolgen die Absicht, das Geschehen „dort“ zu „beobachten“ und nutzen Social-Media-Analysen als Alethiometer.

Dass der unter anderem in sozialen Medien beheimateten Netzöffentlichkeit aktuell im Zuge des digitalen Wandels eine enorme Bedeutung zukommt, haben die praktischen Anwender der explorativen Methode bereits bemerkt:

Befragter: [. . . ] Also, ich meine, WIR MÜSSEN gucken, was da/, also das ist ja die grundlegende Entscheidung, ja, also die Leute werden sowieso reden, entweder du bist Teil davon oder halt nicht. Und du MUSST halt Teil davon sein und, äh, (stockt) eines unsere Grund-Credos, ja, one step ahead. Wir wollen eigentlich, ähm, die Potentiale, die es da halt gibt, dann auch noch heben und gucken, dass wir die halt auch wirklich intelligent einsetzen (I29/ S13/ Z32–37).

Es geht den Befragten darum, Meinungen zu ermitteln, die in dieser Netzöffentlichkeit bestehen. Die Netzöffentlichkeit ist für sie ein mitunter unbestimmbarer und aus diesem Grund schwierig einzuordnender Raum, der nicht greifbar ist und sich durch eine bis dahin ungekannte „Kultur der Digitalität“ auszeichnet:Footnote 3

Befragter: [. . . ] [D]a gibt es verschiedene Qualitätsstufen, ähm, das weiß man dann bei sozialen Medien immer weniger, weil das ist ein relativ neues Medium und, äh, da, (stockt) ähm, sind Phänomene, die man sich noch nicht so richtig erklären kann. Deshalb, ähm, hat man begonnen, ich würde jetzt sagen, so, pft, ja, Anfang der 2010er Jahre erste, äh, Medienanalysen auch in sozialen Medien zu machen, natürlich mit Fokus auf/ auf unser Geschäft. Und, ähm, dabei kam nicht so viel Erstaunliches raus. Ähm, man hat gemerkt, aha, das, was wir sozusagen in den sozialen Medien messen, unterscheidet sich, äh, dahingehend, äh, was wir sehen, zwischen VERÖFFENTLICHTER Meinung, also klassischen Medien, und ÖFFENTLICHER Meinung. Soziale Medien, äh, charakterisieren sich ja dadurch, dass sie vor allem von nicht professionellen, äh, Kommunikatoren getrieben wird, (räuspert sich) und vor allem, äh, sozusagen eine sehr subjektive/ einen sehr subjektiven Blick auf die Welt haben. Weil, äh, es ist meistens (stockt) eine Art Betroffenheits-Kommunikation (I22/ S4/ Z19–30).

Wie gezeigt, wird über Social-Media-Analysen Wissen untersucht, das auf Erfahrungen der Nutzer sozialer Medien beruht. Anhand der explorativen Vorgehensweise, die Monitoring und Listening kennzeichnet, leisten die Social-Media-Analysten einen Beitrag zu der Orientierung ihres Unternehmens. Die Methode gilt als ein wesentlicher, wenn nicht sogar als der einzige Weg in die Netzöffentlichkeit:

Befragter: [. . . ] Also ich glaube der Hauptgrund warum Social Media gemacht wird, ist nicht die Schnelligkeit, sondern tatsächlich die einzige Möglichkeit Kundenstimmen zu bekommen (I2/ S4/ Z34–35).

Den praktischen Anwendern von Social-Media-Analysen geht es darum, in sozialen Medien publizierte Meinungen, die damit in der ‚Netzwelt‘ öffentlich sind, zu ermitteln. Über Monitoring und Listening werden in der Netzöffentlichkeit publizierte Meinungen und deren Entwicklung erforscht. Für die Befragten scheint es klar zu sein, dass es gegenwärtig unumgänglich ist, über Social-Media-Analysen den eigenen Blick und den ihres Unternehmens, für das sie die Methode zur Anwendung bringen, in die Netzöffentlichkeit zu lenken. Es gelte, dieser „zuzuhören“ und sie „zu beobachten“, denn anders könne nicht erfahren und verfolgt werden, was sich in dieser ‚Netzwelt‘ zuträgt. „Dort“, in der Netzöffentlichkeit, die soziale Medien wesentlich mitbestimmt, vermuten die Befragten Wissen, das es in ihr Unternehmen ‚hineinzuholen‘ gilt:

Befragter: Also, natürlich, man sitzt hier und man hat bestimmte Vorstellungen und dann ist es immer noch, was wollen die dort nun draußen wirklich? (I26/ S3/ Z21–22)?

Doch handelt es sich bei der Netzöffentlichkeit, welche die Praktiker explorativ zu erforschen versuchen, ihrem Verständnis nach nicht nur um eine ‚neue Welt‘, sondern vielmehr noch um eine außerhalb ihres Unternehmens existierende ‚Realität‘, um ein „Draußen“. Monitoring und Listening werden als Verfahren beschrieben, die einen Blick in die ‚Realität‘ eröffnen oder überhaupt erst ermöglichen. Die Befragten nutzen Social-Media-Analysen zur Ermittlung des ‚Realgeschehens‘ oder, um einen Abgleich ihres eigenen Handelns mit der ‚Realität‘ anzustellen und sich so daran zu orientieren. Monitoring und Listening werden als Verfahren eingeschätzt, die ‚Objektivität‘ anhand von ‚Subjektivität‘ herstellen, womit die in sozialen Medien vorzufindenden Meinungen und das darin enthaltene Wissen gemeint ist. So vergessen die Social-Media-Analysten auch die ‚Logik‘ ihres Unternehmens nicht, denn die ‚Objektivität‘, die sie in sozialen Medien erkennen, führen sie ebenso wie die Qualität, die sie darin vermuten, auf eine ‚Quantität von Subjektivitäten‘ zurück. Über die hohe Anzahl der Inhalte sozialer Medien werde die ‚Realität‘ abgebildet. Mit der Methode sei die Untersuchung der Gegenwart möglich. Social-Media-Analysen gelten als für Gegenwartsbetrachtungen geeignet und werden zu diesem Zweck genutzt.

Nicht zu unterschätzen ist laut den Ausführungen der Befragten auch die Eignung von Social-Media-Analysen zur Auseinandersetzung mit Meinungsführern beziehungsweise Influencern:

Befragter: [. . . ] Äh, wichtig für uns sind natürlich hier auch, äh, entsprechende Multiplikatoren, die ein gewisses Gewicht, äh, sozusagen im Netz haben, in den sozialen Medien haben. (Stockt) die vielleicht auch als Influencer wahrgenommen werden [. . . ] (I22/ S8/ Z8–10).

Es könne sich bei diesen zum einen um einzelne in sozialen Medien in Erscheinung tretende Subjekte handeln, aber ebenso um Objekte in Gestalt von spezifischen Foren oder Blogs. So wird über die explorative Methode der Social-Media-Analysen den Stimmen, die in der Netzöffentlichkeit verlauten, „zugehört“ und das Geschehen darin „beobachtet“. Ziel ist es herauszufinden, wer dort die zentralen Meinungsführer sind:

Befragter: [. . . ] Wir wirken auf die veröffentlichte Meinung, das heißt auf Multiplikatoren, institutionelle Multiplikatoren. Das sind vor allem Medien, äh, Medien, Journalisten, Redakteure, äh, zunehmend vielleicht auch so ein paar Freie, wie Blogger, aber das ist, ähm, muss man (stockt) von Region zu Region unterschiedlich, äh, betrachten. [. . . ] Diese Gruppe der Stakeholder wird in Zukunft, äh, wichtiger. Sie haben höhere, äh, sie haben höhere Implikationen auf, äh, den Erfolg eines Unternehmens, im Allgemeinen, speziell in der Automobilbranche, äh, in der Zukunft. [. . . ] So, das ist unser Spektrum. Und, äh, dieses Spektrum wurde natürlich, äh, sozusagen gemessen, analysiert (I22/ S3/ Z14–23).

Die Meinungsführer zu kennen sei aus zwei Gründen relevant: Zum einen könne sich der deutsche Automobilhersteller in seinem eigenen Handeln so unmittelbar an diesen „Leads“ orientieren; zum anderen sei es für Kooperationen mit „Brand Evangelists“ wegen der Multiplikationen, die diese erzeugen können, ausschlaggebend, mit den für die Automobilindustrie relevanten Meinungsführern der Netzöffentlichkeit vertraut zu sein. Dafür müsse diesen „zugehört“ oder sie „beobachtet“ werden:

Befragter: [. . . ] Und dann ist halt die Frage, äh, werden Maßnahmen daraus abgeleitet oder nicht, ja, wo ist Handlungsbedarf, wie können wir über welche Kanäle gegebenenfalls vorbeugen? Es werden eben Probleme identifiziert, äh, denen man Herr werden muss, Potentiale identifiziert, die man nutzen kann, Partner identifiziert, ähm, eben auch, ähm, eben (stockt) diese, ähm, Brand Evangelists identifiziert, mit denen man auch dann versucht bewusst zu arbeiten, ja (I29/ S8/ Z37–42).

Die praktischen Anwender von Social-Media-Analysen haben also erkannt, dass unter Anbetracht des gegenwärtigen digitalen Wandels der Netzöffentlichkeit wesentliche Bedeutung beizumessen ist. Social-Media-Analysen werden von ihnen als ein ‚Must-have‘ beziehungsweise ‚Must-do‘ bewertet. Die explorative Methode der Social-Media-Analysen gilt als elementar, um die Netzöffentlichkeit untersuchen zu können und in Bezug auf sie sowie auch anhand von ihr „detaillierte“ Informationen zu erheben, Fragestellungen zu beantworten, Erklärungen zu generieren und somit Verständnis zu ermöglichen. Wegen der Bedeutung, die sozialen Medien zukommt, sehen die Praktiker Social-Media-Analysen, als den einzigen Weg zur Erforschung des darin enthaltenen Wissens und als „State-of-the-Art-Tool“ im Sinne eines Ansatzes, der gegenwärtig in keinem Methodenrepertoire fehlen darf:

Befragter: [. . . ] Ähm, aber vom Grundsatz her ist es eigentlich ein State-of-the-Art-Tool, das man haben sollte, einfach auch, um das Ohr am Markt zu haben. Ich habe (stockt) dann damals bei der Qualität eigentlich immer gesagt, „das ist eigentlich unsere Versicherung mitzubekommen, ob sich da irgendwas auftut, von dem wir noch gar nichts mitkriegen“. Weil wenn sich mal irgendein Qualitäts-Problem, (…) wie jetzt bei [Wettbewerber III] oder so, ne, ähm, mal auftut, (stockt) dann macht das im Social Web halt eine wahnsinnig schnelle Welle und die muss/ je früher ich sie mitkriege, desto mehr Zeit hat man (…) auch angemessen darauf zu reagieren oder eben auch zu sehen, ob das eine RIESEN-Welle wird, wo man wirklich jetzt mal aktiv werden muss oder, ob das alles nur kleine Stroh-Feuerchen sind. Aber, man braucht eigentlich so den Finger am/ im Spinnennetz dran, ja (I27/ S8/ Z19–28).

Das ‚explorative Novum‘, als welches die Social-Media-Analysten des betrachteten Unternehmens die Verfahren des Monitorings und Listenings ausmachen, scheint ihnen der einzige Weg zur Erschließung des ‚Novums Social Media‘. Einem Alethiometer gleich werden, so zeigen ihre Ausführungen, Social-Media-Analysen als Instrument zur Fragenbeantwortung und für die Entdeckung von Detailinformationen und Erklärungen, die Verständnis ermöglichen, genutzt. Es handelt sich allerdings nicht um quantitative Messungen, die mit dem Alethiometer praktiziert werden, sondern um ein exploratives Vorgehen. Über eine explorative Methode könne das in sozialen Medien vorhandene Wissen „handhabbar“ gemacht werden. Mit anderen Worten: Social-Media-Analysen befähigen durch die Exploration von Wissen zur Orientierung in der Netzöffentlichkeit:

Befragter: [. . . ] Aber ansonsten, welche Probleme löst, ähm, die Social-Media-Analyse? Ja, ich meine, gerade die Chancen, die man hat, ich f/, die Chancen, die man hat, auch Informationen zu verdichten, Menschen geben sehr viel preis über die Kanäle. Man hat die Möglichkeit, jetzt in Deutschland weniger, aber in anderen Ländern, die auch mit dem Datenschutz ein bisschen offener umgehen, ähm, Möglichkeiten, Dinge zu verdichten, ja. Big Data Analysen zu machen, ähm, die einem (…) sehr viel Insights auch geben, ja. Wir nutzen das, um, es nennt sich Custom Audiences, das heißt, wenn wir in einer Vermarktung, ähm, Werbung ausspielen, dann hilft uns eine Analyse daraus, ähm, festzustellen, wenn jemand Interesse hat an einem [Fahrzeug Modell Grün], dann hat er auch Interesse zu einem gesteigerten Maß an Urban Gardening. Oder, ähm, ich weiß nicht, äh, Lifestyle orientierten Themen, ähm, oder an Mode, ja. Ähm, und können dann entsprechend unsere Werbung auch an solche Personas ausspielen, die halt quasi/. Man sieht dann auf Basis eines Fans, ja, ähm, was so ein archetypischer Fan quasi, was den ausmacht, ja. Und er hat unterschiedliche Interessen und das ermöglicht uns dann auch, diese unterschiedlichen Interessen dann auch entsprechend zu targetieren und, ähm, Werbung dann da auszuspielen, obwohl jetzt im Urban Gardening Umfeld wahrscheinlich im Fahrzeug jetzt (stockt) organisch nichts zu suchen hat. Aber weil wir wissen, dass es, ähm, da eine Zielgruppe gibt, die ein sehr starkes Interesse daran hat, ähm, dass wir da, ähm, den Streuverlust auch minimieren können. Ja, und, ähm, so nähern wir uns da einfach diesem, ähm, Eins-zu-Eins-Marketing an, ja. Das man einfach sagt, man hat die richtige Botschaft für die richtige Person zur richtigen Zeit, ja. Und die spielen wir dann zielgerichtet aus und da hilft uns natürlich die Analyse extrem (…) (holt Luft) (Lachen) (I6/ S5–6/ Z39–11).

6.2.1.2 Social-Media-Analysen als Thermometer

Instrumente zur Messung der Temperatur werden „Thermometer“ genannt. Wie zuvor gezeigt, nutzen die praktischen Anwender Social-Media-Analysen dazu, den Blick in die Netzöffentlichkeit zu richten. Jedoch geht es den Social-Media-Analysten nicht nur um die Beantwortung von Fragen im Kontext sozialer Medien oder anhand dieser, den Gewinn von Detailinformationen und Erklärungen und die Genese von Verständnis; sie verfolgen außerdem das Ziel, die Temperatur in der ‚Außenwelt‘ zu ermitteln, also die ‚Außentemperatur‘ zu messen. Es ist die Rede von einem „Draußen“; die Befragten meinen die außerhalb des Unternehmens bestehende ‚Realität‘. Social-Media-Analysen als Thermometer fungieren auch zur Erkundung der dortigen Temperatur, womit die „dort“ vorherrschende Tonalität gemeint ist:

Befragter: //Also, wie gesagt, das eine Mal (stockt) so das/ (stockt) und den das (…) das (…) Ohr auf dem Puls der Zeit zu haben. Was außerhalb von [Marke des Unternehmens des Befragten] los ist, was (stockt) in der Tech-Welt los ist, in (stockt) der Industrie, (stockt) im Silicon Valley, ähm, in den ganzen Start-up Hubs (…) auf der Welt. Und zum anderen, für uns, in unserer Innovations-Beratungs-Geschichte eben am Anfang des Projekts, um zu sehen, was ist der Status quo außerhalb (I28/ S4/ Z20–24).

Monitoring und Listening setzt der Automobilhersteller ein, um ein „Grundrauschen“, das die praktischen Anwender mit Temperatur assoziieren, zutage zu fördern. Dieses „Grundrauschen“ besteht ihrem Verständnis nach, aus Stimmungen oder Meinungen, die auf Emotionen beruhen, also letztlich aus Erfahrungen der Nutzer sozialer Medien oder eben aus deren Wissen, das in sozialen Medien zu finden ist und dem betrachteten Unternehmen als Orientierung dient.

Über Social-Media-Analysen gilt es herauszufinden, so zeigen die Ausführungen der Befragten, ob die Stimmung in sozialen Medien ‚erhitzt‘ oder ‚unterkühlt‘ ist oder aber im Bereich der ‚Normaltemperatur‘ liegt. Monitoring und Listening fungieren damit als Thermometer für soziale Medien, als Instrument zur Ermittlung des „Grundrauschens“. Wie die Temperatur kann es gewissen Schwankungen unterliegen und Veränderungen im Sinne von Anstieg oder auch Abfallen aufweisen. Über die Methode der Social-Media-Analysen wird die Stimmung in Bezug auf den deutschen Automobilhersteller, seine Marken und Produkte, seine Kommunikation und auch im Hinblick auf seine Wettbewerber in verschiedenen Märkten und zu variierenden Zeitpunkten abgebildet:

Befragter: [. . . ] Man kriegt Stimmungsbilder mit, man kriegt, ahm, Umfänge, die man entweder schon weiß oder ahnt, kriegt man Bestätigungen, positiv wie negativ, (…) ahm, muss dann schon auch gezielt (klopft auf den Tisch) suchen, also man muss schon auch zum Teil suchen oder wissen nach was man sucht, das ist schon mal sehr hilfreich. Das sind zwei eben, die zwei Kanäle zum einen, wenn ich weiß, was ich suche, dann kriege ich eine Bestätigung oder auch, ah, nicht. Oder ich kriege Umfänge, von denen ich noch nichts weiß, (…) die ich auch sonst nicht erfahren würde. Das sind so die Stärken (I21/ S10/ Z38–44).

So bringe die explorative Vorgehensweise von Monitoring und Listening „Blitzlichter“ oder auch „Schlaglichter“ hervor. Diese eröffnen laut den Ausführungen der Befragten einen Einblick in das in der Netzöffentlichkeit gegebene „Grundrauschen“:

Befragter: [. . . ] Und, äh, das bestätigt, unserer Meinung nach, auch, dass wir eben auch über diese Social-Media-Analyse, ähm, (…) einen sehr guten/, ja, Erst/, ja, nicht Erst-Sensor, einfach (stockt) so ein Blitzlicht bekommen, über die großen Themen (I23/ S1/ Z43–45).

Zwar erscheint die gewählte Metapher des Thermometers für die Darstellungen der Praktiker am besten geeignet, doch soll hier nicht unterschlagen werden, dass die Methode der Social-Media-Analysen im Untersuchungsmaterial ferner mit einem „Pulsmesser“, „Wasserstandsanzeiger“ oder auch „Sensor“ allesamt Messinstrumente, die der ‚Logik‘ des betrachteten Unternehmens entsprechen, assoziiert werden.

Zusammengefasst befinden die Befragten Social-Media-Analysen als geeignet, um das außerhalb ihres Unternehmens liegende „Grundrauschen“, das für sie die Temperatur der in der Netzöffentlichkeit vorherrschenden Meinung beschreibt, zu ermitteln:

Befragter: [. . . ] [D]eswegen nehmen wir das dann eher als, äh, schnelle Erkenntnisse sammeln über, äh, Debatten die draußen geführt werden. Ähm, mein Gedanke ist sowohl, was gesellschaftliche Dinge betrifft, die dann aber auch durchaus auch, äh, etwas Produkt bezogener sein könnten. Wir haben ja jetzt, äh, einmal was gemacht zum Thema [Wettbewerber III] und wir machen jetzt was zu einem anderen Wettbewerber, ähm, dass wir da mal ein Meinungsbild bekommen, WIE bestimmte Dinge draußen diskutiert werden (I18/ S5/ Z42–48).

Über die Verfahren des Monitorings und Listenings holen die Social-Media-Analysten eine Art ‚Außenperspektive‘ in ihr Unternehmen ‚hinein‘. Mit den Verfahren, so sagen sie, blicken sie in eine ‚Außenwelt‘ beziehungsweise in ein „Dort“ und sind anhand der Methode der Social-Media-Analysen in der Lage, Auskunft im Hinblick auf die vorherrschende Außentemperatur zu geben. Dafür gelte es jedoch, diesem „Draußen“ „zuzuhören“ oder aber es zu „beobachten“. Nicht selten erscheint den praktischen Anwendern die Methode für die Ermittlung eines ersten Einblicks in die ‚Außenwelt‘ oder Eindrucks von ihr geeignet. Ihre Verwendung erfolgt meist ergänzend zu anderen Methoden. Als ein ‚exploratives Novum‘ erfahren Social-Media-Analysen eine andere Legitimation als beispielsweise die Marktforschung. Trotzdem legen die Praktiker dar, dass ihnen die Methode nicht nur einen ersten Einblick in die ‚Außenwelt‘ eröffnet, sondern sie durch die explorative Methode außerdem dazu befähigt werden, diese zu verstehen und sich aufgrund des erzeugten Verständnisses darin zu orientieren:

Befragter: (Atmet ein) naja, bislang haben wir es dafür genommen, dass wir die Betrachtung, äh, eines Wettbewerbers mal ergänzt haben um ein gewisses Stimmungsbild. Es hilft eben dann auch, sich einige Phänomene mal im Originaltext erklären zu lassen. Ähm, (Unterbrechung) (…), (Lachen) beispielsweise die sehr hohen Zahlen von, ähm, ich sage es mal Vorbuchung des [Fahrzeug Modell Orange von Wettbewerber VI], (atmet ein) äh, da aus der Analyse dann zu lernen, dass da, äh, offensichtlich sehr viele Leute, äh, eben die Unverbindlichkeit dessen schon auch als, äh, Motiv genommen haben, das zu tun. (Atmet ein) dass es sich alles Andere um, äh, feste Bestellungen handelt, sondern ja gewissermaßen nur (stockt) das unverbindliche Vorbestellungsrecht, was in einem Jahr gezogen werden könnte, (atmet ein) äh, und insofern, äh, das natürlich ein viel weicherer Indikator ist als das, was man tendenziell aus den Zeitungen gelesen hat, so nach dem Motto, das Auto haben sie noch nicht mal gezeigt, aber haben schon eine Viertelmillion davon verkauft. (Atmet ein) ähm, und, ähm, in solchen Punkten ist das dann natürlich hilfreich (I18/ S6–7/ Z41–4).

Das betrachtete Unternehmen setzt Social-Media-Analysen für die Untersuchung seiner Umwelt ein. Mit Monitoring wird sie „beobachtet“, mit Listening wird ihr „zugehört“. Über die explorative Methode der Social-Media-Analysen wird laut den Praktikern Erkenntnis im Hinblick auf gesellschaftliche Entwicklungen gewonnen, die sich in sozialen Medien abzeichnen. Einige Befragte sprechen sogar von „Sozialforschung“, die sie mit Monitoring und Listening in sozialen Medien betreiben.

Social-Media-Analysen finden für Betrachtungen der Gegenwart und der Vergangenheit sowie für Zeitpunkt- und Zeitraumuntersuchungen Anwendung. Als ein Thermometer werden sie in erster Linie jedoch für Untersuchungen genutzt, die auf die Gegenwart fokussiert sind. Es geht den Social-Media-Analysten bei ihrer Anwendung der Methode darum, einen „Status quo“, also den gegenwärtigen Zustand, aufzudecken:

Befragter: [. . . ] Ne, es ist schon eher auch so eine Art, so (Stocken) ein Basis-Element, was schon hilft, auch hier intern in Diskussionen irgendwie auch nochmal einen Punkt zu machen und, äh, sozusagen, auch wirklich dann mit Ist-Daten anzukommen und sozusagen dann auch zu zeigen, was draußen passiert ist (I9/ S9/ Z22–25).

Es ist also gewissermaßen die ‚Temperatur der Gegenwart‘, welche die Praktiker des deutschen Automobilherstellers mit Social-Media-Analysen erkunden. Anhand der Methode meinen sie einen „Ist-Stand“ abbilden zu können. Das aktuelle Geschehen, das sich in Gestalt von Wissen in der Netzöffentlichkeit widerspiegelt, soll mitsamt seiner Temperatur durch die Methode der Social-Media-Analysen ermittelt und zum Zweck der Orientierung von außen in das Unternehmen ‚hineingeholt‘ werden.

6.2.1.3 Social-Media-Analysen als Anemometer

Anemometer sind Windmesser und damit Instrumente, die die Geschwindigkeit von Strömungsfeldern, allen voran die des Windes, messen. Zwar nutzen die Social-Media-Analysten des betrachteten Unternehmens Monitoring und Listening nicht zur Messung der Geschwindigkeit des Windes, wohl aber, um „Innovation and Ideation“ im Sinne von ‚Trendböen‘ zu entdecken. Also fungieren Social-Media-Analysen als Anemometer:

Befragter: Ich meine das/, ich habe mich ja jetzt sehr stark darauf bezogen, was unsere Kampagnen und unsere Produkte angeht, aber das sind ja auch Trends, die ich darüber rausfinden kann. Es sind/ ich habe nicht nur die Gartner-Studie, sondern halt auch das, was wirklich draußen passiert an Trends (I13/ S16/ Z14–17).

Mit der Methode der Social-Media-Analysen verfolgt der deutsche Automobilhersteller „Strömungen“. Bei diesen „Strömungen“ handelt es sich um für die Automobilindustrie oder das betrachtete Unternehmen zentrale, meist mit dem Buchstaben „I“ beginnende Ressourcen, wie Innovationen, Ideen, Impulse, Inspirationen, Informationen, Input und ‚Insights‘. Monitoring und Listening werden von den praktischen Anwendern, wie diese berichten, genutzt, um Erkenntnis in Bezug auf derartige ‚Trendböen‘ zu erlangen. Dabei müsse es sich nicht immer um „Zahlen, Daten, Fakten“ handeln, auch wenn diese Art von Erkenntnis der ‚Logik‘ ihres Unternehmens, die eine quantitative ist, am ehesten entspricht, sondern um nicht quantitative „Innovation and Ideation“:

Befragter: //Nee, es ist/ es ärgert mich nur gerade, weil da/ ich hatte echt das Gefühl so, „Mensch, da waren echt so wirklich gute Ideen dabei“//

Interviewer: //Also ein richtiger Schatz quasi//

Befragter: //Ja, ja, genau.//

Interviewer: //an Input.//

Befragter: //Genau. Genau. Der dann zum Teil auch nicht technisch verwirklichbar war oder wo auch der/, äh, kein Business Case dahinter möglich war, aber wir waren halt recht begeistert, (stockt) dass häufig ja irgendwie ein Kunde sagt, irgendwas funktioniert nicht gut, und dann/. Ach, ja, genau. Das war beispielsweise, ähm, auf Social Media kam auch die erste Diskussion zustande, „wie kann eigentlich öffentliches Laden gut gelöst werden?“ (I32/ S4–5/ Z45–10).

Erkenntnis kann, so berichten die Befragten, eine andere Gestalt als eine quantitative annehmen und im Entdecken neuer Themen bestehen, die für ihr Unternehmen bereits gegenwärtig oder aber erst in Zukunft relevant sind. Über Monitoring und Listening möchten die Praktiker „beobachten“, welche Themen in sozialen Medien und damit in der Netzöffentlichkeit aufkommen und wie sich diese entwickeln. Kunden und Nutzern soll bei ihrer Diskussion von Trends „zugehört“ werden. Letztere könnten aus dem Austausch in sozialen Medien abgeleitet werden. Das explorative Vorgehen von Social-Media-Analysen ermögliche es, in das „Neuland“ einzusteigen, als das soziale Medien gelten, um es zu überblicken, zu erschließen und letzten Endes auch zu verstehen:

Befragter: [. . . ] Und in dem Zuge haben wir im Prinzip für Projekte, die die einzelnen Fachbereiche machen, immer am Anfang so eine Verstehens-Phase, ähm, in der wir (…) rausfinden wollen, was denn das Kundenbedürfnis ist. Bevor wir dann in die Lösungsgenerierung gehen. Also immer zuerst nach dem Warum zu fragen bevor man, äh, sich in den vier Wänden einsperrt, äh, Ideen generiert und dann sagt, äh, wie können wir es denn eigentlich jetzt den Kunden abc (? unverständlich). Und in dem Aspekt habe ich generell (stockt) einen ganzen Haufen gelernt, wie man eben auf diese Kundenperspektive kommt, und ein Teil für die/ für das Aussuchen, wen/ wie würde man so einen Research aufbauen, ist natürlich einfach, äh, erstmal, ähm, sich selber zu informieren (klopft auf den Tisch) über Desk Research (stockt) in allen möglichen Bereichen, um zu gucken, (stockt) was ist denn der Status quo technologieseitig, was machen denn Leute schon (I28/ S1/ Z38–48).

Die praktischen Anwender sind der Ansicht, dass es über die Methode der Social-Media-Analysen möglich ist, dieses „Neuland“ abzustecken und einzugrenzen; welche Aspekte näher zu betrachten sind, müsse ermittelt werden. Bei diesen neuen Themen geht es laut den Befragten um solche, zu denen innerhalb ihres Unternehmens noch kein Wissen vorhanden ist, sondern Unwissen herrscht. Dennoch könnten die anhand von der Methode der Social-Media-Analysen gewonnenen ‚I-Ressourcen‘ für die deutsche Automobilindustrie allgemein und damit auch für das betrachtete Unternehmen überaus bedeutsam werden. Social-Media-Analysten konstatieren, dass diese als wesentliche Anregungen für die Zukunft, die ein Unternehmen wie das ihre kennen und beachten muss, zu verstehen sind. Über Monitoring und Listening sei es möglich, soziale Medien auf der Suche nach solchen Anregungen „zu beobachten“ und auch den darin geführten Diskussionen „zuzuhören“, die ‚Trendböen‘ oder Indizien für solche beinhalten können:

Befragter: [. . . ] Wir haben, jetzt habe ich noch einen ganz wichtigen Faktor vergessen, was natürlich sensationell ist bei Social Media, es ist eine unglaublich gute Quelle für Bildmaterial von Kunden. Gerade bei so einem/ bei der großen Unbekannten, wie nutzen Kunden ihr Elektro-Fahrzeug im Alltag? Und da haben wir dort natürlich eine wahnsinnig tolle Quelle dann (stockt) von bildhaften Beispielen, also eben dieses/ (stockt) den Surfboard-Halter haben wir dann dort in der/ in der Praxis gesehen, aber eben auch, ähm, Dinge, die die Kunden/ an die die Kunden gar nicht gedacht haben, wenn die das Bild gepostet haben, nämlich, äh, irgendwie furchtbare Stolperfallen in der Garage mit dem Ladekabel bis hin zu eben ideale Lösungen für das Ladekabel von Kunden, die halt irgendwie so ein/, ähm, ihr Ladekabel (stockt) an irgendwas daran gehängt haben, das sich dann wieder aufrollt (stockt) und Ähnliches. (Atmet ein) das heißt, das Bildmaterial war tatsächlich zum Teil mehr wert als die/ als die Inhalte (I32/ S11/ Z38–48).

Durch das mit Social-Media-Analysen umgesetzte „Zuhören“ und „Beobachten“ holen die Befragten Anregungen für neue ‚I-Ressourcen‘ von „draußen“ in ihr Unternehmen ‚hinein‘, „verdichten“ diese und finden einen Umgang damit bezüglich der Einordnung ihrer Relevanz oder ihrer Priorisierung. Dies werde zum Beispiel realisiert, indem auch der Kontext, in dem die Netzöffentlichkeit eben diese Innovationen, Ideen, Impulse, Inspirationen, Informationen, Input und ‚Insights‘ diskutiert, in die Untersuchung einbezogen wird. So könnten die Chancen und Risiken, die mit diesen ‚I-Ressourcen‘ assoziiert werden oder damit einhergehen, überprüft werden und in eine umfassende Bewertung einfließen. In diesem Sinne setzen die praktischen Anwender Social-Media-Analysen gezielt für die Erforschung von Trends und für ‚Trendscouting‘ ein:

Befragter: [. . . ] Status quo technisch, wo müsste man hingehen, was gibt es für/ bei [Marke des Unternehmens des Befragten] schon, was gibt es bei (…), äh, draußen in der Welt an Ideen, (stockt) die das Thema befeuern (I28/ S7/ Z31–33)?

Es geht den Praktikern darum, „Strömungen“ zu ermitteln, die einerseits zeigen, was in der Netzöffentlichkeit derzeit en vogue ist, und die andererseits erahnen lassen, was von Kunden und Nutzern sozialer Medien in oder auch von der Zukunft erwartet wird:

Befragter: [. . . ] [D]a hören wir am Anfang in der Verstehensphase immer, darauf gucken, was ist denn der Status quo sowohl intern bei [Marke des Unternehmens des Befragten] als auch extern. Und da dabei rauszugucken, (stockt) was gibt es da gerade, was ist en vogue, was ist in/ (stockt) was kommt in Zukunft? Also auch, ähm, Social Media zu nutzen, was denn auf (…) Feedback (stockt) von großen Messen, der Consumer Electronics Show am Anfang vom Jahr (stockt) in Las Vegas. Äh, erstens mal über Social Media den Livestream mit zu verfolgen, zu gucken, was sind da die großen Presse-Konferenzen, was wird da dargestellt, und zum anderen dann auch (atmet ein) über YouTube Channels von TechCrunch und TheVerge, äh, zu sehen, was schreiben die denn darüber, was ist denn der ihre Experten-Meinung bis hin (stockt) zur User-Meinung, was sind denn dann die Feedbacks auf solche Artikel (I28/ S3/ Z26–35)?

Nach Ansicht mancher Social-Media-Analysten können Monitoring und Listening mitunter wie eine „Kristallkugel“ zeigen, wohin die Zukunft führt. Über Social-Media-Analysen sei ein „Kristallkugellesen“ möglich. Im Sinne von ‚Innovation Scouting‘ sei die Methode der Social-Media-Analysen für die Generierung von Innovationen, Ideen, Impulsen, Inspirationen, Informationen, Input und ‚Insights‘ nutzbar. Die Verfahren des Monitorings und Listenings würden die Meinungen, Anliegen, Bedürfnisse, Wünsche von Nutzern sozialer Medien sowie auch Kunden-Motive und deren Dispositionen in Erfahrung bringen und es möglich machen, diese auch zu verstehen. Nur wenn diese entdeckt würden, sei der deutsche Automobilhersteller dazu in der Lage, sie auch zu bedienen:

Befragter: [. . . ] [A]ber, ähm, da merkt man ja schon, ja, die Leute sind wirklich, also die bringen einen halt auch auf Ideen, ja, und, ähm, sind da wirklich hinterher und engagieren sich und, äh, haben Bock und posten Bilder, ja. Also das ist halt auch, äh, wir nehmen jetzt Instagram viel her, äh, wir schauen, dass wir halt auch wirklich Content generieren darüber und halt weiterverwenden, ja. Äh, was [Marke des Unternehmens des Befragten] jetzt AUCH macht und da versuchen wir halt auch, ähm, quasi so die Bests ofs uns zu ziehen, äh, (stockt) Ideen zu ziehen, ja. Es kamen super viele Bilder auf Instagram, dass, ähm, äh, Kunden mit [einem Car-Sharing-Angebot] zum Standesamt fahren, ja. Also, (Lachen) denkst du dir nicht (Lachen), ja. Das, ähm, würde ich jetzt nicht machen, äh, aber ist natürlich eine tolle Story, wenn du das halt nochmal spielst, ja. Und da kommen da halt auch tolle Erfolgs-Stories, „danke [einem Car-Sharing-Angebot], ja, ihr habt meine Hochzeit, äh, nochmal schöner gemacht, ja“ oder wie auch immer. Also, ähm, (…) genau, von dem her also vielfältigste Zwecke, (stockt) zur wirklich kreativen Anregung, Problembewältigung, Erweiterung von Produkten (I29/ S9/ Z1–12).

Die praktischen Anwender befinden Social-Media-Analysen als geeignete Methode, um ‚I-Ressourcen‘ zu ermitteln und über die Meinungen, die in der Netzöffentlichkeit dazu kursieren, zu bewerten und deren Potential zu erschließen. Mit Monitoring und Listening sei Erkenntnis über neue erschließbare Segmente zu gewinnen:

Befragter: Ja, vor allen Dingen, sage ich mal, es geht darin um Trends, es geht um die Bedürfnisse (stockt) von Kunden. Was interessiert die Kunden eigentlich? Und was wollen sie eigentlich? Was interessiert sie, wie sehen sie die Marke? Und WIE können wir auch, sage ich mal, Segmente, ähm, in die wir neu reingehen, zum Beispiel als wir den/ als wir den, äh, [Fahrzeug Modell Violett] eingeführt haben, [das Fahrzeug Modell Violett], haben wir ein/ haben wir ein ganz neues Segment betreten. Also es gab davor noch keine [Fahrzeuge Modell Violett der Marke des Unternehmens des Befragten]. Und wir wussten aus der Marktforschung, aus der herkömmlichen, dass es eben bestimmte Vorbehalte gibt, eben in Richtung, ähm, (stockt) in Richtung Leistung, in Richtung Fahrwerk und so weiter und überhaupt, wie das Ganze funktioniert. Wir haben dann, ähm, eine Kampagne gefahren, [. . . ] wir haben/ wir haben aus der Community Leute, ähm, gesucht, die/ die wir in fünf Metropolen in Europa eben den Social/ [zu einer Probefahrt] eingeladen haben, haben diese dann/ haben diese dann, äh, eben mit einem Host in den Metropolen eben fahren lassen und die dann eben interviewt und Filme mit ihnen gemacht und so weiter. Und konnten dann anhand von Buzz Monitoring und anhand von Social-Media-Studie eben feststellen, wie sich auch das Denken der Kunden über dieses Fahrzeug verändert hat. Und das war sehr, sehr interessant (I26/ S1/ Z18–32).

Die Befragten betonen, dass über Social-Media-Analysen Innovationen, Ideen, Impulse, Inspirationen, Informationen, Input und ‚Insights‘ generiert werden. Monitoring und Listening ermöglichen, so erklären die Praktiker, über eine Exploration von Wissen Orientierung im „Neuland“ und wirken dem Unwissen entgegen. Das Anemometer, als das Social-Media-Analysen zur Erforschung von „Innovation and Ideation“ fungiere, sei dazu in der Lage, ‚Trendböen‘ zu erheben und Wissen aus der Netzöffentlichkeit über dessen Exploration in Orientierung für das betrachtete Unternehmen umzuwandeln. Social-Media-Analysen als Anemometer könnte die deutsche Automobilindustrie für die Zukunft wappnen.

6.2.1.4 Social-Media-Analysen als Barometer

Mit einem Barometer, einem Instrument, das wohl in fast jeder Wetterstation zu finden ist, wird der Luftdruck gemessen. Unter anderem anhand dieses Messresultats erstellt die Meteorologie Wetterprognosen. Gemäß den Ausführungen der Befragten dienen Social-Media-Analysen als Barometer. Was die praktischen Anwender mit Social-Media-Analysen generieren, sind jedoch keine Wettervorhersagen im eigentlichen Wortsinn, gelegentlich aber wohl Prognosen, die eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Unwetter aufweisen können, wie beispielsweise ein Shitstorm, der sich in der Netzöffentlichkeit zusammenbraut. Daher erscheint das Hinzuziehen einer zusätzlichen Metapher, eben der des Barometers, geeignet, um eine weitere Nuance der Intentionen, welche den Untersuchungen anhand der Methode der Social-Media-Analysen zugrunde liegen kann, nachzuzeichnen. Im Duden wird ein Shitstorm beschrieben als ein

Sturm der Entrüstung in einem Kommunikationsmedium des Internets, der zum Teil mit beleidigenden Äußerungen einhergeht (Duden, 2018).

Allerdings erkennen die Social-Media-Analysten des deutschen Automobilherstellers das Aufspüren eines derartigen Shitstorms, welcher einer enormen Druckwelle gleichen kann, nicht als Regel, sondern als Ausnahme. Mit der Umsetzung von Monitoring und Listening verfolgen sie in erster Linie nicht das Ziel, Shitstorms zu erkennen, sondern möchten diese vielmehr vorhersagen und „verhindern“:

Befragter: [. . . ] Ähm, generell Medienbeobachtung, Medienanalyse, warum machen wir das? Wir müssen wissen, einerseits, was ist mit den Dingen passiert, die wir aktiv kommuniziert haben? Wie sind die draußen angekommen? Sind die Wahrnehmungsziele erreicht, die wir uns gesetzt haben? Welche Aspekte sind herausgegriffen worden? Wie steht das Thema draußen da? Um für die Zukunft zu lernen, um zu sehen, wie ist es gelaufen, wo müssen wir eventuell gegensteuern? Ähm, oder wo gibt es Potentiale, wo wir, äh, in welche Kerbe wir hacken können? Andererseits, äh, also das sind jetzt die gesteuerte Dinge. Andererseits ist Medienbeobachtung immer im Sinne der Vermeidung von Reputations-Schaden. Was müssen wir wissen? Wo behauptet irgendeiner was, was nicht haltbar ist? Oder sonst was. Wobei wir Reputations-Schaden jetzt nicht definieren als, ähm, grottenschlechter Post auf Twitter, sondern da geht es um richtig dicke Fische (I19/ S1/ Z7–17).

Dabei beruhen die Prognosen der Praktiker, wie bei explorativem Vorgehen üblich, auf Deutungen und Interpretationen. Auch als ein Barometer entsprechen Social-Media-Analysen damit nicht der ‚Logik‘ des Unternehmens, für das die Befragten die Methode anwenden. Trotzdem wird die explorative Methode als „Frühwarnsystem“ oder auch ‚Krisenmonitor‘ genutzt, um gegebenenfalls bereits das Anbahnen eines Shitstorms zu erkennen und diesem noch entgegenwirken, bestenfalls dessen Ausbruch „verhindern“ zu können.

Befragter: Ja, man kann durch, äh, wirklich schnelle Reaktion auch Schlimmeres verhindern. Also, das haben wir schon gesehen, ja. Wie wichtig es ist, da überhaupt zu reagieren und schnell zu reagieren, um zum Beispiel einen Shitstorm oder Ähnliches zu verhindern. Also, es (stockt) können schon heiße Themen auftauchen, die auch größere Kreise ziehen, was man schon gesehen hat an so ein paar Einzelbeispielen. Deswegen ist da Schnelligkeit und (stockt) Professionalität total wichtig (I31/ S5/ Z15–20).

Monitoring und Listening halten die praktischen Anwender für geeignet, um rechtzeitig, was für sie frühzeitig bedeutet, Indikatoren für Problemfelder und Risiken, die sich auftun und entfalten könnten, zu ermitteln:

Befragter: [. . . ] Ähm, und, wo wir schauen in sozialen Medien sind Themen (…), die sehr kritisch sind. Wo wir wissen wollen, (flüstert) weiß da überhaupt jemand was darüber? Dann schauen wir in sozialen Medien (I19/ S4/ Z39–41).

Dabei handle es sich sowohl um kommunikative Risiken oder Krisen, welche für den Kommunikations- und Marketing-Bereich relevant sein, da brisant werden können, als auch um Fehler oder Probleme im Zusammenhang mit Produkten des Unternehmens. Letztere interessieren vor allem den Unternehmensbereich für Qualität:

Befragter: [. . . ] [D]as Gute an Social Media ist eben, das, was ich vorhin schon sagte, dass man eben zu einem sehr frühen Zeitpunkt, äh, Indikatoren sieht, was Problemfelder sein könnten, und, dass man, ähm, auf diese schon mal eingehen könnte (I7/ S3/ Z3–5).

Allerdings können, so bemerken die Social-Media-Analysten, Fehler und Probleme im Kontext von Produkten wiederum kommunikative Risiken und Krisen nach sich ziehen oder auch verursachen. Des Weiteren würden, wenn Social-Media-Analysen im Sinne der Prävention als „Frühwarnsystem“ oder ‚Krisenmonitor‘ oder eben als Barometer zur Ermittlung von sich anbahnenden ‚Druckwellen‘ eingesetzt werden, diese auch zum Aufspüren von Shitstorms genutzt, doch werde die Methode vorrangig in den Bereichen für Marketing und Kommunikation zum Aufdecken sogenannter „Leaks“ eingesetzt:

Befragter: [. . . ] Also auf Corporate-Basis jetzt, ähm, wo es wirklich darum geht, haben wir neue Erlkönige, haben wir einen Erlkönig, den wir bisher hatten, aber wo jetzt plötzlich das Interieur fotografiert wurde? Dann wollen wir das wissen (I19/ S2/ Z23–25).

Von Seiten des Qualitätsbereichs des Unternehmens wird die Methode hingegen vor allem zur Ermittlung von Fehlern und Mängeln bei Produkten angewendet:

Befragter: [. . . ] Aber es sind vielleicht so, äh, Frühwarnindikatoren, dass man (stockt) sagt, „okay, da könnten vielleicht die oder die Themen auf Händler zukommen, auf uns als Hersteller zukommen et cetera“, äh, oder es sind vielleicht, äh, Themen, die, äh, man als Hersteller sowieso schon irgendwie weiß oder vermutet oder, wo man sagt, „naja, also, mh, haben wir schon immer gedacht, da könnte was kommen“ und, wenn sich dann so was bestätigt, naja, gut, dann ist das vielleicht, äh, wirklich, äh, etwas, äh, was dann eben entsprechend ernst zu nehmen auch ist, ne (I7/ S3/ Z6–12).

Werden Monitoring und Listening jedoch für einen ‚Leak Scan‘ genutzt, gehe es darum, zu prüfen, ob unternehmensinternes und zum Zeitpunkt dessen Veröffentlichung nicht für die Öffentlichkeit bestimmtes Wissen Eingang in die sozialen Medien gefunden habe:

Befragter: //Gibt es was, was wir wissen sollten?//

Interviewer: //Ja.

Befragter: Genau. Ähm, sollten wir unsere Einschätzung der Lage ändern (Lachen)? Beziehungsweise, ähm, wir wissen was, von dem wir eigentlich gar nicht so scharf sind, dass es die breite Masse weiß oder groß darüber diskutiert, und wir wollen wissen, ist da was rausgegangen, müssen wir reagieren, ja oder nein? Oder, (stockt) äh, (stockt) zum Beispiel, (stockt) wenn, jetzt konstruieren wir mal einen Fall, ähm, es gibt einen Unfall mit irgendeinem Prototypen. (…) Weiß da die Welt was darüber oder (…) sind wir glimpflich davongekommen? (…) War da irgendeine Technologie darin, die wir eigentlich noch gar nicht breittreten möchten, aber (stockt) durch den Unfall hat das jemand gesehen und abfotografiert oder sonst was. Dann wollen wir wissen, ist da was draußen? Und dann lassen wir in den Social Media schauen (I19/ S5/ Z28–40).

„Leaks“ kämen zwar selten, aber doch gelegentlich vor und für den deutschen Automobilhersteller sei es essentiell, diese frühzeitig aufzuspüren, um reagieren zu können:

Befragter: [. . . ] Bei Social-Media-Analysen ist es meistens so, dass wir/ heißt, dass es ein Erfolgserlebnis eigentlich ist, nichts zu finden. Solange wir nichts finden ist alles gut.

Interviewer: Okay.

Befragter: (…) Weil wir meistens nach Themen suchen, (Lachen) von denen wir hoffen, dass sie nicht groß werden.

Interviewer: Ja.

Befragter: Das ist auch im/ in der PR oft so. Das sieht nur kein Mensch. Und das ist auch was, was nicht messbar ist, und das tut den Kollegen immer weh, äh, dass diese Arbeit nicht messbar und nicht sichtbar ist. Kommunikations-Verhinderung ist ein großer Bestandteil.

Interviewer: Ja, das glaube ich Ihnen.

Befragter: Dass Themen entschärft werden oder dass man dem Journalisten oder wem auch immer sagt, (…) „es ist nicht relevant“ oder „was du da hast, ist eine Ente; vergiss es!“, „blamier dich nicht!“ (Lachen).

Interviewer: Okay (Lachen).

Befragter: Und deswegen sind/ ist das Erfolgserlebnis eigentlich, „ja, es ist nichts da!“ (Lachen) (I19/ S12/ Z17–40).

Sofern die Praktiker Social-Media-Analysen als präventives „Frühwarnsystem“ oder ‚Krisenmonitor‘ nutzen, geht es auch immer um eine Überwachung oder Kontrolle der Netzöffentlichkeit. Über das Barometer, als das die Methode fungieren kann, messen sie den ‚Luftdruck‘ in Social-Media-Kanälen, um gegebenenfalls ein sich anbahnendes ‚Unwetter‘ vorherzusehen. Den Berichten der Befragten ist zu entnehmen, dass es für ihr Unternehmen von entscheidender Bedeutung ist, Kenntnis darüber zu haben, was in dessen digitaler, öffentlicher ‚Außenwelt‘ geschieht. Es gelte kommunikative Risiken, Fehler und Mängel von Produkten sowie von Dienstleistungen und „Leaks“, die die Netzöffentlichkeit diskutiert, zu kennen. Anhand der Ausführungen der Social-Media-Analysten, die die Methode als Barometer zur Prävention nutzen, offenbart sich erneut, dass über die Verfahren des Monitorings und Listenings eine Exploration von Wissen erfolgt. In ihrer Funktion als „Frühwarnsystem“ und ‚Krisenmonitor‘ verhilft die Methode ihrem Unternehmen, so betonen die praktischen Anwender, zur Orientierung in ‚Schlechtwetterlagen‘.

6.2.1.5 Zwischenfazit: Metaphorik der Messinstrumente

Social-Media-Analysen wurden soeben anhand einer Metaphorik der Messinstrumente diskutiert. Dies nicht zuletzt, da das betrachtete Unternehmen von einer ‚quantitativen Logik‘ oder auch einer ‚Logik des Quantifizierens‘ bestimmt wird. Die Metaphorik der Messinstrumente hat sich angeboten, um die Orientierung über Exploration von Wissen als ersten Typ der Wissensverwendung und damit zugleich als eine der angewandten Praxis von Social-Media-Analysen bei dem deutschen Automobilhersteller zugrunde liegende Intention herauszuarbeiten, die dieses Zwischenfazit nochmals zusammenfasst. Mit einer je eigenen Schwerpunktsetzung thematisieren die jeweiligen Abschnitte die Methode als Alethiometer, Thermometer, Anemometer und Barometer und zeigen anhand des untersuchten Datenmaterials, dass die Befragten Monitoring und Listening umsetzen, um Fragen zu beantworten, die ‚Außentemperatur‘ zu ermitteln, ‚Trendböen‘ zu entdecken und um ‚kommunikative Unwetter‘ zu prognostizieren.

Social-Media-Analysen beschreiben die Praktiker mitunter als „Kristallkugellesen“, das zur Generierung von Erkenntnis in Bezug auf die Netzöffentlichkeit und anhand dieser genutzt wird. Die Methode übernehme innerhalb ihres Unternehmens eine wesentliche, nicht zu unterschätzende Orientierungsfunktion, die über Exploration das in sozialen Medien vorhandene Wissen in die Automobilindustrie ‚hineinholt‘:

Befragter: [. . . ] Weil wenn ich jetzt mitlese, brauche ich nichts mehr recherchieren, weil alles im Haus ist. Ich muss ja bloß recherchieren, wenn ich NICHTS mache und dann was haben möchte. Dann muss ich recherchieren. Aber wenn ich die ganze Zeit die Autos MITLESE, auf (…) sechs Märkten, dann brauche ich nichts mehr recherchieren (I10/ S7/ Z25–28).

Zwar liefern Monitoring und Listening in der Regel keine ‚harte‘ „Zahlen, Daten, Fakten“, die der ‚Logik‘ des betrachteten Unternehmens entsprechen würden, und als explorative Verfahren gelten sie auch als nur „wenig scharfes Schwert“, doch ihr Beitrag, der über Exploration Orientierung in der Netzöffentlichkeit ermöglicht und ein begonnenes „Mosaik“ oder „Puzzle“ vervollständigt, erfährt trotzdem Anerkennung bei den Social-Media-Analysten:

Befragter: Und, ähm, ich habe gesagt halt, „wir brauchen es unbedingt, weil wir eben eine andere Priorisierung/“, wir arbeiten mit Zahlen. Zahlen sind aber nicht Kunde. Sondern der Kunde, äh, nimmt das unterschiedlich wahr. Es kann/, deine Fehlerzahl kann die gleiche sein, aber der Kunde sagt, zum dem ist mehr ein Problem wie das. Und das wollten wir gerne priorisieren und beschleunigen (I10/ S2/ Z8–11).

Social-Media-Analysen liefern weniger quantitative, also über Messungen generierte Ergebnisse als dass sie in Richtungen weisen, welche einer Deutung und Interpretation bedürfen. Die Metaphorik der Messinstrumente wurde gewählt, um zu zeigen, dass der deutsche Automobilhersteller auch eine explorative Methode, wie es Social-Media-Analysen eigentlich sein sollten, ‚quantitativ handhabt‘. Das betrachtete Unternehmen unternimmt den Versuch, auch mit Monitoring und Listening Messungen vorzunehmen und die Verfahren seiner ‚Logik‘ zu ‚unterwerfen‘. Doch explorative Verfahren können nichts messen, sondern sie weisen Richtungen auf, die einer Deutung bedürfen. Daher sind die hier diskutierten Messinstrumente vielmehr als qualitative Ansätze zu begreifen und auch entsprechend zu verwenden. Dies scheint dem deutschen Automobilhersteller nicht zu gelingen, was auch die von den Social-Media-Analysten gewählte Metapher des „Kristallkugellesens“ bestätigt. Die Praktiker sind nicht dazu imstande, Social-Media-Analysen methodisch zu erklären; sie haben die Methode selbst nicht verstanden. Stattdessen ist in dem Unternehmen, wie dargelegt, eine Delegitimierung explorativer Verfahren festzustellen. Diese zieht eine ‚Depotentialisierung‘ der gesamten Methode der Social-Media-Analysen nach sich:

Befragter: [. . . ] Ich habe den Eindruck, dass man das aus Social Media durchaus ableiten KÖNNTE, eben in diesem reflektierten Zusammenspiel von, „was ist eigentlich unser Anspruch, sollte überhaupt jemals so ein Fehler auftreten beim Kunden?“, ähm, ich habe aber nicht den Eindruck, dass wir (stockt) bei [Marke des Unternehmens des Befragten] (…) diese Art von Gespräch führen, sondern wir sind da eher so Zahlen, Daten, Fakten getrieben und das heißt, wenn sich diese Art der Bewertung (…), also, genau, ich habe den Eindruck, dass die Entscheider mit diesem zusätzlichen Informations-Kanal, den Social Media liefern kann, nicht allzu viel anfangen können (I32/ S18/ Z17–23).

Dennoch offenbaren die Befragten zahlreiche Nuancen einer Intention, welche ihrer angewandten Praxis von Monitoring und Listening zugrunde liegt. In Gestalt von vier Messinstrumenten-Metaphern hat der hier vorliegende Abschnitt diese als den ersten Typ der Wissensverwendung nachgezeichnet und als die Orientierung über Exploration von Wissen benannt. Mit der Methode der Social-Media-Analysen verfolgen die Praktiker das Ziel, der Netzöffentlichkeit „zuzuhören“ und diese „zu beobachten“; sie möchten deren Meinungen, Anliegen, Bedürfnisse, Wünsche, aber auch Motive sowie Dispositionen erfahren und verstehen. Über Monitoring und Listening meinen die praktischen Anwender, das in den sozialen Medien enthaltene Wissen explorativ zu untersuchen und dann in ihr Unternehmen als eine für dessen Handlungsbefähigung unabdingbare Orientierung ‚hineinholen‘ zu können.

6.2.2 Legitimation durch Reflexion von Wissen

Orientierung, welche sich der deutsche Automobilhersteller über eine Exploration von Wissen durch Social-Media-Analysen verschafft, ist für dessen Handlungsfähigkeit eine notwendige Voraussetzung. Handlungsfähig ist ihr Unternehmen, so zeigen die Berichte der Befragten, nur anhand von Orientierung. Diese beruht nicht zuletzt auf Erfahrungen der Kunden und Nutzer sozialer Medien oder deren Reflexion über Erlebnisse und wird durch Monitoring oder Listening gewonnen. Das betrachtete Unternehmen richtet sein eigenes Handeln demnach an Orientierung, die mitunter durch Social-Media-Analysen gewonnen wird, aus oder wird vielmehr erst durch diese zum Handeln befähigt. Doch ist es nicht nur Orientierung, die die Praktiker von Social-Media-Analysen durch die Methode erhalten. Das Wissen der Netzöffentlichkeit, in dem ihre Orientierung wurzelt, ermöglicht für die Social-Media-Analysten, so offenbaren ihre Ausführungen, außerdem Reflexion; die Durchführung von Monitoring und Listening bedeutet für sie teilweise bereits eine solche, wie die folgende Interviewsequenz illustriert:

Befragter: Wir haben die, äh, genutzt, um eben eine erste Art der Kundenstimme, äh, (stockt) dem Fachbereich widerzuspiegeln, zu sehen, „pass auf, darauf legen die Wert“, das sind, äh, (…) Leute, die sich darüber äußern, im Netz, also das sind nicht nur irgend/ also das sind repräsentative Leute (stockt) für diese/ für dieses Thema, ähm, (…) generell ist (stockt) den Kundenaspekt, na (stockt) die Kundensicht in das Unternehmen zu tragen, dort widerzuspiegeln und zu sagen, „hey, der hat folgendes Problem oder der hat folgendes Bedürfnis“ (stockt) ist eigentlich Ziel unserer Hauptaufgabe hier (…) und da ist, äh, so Meinungen aus dem Netz einfach (stockt) ein/ kann ein erstes Indiz sein, um zu gucken, (…) diese Leute sollten wir uns ein bisschen (stockt) näher anschauen und die wollen wir verstehen, abc (? unverständlich) für die aufbauen. [. . . ] Einfach da nochmal (stockt) dem Unternehmen widerzuspiegeln, wie kommt denn etwas an oder, ähm, (…) auf was sollten wir Acht geben. Wo kann man (…) Richtungen anpassen (I28/ S7/ Z5–21)?

Es handelt sich um Wissen, das die praktischen Anwender über Social-Media-Analysen in ihr Unternehmen ‚hineinholen‘; dies wurde zuvor bereits dargelegt. Wie auch gezeigt wurde, sind Monitoring und Listening als explorative Ansätze einzuordnen, deren Ergebnisse einer Deutung bedürfen. Erkenntnis beruht bei explorativen Verfahren auf einer Interpretationsleistung. Eng verwoben mit Deutungen und Interpretationen, wenn nicht sogar damit gleichzusetzen, ist die Reflexion. Hillmann (2007) definiert diese als

[. . . ] „Zurückwurf“, intensives „Zurückwenden“ der Aufmerksamkeit nach „innen“, gedankliches Verarbeiten der mittels Erfahrung in der Außenwelt gesammelten Eindrücke, „tiefsinniges“ Nachdenken (Hillmann, 2007, S. 738).

Gemäß der Definition Hillmanns und in erneuter Anlehnung an Dimbath handelt es sich bei einer Reflexion um die Auseinandersetzung mit Erlebtem. Somit sind Erfahrungen auch eine Reflexion über Erlebnisse. Diese Reflexion ‚konstruiert‘ letztlich Wissen, das fortan wiederum als Orientierung dient. Social-Media-Analysen, die sich aus Sicht des deutschen Automobilherstellers auf seine ‚Außenwelt‘, die Netzöffentlichkeit, beziehen, werden, wie dargelegt, von den Befragten eingesetzt, um Wissen zu untersuchen, darüber Orientierung zu erhalten und diese in das eigene Unternehmen ‚hineinzuholen‘. Eben dieses über Monitoring und Listening praktizierte Analysieren von Wissen, das auf einer Reflexion von Kunden und Nutzern sozialer Medien beruht, begreifen die Befragten selbst auch wieder als Reflexion. Sie ordnen Social-Media-Analysen als eine Methode der Reflexion ein und reflektieren mit dieser gewissermaßen die Reflexionen der Netzöffentlichkeit. Das bedeutet, dass die Reflexionsleistung nicht nur von ihnen selbst, also aus dem betrachteten Unternehmen heraus, erbracht wird, sondern ebenso von der Netzöffentlichkeit. Somit handelt es sich bei der Reflexion, von der die Praktiker anhand ihrer Methode sprechen, gewissermaßen um eine Reflexion von Reflexionen. Die befragten Praktiker reflektieren mit Social-Media-Analysen über Reflexionen, die in der Netzöffentlichkeit vorhanden sind. Bei der über die Verfahren des Monitorings und Listenings umgesetzten Reflexion handelt es sich damit um eine Feedback-Reflexion, wobei das Feedback in Reflexionen der Kunden oder Nutzer sozialer Medien besteht:

Befragter: [. . . ] Also Feedback ist ja erstmal neutral und Social-Media-Analyse ist für mich ein Feedback und da KANN man was daraus lernen, man MUSS es aber nicht unbedingt. Aber muss wirklich kritisch mit auseinandersetzen (I20/ S12/ Z14–17).

Reflektiert werden singuläre Eindrücke, Bewertungen, Meinungen und Rückmeldungen, also das durch Reflexion entstandene Feedback, welches Kunden und Nutzer sozialer Medien in der Netzöffentlichkeit in Bezug auf Produkte, Kommunikationsmaßnahmen, Marken, die Automobilindustrie als solche, Unternehmen et cetera platzieren. Auch mit dieser anhand von Social-Media-Analysen umgesetzten Feedback-Reflexion verfolgen die befragten Social-Media-Analysten das Ansinnen, Detailinformationen zu ermitteln, Fragen zu beantworten, Erklärungen zu generieren und Verständnis zu erzeugen, um selbst handeln zu können.

Wissen untersuchen die Praktiker also nicht nur, um Orientierung zu erhalten, sondern sie unterziehen dieses zudem einer Reflexion, anhand derer sie Legitimation für ihr eigenes Handeln erhalten und das Handeln ihres Unternehmens legitimieren. Über die Reflexion wird eine Befähigung zum Handeln erworben. Aufgrund des Vorgehens der Social-Media-Analysten ist die Legitimation durch Reflexion von Wissen als der zweite Typ der Wissensverwendung in dem betrachteten Unternehmen festzuhalten:

Befragter: [. . . ] [J]a, aber die Kunden sagen einfach von sich aus, natürlich vielleicht deutlich emotionaler als sie es so sagen würden, aber wir kriegen relativ schnell diesen Spiegel vorgehalten und können eigentlich, ähm, dieses Feedback aufnehmen, wenn wir es, auch nochmal/ (stockt) (…), wichtig ist halt immer, da nicht gleich loszurennen, zu sagen, „fünf Leute sagen, dass/“, sondern, ähm, das wirklich auch nochmal in der Fachabteilung zu reflektierten, zu sagen „welches Feedback haben wir noch, zu den einzelnen Themen?“ und, ähm, aber es ist da, glaube ich, ein wertvoller Impuls-Geber (I5/ S8–9/ Z45–3).

Social-Media-Analysen als Reflexion von Wissen vergleichen manche Befragten mit einem „Spiegel“, den die Netzöffentlichkeit ihnen und ihrem Unternehmen „vorhält“. Sie verstehen Social-Media-Analysen als eine Methode, die zum Zweck der Feedback-Reflexion Anwendung findet und die Möglichkeit bietet, Bestätigung einzuholen:

Befragter: Die Verbatims [von Studie Weiß] haben nicht ausgereicht, um da jetzt wirklich ableiten zu können, wo drückt genau der Schuh. Und das haben die Kollegen anscheinend jetzt hinbekommen, ähm, mit, ähm, einer Social-Media-Analyse. Wo sie sagen, da haben sie jetzt wirklich nochmal/. Also ich denke, ihre Thesen haben sie belegt. Also ihre Vermutungen wurden mit einer Social-Media-Analyse belegt (I1/ S5/ Z42–46).

In einer aufgrund von Monitoring oder Listening gewonnenen Bestätigung finden die Social-Media-Analysten ihre Befähigung zum Handeln sowie auch seine Legitimation. Neben dieser Legitimation, welche die Methode der Social-Media-Analysen durch eine Reflexion von Wissen erzeuge, generiere diese ferner ‚Objektivität‘ beziehungsweise ‚Rationalität‘. Somit leiste sie einen Beitrag zur ‚quantitativen Logik‘ des betrachteten Unternehmens, auch wenn dieser nicht auf „Zahlen, Daten, Fakten“ basiere. Monitoring und Listening werden bei dem Automobilhersteller im Hinblick auf unterschiedliche Themengebiete, zu denen Wissen in sozialen Medien vorhanden ist und die einer Reflexion bedürfen, eingesetzt, wie Produktbewertungen, Kommunikationsleistungen und Markenwahrnehmungen:

Befragter: [. . . ] [Es ist] auf jeden Fall eine sehr, sehr gute Möglichkeit, um schnelle Antworten auf spezifische Fragestellungen zu kriegen und auch, um eine Markenstärke relativ schnell messen zu können. Um relativ schnell den Erfolg einer Kampagne messen zu können. Um relativ schnell ein Produktproblem, ähm, zu bemerken. Und, ähm, wenn man jetzt über die eigenen Kanäle noch rausgeht und in Foren zum Beispiel nachschaut, was wir tatsächlich noch viel zu wenig machen, ähm, dann geht das sogar noch ein großes Stück tiefer. Ja (I13/ S3/ Z20–26).

Die in dem Interviewausschnitt genannten Themen stellt diese Arbeit noch näher vor. Zunächst wird gezeigt, wie das betrachtete Unternehmen über die Methode der Social-Media-Analysen Produktbewertungen aus der Netzöffentlichkeit einholt und diese als Feedback-Reflexion und damit auch als Handlungsbefähigung nutzt. Daraufhin wird dargelegt, dass die Praktiker die Kommunikationsleistungen ihres Unternehmens anhand von Monitoring und Listening beurteilen, um Legitimation für ihr Handeln zu erlangen. Abschließend geht es um die Nutzung einer über Social-Media-Analysen umgesetzten Reflexion von Wissen in Bezug auf die Markenwahrnehmung zur Erzeugung von Handlungsbefähigung. Mit der Darstellung dieser drei Aspekte wird die durch eine Reflexion von Wissen erzeugte Legitimation herausgearbeitet und somit anhand des Untersuchungsmaterials zugleich der zweite Typ der Wissensverwendung rekonstruiert, der bei dem deutschen Automobilhersteller festzustellen ist. Benannt wird dieser als Legitimation durch Reflexion von Wissen.

6.2.2.1 Produktbewertung

Beinahe schon klassisch mutet der Einsatz von Monitoring und Listening durch den Automobilhersteller für die Analyse von in der Netzöffentlichkeit enthaltenem Wissen im Bezug auf die von ihm hergestellten Produkte und damit Produktbewertung an. Wenn hier von „Produkten“ die Rede ist, so schließt dies die von dem Unternehmen angebotenen Dienstleistungen mit ein, beispielsweise im Bereich des Service oder aber auch Mobilitätsdienstleistungen wie Car-Sharing-Angebote:

Befragter: [. . . ] Und nachdem wir wirklich SEHR INNOVATIVE Konzepte haben, wo wir alle eigentlich nicht genau wussten/, es gab Marktforschungen, wir hatten [Agentur Z] da, wir hatten erste Indikationen, aber es war eigentlich nicht genau klar wie das draußen im Markt wirklich ankommt. Und um da möglichst SCHNELL eine, ah, Indikation zu bekommen, haben wir gesagt, „okay, dann schauen wir jetzt mal was in den Blogs passiert“. Zumal, ah, zumindest die ersten [Kunden von Fahrzeug Modell Grün], ah, da waren sehr viele Freaks dabei. Also die SEHR Technik affin waren und, ah, die auch sehr mit den neuen Medien, ah, Blogs und so weiteren Einträgen, ah, sehr viel gemacht haben (I21/ S1/ Z19–26).

Um Legitimation durch eine Reflexion von Wissen zu erlangen, suchen die befragten Social-Media-Analysten in der Netzöffentlichkeit nach Feedback im Hinblick auf die automobile Produktlandschaft und analysieren dieses anhand von Monitoring oder Listening. Das Feedback besteht dabei aus Eindrücken, Bewertungen, Meinungen und Rückmeldungen der Kunden und Nutzer sozialer Medien:

Befragter: Ja, das war einfach, um herauszufinden, was sind eben aus Sicht der (…) Probanden, nenne ich sie jetzt mal, mhm (überlegend), äh, Stärken, Schwächen des Fahrzeugs? Welche Erfahrungen hat man da gemacht (I7/ S2/ Z9–11)?

Nach den Ausführungen der Befragten beinhalten soziale Medien eine große Menge an Wissen in Bezug auf die Produkte der Automobilindustrie; dieses gelte es lediglich zu ermitteln und auszuwerten. Das Wissen beinhalte Detailinformationen, welche mitunter dringend benötigt werden, ebenso wie es Fragestellungen beantworte und Erklärungen generiere oder Verständnis erzeuge:

Befragter: [. . . ] Und das (stockt) waren super Erkenntnisse, die man da bekommen hat, weil man dieses Fehlerbild, das man aus den harten Daten bekommen hat, nochmal beschrieben (…) bekommen hat, ne. Äh, wo der sagte „mein [Marke des Unternehmens], der klingt wie eine Nähmaschine, äh, und das immer, wenn er nachts bergab stand bei Temperaturen um unter zehn Grad“. Und auf einmal kann ein Entwickler damit was anfangen. Äh, und das war unglaublich spannend (I27/ S1/ Z17–22).

Setzen die Praktiker Social-Media-Analysen ein, so geschieht dies jedoch nicht nur, um das Feedback zu Produkten des eigenen Unternehmens zu reflektieren, sondern auch um Feedback bezüglich der Produkte von Wettbewerbern zu untersuchen. Über Monitoring und Listening wird, so geht aus den Berichten der Social-Media-Analysten hervor, ebenso das Wissen der Netzöffentlichkeit in Bezug auf die Produkte des Wettbewerbs untersucht. Über Social-Media-Analysen führt das betrachtete Unternehmen sogar gezielt Wettbewerbs-Analysen durch. Anhand dieser werden Einblicke in das Feedback gewonnen, das in sozialen Medien in Bezug auf Wettbewerbsprodukte veröffentlicht ist:

Befragter: Da sollte eine Social-Media-Analyse dazu gemacht werden. Wie das Thema ankommt, wie es bei den Wettbewerbern ankommt. Viel versuchen die auch darüber einen Wettbewerbsvergleich vorzunehmen (I2/ S3/ Z45–47).

Dabei seien einerseits die Fehler und Probleme, andererseits auch die Potentiale von Produkten des Wettbewerbs sowie Anregungen von Interesse, die im Hinblick auf deren Weiterentwicklung in sozialen Medien platziert und in der Netzöffentlichkeit diskutiert werden:

Befragter: [. . . ] Also, was jetzt auch wirklich ein super Beispiel war, in USA haben wir Wettbewerber verglichen und WAS Leute da über [ein Produkt des Wettbewerbers II] schreiben, war für uns schon sehr spannend. Was man auch so nicht unbedingt überall und einfach findet. Und das ist schon so im Sinne von Wettbewerb mitbekommen, über was sich Kunden da beklagen, eine sehr interessante Quelle (I27/ S6/ Z30–34).

Anhand der Ergebnisse solcher Auseinandersetzungen mit dem Wettbewerb und dessen Produkten können gemäß den praktischen Anwendern vielversprechende Ableitungen für das eigene Unternehmen und dessen Produkte getroffen werden.

Befragter: Genau. Haben aber dann gemerkt, dass es eigentlich/ dass die Wenigsten wirklich damit umgehen können. Für mich war es einfach wahnsinnig interessant zu sehen, ähm, (stockt) was im Wettbewerb eben passiert. Dass du/ dass du eigentlich genau sehen kannst, ähm, was Kunden über Wettbewerber aussagen, wir das wieder für uns zu eigen machen können (I26/ S1/ Z42–45).

Doch die Auseinandersetzung mit Wettbewerbsprodukten steht keineswegs im Fokus der Untersuchungen, die die Befragten vornehmen. Diese dienen in erster Linie dazu, Vergleiche im Hinblick auf eigene Produkte anzustellen, Feedback in Bezug auf diese in Relation mit dem Wettbewerb zu erhalten und Impulse für Innovationen in das eigene Unternehmen ‚hineinzutransportieren‘:

Befragter: [. . . ] Und, ich glaube, also dazu ist es einfach ein gutes, äh, gerade in Richtung „wir wollen unser Kunden begeistern“, was fehlt denn da manchmal noch? Ja, also, ähm, ähm, und so Kleinigkeiten auch, das kommt auch ganz gut raus. Genau (I5/ S5/ Z10–13).

Es sind die Produkte ihres Unternehmens, die die befragten Praktiker in den Mittelpunkt ihrer Reflexion von Wissen bezüglich der automobilen Produktlandschaft stellen. In diesem Sinne wird über Social-Media-Analysen zunächst ein Feedback im Hinblick auf die Produkte des deutschen Automobilherstellers ermittelt. Die Social-Media-Analysten möchten erfahren, wie diese von der Netzöffentlichkeit diskutiert und bewertet werden. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die dort stattfindende Auseinandersetzung mit der Qualität der Produkte, etwaigen Problemen, Fehlern und Defiziten gelegt:

Befragter: [. . . ] Weil die Kunden äußern sich ja durchaus (stockt) in, äh, hauptsächlich in Automotive-Foren auch, äh, haben wir auch festgestellt, zu dem Thema Service, ja. Wo sie sagen, „der war super, der Händler ist ganz toll, ja, da war es eben dann nicht so toll, da sind die und die Sachen falsch gelaufen“ das sind halt so die beiden Haupt-Problemfelder, die wir eigentlich gerne sehen wollten, ja. Also Probleme im Feld frühzeitig erkennen anhand von Kundenkommentaren und auch nochmal so die Korrelation herzustellen zur Service-Qualität auch, ja (I25/ S2/ Z29–35).

Vor allem im Zusammenhang mit der Einführung von neuen oder überholten Produkten, also Nachfolgeprodukten, schreiben die praktischen Anwender der Methode der Social-Media-Analysen eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu. Für ihr Unternehmen sei es entscheidend, frühes Feedback zu Produkteinführungen zu erhalten:

Befragter: [. . . ] Und auf der anderen Seite die Social Media Radars [. . . ] für spezifische Produkt-Fragen. Und, ähm, das haben wir dann genutzt, weil wir auch festgestellt haben, dass in Social Media halt teilweise viel schneller über/ als über die Meldelinien größerer Probleme auftauchen. Also so die ganz normalen Sachen, die im Handel halt irgendwann aufschlagen, da sind bei uns dann schon alle Social-Media-Seiten voll gewesen mit Fotos von brennenden [Marke des Unternehmens des Befragten] und solchen Geschichten bevor das über den Handel überhaupt [in der Zentrale des Unternehmens] angekommen war (I13/ S1–2/ Z47–6).

Kunden und Nutzer sozialer Medien würden in der Netzöffentlichkeit einzelne Produkte entweder positiv bewerten oder aber kritisieren, damit zugleich Rückmeldungen im Hinblick auf zusätzliche Produktanforderungen geben und einzelne Komponenten und Funktionen der Produkte beurteilen. Beide Varianten würden unternehmensintern ein dem Feedback entsprechendes Handeln legitimieren und zu einem solchen befähigen. Zum Zweck der Generierung unternehmensinterner Legitimation geht es, so lassen sich die Berichte der Social-Media-Analysten zusammenfassen, im Zusammenhang mit der Nutzung von Social-Media-Analysen zur Ermittlung von Produktbewertungen einerseits darum, bislang oder bis zur Einführung der Produkte unerkannte Fehler, die Probleme bedingen können, möglichst frühzeitig zu bemerken und andererseits eine rasche Bestätigung der neu eingeführten Produkte zu erhalten:

Befragter: Also Social Media ist/, äh, diese Analyse, die wird im Moment zu jedem Fahrzeug gemacht. Ähm, (…) also quasi ab Markteinführung. Und, es ist quasi EIN weiterer Baustein bei uns in der Abteilung, wo wir eben Kundenzufriedenheit, (flüstert) ja, nicht messen, wenn man so will, oder beziehungsweise einfach erfährt, ja. Also, wie (stockt) wie/ was sagen die Kunden (…) ÜBER das Produkt zum Beispiel (I23/ S4/ Z9–12)?

Somit werden Social-Media-Analysen in ihrem Verständnis der Reflexion von Wissen als ein Instrument zur Verfolgung oder auch Kontrolle von Produkteinführungen sowie der Generierung von Handlungsbefähigung für das betrachtete Unternehmen eingesetzt. Insbesondere Neuanläufe von Produkten „beobachten“ die Praktiker durch Monitoring und Listening genau oder „hören“ den in diesem Kontext aufkommenden Diskussionen zu. Sie beabsichtigen mitunter mögliche Verständnisprobleme oder Missverständnisse, die in der Netzöffentlichkeit im Hinblick auf neu angelaufene Produkte geäußert und diskutiert werden, aufzuspüren, um diesen schnellstmöglich entgegenwirken zu können. Somit kommen Social-Media-Analysen im Kontext von Produktbewertungen zum Einsatz, um die Produktqualität zu überprüfen und Optimierungspotentiale für neu eingeführte oder überholte Produkte zu ermitteln. Der deutsche Automobilhersteller setzt die Methode der Social-Media-Analysen im Kontext von Produktbewertungen ein, um eine Legitimation durch eine Reflexion von Wissen zu erhalten und dadurch zum Handeln befähigt zu werden.

6.2.2.2 Kommunikationsleistung

Feedback, das in der Netzöffentlichkeit in Bezug auf Produkte der Automobilindustrie platziert wird, kann als eine Beurteilung der von dieser erbrachten Leistung verstanden werden. In diesem Abschnitt geht es jedoch nicht um eine Bewertung im Hinblick auf automobile Produkte, sondern vielmehr um die Beurteilung der von dem Unternehmen geleisteten Kommunikation darüber. Die Netzöffentlichkeit bewertet in sozialen Medien auch Kommunikationsmaßnahmen von Unternehmen, etwa Kampagnen:

Befragter: [. . . ] Analyse ist immer, natürlich, ein Teil daraus, weil man natürlich auch die Möglichkeit hat, Dinge zu clustern und zu verdichten und das ist natürlich auch, wenn es um Reportings geht, um den Erfolg messbar zu machen, für uns natürlich ein wichtiges Instrument ist. Genauso auch, ähm, für das Thema Campaigning. Also, wenn wir sagen, wir machen auch noch das ganze Thema Kampagnen, Social-Media-Kampagnen Fahrzeug basiert, ist es für uns natürlich auch wichtig, zu hinterfragen, wie haben die denn funktioniert, wie haben die performt? Vielleicht auch im Vergleich zu einer anderen Kampagne (I6/ S2/ Z6–12).

Nach Aussage der praktischen Anwender werden Social-Media-Analysen in ihrem Unternehmen umgesetzt, um über eine Untersuchung der Netzöffentlichkeit oder anhand dieser eine Beurteilung der eigenen Kommunikationsleistung zu erhalten. Basierend auf einer über Social-Media-Analysen durchgeführten Untersuchung des Feedbacks, das in sozialen Medien in Bezug auf seine Kommunikationsmaßnahmen vorhanden ist und, dem Verständnis der Befragten nach, in einer Reflexion von Wissen besteht, erzeugt der Automobilhersteller Legitimation und damit Handlungsbefähigung:

Befragter: [. . . ] Der andere Baustein ist, dass wir natürlich ein Buzz Monitoring machen, dass wir gucken, ähm, ein Begriff wie, wenn wir ein neues [Fahrzeug] einführen, dass wir davor schauen, wie entwickelt es sich und wie funktioniert das dann, wenn wir/ wenn wir halt, ähm, anfangen unsere Kommunikationsaktivitäten anzuschieben, wie sich dann eben der Buzz dazu (stockt) entwickelt? Und dann ist für mich immer noch ganz spannend (stockt) zu sehen, was dazu gesagt wird. Dass wir dann auch wirklich qualitativ einsteigen können und auch uns wirklich anschauen können, äh, was sagen die denn (stockt) darüber? Also nicht bloß eine Sentiment-Analyse, um zu sehen, ist es positiv, ist es negativ, ist es neutral? Sondern eben sehen, was genau ist es denn, was die Leute positiv finden und was sie negativ finden (I26/ S2/ Z16–25)?

Insbesondere die Unternehmensbereiche für Marketing und Kommunikation nutzen Monitoring und Listening, um die eigene Kommunikationsleistung zu verfolgen. Zum einen werde die eigene Kommunikation mit dem Ziel der Reflexion „beobachtet“ und den in diesem Kontext entstehenden Diskussionen „zugehört“; zum anderen gehe es darum, diese zu kontrollieren, gegebenenfalls zu korrigieren und stets zu optimieren. Social-Media-Analysen werden in diesem Sinne von ihren praktischen Anwendern als „Kommunikationsanalysen“ oder „Kommunikationsforschung“ verstanden und auch als solche bezeichnet. Damit offenbart sich erneut, dass es den Praktikern an fundierten sozialwissenschaftlichen Kenntnissen, sowohl in Bezug auf Forschungsmethoden als auch im Hinblick auf diverse Disziplinen, mangelt. Was die Social-Media-Analysten mit ihrer Begriffswahl wohl zum Ausdruck bringen möchten, ist, dass sie Monitoring und Listening einsetzen, um ihre eigene Kommunikation und deren Folgen zu untersuchen und um Anregungen für zukünftige Kommunikationsmaßnahmen zu erhalten. Dabei handle es sich um eine Art Selbstkontrolle und damit in gewisser Weise auch um eine reflexive Auseinandersetzung mit dem eigenen Handeln:

Befragter: [. . . ] Ja, also dass man halt versucht solche Sachen wirklich, ähm, von vornherein zu sehen, den Mehrwert daraus zu ziehen im Idealfall oder eben auch Gegenmaßnahmen abzuleiten, wenn auch so eine Markenrelevanz, ja, Assoziationen, womit wollen wir assoziiert werden oder nicht, um da halt Learnings daraus zu ziehen und entsprechend zu reagieren (I29/ S6/ Z13–17).

Mit der Ermittlung von Bewertungen der eigenen Kommunikationsleistung, wie diese in sozialen Medien zu finden sind, verfolgen die praktischen Anwender von Social-Media-Analysen in erster Linie die Absicht, Bestätigung zu erhalten oder zu erfahren, wenn kommunikative Maßnahmen ihrerseits nicht das gewünschte Resultat erzielen:

Befragter: [. . . ] Aber, da war es (stockt) viel mehr Erfolgs-Kontrolle und eigentlich schon Set-up für das nächste Jahr, was können wir daraus lernen, wo stehen wir, was hat gut funktioniert, welche Kanäle haben auch nicht funktioniert? Oder eben auch, (stockt) welche Content haben in welchen Kanälen funktioniert (I30/ S1/ Z44–47)?

Beide Varianten sind innerhalb des Untersuchungsmaterials als Reflexion von Wissen auszumachen und damit als Legitimation von und Befähigung für Folgehandlungen. Die Kommunikationsstrategie ihres Unternehmens gründet laut den Befragten mitunter auf Ergebnissen von Social-Media-Analysen. Ein Handeln gemäß ihrer Ergebnisse ist im Unternehmen legitimiert. Monitoring und Listening nutzt der Automobilhersteller also auch, um seine eigene Kommunikationsstrategie zu verbessern:

Befragter: Ja, also zum einen, äh, auch wieder ein zweistufiger Ansatz. Zum einen hilft uns das natürlich auch im Tagesgeschäft irgendwie auch unsere Kommunikationsstrategie auf diesen Kanälen irgendwie zu optimieren. Wenn wir jetzt sehen, relativ viele Leute, jetzt wieder Beispiel [Fahrzeug Modell Grün], reden über das Thema Reichweite. Dass es irgendwie ein Problem ist oder, dass es irgendwie auch eine Herausforderung ist. Hilft und so eine Analyse natürlich auch dann, unsere/ unseren Redaktions-Plan so ein bisschen zu beeinflussen. Wenn wir jetzt sehen, viele Leute interessiert das Thema, bedeutet auch, dass wir es dann auch aufnehmen in unseren eigenen Positings und Beiträgen. Das ist das Eine plus sind wir mit diesen Analysen eines von x Puzzleteilen in der gesamten Kommunikationsstrategie und -auswertung. Das heißt, wir geben dann genau diesen Input, der jetzt auch nicht repräsentativ jeden [Kunden von Fahrzeug Modell Grün] auf dieser Welt darstellt, aber zumindest mal, ein Ist-Daten, was passiert ist, rein in den großen Topf, wo sämtliche anderen Analysen zum Thema [Kunden von Fahrzeug Modell Grün] auch reinkommen (I9/ S8–9/ Z43–6).

Zum Beispiel seien über Social-Media-Analysen bestimmte soziale Medien als relevant oder bislang noch nicht bediente Themen als zu „bespielende“ auszumachen.

Sämtliche Fragestellungen, welche die Social-Media-Analysten über Monitoring und Listening untersuchen, diskutieren sie jedoch letztlich unter dem Gesichtspunkt der Kontrolle ihrer eigenen Leistung und bezeichnen dies als „Performance Tracking“. Gelegentlich ist auch von Seiten des Unternehmensbereichs für Kommunikation von „Resonanzanalyse“ oder „Reputationsanalyse“ die Rede. Typischer Anwendungsfall im Marketing-Bereich ist die Überwachung eigener Kampagnen, „Performance Tracking“ genannt, und die „Beobachtung“ von Unternehmensauftritte auf Veranstaltungen, etwa auf Automobilmessen:

Befragter: Ja. Es gibt natürlich jetzt auch Monitoring. Wenn ich ein lückenloses Tracking mache, kann ich das zum Beispiel für Marketing-Zwecke natürlich auch einsetzen, ja. Und wie groß ist der Buzz nach einer Kommunikationsmethode? (Atmet ein), äh, das ist natürlich auch, ähm, möglich, aber ist jetzt quasi aus meinen Aufgaben raus nicht mein Fokus. Aber ist natürlich auch (stockt) eine recht interessante Größe, äh, sich, äh, da die Regelmäßigkeit festzustellen. Gibt es ja auch interessante Versuche, dass man quasi, äh, eine Kurzfrist-Prognose über den Absatz dadurch machen kann, ähm, dass man, äh, sich ansieht, was tut sich in Social Media oder was tut sich in Such-Begriffen bei Google (I18/ S4/ Z4–11).

Wie beim Einsatz von Social-Media-Analysen zur Ermittlung der Beurteilung eigener Kommunikationsmaßnahmen üblich, verfolgen die Praktiker in erster Linie die Absicht, die Erfolge ihrer Kampagnen sichtbar zu machen und sich ihr Handeln im Unternehmen bestätigen zu lassen. Damit einhergehend holen sie sich die Legitimation ein für ihr künftiges Handeln. Des Weiteren wird das Feedback der Netzöffentlichkeit genutzt, um Optimierungspotentiale für Kampagnen und damit die eigene Leistung zu ermitteln:

Befragter: Ähm, beim [Fahrzeug Modell Grün] ging es halt letztendlich um Erfolgsfaktoren. Ähm, was/ (stockt). Also die Ausgangsbasis war die Fragestellung, was hat beim [Fahrzeug Modell eines Wettbewerbers] dafür gesorgt, dass es ein Erfolg war? War es, dass man irgendwo einen [Superstar] an der Tankstelle mit einem [Fahrzeug Modell eines Wettbewerbers] gesehen hat und das irgendwie ausgeschlachtet worden ist in sämtlichen Medien? Oder war es letztendlich irgendein (stockt) Blogging, ähm, et cetera (I4/ S3/ Z20–24).

Im Hinblick auf die Durchführung von Monitoring und Listening zur Untersuchung der Kommunikationsleistung lässt sich festhalten, dass die Social-Media-Analysten die Verfahren nutzen, um ihre eigenen Kommunikationsmaßnahmen und das Feedback, das soziale Medien enthalten, „zu beobachten“ und den Diskussionen „zuzuhören“, die in der Netzöffentlichkeit über diese geführt werden. Über Social-Media-Analysen verfolgt das betrachtete Unternehmen seine eigene Kommunikationsleistung, um diese beständig zu optimieren. Verbesserung bedeutet in diesem Kontext vor allem eine Steigerung oder Erhöhung der Reichweite von Kommunikationsmaßnahmen. Letzten Endes wird derart, also auch über die Ermittlung von KPIs, durchweg Selbstbestätigung eingeholt, die die Befragten als Selbstreflexion auffassen. Monitoring und Listening sind jedoch weniger als Selbstreflexion, sondern vielmehr als Feedback-Reflexion zu begreifen. Über die Methode der Social-Media-Analysen reflektieren die praktischen Anwender Wissen und werden erst dadurch zu ihrem eigenen Handeln befähigt. Somit ist die Analyse der Kommunikationsleistung als der zweite Aspekt des als Legitimation durch Reflexion von Wissen erkannten Typs der Wissensverwendung in dem betrachteten Unternehmen festzuhalten.

6.2.2.3 Markenwahrnehmung

Die Markenwahrnehmung ist ein weiterer Aspekt, dem im Rahmen der über Social-Media-Analysen praktizierten Reflexion des Wissens der Netzöffentlichkeit Bedeutung zukommt. Auch Untersuchungen zur Markenwahrnehmung zielen auf die Ableitung von Legitimation zum Zweck der Handlungsbefähigung. Zwar weist eine Betrachtung der Wahrnehmung von Marken, die in sozialen Medien geäußert wird, Ähnlichkeit mit der Untersuchung der Beurteilung von Leistung in der Kommunikation oder auch der Analyse von Produktbewertungen auf, doch erst die Summe dieser drei Aspekte macht die über die Methode der Social-Media-Analysen erzielte, auf Legitimation beruhende Handlungsbefähigung deutlich. Monitoring und Listening werden von den Praktikern also ferner eingesetzt, um zu untersuchen, wie die Marken ihres Unternehmens in der Netzöffentlichkeit wahrgenommen werden:

Befragter: [. . . ] Also einmal ist es (stockt) dieses/ ist es dieses nah am Kunden dran zu sein, ähm, nicht daran vorbei zu arbeiten, Trends aufzuspüren und auch, sage ich mal, die Marke nochmal zu schärfen. Ich kann gucken, was kommt denn genau an (stockt) und wo muss ich nochmal nachjustieren, was kann ich (stockt) denn da nochmal dafür tun (I26/ S3/ Z22–26)?

Die Social-Media-Analysten möchten ermitteln, wie die Marken ihres Unternehmens bewertet, womit sie assoziiert, in welchem Kontext sie diskutiert werden. Von Interesse sind verschiedene Märkte und unterschiedliche Zeitpunkte, wie auch bei den anderen im Zusammenhang mit der Reflexion von Wissen dargelegten Aspekten. Mit Monitoring und Listening werden Vergleiche angestellt, welche die Befragten dann wiederum als Begründung ihrer Handlungsbefähigung heranziehen.

Zudem wird die Methode nicht nur für Untersuchungen der Wahrnehmung von Marken des eigenen Unternehmens genutzt. Um Vergleiche mit der Konkurrenz anzustellen, werden auch die Wettbewerbsmarken betrachtet:

Befragter: [. . . ] Was, äh, wir haben uns eigentlich, wenn wir uns was angeschaut haben, wie letztens, dann EINZELFÄLLE. Ähm, das ging darum, welcher, äh, welcher Pressesprecher WIE Social Media nutzt. Ähm, und haben da für uns eigentlich geschaut, (atmet ein) ähm, gibt es best Cases, worst Cases? Und da haben wir von der Agentur, die für uns arbeitet, [Agentur W], (atmet ein) ähm, haben wir benannt (stockt) welche Marken er anschauen soll, welche Pressesprecher er anschauen soll. (Atmet ein) ähm, [Wettbewerber V] ist ja damit gerade Pressesprecher des Jahres geworden. Wegen der Positionierung des CEO über Social Media. Und da haben wir gesagt, schaut mal bitte die anderen Marken an, nehmt [Wettbewerber V] mit rein. Was macht (atmet ein) [Wettbewerber II]? Und SOLCHE Sachen haben wir dann geschaut (I17/ S1–2/ Z42–2).

Neben der Stimmung in Bezug auf Marken, der Beschäftigung mit den Assoziationen, die im Zusammenhang mit diesen vorgenommen werden, sowie dem Kontext, der die Diskussion der Marken in der Netzöffentlichkeit rahmt, wird gemäß den Praktikern mit Social-Media-Analysen auch die Markenstärke anhand feststehender KPIs untersucht:

Befragter: [. . . ] Das heißt, es ist so eine Mischung aus qualitativ und quantitativ, aber/. Genau, zum [Fahrzeug Modell Grün] nochmal zurück, da, ähm, war es eben die Bekanntmachung der Marke und des Produktes, ähm, und da war sicherlich die Reichweite unser größtes Ziel. Also die KPI, die für uns die entschiedenste war, und dann ist es auch quantitativ leicht zu messen, ja. Wir haben es dann in den, ähm, Facebook Insights auch rauslesen können. Wie hat sich die Demographie entwickelt? Das heißt, wir haben paar Millionen Fans dazu gewonnen, aber, was waren es für Fans? Waren das jetzt, ähm, 16-jährige Inder? Oder waren es, ähm, über 35-Jährige mit Universitätsabschluss, die aus einer Metropol-Region kommen, ja (I6/ S8/ Z34–41).

Das Ansinnen von Monitoring und Listening besteht laut den praktischen Anwendern vor allem darin, die Zufriedenheit der Kunden und Nutzer sozialer Medien im Hinblick auf die betrachteten Marken zu analysieren. Ziel ist es, das eigene Handeln im Kontext der Marken zu optimieren und Impulse für Verbesserungen zu bekommen. Nicht zuletzt möchten die Praktiker, dass die Methode der Social-Media-Analysen, über die sie ihre Handlungsbefähigung generieren, in ihrem Unternehmen Legitimation erfährt, damit wiederum auch ihre eigene Praxis legitimiert ist:

Befragter: [. . . ] Auf der anderen Seite, was haben die Leute dann in ihrem Kopf von [Marke des Unternehmens des Befragten], was ist die Wirkung bei denen und wie bewerten die dann die Marke und können wir da noch irgendwas verbessern, um die noch stärker zu emotionalisieren? [. . . ] Also auch so für/, aus Konzernsicht, die Wirkung von, äh, von Social Media fände ich sehr, sehr wichtig auch nochmal nachzuweisen. Damit dieses Tool auch nochmal ein größeres Gewicht bekommt. Ja, als Einflussfaktor auch auf die Marke. Ja (I11/ S7/ Z34–43).

Ähnlich wie bei der Durchführung von Social-Media-Analysen für die Ermittlung von Produktbewertungen und Leistungsbeurteilungen möchten die Praktiker vor allem auch ermitteln, wie die Bewertung der Marken ihres Unternehmens in Vergleichen ausfällt:

Befragter: [. . . ] Aber mir geht es eher um die Veränderung. Also, ich will ja nicht wissen, ist es jetzt wirklich sieben Prozent oder zehn Prozent positiv, sondern ändert es sich von sieben auf (…) minus sieben? So oder was (Lachen). Also, die Veränderung, das Delta, also, gibt es Ausschläge? Das Trending ist für mich eigentlich das Spannendere, äh, als jetzt wirklich zu sagen, wie viel ist jetzt neutral und positiv (I12/ S4/ Z9–13)?

Um innerhalb ihres Unternehmens zum Handeln in Bezug auf seine Marken befähigt zu werden und dieses Handeln zu rechtfertigen und zu legitimieren, ist für die Befragten eine Erkenntnis über die Markenwahrnehmung erforderlich, wie diese durch Monitoring und Listening erzielt werden kann. Auch im Zusammenhang mit Marken beruht die Handlungsbefähigung des betrachteten Unternehmens mitunter auf einem Feedback der Netzöffentlichkeit; im Rahmen von Social-Media-Analysen wird dieses reflektiert. Es ist somit festzuhalten, dass auch in Bezug auf automobile Marken Handlungsbefähigung erst anhand einer Legitimation durch eine Reflexion von Wissen entsteht:

Befragter: [. . . ] Äh, wir versuchen da halt wirklich so diesen, also (stockt) das Beste, ähm, Zukunft trächtigste, innovativste Marken spezifisch Relevante mitzunehmen und zu gucken, dass wir das eben zu einem Mehrwert (stockt) für unsere Services machen, die uns wiederum one step ahead bringen in der Kunden-Experience (I29/ S13/ Z40–43).

6.2.2.4 Zwischenfazit: Reflexion von Reflexionen

‚Objektivität‘ und ‚Rationalität‘ versprechen sich die befragten Praktiker von Social-Media-Analysen. Ihre Erwartung begründen sie mit der Gleichsetzung der Methode mit einer Reflexion. Allerdings handelt es sich bei Monitoring und Listening vielmehr um eine Reflexion von Reflexionen, also um eine Feedback-Reflexion. Gegenstand des Reflektierens ist das in der Netzöffentlichkeit enthaltene Wissen, welches im Rahmen von Social-Media-Analysen untersucht wird. Zweck einer derartigen Reflexion von Reflexionen ist die Herstellung von Handlungsbefähigung aufgrund von Legitimation. Legitimation und Handlungsbefähigung scheinen für den deutschen Automobilhersteller deckungsgleich zu sein, da jene auf dieser beruht. Entlang der Berichte der Praktiker hat der vorliegende Abschnitt die Feedback-Reflexion, die über Monitoring und Listening praktiziert wird, im Hinblick auf Produktbewertungen, Kommunikationsleistungen und Markenwahrnehmungen behandelt. Eine Reflexion von Wissen bezüglich dieser drei Aspekte erfolgt in dem betrachteten Unternehmen zum Zweck der Herstellung von Legitimation und Handlungsbefähigung:

Befragter: Ähm, im Prinzip kam das einfach daher, dass wir die internationalen Social-Media-Kanäle als Piloten aufgesetzt hatten bei [Marke des Unternehmens des Befragten] und darüber bei uns einfach wahnsinnig viel Kunden-Feedback reingekommen ist, wo wir dann irgendwann gesagt haben, wir müssen das in einen Prozess packen, dass das Ganze zielgerichtet weitergeht an Produkt, an Kundenservice, an Schnittstellenpartner, ähm, weil das sonst einfach, die Kunden zu uns kommen und das im Nichts verpufft. Und das einfach viel zu wertvoll ist, wenn Kunden sich die Mühe machen zu uns zu kommen und uns ihr Feedback zu geben, dass wir dann nicht weiter darauf eingehen oder das nicht in Taten auch umsetzen dann am Ende (I13/ S1/ Z8–15).

Ein Ableiten von Legitimation wurde als zusätzliche Intention ausgemacht, die der Durchführung von Social-Media-Analysen innerhalb des Unternehmens zugrunde liegt. Legitimation durch Reflexion von Wissen ist der zweite Typ der Wissensverwendung, den der Automobilhersteller zeigt. Kommt die Methode der Social-Media-Analysen für die Herstellung von Legitimation durch Reflexion von Wissen zum Einsatz, so geschieht auch das, indem soziale Medien „beobachtet“ werden oder der Netzöffentlichkeit „zugehört“ wird. Das Feedback von Kunden und Nutzern sozialer Medien wird mithilfe der Methode reflektiert und gelangt als Wissen in das Unternehmen ‚hinein‘.

Über Monitoring und Listening erhält das Unternehmen eine Bewertung seines Handelns; diese kann dazu führen, dass es fortgeführt, modifiziert oder beendet wird. Auch eine Nutzung der Reflexion von Reflexionen zur Selbstreflexion kommt in Frage und wird von den Befragten, beispielsweise unter Anwendung der Metapher des ‚Blicks in den Spiegel‘, als Intention von Social-Media-Analysen genannt. Die Methode wird also sowohl zur Analyse der Fremdwahrnehmungen durch die Netzöffentlichkeit, als auch zur Untersuchung der Selbstwahrnehmung genutzt. Selbstreflexion beruht auf Deutungen; für eine Interpretationsleistung sind entsprechende Fähigkeiten vonnöten. Dass es den Social-Media-Analysten daran mangelt, wurde schon dargelegt.

Mit Social-Media-Analysen zum Zweck der Legitimation durch Reflexion von Wissen ermittelt der Automobilhersteller also mögliche Richtungen zukünftigen Handelns. Entweder erhält er Bestätigung oder er entdeckt alternative Optionen. Das Feedback der Netzöffentlichkeit bietet Einschätzungen. In erster Linie dienen die Erkenntnisse, die über Social-Media-Analysen generiert werden, nicht der Orientierung, sondern der Handlungsbefähigung. Dafür werden Detailinformationen erhoben, Fragen beantwortet, Erklärungen generiert und auch Verständnis erzeugt. Die Legitimation durch Reflexion von Wissen liegt in dem betrachteten Unternehmen als die bedeutendste Intention den Umsetzungen von Social-Media-Analysen zugrunde und markiert den zweiten Typ der Wissensverwendung des deutschen Automobilherstellers:

Befragter: Ja, also, zum einen, ähm, durchaus von uns selber getrieben. Aber am Ende des Tages dann auch durch irgendwie, eher Senior Management getrieben. Ne, weil, wie gesagt, durchaus auch dann irgendwie aus (stockt) Vorstands-Kreisen die Frage an uns gerichtet wurde, sind jetzt genau diese, damals gerade zehn, 15 Millionen Fans, alles Kunden, ja oder nein? Und was machen die eigentlich so? Ja, da ist/ war dann eher so ein Top-Management-Anforderung, ähm, plus zum anderen auch für uns, die tagtäglich mit unseren Agenturen zusammen, diese Vielzahl an, ähm, Menschen und Fans bespielt, dass wir da auch mal so ein bisschen besseren Überblick bekommen, äh, was machen wir eigentlich da? Oder wie reagieren eigentlich Menschen da drauf? Also, war schon intrinsisch irgendwie motiviert, aber am Ende des Tages dann auch irgendwie durch Top-Management forciert. So würde ich es mal nennen (I9/ S3/ Z32–41).

6.3 Bedeutung von Wissen und Art der Wissensgenese

Das Grundcharakteristikum der frühen Moderne erkennt Armin Nassehi (2017) darin, dass sämtliches Denken und auch Handeln unter „die Ägide des Zukünftigen“ als das eigentliche Ziel jedes Geschehens gestellt wird. Diesen Befund kontrastiert er sodann mit seiner Diagnose der Gegenwart:

Die utopischen Energien der Zeit sind in unserer Zeit längst verschwunden. Heute wirkt es eher unplausibel, Zeit und Sinn zusammenzudenken. Wir haben es heute mit ganz anderen Zukunftsbildern zu tun. Es geht eher um die Frage, wie man unterschiedliche Geschwindigkeiten synchronisieren kann [. . . ]. Das Prinzip ist Trial and Error, der Versuch in einer hochdifferenzierten, komplexen Welt auf Einheitsfantasien verzichten zu können. Diese Welt ist viel komplizierter geworden [. . . ]. Wir leben in einer Welt der checks and balances, der verteilten Intelligenzen, der Arbeitsteilung und der Unübersichtlichkeit. Es gibt so etwas wie authentische Zentralperspektiven nicht mehr. Es gibt keine Idee der Kontrolle des Ganzen durch ein Prinzip oder den authentischen Willen des Volkes. [. . . ] Das Prinzip, das der utopischen Energie des authentisch handelnden Volkes und einer erlösenden Bedeutung am stärksten entgegensteht, ist das muddling through. Unsere Zukunftsvorstellung, die unserer Zeit angemessene Zukunftsvorstellung, ist das Durchwurschteln [. . . ] (Nassehi, 2017, S. 17 f., Hervorheb. i. O.)

Bei Trial and Error und Muddling Through oder auch „Durchwurschteln“ handelt es sich, wie im Exkurs zu Beginn dieses Kapitels dargelegt, um drei Synonyme für die „inkrementalistische Implementation“; so bezeichnet Nassehi das Prinzip, das er als das Grundcharakteristikum der Gegenwart erkannt hat.

Die hier vorliegende Forschungsarbeit geht zwei Fragestellungen nach: Zum einen der Frage, was die Praxis von Social-Media-Analysen für die deutsche Automobilindustrie beziehungsweise das Wissen des betrachteten Unternehmens und insbesondere dessen Genese bedeutet; zum anderen der Frage nach den Beweggründen des deutschen Automobilherstellers für die Umsetzung von Monitoring und Listening. Die letzte Frage wurde über die Rekonstruktion der Typen der Wissensverwendung beantwortet, die innerhalb des Unternehmens auszumachen sind. Die erste Frage nach der Bedeutung der Praxis von Social-Media-Analysen für das Wissen des Automobilherstellers und dessen Genese hat teilweise mit einem deskriptiven Fokus schon die Darlegung der praktischen Umsetzung von Social-Media-Analysen sowie die Vorstellung der Methode geklärt; die Rekonstruktion der Typen der Wissensverwendung hat sie vertieft. Der hier nun vorliegende Abschnitt nimmt sich ihrer erneut an. Dies geschieht, indem der Blick nochmals auf die Praxis von Social-Media-Analysen gelenkt wird; im Fokus steht nun jedoch weder die angewandte Praxis der Methode noch die Methode als solche, sondern die Bedeutung von Social-Media-Analysen für das Wissen des Automobilherstellers und die spezifische Art der von dem Unternehmen praktizierten Wissensgenese. Es wird nun die Bedeutung von Wissen und Art der Wissensgenese betrachtet.

Die Ausführungen der praktischen Anwender von Social-Media-Analysen lassen darauf schließen, dass die von ihnen angewandte Praxis in einem Muddling Through besteht und die Wissensgenese der deutschen Automobilindustrie vor allem auf affirmative Forschung gründet. Mit anderen Worten: Das betrachtete Unternehmen analysiert das Wissen der Netzöffentlichkeit nach dem Prinzip des „Muddling Through“; die von ihm praktizierte Wissensgenese beruht zudem auf Affirmation:

Befragter: [. . . ] Ähm, ist wohl auch schon wieder so ein Ansatz, das Ingenieursdenken, glauben zu wissen, was der Kunde will. (Unterbrechung) schön kann man das dann sehen, wenn man, ähm, mal den Kulturkreis verlässt, des Angelsächsischen und Europäischen, und geht in den asiatischen Raum, weil die haben ja ganz andere Vorstellungen und Werte (stockt) und, ähm, (…) Anforderungen wie WIR das haben. Also, wir meine ich jetzt die klassische Automobilindustrie (Lachen). Und, äh, da hilft dann Social Media natürlich dann schon extrem weiter, dass man da ein Gefühl dafür entwickelt, was könnte der Kunde denn eigentlich von uns wollen? Und dann kann man ein maßgeschneidertes Konzept irgendwo/ (I20/ S5/ Z33–41).

Der eben zusammengefasste und anhand der Interviewpassage verdeutlichte Befund – der letzte in dieser Forschungsarbeit – deckt sich mit der diesen Abschnitt einleitenden Gegenwartsdiagnose von Nassehi und illustriert sie anhand der angewandten Praxis der deutschen Automobilindustrie. Den festgestellten Befund von Muddling Through und Affirmation erläutert diese Arbeit noch näher. Zunächst richtet sich der Blick auf die Relevanz der Wissensträger. Es geht also um die Bedeutung, die das Unternehmen dem Wissen dieser Träger und dem Wissen über sie zuspricht:

Befragter: (…) Ähm (…), wir kommen auf das Thema zurück Tiefe des Wissens, was es im Netz gibt. Und, ähm, es gibt KEINEN technischen Fall, der noch so verwinkelt ist, wo es nicht jemanden im Netz gibt, der das mal getan hat. Das heißt, was (…) ich ganz persönlich mich mal völlig/ wo ich dachte, was ein IRRSINN, ähm, dass es dafür Leute gibt. Ähm, da ging es um einen Auspuff. An einem Motorrad. Und jemand stellte die Frage, ähm, passt das eigentlich? Kennt das jemand von euch? Wie verändert sich die Leistung, ist irgendwas/? Eine VÖLLIG irre Konstruktion. Ein Auspuff, der da überhaupt nicht dran gehört und der ganz hübsch aussah, aber der an das Moped nicht dran gehörte und so. Und kurze Zeit später antwortete jemand, der sagt, ja, ich habe genau das gemacht, ähm, Leistung kann ich nicht merken, der Klang ist völlig anders, habe ich aufgenommen und schickt drei Sound-Files von Wegfahren, Ankommen und Standgas. Wo du dir denkst, das gibt es doch gar nicht, also das ist eine so/ eine so konstruierte Situation, aber da die Grundgesamtheit so RIESIG ist dafür, ne, ähm, wird das da auf einmal auf eine Bühne gezerrt und ich/ (I16/ S4/ Z2–14).

Daran anschließend behandelt ein weiterer Abschnitt die Instrumentalisierung dieses Wissens als Machtinstrument:

Befragter: (…) Also, ich glaube nach wie vor, dass das, äh, absolut (stockt) SINNVOLL ist, diese Sachen, äh, sich weiter anzuschauen. Ähm, weil ich glaube, dass es (…) bei einigen Themen, in (stockt) (…), auch in der, jetzt auch in der (stockt) (…) Situation, in der man sich derzeit bei [Marke des Unternehmens des Befragten] befindet, Kostendruck, äh, dass man eigentlich (…) nie genug Argumente sammeln kann oder nie genug Kundenstimmen sammeln kann (atmet ein), äh, die aufzeigen, wie unsere Kunden wirklich denken. Oder was sie für eine Meinung zu irgendetwas entwickeln. Und da kann im Zweifelsfall, wenn es drum geht eine Verbesserung an einer Komponente zu erzielen, die halt, keine Ahnung, pro Auto vier Euro fünfzig kostet, ähm, dass da jedes einzelne Argument helfen kann (I3/ S7–8/ Z42–2).

Nach der Thematisierung des Wissens von der Netzöffentlichkeit und über sie als Ressource und der Betrachtung der Instrumentalisierung dieses Wissens schließt dieses Kapitel eine Zusammenfassung und Erläuterung des zentralen Befunds von Muddling Through und Affirmation als diejenigen Konzepte, die die Praxis von Social-Media-Analysen innerhalb des betrachteten Unternehmens bestimmen:

Befragter: [. . . ] Trial and Error. Wenn was schief geht, äh, ist man nicht enttäuscht, sondern weiß, dass man es halt anders machen muss (I17/ S7/ Z17–18).

Die Praxis von Social-Media-Analysen sowie deren Bedeutung für das Wissen und die Wissensgenese der deutschen Automobilindustrie steht dabei in engem Zusammenhang mit den beiden zuvor rekonstruierten Typen der Wissensverwendung.

6.3.1 Netzöffentlichkeitswissen als Ressource

Mit Social-Media-Analysen, so geht aus dem Untersuchungsmaterial hervor, erheben deren Praktiker Wissen aus sozialen Medien, werten es aus und generieren dadurch ein Netzöffentlichkeitswissen als Ressource. Dieses wird auch als Kundenwissen im Sinne des Wissens von Kunden sowie des Wissens über Kunden verstanden und mitunter entsprechend bezeichnet. Das betrachtete Unternehmen spricht diesem Wissen große Bedeutung zu. Daher stellt dieser Abschnitt das über affirmative Forschung nach dem Prinzip „Muddling Through“ gewonnene Netzöffentlichkeitswissen vor und legt dessen Bedeutungen als Ressource dar.

Wissen von der und über die Netzöffentlichkeit verstehen die Social-Media-Analysten in den meisten Fällen als Kundenwissen. Dies liegt daran, dass es vor allem die eigenen Kunden und die Kunden des Wettbewerbs sind, die das Interesse auf sich ziehen und weniger die Nutzer sozialer Medien im Allgemeinen. Ursprung dieses Kundenwissens ist das in der Netzöffentlichkeit vorhandene Wissen, das als Wissen von Kunden oder auch Wissen der Kunden begriffen wird und als solches zugleich immer auch ein für die Automobilindustrie relevantes Wissen über Kunden markiert. In seiner Ausprägung des Wissens über Kunden beruht Kundenwissen ebenso auf dem Wissen der Kunden oder auch dessen Diskussion in sozialen Medien und wird über Monitoring und Listening erhoben. Über die gemäß Trial and Error praktizierte Methode der Social-Media-Analysen also, mit der sie sich durch die Netzöffentlichkeit „wurschteln“, erheben die praktischen Anwender das Wissen von Kunden und erzeugen für ihr Unternehmen das begehrte Wissen über Kunden oder eben das Netzöffentlichkeitswissen als Ressource:

Befragter: [. . . ] Also wir haben auch relativ schnell gesehen, wenn wir irgendwie eine neue Software, ah, rausgebracht haben, ob da was kommt oder was noch kommt, ah, ob (stockt) die, ah, (…) Kunden sich selber/ das war ja so eine Selber-Verstärkung. Wir hatten dann auch den Effekt, dass unsere Kunden mehr wussten wie die Händler und wie die Verkäufer. Und das haben sie natürlich auch in den Blogs, ah, kundgetan. Wir haben auch erfahren, wie gut oder wie schlecht (stockt) der Händler den Kunden behandelt hat. Also da gab es hanebüchene (…) Vorkommnisse, die da passiert sind. Wo man sagt, das kann eigentlich nicht sein, aber versucht dann irgendwie den Händler zu lokalisieren, (klopft auf den Tisch) um auf den zuzugehen. Ah, also alles Sachen, die Sie über die normale Gewährleistung nicht bekommen würden, die aber genauso wichtig sind für das, ah, für die Kundenmeinung und für sein Gefühl, ob er gut oder schlecht aufgehoben ist. Das kriegen sie eigentlich über die Social Media, Blogs. Also von daher, denke ich, ist es sehr wichtig, um das sch/ (stockt) das Gesamt-Kundenbild zu bekommen und, ah, (…) auch die Umfänge, die Sie sonst, ah, nie erfahren würden. Und eben auch den Umgang der Händler, ah, mit dem Kunden. Und ob das Wissen dem Kunden. Also wir haben dann schon relativ schnell erfahren, dass die Kunden dadurch, dass sie sich selber sehr intensiv mit dem Auto beschäftigt haben, ah, wie gesagt, mehr wussten wie die Händler. Und haben daraufhin dann auch nochmal Schulungen, ah, initiiert. Dass die Händler nochmal geschult wurden. Insbesondere auch (stock) auf solche Fragen. Also das war dann eigentlich schon mit ein entscheidender Punkt (I21/ S3–4/ Z42–12).

Die Untersuchungen der Praktiker sind affirmativ. Social-Media-Analysen werden nicht explorativ umgesetzt, wie es der Methode entsprechen würde, sondern zum Zweck der Affirmation genutzt. Damit ist gemeint, dass die Social-Media-Analysten das für die Beantwortung ihrer Fragestellung erforderliche und zu dieser passende Kundenwissen ermitteln:

Befragter: [. . . ] Ich denke, dass, ähm, Probleme, die gelöst werden können, ist, wenn ich, wie ich vorher gesagt habe, wenn der Fachbereich schon sagt, „hier und da haben wir ein Problem“ und ich gehe davon aus, dass das der Kunde auch auflösen kann, dann ist das wirklich gut, weil dann kannst du dann wirklich mal so schauen und/ oder auch kontrollieren, ob du auf der richtigen (…), ähm, auf dem richtigen Weg schon bist, um das Problem dann zu lösen. Also, ich denke mal, wenn man irgendwie was hat, wo ich sage, „hier haben wir ein Problem, das Problem ist schon erkannt; ich möchte es nur irgendwie (…) tieferlegen oder begründen oder eventuell wissen, wo kommt es denn her; oder ist es auch wirklich so wichtig für den Kunden? merkt er das überhaupt?“, also da, denke ich mal, ist ein großes Potential dann dahinter. Oder eben auch, ich bin ja auch/ ich sage jetzt nicht den Namen (…), aber ich weiß ja von anderen (…), ähm, Stellen, die ja auch Social-Media-Analysen machen, die kommen jetzt nicht mit einem Problem oder wissen es nicht. Das ist dann mehr so im/ worüber beschweren sich denn die Kunden? Und, dass man das einfach mal rausfiltern kann, wenn man diese Foren eben mal durchgeht. Was ist denn gerade ein großes Thema? Bei den Kunden. Was/ welche Probleme treten denn wirklich auf? Einfach, um nur mal einen Anhaltspunkt einfach zu sehen. Was gerade im Moment den Kunden, wirklich irgendwie, sagt, das ist ein Thema, was wahnsinnig häufig auftritt (I8/ S7/ Z32–48).

Für den Automobilhersteller ist Kundenwissen überaus bedeutsam. Er hat festgestellt, dass das in sozialen Medien platzierte Feedback gehaltvoll ist und daher ist es für das betrachtete Unternehmen wichtig, dieses wahrzunehmen. Anhand des Wissens, welches die Netzöffentlichkeit enthält, könne Kundenwissen im Sinne von Wissen über Kunden abgeleitet werden. Aus diesem Grund werde das in den sozialen Medien enthaltene Feedback zum einen direkt als solches wertgeschätzt, zum anderen werde es aufgrund der Ableitungen gewürdigt, die in Bezug auf Wissen über Kunden anhand dessen getroffen werden könnten.

Über die Verfahren des Monitorings und Listenings „beobachten“ die Befragten die Kunden ihres Unternehmens und „hören“ deren Diskussionen zu. Sie decken über die Methode Auffälligkeiten auf Kundenseite auf. Gemäß den praktischen Anwendern zeichnen sich Social-Media-Analysen insbesondere dadurch aus, dass sie unverfälschte Aussagen von Kunden in ihr Unternehmen ‚hineinholen‘. Monitoring und Listening würden nicht nur Kundenwissen generieren, sondern eben das „echte“ Denken der Kunden, wie dieses nur in sozialen Medien zu finden sei, ermitteln. Nach Ansicht der Praktiker liefern Social-Media-Analysen eine „unbeeinflusste“ Sicht der Kunden, die deren „wirkliche“ Meinung widerspiegelt. Die Wünsche und Bedürfnisse der Kunden und auch ihre Zufriedenheit, die sich über Meinungen, Bewertungen und Fragen äußert, könne in Erfahrung gebracht werden. Laut der Ausführungen der Social-Media-Analysten wird aus den Diskussionen, die in der Netzöffentlichkeit stattfinden, zudem abgeleitet, welche Themen überhaupt Reaktionen auf Kundenseite hervorrufen, und welcher Art diese Reaktionen sind. Anhand der Kundenstimmen, die in sozialen Medien enthalten sind, zeige sich, wie Kunden einzelne Aspekte wahrnehmen und welche Relevanz sie diesen beimessen. Gemeinsam bilden diese Informationen dann das Kundenwissen, das als Wissen über Kunden zu verstehen ist. Kundenwissen oder vielmehr noch Netzöffentlichkeitswissen gilt dem deutschen Automobilhersteller als entscheidende Ressource:

Befragter: [. . . ] Für mich ist das Spannende immer im Verhältnis. [. . . ]. Wie verhält es sich da auch quantitativ? Und dann kriegt man ein Gefühl und sagt, „okay, ist das jetzt Sturm im Wasserglas?“. Wissen Sie, wenn Sie nur eines (stockt), sich nur den einen Prozent anschauen und das alles, dann sieht das ja ganz furchtbar aus. Wenn Sie sagen, „Mensch, das ist ein Prozent von dem gesamten Beitragsaufkommen“, it puts it to perspective, würde ich sagen. Das ist so das/ das ist so der/ das sind so die Aha-Erlebnisse, die ich damit habe (I12/ S5/ Z31–37).

Wissen über die Netzöffentlichkeit wird auch als eine derart bedeutsame Ressource gehandelt, da über das in sozialen Medien zu entdeckende ‚Bewusstsein‘ der Kunden, welches sich in dem von diesen geäußerten Wissen widerspiegelt, Wissen über diese generiert wird. Ihre praktischen Anwender betrachten Social-Media-Analysen als den einzigen methodischen Weg, um „unverfälschte“, „echte“ oder eben „authentische“ Kundenstimmen, die Einblick in deren ‚Bewusstsein‘ gewähren, in ihr Unternehmen zu transportieren:

Befragter: Also, ich persönlich glaube, dass die einen immer höheren Stellenwert einnehmen werden. [. . . ]. Und, wenn man dann wirklich ein ehrliches Feedback haben will, dann muss man es ungefiltert sich selbst besorgen und der größte Informationsschatz, glaube ich, liegt da einfach in/ im Internet drin (I20/ S15/ Z17–22).

Aus den Berichten der Social-Media-Analysten geht hervor, dass sie Monitoring und Listening nutzen, um für ihr Unternehmen Kundenwissen, verstanden als Wissen über Kunden, zu gewinnen. Dieses Motiv harmoniert mit den beiden als Typen der Wissensverwendung rekonstruierten Intentionen der Umsetzung der Methode der Social-Media-Analysen, die in der Genese von Orientierung und Legitimation bestehen. Die Befragten möchten eine Kundenperspektive erzeugen und diese unternehmensintern als eine Ressource namens „Kundenwissen“ bereitstellen, das in Wissen von der und über die Netzöffentlichkeit besteht. Anhand der Methode der Social-Media-Analysen wird somit auch die Kundenperspektive innerhalb des Unternehmens platziert und darüber das für die Kundenorientierung unabdingbare Kundenverständnis geschaffen:

Befragter: [. . . ] Nichtsdestotrotz glaube ich dennoch, dass es an vielen Stellen, äh, die Kundenperspektive, das Kundenerlebnis noch nicht klar ist, wenn diese Idee kommt. Da sind viele Sachen, die evolutionär kommen, die, ähm, aus einer (…) technologischen Weiterentwicklung, ähm, getrieben werden, aber diese Kundenbrille noch nicht haben. Zu sagen, was bringt es dem Kunden, was ist der Mehrwert für den Kunden? Und ich denke, so was kann, wie gesagt, (stockt) eine erste Analyse, ein erster Indiz sein, um zu gucken, in welche Richtung müssen wir denn oder wen müssen wir uns denn angucken, wer denn potentiell der Kunde ist. Vor allem für Themen für Features, Funktionen oder auch sogar ganze Derivate, wo [Marke des Unternehmens des Befragten] jetzt noch nicht so sehr auf den Erfahrungsschatz der (stockt) vorher gegangenen Derivate aufbauen kann. [. . . ] Weil wenn wir jetzt uns Gedanken darüber machen über Derivate und Dinge, die mom/ die wir/ wo wir noch auf keine Erfahrungswerte zurückgreifen können, da macht das durchaus Sinn (I28/ S5/ Z5–20).

Mit Social-Media-Analysen generieren die Praktiker einen Beitrag zu dem als „Puzzle“ oder „Mosaik“ verstandenen Gesamtkundenbild, das der deutsche Automobilhersteller stets zu erzeugen versucht. Kundenwissen wird als zentrale Ressource dafür gehandelt. Das Unternehmen beabsichtigt, die eigenen Kunden ebenso wie die des Wettbewerbs zu kennen und zu verstehen. Um dieses Ziel zu erreichen, setzt es Social-Media-Analysen ein. Für Kundenverständnis, eine Voraussetzung für Kundenorientierung, betrachten sie die Ressource des Netzöffentlichkeitswissens als entscheidend:

Befragter: Also die negative Erfahrung ist einfach, dass es/ dass es einfach, ähm, dass die PERLEN, die da lagen, nicht gesehen worden sind. Das war also schon sehr frustrierend. [. . . ] Also wir haben die Ressourcen nicht, wir haben die Kapazitäten nicht, wir haben da wirklich PERLEN in meinen Augen und wir können es nicht richtig weitertragen und nicht richtig weiterverarbeiten (I26/ S7/ Z21–31).

Netzöffentlichkeitswissen wird, so offenbart das Datenmaterial, affirmativ von dem mit Social-Media-Analysen untersuchten Wissen abgeleitet; ihre Untersuchungen setzen die Social-Media-Analysten dabei nach dem Prinzip „Muddling Throug“ um. In Bezug auf die Genese von Kundenwissen bedeutet affirmative Forschung, dass eine Umsetzung von Social-Media-Analysen in erster Linie in Bezug auf Fragestellungen, die anhand von Kundenwissen beantwortet werden sollen, erfolgt. Die Netzöffentlichkeit wird also nicht, wie es die beiden Verfahren des Monitorings und Listenings eigentlich anbieten, explorativ erkundet, sondern gezielt nach konkreten Antworten auf vorab festgelegte Fragen durchsucht. Somit dienen Social-Media-Analysen nicht nur dem Zweck, Netzöffentlichkeitswissen als Ressource zu schöpfen, sondern werden vor allem auch herangezogen, um offene Fragestellungen direkt über Kundenwissen passend zu beantworten. Die Methode wird nicht explorativ praktiziert, sondern als gezielte Suche nach passgenauen Antworten. Es handelt sich damit um eine affirmative Forschung, umgesetzt nach dem Prinzip des „Muddling Through“.

6.3.2 Instrumentalisierung von Netzöffentlichkeitswissen

Im Rahmen von Social-Media-Analysen, welche nach dem Prinzip des „Muddling Through“ als affirmative Forschung praktiziert werden, untersuchen die Befragten das in der Netzöffentlichkeit vorhandene Wissen. Wie dargelegt, generieren die praktischen Anwender von Monitoring und Listening auf diesem Weg Netzöffentlichkeitswissen als Ressource. Das betrachtete Unternehmen versteht dieses als Kundenwissen im Sinne eines Wissens von Kunden sowie zugleich als Wissens über Kunden und misst ihm zentrale Bedeutung bei:

Befragter: Mhm (bejahend). Ich bin seit 2010, äh, bei [Marke des Unternehmens des Befragten] dafür zuständig, äh, Social Media voranzutreiben und, überhaupt, das ganze Thema Social Media zu, äh, zu befähigen. Und da/ natürlich ist das Eine, sage ich mal, ähm, die Kommunikation über die Social-Media-Kanäle, aber auch dieses unglaubliche Wissen, weil so nah wie dem wir sind abc (? unverständlich), ist noch der Handel am Kunden. Und, ähm, wir haben dann angefangen, dass wir versucht haben, dieses Wissen dann eben auch über Social-Media-Analysen eben für uns/ für uns verwertbar zu machen. (…) Genau (I26/ S1/ Z7–13).

Zurückzuführen ist die Bedeutsamkeit, welche die Social-Media-Analysten dem Wissen von der Netzöffentlichkeit und über sie zuschreiben, auf dessen unternehmensinterne Instrumentalisierung als Machtinstrument. Max Weber (1921/1972) definiert Macht so:

Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen durchzusetzen, gleichviel, worauf diese Chance beruht (Weber, 1921/1972, S. 28).

Die Instrumentalisierung von Netzöffentlichkeitswissen als Machtinstrument ist bei dem deutschen Automobilhersteller nach Ansicht der praktischen Anwender eine gängige und etablierte Praxis. Wie die Ergebnisse, die Monitoring und Listening zutage fördern, als Machtinstrument instrumentalisiert werden, zeigt dieser Abschnitt. Damit wird der abschließende Befund dieser Studie weiter nachgezeichnet. Der Befund lautet: Die Praxis von Social-Media-Analysen ist durch das Prinzip „Muddling Through“ bestimmt und besteht in Affirmation. Die affirmative Forschung, welche das Unternehmen per Muddling Through umsetzt, erfolgt auch zur Instrumentalisierung des durch sie gewonnenen Netzöffentlichkeitswissens. Aus diesem Grund bedingen sich die Praktiken der Affirmation und der Instrumentalisierung gegenseitig oder entsprechen sich sogar.

Dem untersuchten Datenmaterial ist zu entnehmen, dass die Praktiker von Social-Media-Analysen das über die Methode gewonnene Wissen von der Netzöffentlichkeit und über sie meist mit Macht assoziieren. Ihr Verständnis von Macht kommt dabei der zuvor angeführten Definition Webers recht nahe. Die Methode würde eine Kontrolle der Netzöffentlichkeit möglich machen und dadurch der ‚Ohnmacht‘ entgegenwirken, die der Automobilhersteller gegenüber sozialen Medien teilweise empfindet. Das Wissen, das Monitoring und Listening aus der Netzöffentlichkeit oder anhand dieser generieren, zeichnet sich laut den praktischen Anwendern durch seinen globalen und digitalen Charakter aus. Wie schon erwähnt, nehmen die Befragten soziale Medien häufig als ein Novum wahr, das sie nicht vollumfänglich einzuschätzen vermögen. Die Praktiker fühlen sich oft nicht dazu imstande, die Netzöffentlichkeit, die mit sozialen Medien einhergeht und von diesen maßgeblich geformt wird, zu durchdringen und zu verstehen:

Befragter: Da sind wir auch dabei und Vielen ist es auch schon bewusst, dass das so (…) total wichtige Plattformen sind und wichtige Kanäle, wo man sehr viel erreichen kann, wo man auch sehr viel kaputt machen kann. Aber es ist noch nicht allen so wirklich klar. Die Bedeutung und auch die Konsequenzen, die dann damit verbunden sind, äh, (…) dann eben auch zum Beispiel mal mehr Ressourcen in die Hand zu nehmen. Also, das ist so eine Permanent-Aufgabe, das Management auf die (…) große Bedeutung und auch die Möglichkeiten und Chancen für dieses Thema zu sensibilisieren und zu (…), ja, zu beeinflussen (I31/ S7/ Z15–21).

Im Hinblick auf die Netzöffentlichkeit besteht unter den Social-Media-Analysten nicht selten ein Gefühl der ‚Ohnmacht‘. Sie merken, dass diese für sie nicht kontrollierbar ist und sie die sozialen Medien nicht beherrschen können. Herrschaft nun definiert Weber (1921/1972) folgendermaßen:

Herrschaft soll heißen die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden (Weber, 1921/1972, S. 28).

Ein ‚Hineinholen‘ von Netzöffentlichkeitswissen in ihr Unternehmen bedeutet für die Befragten in der Regel auch, ihrem ‚Ohnmachtsempfinden‘ entgegenzuwirken. Dieses Wissen ist ihrem eigenen Verständnis von sozialen Medien zuträglich, macht diese für sie greifbarer und kontrollierbarer, wenn auch längst nicht gänzlich beherrschbar. Mit Blick auf Webers Definition von Herrschaft muten soziale Medien aufgrund ihrer Heterogenität und Diffusität allerdings auch als nicht beherrschbar an. Über Monitoring und Listening haben die Social-Media-Analysten die Netzöffentlichkeit im Blick und versuchen, sie zu kontrollieren. Der Automobilhersteller überwacht soziale Medien ohne diese je beherrschen zu können. Es scheint für die Praktiker von entscheidender Bedeutung zu sein, diese ‚Außenwelt‘ und auch die Positionierung ihres Unternehmens mitsamt seinen Produkten, seiner Kommunikation und seinen Marken darin im Blick zu haben, um das eigene ‚Bewusstsein‘ nicht zu verlieren oder ‚ohnmächtig‘ zu werden. Somit nutzt das Unternehmen das Wissen von der Netzöffentlichkeit und über sie, das unter Anwendung des Prinzips „Muddling Through“ im Rahmen von affirmativer Forschung gewonnen wird, auch, um einer möglichen ‚Ohnmacht‘ oder dem Verlust seines ‚Bewusstseins‘ in Bezug auf die sozialen Medien entgegenzuwirken.

Neben einer Reduzierung ihrer ‚Ohnmacht‘ und Stärkung des eigenen ‚Bewusstseins‘ erkennen die Befragten, dass die Methode der Social-Media-Analysen ihnen wegen des anhand der Netzöffentlichkeit generierten Wissens ein Machtinstrument produziert, das sich unternehmensintern instrumentalisieren lässt. Kundenwissen assoziiert der deutsche Automobilhersteller grundsätzlich mit Macht:

Befragter: //Ja, also es geht eben darum, äh, ich sage immer, Wissen ist Macht (I11/ S5/ Z1).

Monitoring und Listening schätzen die praktischen Anwender als Verfahren ein, die ihnen zu Macht verhelfen oder ihnen ein Machtinstrument in Form von Kundenwissen in die Hand geben können. Mithilfe von Kundenwissen ist es in ihrem Unternehmen möglich, den eigenen Willen innerhalb sozialer Beziehungen durchzusetzen. Wissen von der Netzöffentlichkeit und über sie, das über Social-Media-Analysen gewonnen wird, instrumentalisieren die Social-Media-Analysten in ihrem Unternehmen mitunter auch, so offenbart das Untersuchungsmaterial, um Macht zu erlangen oder auszuüben.

Mit dieser Verbindung von Wissen und Macht geht auch das durchaus hehre Ziel der Nachverfolgung oder Abbildung einer umfassenden Customer Journey einher, das die deutsche Automobilindustrie und das betrachtete Unternehmen verfolgt.Footnote 4 Auch hinter der Durchführung von Monitoring und Listening steht die Absicht, jede Bewegung der Kunden mitzubekommen, um diese, wie Glas, durchblicken zu können. Eine Vision der Befragten lautet: „gläserne Kunden“. Auf Kundenwissen beruhende Macht könnte, so vermuten die Praktiker, diese Vision realisieren. Über die Methode der Social-Media-Analysen sei erstmals ein direkter Kanal zwischen dem Automobilhersteller und seinen Kunden entstanden; sie würde die seit Langem ersehnte Möglichkeit eines Zugriffs auf das Wissen von Kunden ermöglichen und ein Wissen über Kunden generieren, welches irgendwann einmal in der Abbildung der gesamten Customer Journey bestehen könnte:

Befragter: (…) Ja, also da ist das Thema Vernetztheit wahnsinnig wichtig, ne. Also, ich meine, ähm, auch da Closing the Gap, ähm, Knowledge, äh, des Kunden, ja. (…) Zielgruppen Affinität, äh, wir müssen eigentlich gucken, (…) um auch die Kunden nicht mit unnötigem Mist, der sie gar nicht interessiert, zu bespielen, ja, dass wir, (stockt) eine gesamthafte Customer Lifecycle Journey irgendwie [. . . ] fast hinbekommen, ja. Und da spielt natürlich Social Media auch, äh, eine super große Rolle [. . . ] (I29/ S14/ Z1–6).

Social-Media-Analysen werden als neben anderen Methoden weiterer, aber zentraler Baustein für eine umfassende Rekonstruktion der Customer Journey angesehen. Über Monitoring und Listening werde die ‚Reise‘ jedes einzelnen Kunden ein Stück weit nachvollziehbarer und damit auch kontrollierbarer. Für das betrachtete Unternehmen bedeutet dies nicht zuletzt den Gewinn eines intern zu instrumentalisierenden Wissens von der und über die Netzöffentlichkeit zum Zweck der Ausübung von Macht.

Jedoch ist, wenn es hier um die Instrumentalisierung des Netzöffentlichkeitswissens geht, nicht gemeint, dass die Netzöffentlichkeit und ihr Wissen kontrolliert und somit instrumentalisiert wird. Vielmehr geht es darum, dass das anhand sozialer Medien durch Social-Media-Analysen generierte Wissen über die Netzöffentlichkeit im Rahmen einer affirmativen Forschung entsteht und zum Zweck der Ausübung von Macht innerhalb des Unternehmens instrumentalisiert wird. Damit begreift diese Forschungsarbeit die Nutzung des Wissens von der Netzöffentlichkeit und über sie als unternehmensinternes Machtinstrument. ‚Konstruiert‘ wird dieses Wissen über Muddling Through.

Konkret zeigt sich die Instrumentalisierung der Ergebnisse von Social-Media-Analysen oder das anhand der Methode generierte Kundenwissen beziehungsweise das Wissen von der Netzöffentlichkeit und über sie derart, dass die praktischen Anwender diese als Argumente nutzen. Mit Monitoring und Listening sammeln die Praktiker Argumente, die unternehmensintern der Durchsetzung ihrer Positionen zuträglich sind. Wissen von der Netzöffentlichkeit und über sie begünstige eine in ihrem Unternehmen zu leistende Überzeugungsarbeit, da es Betroffenheit hervorruft:

Befragter: [. . . ] Oder es hilft halt auch oft in der Priorisierung bestimmter Themen, wenn man sagt, äh, sozusagen, da sehen wir die Fälle gehen hoch und dann haben wir noch so ein paar O-Töne Kunden dazu geklebt, die ja doch meistens relativ brachial sind von der Formulierung und dann gut ankommen. (Flüstert) ja, wie ist/ bei/ aus Kundensicht ist das Fehlerbild. Äh, dazu hat man es dort genutzt (I27/ S1/ Z38–42).

Zahlreiche Befragte geben an, dass sie Monitoring und Listening praktizieren, um eine Bestätigung für ihre persönlichen Ansichten zu erhalten; diese dürfe indirekt sein:

Befragter: (…) Ähm, mhm (überlegend) (…), meistens ist/ geht es darum zu BESTÄTIGEN, dass, ähm, etwas nicht richtig funktioniert, dass etwas schlecht ist und man dadurch eine Verbesserungsmaßnahme einleiten muss. Darum geht es eigentlich meistens. (…) Und, je eifriger dieses Thema auch diskutiert wird, desto mehr gehen die Leute davon aus/, muss ja auch nicht falsch sein, ähm, dass das ein dringendes/ dringend anzugehendes Thema ist. Aber es sind meistens sehr kleinteilige Themen. Ähm, was hatten wir das letzte Mal? Hatten wir beim Cabrio die, ähm (…), die Nackenheizung (I2/ S3/ Z35–41).

Ihre Ergebnisse nutzen die Social-Media-Analysten oft, so offenbaren ihre Berichte, als Argumente, um ihre eigenen Positionen innerhalb des Unternehmens durchzusetzen. Die dargestellte Instrumentalisierung von Netzöffentlichkeitswissen erfolge zumeist der ‚Logik‘ des deutschen Automobilherstellers folgend anhand quantitativer Ergebnisse, die die Social-Media-Analysen zutage fördern, oder auch anhand der Quantität der ‚Crowd‘, die hinter sozialen Medien steht:

Befragter: [. . . ] Also ich weiß nicht, 300 Millionen User auf Twitter und wie viele 100 Millionen tagtäglich darauf sind, äh, die werden über so Sachen diskutieren. [. . . ] Dort. Aber jetzt (stockt) durch Digitalisierung. Und das sind für mich, auch wenn es eine einzelne Person ist, die da spricht, äh, UNGLAUBLICH interessante Informationen. Dort. Und, äh, (…) man KANN natürlich auch, ähm, ganz gut ÜBERZEUGEN oder einen Aufmerksamkeit-Effekt kriegen, weil du hier in wenigen Tagen natürlich zig Tausende von Statements quasi, äh, als/ auf deinem PowerPoint aufschreiben kannst. Wir haben hier 128.000, ähm, Statements ERFASST und ANALYSIERT oder so was. Das kann in einem Fragebogen nicht machen, ja. Also allein mit Zahlen kann man hier natürlich auch/ (I15/ S5/ Z18–31).

Netzöffentlichkeitswissen nutzt das betrachtete Unternehmen also einerseits, um sein eigenes ‚Bewusstsein‘ im Kontext sozialer Medien zu bewahren, andererseits kommt es als Machtinstrument für die interne Durchsetzung von Positionen zum Einsatz. In beiden Fällen handelt es sich um eine Instrumentalisierung des affirmativ anhand der Netzöffentlichkeit generierten Wissens. Es ist jedoch nicht nur das Wissen von Kunden und Nutzern sozialer Medien, das instrumentalisiert wird, sondern vor allem das Wissen über die Netzöffentlichkeit, also Kundenwissen im Sinne von Wissen über Kunden:

Interviewer: Mhm (bejahend). Ähm, wa/ was ist mit den Ergebnissen passiert, die bei den Social-Media-Analysen rausgekommen sind?

Befragter: Naja, die wurden dann raus gekramt, wenn es in die Story reingepasst hat.

Interviewer: Okay.

Befragter: Also, ich kriege halt (…) Ergebnisse von Social-Media-Analysen, die dann sagen, „boah, hier, meine Kampagne war cool“. Ähm, ja, wie wird so was verwendet? Wie halt lauter GUTE Ergebnisse im Unternehmen verwendet werden. Wenn du sie halt brauchst, um deine, äh, deine Kampagne zu vermarkten, dann verwendest du sie halt und, wenn nicht, kehrst sie halt unter den Keller. Ja, unter den Teppich, sorry (I14/ S5/ Z12–24).

Der Automobilhersteller bedarf des Netzöffentlichkeitswissens, das durch Social-Media-Analysen erzeugt wird, also zum einen, um seiner ‚Ohnmacht‘ in Bezug auf soziale Medien entgegenzuwirken; zum anderen instrumentalisieren Praktiker dieses Wissen unternehmensintern für die Ausübung von Macht. Die Instrumentalisierung des per Muddling Through generierten Wissens gründet auf affirmativer Forschung.

6.3.3 Zwischenfazit: Muddling Through und Affirmation

Muddling Through ist, wie dargelegt, das Prinzip, nach welchem die Befragten Social-Media-Analysen innerhalb ihres Unternehmens praktizieren. Es handelt sich dabei um ein Vorgehen gemäß Trial and Error beziehungsweise um ein „Durchwurschteln“, das zuweilen hemdsärmelig anmutet:

Befragter: [. . . ] Das ist aber eher so ein Trial and Error gewesen. WIE klassisch bei Social Media. Man probiert was, man kann ja da immer sehr schnell was ausprobieren. Und so kamen wir darauf. (Atmet ein) mehr so quasi in die Tiefe sind wir dann auch gar nicht gegangen. Das geht nur/ (…) schaut man sich Statistik an, wie viele Follower hat man dazu gekriegt, wenn wir was umgestellt haben, ja (I17/ S1/ Z27–31).

Nassehi (2017) erkennt derartige Vorgehensweisen als ein Grundcharakteristikum der Gegenwart. Von „Ideologie“ spricht Nassehi nicht, aber doch davon, dass derzeit kaum mehr Utopien auszumachen sind. Auch die vorliegende Studie zeichnet das Prinzip des „Muddling Through“ anhand der angewandten Praxis von Monitoring und Listening bei einem Automobilhersteller nach. Ziel dieses Abschnitts war und ist es, zu illustrieren, was die angewandte Praxis der Methode der Social-Media-Analysen für ein bestimmtes Unternehmen, das betrachtet wurde, und damit für die deutsche Automobilindustrie bedeutet. Die spezifische Art der Wissensgenese anhand der Praxis der Methode stand und steht dabei im Mittelpunkt. Hier wird nun der Befund von Muddling Through und Affirmation zusammengefasst und auf die Erkenntnis Nassehis bezogen.

Nach einer explorativen Untersuchung aller Ausführungen der befragten Social-Media-Analysten lautet der diese Arbeit abschließende Befund, dass der Automobilhersteller das Wissen von der Netzöffentlichkeit mit Social-Media-Analysen, die er nach dem Prinzip „Muddling Through“ umsetzt, affirmativ erforscht, so dass er Wissen über die Netzöffentlichkeit generiert. Dieses über Monitoring und Listening gewonnene Wissen sieht das Unternehmen als eine wertvolle Ressource an und instrumentalisiert es zum Zweck der Ausübung von Macht.

Die Art, auf die die Automobilindustrie ihr Wissen ‚konstruiert‘, nämlich über eine affirmative Forschung und eben nicht durch explorative Untersuchungen, entspricht der ‚Logik‘, die die Befragten ihrem Unternehmen zuschreiben. Es handelt sich dabei um einen quantitativen Denkstil, der auf ‚harten‘ „Zahlen, Daten, Fakten“ basiert. Diese ‚Logik‘ haben die Praktiker derart verinnerlicht, dass sie auch in deren Ausführungen über Social-Media-Analysen zu erkennen ist. Des Weiteren ist in ihren Berichten in Bezug auf die Umsetzung von Social-Media-Analysen ein Praktiker-Bias festzustellen ebenso wie in dem Praktikerwissen, das diese Forschungsarbeit untersucht hat, eine Ingenieurs-Mentalität auszumachen ist. Dieser Praktiker-Bias geht Hand in Hand mit dem Prinzip „Muddling Through“, das bei der Umsetzung von Social-Media-Analysen vorherrscht. Mit anderen Worten: Die Vorgehensweise bei Social-Media-Analysen, welche der deutsche Automobilhersteller zu erkennen gibt, lässt sich als pragmatisches „Durchwurschteln“ zusammenfassen. Die Ingenieurs-Mentalität bedingt und begünstigt den quantitativen Denkstil des betrachteten Unternehmens.

Befragter: [. . . ] Gut, und, äh, ja, wenn dann da was (…), äh, Verwertbares dabei ist beziehungsweise, ähm, wenn ich dadurch dann diese Studie in irgendeiner Form bestätigt sehe, dann, äh, gehe ich halt schon hin und, ähm, versuche das/ oder ich fasse das zusammen und, äh, lasse das dann bei den, äh, Kollegen hier bei [EA], ähm, platziere ich das als Information. Ich, äh, schaue auch sonst irgendwie in den Fachabteilungen, ob es da Adressaten für gibt. Ähm, dass man (…), ja, immer ausgehend eben von einem Studienergebnis und dann, mhm (überlegend), ja, letzten Endes über diese Social-Media-Analyse, das Ganze dann noch ein bisschen zu/ (atmet ein) mit praktischen Beispielen zu untermauern. Das ist so der Weg, den ich da (…) gehe (I3/ S6/ Z29–36).

Wie die Interviewpassage zeigt, erschließen die Befragten Wissen durch affirmative, über Monitoring und Listening umgesetzte Forschung nach dem Prinzip des „Muddling Through“. Sie handeln dabei gemäß der ‚Logik‘ ihres Unternehmens sowie nach ihrer eigenen Praktiker-Mentalität. Letztere bezeichnen sie selbst als „hands-on“:

Befragter: [. . . ] So, aber wir/ wir tracken nicht, wir haben jetzt keine Agentur, die dahinter sitzt und, ähm, sagt/, dass alles in der Ausspielung anschaut, sondern das ist so NOCH sehr, ähm, „schauen wir mal, was/ was funktioniert und was nicht“. Also eigentlich sehr hands-on (I24/ S3/ Z20–23).

In Bezug auf die Fragestellung dieser Forschungsarbeit, auf welche Weise die deutsche Automobilindustrie Social-Media-Analysen praktiziert, ist also festzuhalten, dass die von dem betrachteten Unternehmen angewandte Praxis von Social-Media-Analysen durch eine Ingenieurs-Mentalität und einen Praktiker-Bias gekennzeichnet ist. Der Denkstil des deutschen Automobilherstellers entspricht dem klassischen, konservativen Ingenieursdenken; als solches weist es auch eine Praktiker-Mentalität auf. Zumindest offenbart sich ein derartiger Denkstil als der in dem Unternehmen vorherrschender. Die Ingenieurs-Mentalität, welche in Verbindung mit dem Praktiker-Bias, das die Praxis bestimmende Ingenieursdenken ausmacht, beruht auf der Standortgebundenheit des Denkens nach Karl Mannheim. Der Denkstil des Ingenieursdenkens markiert die ‚Logik‘ des Unternehmens und damit im Sinne Mannheims dessen Ideologie; auf dieser fußt letztlich die gesamte Unternehmenspraxis des Automobilherstellers. Somit kann die Frage danach, wie das betrachtete Unternehmen Social-Media-Analysen praktiziert, dahingehend beantwortet werden – und dies vorläufig –, dass dies als affirmative Forschung nach dem Prinzip „Muddling Through“ geschieht oder dass die praktizierten Social-Media-Analysen der Ideologie des deutschen Automobilherstellers unterworfen sind.

Eine Ideologie wird hier in Anlehnung an Mannheim eingeordnet als der Denkstil derer, die an der Macht sind und sich diese Macht auch bewahren wollen. Mannheim kontrastiert Ideologie mit Utopie. So kann dies auch im Hinblick auf die Befunde dieser Studie geschehen. Eine Utopie wird dann im Gegensatz zur Ideologie und ebenfalls in Anlehnung an Mannheim verstanden als der Denkstil derer, die alternative Entwürfe ersinnen und durchsetzen möchten. Utopisten gelten, aus Sicht von Ideologen nicht selten als Revolutionäre oder diejenigen, die ‚Revolutionary Movements‘ anregen. Zwar hat die explorative Untersuchung der Wissensgenese und Wissensverwendung in der deutschen Automobilindustrie anhand von Social-Media-Analysen offenbart, dass Letztere von dem betrachteten Unternehmen in erster Linie gemäß seiner Ideologie als affirmative Untersuchungen praktiziert werden, doch es war ebenso festzustellen, dass sich die Social-Media-Analysten durchaus mit utopischen Gedanken tragen, die in diesem Fall das explorative Potential der Methode betreffen. Allerdings unterliegen auch die befragten Praktiker der Ideologie ihres Unternehmens, dessen Praxiszwängen sie zum einen selbst verhaftet sind und sich zum anderen dessen bewusst sind, dass sie diese selbst wohl nicht zu ändern vermögen.

In diesem ‚Bewusstsein‘ werden dann auch die Social-Media-Analysen umgesetzt und trotz ihres explorativen Potentials das nach Deutungen und Interpretationen verlangt, entsprechend der Ideologie des betrachteten Unternehmens praktiziert. Social-Media-Analysen beinhalten als Methode ein enormes Deutungspotential; derzeit nutzt der Automobilhersteller dieses allerdings kaum. Wie anhand der rekonstruierten Typen der Wissensverwendung, erstens der Orientierung über Exploration von Wissen, zweitens die Legitimation durch Reflexion von Wissen, gezeigt wurde, hat zwar die Mehrheit der praktischen Anwender das Deutungspotential der von ihnen genutzten Methode längst erkannt, doch es fehlt ihnen sowohl an einer Deutungskompetenz als die in ihrem Unternehmen legitime Fähigkeit als auch an der Bereitschaft, sich auf das volle Wissenspotential, das mit der Methode anhand der Netzöffentlichkeit gewonnen werden könnte und in Wissen von dieser und über sie besteht, einlassen zu wollen und auch zu dürfen:

Befragter: [. . . ] Auf der einen Seite ist es frei von der Leber gesprochen, ähm, es ist keine guiding Question im Hintergrund, die eventuell schon irgendwas impliziert et cetera. Äh, auf der anderen Seite ist, macht das natürlich auch die Interpretation nachher des Ergebnisses oder der Aussage deutlich schwieriger, wie war es jetzt gemeint (I4/ S4/ Z43–47).

In dem betrachteten Unternehmen wird dies, so lassen die Ausführungen der Praktiker erkennen, einerseits über die Diskreditierung einzelner Personen, andererseits durch die ‚Depotentialisierung‘ der gesamten Methode der Social-Media-Analysen ausagiert.

Ein affirmatives Muddling Through, wie es das untersuchte Datenmaterial als bei dem deutschen Automobilhersteller praktiziert offenlegt, verfehlt das Deutungspotential, das mit Social-Media-Analysen als einem explorativen Verfahren einhergeht. Mit der Art der Wissensgenese, welche das betrachtete Unternehmen gezeigt hat, lassen sich ohne Zweifel erfolgreich automobile Produkte entwickeln, aber kein Kundenwissen oder Netzöffentlichkeitswissen, verstanden als das in sozialen Medien enthaltene Wissen von der und über die Netzöffentlichkeit, generieren. Allerdings wäre dies im Rahmen von explorativen Untersuchungen durchaus möglich, wie diese unter Rückgriff auf die Methode der Social-Media-Analysen realisiert werden könnten. Anhand der Berichte der Social-Media-Analysten ist klar zu erkennen, dass der deutsche Automobilhersteller ein instrumentelles Ingenieursdenken kultiviert und sich mit diesem gegenüber einer Rekonstruktion anhand von Deutungen und Interpretationen verschließt. Darin ist nun auch die Antwort auf die Frage enthalten, warum das betrachtete Unternehmen Social-Media-Analysen anwendet. Dies geschieht zwar entsprechend der beiden Typen der Wissensverwendung, also zum einen um Orientierung über Exploration von Wissen zu gewinnen und zu anderen um Legitimation durch Reflexion von Wissen zu erlangen, doch letztlich werden diese fast utopischen Beweggründe für die Nutzung der Methode der befragten Social-Media-Analysten dahingehend aufgehoben, dass doch stets das instrumentelle Ingenieursdenken die angewandte Praxis von Social-Media-Analysen überschattet.

Befragter: [. . . ] Aber, ich habe ganz intensiv den Eindruck, dass die gesamte Industrie verzweifelt auf der Suche nach dem next big Thing ist und nach dem nächsten Hype und ja nichts verpassen will. Und in dem WIR twittern und bloggen und facebooken und, ach, was weiß ich, schaffen wir uns unser eigenes Publikum und schaffen uns die, die darauf antworten und re-tweeten und sonst irgend was und dadurch wird das immer/ zwangsläufig immer größer. Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin. Keiner nutzt Facebook, (…) mhm (überlegend), verfehltes Geschäftsmodell. (…) Und, äh, auch, ich glaube, dadurch, dass die Industrie keinen Werbekanal, keinen, äh, Kommunikationskanal verpassen will und mit dem verzweifelten „(holt Luft) wir müssen am Puls der Zeit sein oder am besten noch darüber hinaus“, machen wir alle die gleichen Marktforschungen, entdecken wir alle dieselben Trends, stellen wir alle fest, „ja, wir müssen unbedingt, äh, mobilfähig sein mit unserer Internetseite, wir müssen unbedingt in Facebook vertreten sein“ und damit kreieren wir den Hype mit selber (I19/ S17/ Z15–26).

Trotzdem ist in dem betrachteten Unternehmen der deutschen Automobilindustrie neben der Ideologie, die die angewandte Praxis der Methode der Social-Media-Analysen bestimmt, auch utopisches Gedankengut bezüglich der ‚Konstruktion‘ von Wissen zu finden. Behauptet hat sich eine Utopie bislang allerdings noch nicht. In der von instrumentellem Ingenieursdenken geprägten Unternehmenspraxis gilt im Hinblick auf Social-Media-Analysen und die praktische Umsetzung der Methode Praktikerwissen, das der eigenen Ideologie unterworfen ist, als ausreichend. Wissenschaftliches Wissen hingegen, das das explorative Potential von Social-Media-Analysen nutzbar machen könnte, lehnt das Unternehmen ab. Diese Ablehnung gründet wohl darin, dass der Automobilhersteller dieses als utopisches Gedankengut wahrnimmt und vielleicht außerdem in seiner Furcht vor ‚Revolutionary Movements‘, die er mit Sozialforschung assoziiert. Daher stellt sich die Frage, welchen Umgang die Ideologen mit den Utopisten pflegen und wie sie ihre Ideologie vor deren Utopie zu bewahren versuchen, so dass Letztere gar nicht zu erkennen ist und Erstere auch die Zukunft prägen wird.