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2022 | OriginalPaper | Buchkapitel

9. Umbrüche I: Universitätsbildung

Education matters, degrees don‘t?

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Zusammenfassung

Der vereinfachte Zugang zu Bildung ist ein wesentlicher Hebel, welcher individualisierte Organisationsformen ermöglicht. Nur wenn Bildungsinhalte für das Individuum einfach erreichbar sind, kann es sich auf einen Karrierepfad einlassen, welcher seinen Interessen und Motivationen entspricht, aber zugleich auch erratischer und so schwieriger planbar ist. Und nur mit diesem Zugang ist so etwas wie Widerstand gegenüber hierarchischen Strukturen überhaupt denkbar. Es ist deshalb kein Zufall, dass zeitgleich mit dem Aufkommen von neuen Organisationsmodellen auch neue Bildungsformen entstanden. Diese konnten nun ebenfalls Technologien und Plattformen nutzen, um Lerninhalte jenseits der traditionellen Organisationen zu entwickeln und dem Lernenden zugänglich zu machen. Die Behandlung der digitalen Bildung als Technologieprojekt erwies sich jedoch als Nachteil: Die vorfindbaren klassen- und schichtbezogenen Unterschiede, welche im Prinzip überwunden oder abgeschwächt hätten werden können, führten nur zu oberflächlich ‚digitalisierten‘ traditionellen Lösungen. Nachdem sich ein Peer-to-Peer-Sektor nicht durchsetzen konnte, blieb auch seitens der P2P-Bewegung eine Stärkung der Rolle des Edupunks aus. Nichtsdestotrotz dürften nun Unternehmen, deren Belegschaft sich mit automatisierten Prozessen und mit veränderten Rollen und Profilen auseinandersetzen muss, zu einer Transformation der Bildung drängen: Es müssen lebenslange Lernpfade etabliert, ein Umlernen auf neue Arbeitsweisen schnell und im großen Stil ermöglicht werden.

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Fußnoten
1
In gesellschaftlichen Umbruchphasen kann es zu Konflikten mit der Gesellschaft oder Politik kommen, die die (emanzipatorischen) Ziele und Werte der Bildungsindustrie nicht akzeptieren bzw. dann reglementieren möchten. Zur „Krise der Demokratie“ etwa im Zuge der Revolten von 1968 durch ‚übermäßige Bildung‘: Crozier et al. (1975).
 
2
Dies war auch der Grund, warum modernisierende Bildungsreformen in der industriellen Revolution von den Betroffenen oftmals abgelehnt wurden. Man verstand, dass die Lernenden, auf die monotone Arbeit in der arbeitsteiligen Organisation vorbereitet werden sollten: Lernziel war, „[…] to comply with the wholesome and necessary regulations of an establishment“ (Katz 2001: 88). Dies wurde etwa von Handwerkern kritisiert, welche die neue Industrieform ablehnten bzw. ihre Kinder nicht an diese verlieren wollten (Ebd.).
 
3
„[…] the skills of the cutting-edge high-tech industries, such as computers, are generally learned on the job or through personal experience rather than in the formal bureaucratic setting of schooling.“ (Collins 2002: 26)
 
4
„Was nicht von dem Menschen selbst gewählt, worin er auch nur eingeschränkt und geleitet wird, das geht nicht in sein Wesen über, bleibt ihm ewig fremd, das verrichtet er nicht eigentlich mit menschlicher Kraft, sondern mit mechanischen Fähigkeiten.“ (von Humboldt 2017: 92)
 
5
„Despite many policy initiatives in recent years broader postsecondary participation has not benefited all sectors of society equally. […] The privileged classes have retained their relative advantage in nearly all nations“ (Altbach et al. 2009: VII). In Deutschland haben nur zwei Prozent aller Studenten einen niedrigen Bildungshintergrund (Gwosc et al. 2012: 10). Eine der wenigen Analysen zum Thema Hierarchie und digitale Bildung findet sich in: The Edu-Factory Collective (2009).
 
6
Zu einer Übersicht über damalige Angebote von Open Educational Resources (OER)-Plattformen vgl. Bhaskar (2013).
 
7
Dieser Terminus wurde durch Jim Groom 2008 in einem seiner Blogs geprägt, in dem er die Do-it-yourself Einstellung gegenüber dem Lernen umschrieb. Durch die Verwendung des -punk-Suffixes wurde die Nähe zu Science-Fiction-Autoren wie Bruce Sterling und William Gibson und deren Cyberpunk-Geschichten ausgedrückt. Diese Romane drehen sich oft um Punks bzw. Außenseiter, die moderne soziale Netzwerke und -technologien nutzen, um fernab von etablierten disziplinären Strukturen neue Dinge zu schaffen.
 
8
Zur Umsetzung des Edupunks-Konzeptes vgl. etwa Kamenetz (2010) und vor allem auch den Edupunks-Guide derselben Autorin (2011), der mithilfe der Bill und Melinda Gates Stiftung herausgegeben wurde. Zu einer umfassenden pädagogischen Bewertung vgl. Kop (2007).
 
9
„The way I look at it, a complete personal learning plan ought to have four parts: finding a goal and the credentials or skills needed, formal study, experiential education, and building a personal learning network.“ (Kamenetz 2010: 137)
 
10
Rifkin (2011: 244 ff.) definiert diesen spezifischen Netzwerkeffekt als laterales Lernen. Er referenziert hier auf die Beobachtungen der Londoner Universitätsklinik aus den 1950er-Jahren, dass Medizinstudenten, die die Ärzte auf ihren Visiten unterstützten, zu besseren Diagnosen kamen, wenn sie als Gruppe kollaborierten, als wenn sie den Arzt allein begleiteten. Dieser Effekt kann nun durch moderne Lernplattformen ebenfalls genutzt werden: „Peer-to-peer learning shifts the focus from the lone self to the interdependent group. Learning ceases to be an isolated experience between an authority figure and student and is transformed into a community experience.“ (A.a.O.: 246)
 
11
Hier dachte Gelernter dann auch an recht ‚unkonventionelle‘ Maßnahmen der Öffnung des Bildungsbereichs: „[…] zum Glück haben wir Erwachsene, die den Grundstoff erfolgreich gemeistert (haben) und sich darin als Lehrer betätigen können. Lehrervereinigungen und Gewerkschaften bestreiten das gerne, doch viele Ingenieure, in Ruhestand gegangene Geschäftsleute, Hausfrauen und Polizisten können sehr gut lesen, schreiben und rechnen. Nicht alle haben die nötige Zeit oder Geduld, um sich mit Kindern zu beschäftigen. Aber die meisten Menschen mögen Kinder, viele verfügen über freie Zeit, viele könnten einen Zusatzverdienst gebrauchen, und fast alle schätzen eine Arbeit, die einen klaren gesellschaftlichen Wert besitzt.“ (2012: N5)
 
12
„Slowly, however, prestigious universities like Stanford cottoned on to the benefits of online learning and started offering high quality content that followed the same rigorous standards as their classroom courses. This has led to a shift in how online education is perceived, said Daphne Koller, co-founder of Coursera. ‚Now when you talk to an institution of higher education, even the best ones aren’t asking themselves whether they should engage [in online education], but rather how they should do it and how quickly they can get into it‘, Koller told University World News. This week, 12 universities signed agreements with Coursera, bringing the total to 16 participating institutions, including Duke University, the University of Pennsylvania and the University of Toronto in Canada. The platform currently offers 45 courses online, with 680,000 students enrolled from more than 190 countries. More than 30,000 students sign up per week. Koller said that having high quality online content does not threaten traditional classroom learning but it can teach it something.“ (Moodie 2012)
 
13
Vgl. auch das Beispiel zweier deutscher Professoren in Stanford, die ihren Kurs zusätzlich zum zahlenden Publikum kostenlos online durchführten, mit über 16.000 Zuhörern, die nach absolviertem Kurs ein Zertifikat bekamen (Strobel 2012). Gelernter war allerdings sehr viel skeptischer, was den Fortbestand des traditionellen Bildungssystems anbetrifft: „Zuerst werden Cyberkurse die meisten Universitäten ersetzen. Diese Veränderung ist bereits im Gange. Dann wird der Wandel auch die Sekundarschulen und Grundschulen erreichen. Die glanzvollsten Universitäten werden überleben, vielleicht 25 in Amerika und etwa ebenso viele in Europa. Auch angesehene Schulen der mittleren Bildungsebene werden überleben, desgleichen starke naturwissenschaftliche und technische Fakultäten, während der Rest der Universität zugrunde geht. […] Medizinische Hochschulen, Pflegeschulen und andere fachbezogenen Hochschulen werden überleben, aber viele Juristen, Betriebswirte, Journalisten oder Banker werden ihren Beruf im Internet erlernen.“ (Gelernter 2012: N5) Der Präsident der Universität Stanford hingegen sieht das Überleben der Spitzenhochschulen als gesichert an, wenngleich sich auch im traditionellem Betrieb Änderungen ergeben: „Die Vorlesung als Format wird aussterben und durch neue Formate ersetzt werden, Flipped-Classroom-Modelle zum Beispiel, wo Sie sich das Wissen zu Hause selbst erarbeiten und es dann im Präsenzkurs praktisch anwenden. Es wird auch mehr Video-Lehreinheiten geben. Außerdem werden wir intelligente automatische Tutorensysteme haben, die anhand individueller Stärken und Schwächen Online-Übungsprogramme für unsere Studenten erstellen. Wir werden also Veränderungen erleben, aber sie werden nicht alles über den Haufen werfen.“ (Wiarda 2016)
 
14
Gelernter (2012: N5) vermutet, dass es zusätzlich auch Anbieter geben wird, die sich darauf spezialisieren, Studenten Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten in kostengünstigen Umgebungen anzubieten. Da eine Vielzahl der Lerninhalte im Netz stattfindet, können diese Internet-Hostels in jenen Regionen der Welt angesiedelt sein, die für die Studenten am günstigsten sind.
 
15
Der Einsatz neuer Medien in Massenveranstaltungen ist auch ein Fokus der gewichtigen Bill Gates-Stiftung: „Bill Gates challenged college leaders to reinvent their institutions with technology in a speech today in Washington, D.C., to celebrate the 150th anniversary of the law that created the nationwide system of land-grant colleges. At the event, sponsored by the Association of Public and Land-Grant Universities, the Microsoft founder and co-chair of the Bill & Melinda Gates Foundation also urged college officials to focus on making their institutions accessible to a broad range of students, rather than just measuring themselves by how selective they are. He praised new hybrid approaches to college teaching, such as an introductory math course at Arizona State University that replaces the traditional lecture with adaptive software that can guide individual students through exercises at their own pace. ‚I know some critics worry about the loss of personal interaction that certainly is central to a high-quality education,‘ he said. ‚But this technology, when it’s well conceived, actually can be used to strengthen those interactions.‘ He also called on colleges to try out so-called MOOC’s, or Massive Open Online Courses.“ (Young 2012)
 
16
So nutzt etwa der Anbieter Coursera seine Teilnehmer auch zur Korrektur und Bewertung von Studentenarbeiten (Peer Grading) vgl. Piech et al. (2013).
 
17
„Insofern gibt es im Social Web ein egalitäres Moment, weil es verspricht, dass man in ihm unabhängig von sozialen Schubladen agieren kann.“ (Ebersbach et al. 2011: 225)
 
18
Merton (1968: 446) beschreibt diesen Effekt im Bildungsbereich als Prozess „[…] of the accruing of greater increments of recognition for particular scientific contributions to scientists of considerable repute and the withholding of such recognition from scientists who have not yet made their mark.“
 
19
Insgesamt schienen bereits damals manche Beobachter recht beeindruckt von dem Beharrungsvermögen des traditionellen Systems: „Since this technology-induced weakening of hierarchies does not interfere with financial and organisational resources as the crucial stabilising factors for the established hierarchies; no revolutionary change should be expected“ (Nentwich 2003: 74). Der Zusammenprall mit einer neuen Generation von Studenten erscheint also unvermeidlich, aber das Ergebnis ist noch offen: „A wave of young people empowered to create knowledge, not merely absorb it, now flows in and out of the classroom, calling into questions the convictions and processes that have served as the foundation of traditional higher education. It remains to be seen whether traditional higher education will adjust sufficiently to truly engage the Net Generation.“ (Barone 2005: 14)
 
20
Auch dies wurde frühzeitig befürchtet, wenngleich immer etwas Hoffnung durchschimmerte: „Ob Gesellschaft und Staat diese Veränderungen erleichtern oder sich ihnen in den Weg stellen, wird Mitte des 21. Jahrhunderts über das Verhältnis zwischen dem Staat und seinen Bürgern entscheiden.“ (Gelernter 2012: N5)
 
21
Es zeigte sich auch schnell, dass die Anforderungen dieser Technologien an die Studenten durchaus beachtlich sind. Als Feedback zu den vom Verfasser (2012b: 69) diskutierten Thesen zu Edupunks und selbstgesteuertem Lernen kamen einige Rückmeldungen aus dem Hochschulbereich, die diesen Punkt als sehr zentral bei der Umsetzung beschreiben: „Spannend, spannend. Wir experimentieren hier gerade massiv mit E-Learning ‚in all shapes and forms‘ und werden meiner Meinung nach noch massiv Lehrgeld zahlen. Abstrakt ausgedrückt ist die größte Herausforderung für uns meiner Meinung nach, dass die Flexibilität und (wahrgenommene) Lockerheit dieser neuen Technologien im e-Learning/Teaching mehr (statt weniger) Disziplin der Studierenden verlangt. Wir haben eine Webinarreihe für unsere PhD-Studenten aufgezogen und das läuft sehr gut. Das sind aber natürlich die am besten motivierten Studenten – im Bachelorbereich konkurrieren wir mit den Ablenkungen des alltäglichen Lebens und da ist man als Lehrender schnell mal auf der Verliererseite.“ (E-Mail an den Verfasser vom 17.06.2012)
 
22
So offeriert etwa die Firma Starbucks ihren Mitarbeitern eine freie Online-College-Ausbildung (Kuo 2015).
 
23
Ein völlig anderes Konzept also als die eher elitäre Bildungsstrategie, welche zuletzt auch von linker Seite gefordert wurde. So etwa von Peter Glotz (2001: 14): „Die schwächsten Provinzuniversitäten in Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich oder der tschechischen Republik sind heute Berufsschulen für die mittleren Jobs der jeweiligen Region. Das ist erträglich – und in den Vereinigten Staaten nicht anders –, wenn irgendwo das Außerordentliche geschieht.“ (Hervorhebung im Original)
 
24
Siehe Beispiele in Selingo (2018).
 
25
Das Second Skilling-Programm in Singapur etwa soll Arbeitnehmern die Möglichkeit geben, neben ihrem Job, quasi auf Vorrat, auch neue Fertigkeiten zu erlernen, die ihren Motivationen entsprechen: “When choosing a second skill to focus […] thinking about what you love to do – and also looking at the broader picture of what jobs will be available in upcoming years.“ (Ming/Cheng 2018)
 
26
Wenig überraschend scheinen hier private Unternehmen vorzupreschen. Vgl. etwa das Siemens-Projekt zur Entwicklung neuer Jobprofile (Al-Ani et al. 2021).
 
27
Vgl. hierzu das französische Projekt einer algorithmusbasierten Arbeitsvermittlung: Bob-Emploi (o. J).
 
28
Vgl. das Beispiel von Hochschulen als Genossenschaften: P2P Foundation (2017).
 
Metadaten
Titel
Umbrüche I: Universitätsbildung
verfasst von
Ayad Al-Ani
Copyright-Jahr
2022
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-37947-6_9