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2016 | Buch

Klüger irren - Denkfallen vermeiden mit System

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Über dieses Buch

Dieses Buch hilft Ihnen, Ihre Denkmechanismen zu hinterfragen und zu verbessern.

Fehler und Zufall treiben den Fortschritt an. So entsteht das Neue. Wer es sehen will, braucht Wissen und die Fähigkeit, überraschende Beobachtungen richtig einzuordnen.

Es ist jedoch kein Erfolgsrezept, die alten Fehler wieder und wieder zu machen. Lernen Sie aus Ihren Reinfällen und denjenigen der anderen.

Weniges wird uns bewusst. Denkmechanismen wirken meist im Verborgenen, ungefragt und blitzschnell. Sie sind bewährt, manchmal aber auch verkehrt. Optische und kognitive Täuschungen, irreführende Statistiken, Paradoxien, Manipulationsversuche lauern überall. Viele Irrwege lassen sich durch den Einsatz von etwas Logik und Mathematik vermeiden.

Lernen Sie, wie Sie Warnzeichen erkennen und richtig deuten können, wie weit das von Ihnen oft und meist unbewusst genutzte Indifferenzprinzip trägt, welche Rolle Analogien bei der Entstehung des Neuen spielen und wann Sie gefahrlos verallgemeinern dürfen.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
1. Was ist eine Denkfalle?
Zusammenfassung
In der Welt unserer Erfahrungen herrscht Ordnung. Weil in dieser Welt Regeln gelten, finden wir uns darin zurecht. Wenn ich meine gefüllte Kaffeetasse hochhebe und dann loslasse, wird sie nicht in der Luft hängen bleiben oder seitwärts davonschweben. Nein, ich erwarte, dass sie herunterfällt und dass es eine ziemliche Sauerei gibt. Also verzichte ich auf den Versuch. Aus Erfahrung wissen wir, dass keineswegs das reine Chaos regiert, sondern dass es Regelmäßigkeiten gibt. Es ist eine lebenspraktische Annahme, dass die Welt, die wir erfahren haben und die es noch zu erkunden gibt, von Recht und Ordnung zusammengehalten wird. Allerdings können wir nur das wahrnehmen, was in unserer Vorstellung bereits weitgehend existiert. Unsere Wahrnehmungs- und Denkmechanismen sind im Allgemeinen an unsere Umgebung gut angepasst. Aber manchmal eben auch nicht. Sie sind bewährt, zuweilen aber auch verkehrt.
Timm Grams
2. Blickfelderweiterung
Zusammenfassung
„Der wissenschaftliche Beirat beim Wirtschaftsministerium und der frühere Bundesbankpräsident Schlesinger haben darauf hingewiesen, dass alle großen Inflationen seit dem Ersten Weltkrieg immer mit dem Ankauf von Staatsanleihen begonnen haben“, meinte ein Politiker im Gespräch mit der Lokalzeitung. Was soll uns das sagen? Offenbar soll der Leser davon überzeugt werden, dass der Ankauf von Staatsanleihen ursächlich für den Zusammenbruch einer Währung ist.
Es mag ja sein, dass solche Ankäufe, wie auch die Schuldenschirmlogik, zerstörerische Kraft entfalten. Aber das Ursache‐Wirkungs‐Muster, das hier als Argument dient, ist ein Musterbeispiel für einen klassischen Fehlschluss. Nach derselben „Logik“ könnte man aus der Tatsache, dass den meisten Auto‐Karambolagen eine Vollbremsung vorausgeht, folgern, dass die Vollbremsung ein Risikofaktor ist und deshalb besser unterbleiben sollte.
Es ist ein elementarer Fehler, sich bei der Ursachenforschung allein die Fälle anzusehen, bei denen es schief gelaufen ist. Diese Art von Blickfeldverengung ist Folge unseres sparsamen Umgangs mit kognitiven Ressourcen: Wir richten den Scheinwerfer unserer Aufmerksamkeit auf das Hervorstechende und leicht Erfassbare. Das vermeintlich Nebensächliche lassen wir links liegen. Aber es gibt Situationen, in denen Blickfelderweiterung angesagt ist.
Timm Grams
3. Die angeborenen Lehrmeister
Zusammenfassung
Die Hauptantriebskraft der Wissenschaft ist unsere Neugier . Die Grundmechanismen des Wissenserwerbs beruhen auf der Strukturerwartung und der damit einhergehenden Begabung zur Mustererkennung, auf der Kausalitätserwartung und auf der Befähigung zu Erweiterungsschlüssen, zur Induktion also. Diese angeborenen Lehrmeister machen wissenschaftliches Arbeiten überhaupt erst möglich.
„Die angeborenen Lehrmeister sind dasjenige, was vor allem Lernen da ist und da sein muss, um Lernen möglich zu machen“ (Lorenz 1973). Die angeborenen Lehrmeister haben eine Kehrseite: „Das biologische Wissen enthält ein System vernünftiger Hypothesen, Voraus‐Urteile, die uns im Rahmen dessen, wofür sie selektiert wurden, wie mit höchster Weisheit lenken; uns aber an dessen Grenzen vollkommen und niederträchtig in die Irre führen“ (Riedl 1981).
Die dunkle Kehrseite der Mustererkennung zeigt „A Beautiful Mind“, ein Film, der von John Nash handelt, einem der Nobelpreisträger von 1994. Russell Crowe spielt den berühmten Wirtschaftswissenschaftler und Spieltheoretiker. Nashs starke Sensibilität für Muster erfährt im Laufe des Films – und wohl auch im realen Leben – eine krankhafte Verstärkung. So erkennt John Nash in einer Sammlung von überwiegend belanglosen Zeitungsmeldungen das Muster einer mächtigen Verschwörung.
Timm Grams
4. Der Jammer mit der Statistik
Zusammenfassung
Physik, Chemie, Biologie und Mathematik sind hartes Brot. Da lebt es sich mit einfachen Erklärungen doch wesentlich leichter. Und die werden in den Esoterik‐Ecken der Buchhandlungen und auf den Unterhaltungsseiten der Zeitungen geboten: Astrologie, übernatürliche Fähigkeiten, Hellsehen, Wünschelrutengängerei, Feng Shui, und was es da sonst noch gibt.
Die Frage ist, ob man damit wirklich besser durchs Leben kommt. Oder ob es Irrwege sind – Aufwand ohne angemessenen Nutzen.
Jedenfalls lohnt es sich, die eine oder andere Sache einmal etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Es zahlt sich aus, wenn man die Spreu vom Weizen trennen kann. Und dazu braucht es manchmal eine Portion Mathematik. Damit kann man auch den allgegenwärtigen Überredungsversuchen, den Statistiken über Wahl‐ oder Kaufverhalten, den Berichten über die Macht der Sterne und vielem anderen mehr gelassener gegenübertreten.
Jeder kennt Meldungen über mehr oder weniger wundersame Zusammenhänge: Bei Vollmond gibt es mehr Zwillingsgeburten als sonst. Italiener sind kinderfreundlicher als Deutsche. Besonders die Frauen bevorzugen Geländewagen. Ehen werden überdurchschnittlich oft zwischen Partnern desselben Sternbilds geschlossen. Solche Aussagen werden meist noch mit dem Hinweis auf Statistiken belegt. Und das naive Vertrauen in solche Zahlenwerke gibt einem dann den Rest. Der Reinfall ist gesichert.
Timm Grams
5. Intuition und Reflexion
Zusammenfassung
Wer sich mit Denkfallen befasst, stößt früher oder später auf den Begriff der Heuristik. Und er ist auch bald verwirrt, denn der Begriff tritt offenbar in ganz unterschiedlichen Bedeutungen auf: Heuristiken im Sinne von Lösungsfindeverfahren und Heuristiken als Entscheidungshilfe. Die Entscheidungsheuristiken sorgen für die schnelle und möglichst treffsichere Auswahl aus einer Menge von mehr oder weniger genau bekannten Hypothesen, Lösungsvorschlägen oder Alternativen. Mit den Lösungsfindeverfahren andererseits sollen überhaupt erst Lösungswege produziert werden; sie fördern den kreativen Prozess.
In diesem Kapitel beschränke ich mich auf Entscheidungen. Leider ist bereits auf diesem eingeschränkten Gebiet die Verwendung des Begriffs nicht eindeutig geklärt. Wir sollten zwei Klassen von Heuristiken unterscheiden. Die Heuristiken der ersten Klasse wirken rasch, automatisch und – wenn wir nicht aufpassen – am Bewusstsein vorbei. Sie sind der Intuition zuzuordnen; schnelle Entscheidungen sind ihr Verdienst. Die zweite Sorte beinhaltet die so genannten einfachen Heuristiken. Sie funktionieren nach dem Weniger-ist-mehr-Prinzip: Es empfiehlt sich in vielen Fällen nicht, für die Entscheidungsfindung alle verfügbaren Informationen zu bedenken und sie einem sorgfältigen Kalkül zu unterziehen. Schneller und oft genauer kommt zum Ziel, wer sich auf die wichtigsten Merkmale einer Situation konzentriert. Diese Faustregeln sind Gegenstände des bewussten Denken.
Timm Grams
6. Täuschung und Selbstbetrug
Zusammenfassung
Jeder kennt diese Sorte Mensch: Leute, die vorgeblich keine Fehler machen. Natürlich unterlaufen auch ihnen Fehler, aber sie nehmen sie einfach nicht zur Kenntnis. Und wenn sich ein Fehler nicht mehr verstecken lässt, finden sie Gründe dafür, dass es eigentlich doch kein Fehler ist, oder dass er nicht so schlimm ist, oder dass die Umstände daran schuld sind, oder …
Das Selbstbild dieser Leute scheint das des perfekten Automaten zu sein. Fehler machen nur die anderen. Es ist gut möglich, dass sie selbst an ihre Makellosigkeit glauben. Das versetzt sie in die Lage, andere glauben zu machen, sie seien wahre Supertypen: Je besser sie sich betrügen, desto besser können sie andere über sich täuschen. „Solche Mechanismen [des Selbstbetrugs] verschaffen Gefühle von Sicherheit und Optimismus und schenken die Illusion, das Leben kontrollieren zu können“ (Sommer 1992). Die Kehrseite der Medaille ist, dass sie in eine Art Gedankengefängnis eingeschlossen sind und sich nur mit Themen befassen, bei denen sie sich sicher fühlen. Neues Terrain verunsichert sie. Sie sind in diesem Sinne nicht frei und fast bedauernswerte Sklaven ihres positiven Selbstbilds. Am Gegenpol sammeln sich andere. Auch sie begrüßen einen selbstfabrizierten Fehler keineswegs mit freudigem Hallo. Sie ärgern sich darüber. Aber Tage später freuen sie sich über diese Entdeckung. Sie erfassen ihre Chance und nutzen sie, indem sie den Fehler aus ihren Gedankenbahnen nehmen. Das schafft Platz für neue Fehler, für Fehler auf höherem Niveau.
Timm Grams
7. Nach welchen Regeln wird gespielt?
Zusammenfassung
Was eine Denkfalle ist, darüber haben wir uns schon Gedanken gemacht. Wir wollten unter einer Denkfalle eine Problemsituation verstehen, die einen bewährten Denkmechanismus in Gang setzt, der mit dieser Situation nicht zurechtkommt und zu Irrtümern führt. Aber was ist ein Irrtum? Da müsste man erst einmal wissen, was richtig ist – nicht irrtumsbehaftetes Denken sozusagen. Was ein Irrtum ist und was nicht, hängt vom Rahmen ab, in dem man sich bewegt. Der Wissenschaftler wird mit gutem Grund die Existenz Gottes im Rahmen seines Denkgebäudes nicht als erwiesen ansehen können, aber für den Metaphysiker und Gottgläubigen ist sie im Rahmen seiner Logik eine Denknotwendigkeit. Ich stelle mir den Denkrahmen als ein Spiel vor: Es gibt ein Spielbrett und Figuren, die nach bestimmten Regeln bewegt werden. Wenn wir Richtiges von Falschem trennen wollen, müssen wir wissen, nach welchen Regeln das Spiel gespielt wird.
Timm Grams
8. Die schöpferische Kraft des Fehlers
Zusammenfassung
Dieses Kapitel knüpft an das Paradoxon von Braess und das damit zusammenhängende Gefangenendilemma an. Das Gefangenendilemma definiert die Spielregeln für ein Evolutionsexperiment, das zeigt, wie das Neue – in diesem Fall das kooperative Verhalten – allein auf der Grundlage von Evolutionsmechanismen in eine Welt kommen kann, die von lauter Egoisten bevölkert ist. Im Simulationsexperiment lassen ich grob vier Phasen unterscheiden. 1. Ohne Fehler läuft gar nichts. 2. Bei der Entstehung neuer Wesen kann es zu zufälligen Mutationen kommen. Es entstehen Wesen, die zwar auch nicht erfolgreicher sind als die Betrüger, die aber das Potenzial für positive Veränderungen in sich tragen. 3. In dem entstehenden schöpferischen Chaos ergeben sich Möglichkeiten ertragreicher Kooperation. Die Chance wächst, dass ein Wesen mit bislang schlummernden kooperativen Neigungen einen Nachbarn erhält, der diese Ansätze der Kooperation hervorlockt und erwidert. Es kommt zu Inseln der Kooperation. 4. Auf den Inseln der Kooperation steigt die Lebenskraft der Individuen. Das kooperative Verhalten breitet sich aus und verdrängt den Betrug. Der Selektionsprozess mündet in einen Zustand dynamischer Stabilität. Das Gute siegt.
Timm Grams
9. Um Wahrheit geht es nicht
Zusammenfassung
Wir wollen immer klüger werden, nicht mehr in Denkfallen tappen. Unsere zunehmende Fähigkeit, Denkfallen aus dem Weg zu gehen, verbuchen wir als Erkenntnisgewinn. Das ist mühsam; es geht nur langsam voran. Sollten wir nicht nach Höherem streben, so wie Faust, der endlich erkennen will, „was die Welt im Innersten zusammenhält“? Dumm ist nur, dass Fausts Drang nach Wahrheit ihn ins Verderben führt. Skepsis ist angebracht. Und genau darum geht es in diesem Kapitel. Eingeflossen sind Diskussionen mit Realisten, und zwar solchen, die sich seltsamerweise auch Skeptiker nennen.
Von den Denkumwegen, von der fruchtlosen Suche der Realisten nach ewigen Wahrheiten können wir uns freimachen und direkt auf das zusteuern, was unser Leben bewegt. Da sind noch genügend Fragen zu klären: Welche Denk- und Handlungsstrategien nützen uns wirklich? Inwieweit ist unsere Sprache mit ihren Begriffen durch die Institutionen vorgeprägt? Stehen die vermeintlich klaren, aber starren Begriffe dem schöpferischen Tun im Wege? Ist eine gemeinsame Sprache auch eine Garantie für die Verständigung?
Timm Grams
10. Das System der Denkfallen
Zusammenfassung
Es gibt unbegrenzte Möglichkeiten, Fehler zu machen. Schade wäre es, wenn man aus einem Fehler nur lernen könnte, zukünftig nur genau diesen Fehler zu vermeiden. In diesem Buch wird die Idee verfolgt, dass es gar nicht so viele voneinander verschiedene Typen von Fehlern gibt, sondern dass sich die Fehler einigen wenigen Denkfallen zuordnen lassen und dass sich daraus die Möglichkeit ergibt, den Lerneffekt zu steigern. Wir wollen uns nicht nur gegen einige wenige Fehler wappnen, sondern die Immunisierung möglichst auf ganze Fehlerklassen ausdehnen. Das Schlusskapitel soll dabei helfen. Es liefert eine Übersicht über das System der Denkfallen.
Timm Grams
Backmatter
Metadaten
Titel
Klüger irren - Denkfallen vermeiden mit System
verfasst von
Timm Grams
Copyright-Jahr
2016
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Electronic ISBN
978-3-662-50280-8
Print ISBN
978-3-662-50279-2
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-662-50280-8