Zusammenfassung
Eine Entdeckung für die pädagogische Theorie deutet sich hier an: 1805, noch deutlich unter dem Eindruck der französischen Revolution und ihrer epochalen Folgen, angeregt auch von den Debatten in den Kreisen der Frühromantiker und der Auseinandersetzung mit der idealistischen Philosophie nimmt Friedrich Schleiermacher in seiner Rezension zu Zöllners „Ideen zur Nationalerziehung“ erstmals Bezug auf das Generationenverhältnis als Fokus pädagogischer Reflexion. Zwar wählt er den Begriff des „Geschlechts“, behält also die Perspektive auf den Zusammenhang der menschlichen Gattung bei, die das Nachdenken über Erziehung in der Aufklärung leitete; unübersehbar spielt er auch auf jene Aspiration an, nach der eine Veränderung der Erziehung eine andere Gesellschaft schaffen könnte. Die geschichtsoptimistische Begründungslinie der Pädagogik klingt noch an. Gleichwohl wecken die Frühromantiker Zweifel an der Pädagogik, nehmen sie gegenüber dieser doch ein eigentümlich gespaltenes Verhältnis ein, bei dem die Kritik an den Nützlichkeitsvorstellungen der Philanthropisten, an deren Inanspruchnahme und Gängelung des Subjekts, mit pädagogischer Euphorie einhergeht, nach der die Willkür des Kindes zu fördern sei. Fragwürdig wird zugleich die Idee eines durch Erziehung bewirkten historischen Kontinuums, sei es als Tradition bestehender Verhältnisse, sei es auch als Fortschritt zum Bessern; statt dessen ist mit historischen Brüchen, mit Erschütterungen ebenso wie mit einer fehlenden Bereitschaft zur politischen Gestaltung zu rechnen, die noch ein streitbarer, provozierender Umgang mit der jungen Generation kompensieren soll. Auch das ist neuartig: Wie sich die Subjekte in dieser Situation verhalten, scheint zur Disposition gestellt: Es gibt, wider die später behauptete historische Kausalität, keine Sicherheit mehr, daß kollektive und individuelle Subjekte ihnen übertragene Aufgaben auch verfolgen. Was dann die ältere Generation mit der jüngeren wolle? Den Anstoß geben, in Verhältnisse einzutreten, diese beizubehalten oder auch zu verändern! Und was hält die jüngere von solchen Ambitionen?
„Man kann nicht klagen, daß unter allen Erschütterungen, welche das jetzige Geschlecht erleidet, es seiner unmittelbaren Verhältnisse gegen das künftige vergesse. Frankreich dachte noch unter den blutigsten bürgerlichen Verwirrungen an die Erziehung der, wie man hoffte, künftigen Republikaner. In Deutschland haben diejenigen, die auf neuem, selbstgebahntem Wege sich einer eminenten Ausbildung der höheren Kräfte bewußt wurden, ihr mögliches getan, um zu zeigen, daß die vielbeklagte Erschlaffung des Zeitalters ihren Grund in der Erziehung habe, und sich so wenigstens polemisch des neuen Geschlechts angenommen “
(Schleiermacher 1957, 65)
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Winkler, M. (1998). Friedrich Schleiermacher revisited. Gelegentliche Gedanken über Generationenverhältnisse in pädagogischer Hinsicht. In: Ecarius, J. (eds) Was will die jüngere mit der älteren Generation?. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-11816-9_6
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