Abstract
Angst vor Kriminalität wird in den Medien überwiegend als präzise abgrenzbare Reaktion auf tatsächliche oder potenzielle Kriminalitätsgefahren dargestellt und im öffentlichen Diskurs auch gerne so verstanden. Von sozialwissenschaftlicher und kriminologischer Seite her wird ein solch enges Verständnis kriminalitätsassoziierter Unsicherheitsempfindungen zunehmend in Frage gestellt und Kriminalitätsfurcht immer mehr als Materialisierung unausgesprochener unterschwelliger Existenz- und Zukunftsängste betrachtet. Der vorliegende Beitrag geht der Frage nach, welches der beiden Verständnismodelle kriminalitätsbezogener Unsicherheitsgefühle sachlich angemessen scheint. Beginnend mit einem kurzen Rückgriff auf die Wissenschaftsgeschichte der Kriminalitätsfurchtforschung wird ein sozialwissenschaftlich-kriminologischer Bezugsrahmen entwickelt, der die Angst vor Straftaten in die allgemeine Befindlichkeit westlicher Gegenwartsgesellschaften einordnet. Aus diesem Theorierahmen werden drei Hypothesen abgeleitet, die anhand einer systematischen Sichtung der vorhandenen Forschungsliteratur überprüft werden. Hypothese eins geht von der Annahme aus, dass, wenn Kriminalitätsfurcht soziale Existenz- und Abstiegsängste zum Ausdruck bringt, sozial und ökonomisch prekäre Bevölkerungsgruppen eine erhöhte Furcht vor Verbrechen artikulieren müssen. Hypothese zwei postuliert eine enge Verknüpfung kriminalitätsbezogener Sicherheitsbedenken mit anders gelagerten Formen der Verunsicherung. Hypothese drei schließlich unterstellt einen engen Zusammenhang des Niveaus sozialer Sicherheit mit dem Ausmaß kriminalitätsassoziierter Befürchtungen, und zwar dahingehend, dass in Ländern mit leistungsfähigen, hoch entwickelten wohlfahrtsstaatlichen Sicherungsarrangements weniger Kriminalitätsangst beobachtbar ist als in Staaten mit grobmaschigeren sozialen Sicherungsnetzen. Die Ergebnisse einer umfassenden Literaturanalyse sind geeignet, alle drei Hypothesen zu untermauern.
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Hirtenlehner, H. Kriminalitätsangst – klar abgrenzbare Furcht vor Straftaten oder Projektionsfläche sozialer Unsicherheitslagen?. Journal für Rechtspolitik 17, 13–22 (2009). https://doi.org/10.1007/s00730-009-0249-4
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DOI: https://doi.org/10.1007/s00730-009-0249-4