Zusammenfassung
Im vorliegenden Beitrag wird die Entwicklung der Arbeitsmarkt-und Beschäftigungspolitik in der Ära Kohl mit einem Modell erklärt, das von der Parteiendifferenzhypothese ausgeht, diese aber um die Wirkungen des Wettbewerbs um Wählerstimmen und verschiedener Vetospieler erweitert. Für die 1980er Jahre lässt sich der nur moderate Wandel aufzwei Variablen zurückführen. Zum einen hielt der Wettbewerb um Wählerstimmen die Koalitionsparteien von einschneidenderen Reformen ab, da diese ein elektorales Risiko darstellten und die wirtschaftliche Entwicklung insgesamt positiv verlief und insofern keine Anreize für einschneidende Reformen lieferte. Zweitens war die Kohäsion des Vetospielers „CDU“ wegen des großen Gewichts des Arbeitnehmerflügels der Partei sehr gering, was bei gleichzeitiger faktischer Einstimmigkeitserfordernis für Entscheidungen innerhalb der CDU Reformen erschwerte. Für die ersten Jahre nach der Wiedervereinigung lassen sich — bedingt durch den externen Schock der Wiedervereinigung — ebenfalls nurbegrenzte Parteieneffekte feststellen, in einigen Bereichen ließ die Koalition sogar Pfadabweichungenzu, die von ihrem eigentlich angestrebten Ziel wegführten. Für die letzten Jahre der Ära Kohl müssen dann jedoch weitreichendere Reformen konstatiert werden. Dies war begründet durch die Existenz eines hohen Problemdrucks, der in der Wahrnehmung der Koalitionsparteien einerseits mit vorsichtigen Reformen nicht zu bewältigen war, dessen Fortbestehen andererseits aber die Wiederwahl der Koalition ernsthaft gefährdete. Diese Reformen ließen sich schließlich auch durchsetzen, weil einerseits der CDU-Arbeitnehmerflügel sein internes Veto verloren hatte und weil andererseits die meisten in Frage stehenden Regelungen nicht der Zustimmung des Bundesrates bedurften.
Abstract
The paper develops a model to explain the labour market and employment policies of the Christian-liberal coalition in Germany between 1982 and 1998. It takes partisan theory as its starting point, but expands it by taking into account the effects of party competition and veto players as well. For the first period of observation, the years 1982 to 1989/90, only moderate reforms can be observed. This can be explained by the fear of the coalition that more far-reaching reforms could exert negative effects on its electoral performance on the one hand, and by the strong influence of the labour union wing of the Christian democratic party on the respective policies on the other hand. During the first years after German unification the government could not implement far reaching partisan reforms either. This was due to the necessity of reacting to the external shock of the unification and the problems associated with it. Only during the last three years in office the coalition was able to push through more coherent reforms due to the huge problems on the labour marker which put the government’s re-election at risk. These reforms could be carried through because the CDU’s labour wing had lost its veto power and because the Bundesrat’s approval was not necessary.
Literatur
Abromeit, Heidrun, 1995: Volkssouveränität, Parlamentssouveränität, Verfassungssouveränität: Drei Realmodelle der Legitimation staatlichen Handelns, in: Politische Vierteljah resschrift 36, 49–66.
Alber, Jens, 1986: Der Wohlfahrtsstaat in der Wirtschaftskrise — Eine Bilanz der Sozialpolitik in der Bundesrepublik seit den frühen siebziger Jahren, in: Politische Vierteljahresschrift 27, 28–60.
Armingeon, Klaus, 1991: Einfluß und Stellung der Gewerkschaften im Wechsel der Regierungen, in: Blanke, Bernhard/ Wollmann, Hellmut (Hrsg.), Die alte Bundesrepublik, Opladen, 271–291.
Bawn, Kathleen, 1999: Money and Majorities in the Federal Republic of Germany: Evidence for a Veto Players Model of Government Spending, in: AJPS 42, 707–736.
Beyme, Klaus von, 1994: Verfehlte Vereinigung — verpasste Reformen? Zur Problematik der Evaluation der Vereinigungspolitik in Deutschland seit 1989, in: Journal für Sozialforschung 34, 249–269.
Beyme, Klaus von, 1997: Der Gesetzgeber, Opladen.
BMA (Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung), 1994: Sozialbericht 1993, Bonn.
BMA, 1998a: Sozialbericht 1997, Bonn.
BMA, 1998b: Statistisches Taschenbuch 1998. Arbeits-und Sozialstatistik, Bonn.
Borchert, Jens, 1995: Die konservative Transformation des Wohlfahrtsstaates, Frankfurt a.M./New York: Campus.
Bruche, Gert/ Reissert, Bernd, 1985: Die Finanzierung der Arbeitsmarktpolitik, Frankfurt a.M./New York.
Budge, Ian/ Keman, Hans, 1990: Parties and Democracy, Oxford.
Bundesanstalt für Arbeit, 1992: Geschäftsbericht 1991, Nürnberg.
Czada, Roland, 1995: Der Kampf um die Finanzierung der deutschen Einheit, in: Lehmbruch, Gerhard (Hrsg.), Einigung und Zerfall, Opladen, 73–102.
Dästner, Christian, 1999: Der „unechte Einigungsvorschlag“ im Vermittlungsverfahren. Oder: Hat der Vermittlungsausschuß versagt?, in: ZParl 30, 26–40.
Dittberner, Jürgen, 1987: FDP — Partei der zweiten Wahl, Opladen.
Downs, Anthony, 1968: Ökonomische Theorie der Demokratie, Tübingen.
Feist, Ursula/ Krieger, Hubert, 1985: Die nordrhein-westfälische Landtagswahl vom 12. Mai 1985. Stimmungstrend überrollt Sozialstrukturen oder: Die Wende ist keine Kaffeefahrt, in: ZParl 16, 355–372.
Frerich, Johannes/ Frey, Martin, 21996: Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland. Bd. 3: Sozialpolitik in der Bundesrepublik Deutschland bis zur Herstellung der Deutschen Einheit, München/Wien.
Geißler, Heiner, 1998: Zeit, das Visier zu öffnen, Köln.
Grande, Edgar, 1989: Vom Monopol zum Wettbewerb? Die neokonservative Reform der Telekommunikation in Großbritannien und der Bundesrepublik Deutschland, Wiesbaden.
Gros, Jürgen, 1998: Politikgestaltung im Machtdreieck Partei, Fraktion, Regierung, Berlin.
Heinelt, Hubert/ Weck, Michael, 1998: Arbeitsmarktpolitik. Vom Vereinigungskonsens zur Standortdebatte, Opladen.
Hellwig, Martin/ Neumann, Manfred J.M., 1987: Economic Policy in Germany: Was There a Turnaround?, in: Economic Policy 5, 105–147.
Hibbs, Douglas, 1977: Political Parties and Macroeconomic Policy, in: APSR 71, 1467–1487.
Hicks, Alexander M./ Swank, Duane H., 1992: Politics, Institutions, and Welfare Spending in Industrialized Democracies, 1960–82, in: APSR 86, 658–674.
Hofferbert, Richard I./ Klingemann, Hans-Dieter, 1990: The Policy Impact of Party Programmes and Government Declarations in the Federal Republic of Germany, in: EJPR 18, 277–304.
Jochem, Sven, 2001: Reformpolitik im deutschen Sozialversicherungsstaat, in: Schmidt, Manfred G. (Hrsg.), Wohlfahrtsstaatliche Politik, Opladen, 193–226.
Kaiser, André, 1998: Vetopunkte der Demokratie. Eine Kritik neuerer Ansätze der Demokratietypologie und ein Alternativvorschlag, in: ZParl 29, 525–541.
Kim, Won-Sub, 1999: Arbeitsmarktpolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Die Ära Kohl bis zur Herstellung der deutschen Einheit, Bremen (Diplom-Arbeit).
Knutsen, Oddbjörn, 1998: Expert Judgements of the Left-Right Location of Political Parties: A Comparative Longitudinal Study, in: WEP 21(2), 63–94.
König, Thomas, 1999: Von der Politikverflechtung in die Parteienblockade? Probleme und Perspektiven der deutschen Zweikammergesetzgebung, in: Kaase, Max/ Schmid, Günther (Hrsg.), Eine lernende Demokratie, Berlin, 63–85.
Landfried, Christine, 1994: The Judicialization of Politics in Germany, in: IPSR 15, 113–124.
Laver, Michael/ Hunt, W. Ben, 1992: Policy and Party Competition, New York/London.
Lehmbruch, Gerhard, 21998: Parteienwettbewerb im Bundesstaat, Opladen.
Mückenberger, Ulrich, 1986: § 116 AFG: Stadien eines Gesetzgebungsprozesses, in: Kritische Justiz 19, 166–186.
OECD, verschiedene Jahrgänge: Economic Surveys Germany, Paris.
Pappi, Franz Urban/ König, Thomas/ Knoke, David, 1995: Entscheidungsprozesse in der Arbeits-und Sozialpolitik, Frankfurt a.M./New York.
Pochet, Philippe, 1999: The New Employment Chapter of the Amsterdam Treaty, in: Journal of European Social Policy 9, 271–278.
Rhein-Kress, Gaby von, 1996: Die politische Steuerung des Arbeitsangebots, Opladen.
Roller, Edeltraut, 1999: Shrinking the Welfare State: Citizens’ Attitudes towards Cuts in Social Spending in Germany in the 1990s, in: German Politics 8(1), 21–39.
Rüb, Friedbert W./ Nullmeier, Frank, 1991: Die Flexibilisierung der Arbeitsgesellschaft, in: Süß, Werner (Hrsg.), Die Bundesrepublik in den 80er Jahren, Opladen, 121–136.
Scharpf, Fritz W., 1987: Sozialdemokratische Krisenpolitik in Europa, Frankfurt a.M./New York.
Schmid, Günther, 1990: Beschäftigungs-und Arbeitsmarktpolitik, in: Beyme, Klaus von/ Schmidt, Manfred G. (Hrsg.), Politik in der Bundesrepublik Deutschland, Opladen, 228–254.
Schmid, Günther, 1998: Das Nadelöhr der Wirklichkeit verfehlt: Eine beschäftigungspolitische Bilanz der Ära Kohl, in: Wewer, Göttrik (Hrsg.), Bilanz der Ära Kohl, Opladen, 145–181.
Schmid, Günther/ Wiebe, Nicola, 1999: Die Politik der Vollbeschäftigung im Wandel. Von der passiven zur interaktiven Arbeitsmarktpolitik, in: Kaase, Max/ Schmid, Günther (Hrsg.), Eine lernende Demokratie, Berlin, 357–396.
Schmid, Josef, 1990: Die CDU, Opladen.
Schmid, Josef, 1991: Der Machtwechsel und die Strategie des konservativ-liberalen Bündnisses, in: Süß, Werner (Hrsg.), Die Bundesrepublik in den 80er Jahren, Opladen, 19–34.
Schmid, Josef, 1998: Stellenwert, Strukturen und Wandel eines Politikfeldes im Wohlfahrtsstaat, in: Schmid, Josef/ Niketta, Reiner (Hrsg.), Wohlfahrtsstaat. Krise und Reform im Vergleich, Marburg, 139–169.
Schmidt, Manfred G., 1992: Arbeitsmarkt-und Beschäftigungspolitik, in: ders. (Hrsg.), Die westlichen Länder (Lexikon der Politik Bd. 3), München, 34–38.
Schmidt, Manfred G., 1996: When Parties Matter. A Review of the Possibilities and Limits of Partisan Influence on Public Policy, in: EJPR 30, 155–183.
Schmidt, Manfred G., 1998: Sozialstaatliche Politik in der Ära Kohl, in: Wewer, Göttrik (Hrsg.), Bilanz der Ära Kohl, Opladen, 59–87.
Schmidt, Manfred G., 32000: Demokratietheorien, Opladen.
Schroeder, Wolfgang, 1998: Das katholische Milieu auf dem Rückzug. Der Arbeitnehmerflügel der CDU nach der Ära Kohl, in: Dürr, Tobias/ Soldt, Rüdiger (Hrsg.), Die CDU nach Kohl, Frankfurt a.M., 175–191.
Schwinn, Oliver, 1997: Die Finanzierung der deutschen Einheit, Opladen.
Seiter, Hugo, 1987: Das Gesetz zur Sicherung der Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit bei Arbeitskämpfen, in: NJW 40, 1–8.
Sturm, Roland, 1998: Die Wende im Stolperschritt — eine finanzpolitische Bilanz, in: Wewer, Göttrik (Hrsg.), Bilanz der Ära Kohl, Opladen, 183–200.
Tsebelis, George, 1995: Decision Making in Political Systems: Veto Players in Presidentialism, Parliamentarism, Multicameralism and Multipartyism, in: BJPS 25, 289–325.
Tsebelis, George, 2000: Veto Players and Institutional Analysis, in: Governance 13, 441–474.
Wagschal, Uwe, 2001: Parteien, Wahlen und die Unabhängigkeit der Bundesbank, in: Zeitschrift für Politikwissenschaft 11, 573–600.
Weaver, R. Kent, 1986: The Politics of Blame Avoidance, in: Journal of Public Policy 6, 371–398.
Webber, Douglas, 1987: Eine Wende in der deutschen Arbeitsmarktpolitik? Sozialliberale und christlich-liberale Antworten auf die Beschäftigungskrise, in: Abromeit, Heidrun/ Blanke, Bernhard (Hrsg.), Arbeitsmarkt, Arbeitsbeziehungen und Politik in den 80er Jahren, Opladen, 74–85.
Webber, Douglas, 1992: Kohl’s Wendepolitik After a Decade, in: German Politics 1, 149–180.
Weßels, Bernhard, 1999: Die deutsche Variante des Korporatismus, in: Kaase, Max/ Schmid, Günther (Hrsg.), Eine lernende Demokratie, Berlin, 87–113.
Winter, Thomas von, 1989: Die CDU im Interessenkonflikt. Eine Fallstudie zur parteiinternen Auseinandersetzung über den Paragraphen 116 AFG, in: Leviathan 17, 46–84.
Winter, Thomas von, 1990: Die Sozialausschüsse der CDU. Sammelbecken für christdemokratische Arbeitnehmerinteressen oder linker Flügel einer Partei?, in: Leviathan 18, 390–416.
Wood, Stewart, 1997: Weakening Codetermination? Works Council Reform in West Germany in the 1980s, Berlin (WZB Discussion Paper FS I 97-302).
Zohlnhöfer, Reimut, 2000: Der lange Schatten der schönen Illusion: Finanzpolitik nach der deutschen Einheit, 1990–1998, in: Leviathan 28, 14–38.
Zohlnhöfer, Reimut, 2001: Die Wirtschaftspolitik der Ära Kohl. Eine Analyse der Schlüsselentscheidungen in den Politikfeldern Finanzen, Arbeit und Entstaatlichung, 1982–1998, Opladen.
Zohlnhöfer, Werner, 1999: Die wirtschaftspolitische Willens-und Entscheidungsbildung in der Demokratie. Ansätze einer Theorie, Marburg.
Author information
Authors and Affiliations
Additional information
Für Hinweise zu früheren Fassungen dieses Beitrages danke ich Herbert Obinger, Uwe Wagschal sowie zwei anonymen Gutachtern.
Rights and permissions
About this article
Cite this article
Zohlnhöfer, R. Parteien, Vetospieler und der Wettbewerb um Wählerstimmen: Die Arbeitsmarkt-und Beschäftigungspolitik der Ära Kohl. PVS 42, 655–682 (2001). https://doi.org/10.1007/s11615-001-0102-1
Published:
Issue Date:
DOI: https://doi.org/10.1007/s11615-001-0102-1