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Von der Zweiparteiendominanz zum Pluralismus: Die Entwicklung des deutschen Parteiensystems im westeuropäischen Vergleich

From Two-party Dominance to Pluralism: The Development of the German Party System in West European Comparative Perspective

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Zusammenfassung

Das bundesrepublikanische Parteiensystem hat mit der Bundestagswahl 2009 einen Typwandel von der Zweiparteiendominanz zum Pluralismus vollzogen. Der Beitrag erläutert die Bildung verschiedener Typen von Parteiensystemen, beschreibt den Typwandel in Deutschland, zeigt, dass die Entwicklung des deutschen Parteiensystems in Westeuropa einen Sonderfall darstellt und verdeutlicht anhand der gewandelten Akteursstruktur, dass eine Rückkehr zur Zweiparteiendominanz fraglich erscheint.

Abstract

With the federal election of 2009, the German party system no longer belongs to the party systems with two-party dominance but to the pluralistic systems. The article develops a typology of party systems, decribes the change of the type of Germany's party system, shows that the development of the German party system is an exception in Western Europe and argues that the change in the structure of the system casts a return to two-party dominance into doubt.

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Abb. 1
Abb. 2

Notes

  1. Zur Operationalisierung dieser Eigenschaft wird meist die „effective number of parties“ von Laakso u. Taagepera (1979) verwendet. Die effektive Anzahl der Parteien in einem Parteiensystem entspricht der realen Anzahl, wenn alle Parteien den gleichen Stimmen- bzw. Mandatsanteil aufweisen, also ein ausgeglichenes Machtverhältnis existiert. Je ungleicher das Machtverhältnis ist, desto geringer ist die effektive im Vergleich zur realen Anzahl, und bei einer Dominanz von nur einer Partei nähert sich der Index dem Wert 1.

  2. In föderalen politischen Systemen kommt als Struktureigenschaft noch der Grad an Regionalisierung des Parteiensystems hinzu (vgl. für Deutschland Niedermayer 2008b). Da dies in Westeuropa jedoch nur ganz wenige Staaten betrifft, wird diese Eigenschaft hier nicht behandelt.

  3. In den ersten Bundestag 1949 zogen zehn Parteien und drei unabhängige Kandidaten ein, das Kräfteverhältnis zwischen den beiden Großparteien war relativ ausgeglichen, der gemeinsame Mandatsanteil von CDU/CSU und SPD betrug 67,2%, beide Großparteien konnten jeweils etwa ein Drittel der Mandate erringen und die FDP als drittstärkste Partei hatte einen Mandatsanteil von 13%. CDU und CSU werden in Parteiensystemanalysen als eine Einheit gezählt, weil in kompetitiven Systemen nur konkurrierende Parteien als getrennte Einheiten betrachtet werden und die beiden Schwesterparteien weder auf der elektoralen noch auf der parlamentarischen Ebene miteinander konkurrieren.

  4. Die Union konnte 1949 auch nur 23,6% der Wahlberechtigten für sich mobilisieren, die SPD nur 22,2%.

  5. Zur Mitgliederentwicklung der Parteien und ihrer Erklärung vgl. Niedermayer 2009.

  6. Die Abbildung gibt nur den Indikator „gemeinsamer Mandatsanteil der beiden Großparteien“ wieder, aufgenommen wurden aber nur Parteiensysteme, die auch die beiden anderen Kriterien erfüllen.

  7. Dort verhindert der starke Konzentrationseffekt des Wahlsystems ein Übergreifen der immer größeren elektoralen Fragmentierung in die parlamentarischen Stärkeverhältnisse allerdings weitgehend.

  8. Veränderungen der Akteursstruktur waren auch für die frühere Entwicklung der Zweiparteiendominanz mitverantwortlich. So lag die Herausbildung der strukturellen Asymmetrie zugunsten der Union in den 1950er Jahren nicht nur an der Veränderung der gesellschaftlichen Konfliktstruktur durch den Bedeutungsverlust der Konfliktlinie Einheimische versus Flüchtlinge und Vertriebene und an der Tatsache, dass die Union als Regierungspartei den gesellschaftlichen Wandel und die ökonomische Prosperität („Wirtschaftswunder“) sehr viel stärker für sich nutzen konnte als die SPD, sondern auch an der aktiven Integrationsstrategie der Union, durch die es gelang, das bürgerlich-konservative Kleinparteienspektrum weitgehend zu absorbieren. Auch der gesellschaftliche Wandel in den 1970er Jahren mit der Herausbildung neuer Wertesysteme führte erst zu einer Gefahr für die Stellung insbesondere der SPD, als diese Werthaltungen durch die Grünen parteipolitisch organisiert wurden, die sich in den 1980er Jahren zu einer relevanten Partei im Parteiensystem entwickelten.

  9. Zur Zweidimensionalität der Konfliktstruktur des deutschen Parteiensystems mit einer sozio-ökonomischen und einer gesellschaftspolitischen Konfliktlinie vgl. bereits Niedermayer 2003 und in neuerer Zeit z. B. Jun 2007; Mielke 2007 und Pappi 2009.

  10. Der unter Umständen als Versuch der bundesweiten Etablierung einer konservativen Partei interpretierbare Antritt der Freien Wähler bei der Europawahl 2009 ist gescheitert, und die drei rechtsextremen Parteien NPD, DVU und Republikaner haben keine Chancen auf bundespolitische Relevanz.

  11. Stichworte aus der Wahlforschung sind: „Strukturelle Gründe: Veränderungen der Berufsstruktur, Vorfeldorganisationen verlieren an Rückhalt, starker Rückgang der Bindekraft der Parteien, Zerfall der Kernmilieus, höhere Bildungschancen, steigender Wohlstand der Gesellschaft, stärker nutzenorientiertes Wahlverhalten, Individualisierung der Gesellschaft, Medialisierung der Politik. Politische Gründe: geringe Unterscheidbarkeit der Parteien, Lösungskompetenzen der Parteien sinken, Glaubwürdigkeitsdefizite steigen, veraltete Entscheidungsstrukturen (Hierarchisierung statt Demokratisierung), alte Antworten auf neue politische und gesellschaftliche Fragen und Personalisierung als Antwort auf die Medialisierung“ (Roth 2009).

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Niedermayer, O. Von der Zweiparteiendominanz zum Pluralismus: Die Entwicklung des deutschen Parteiensystems im westeuropäischen Vergleich. Polit Vierteljahresschr 51, 1–13 (2010). https://doi.org/10.1007/s11615-010-0005-0

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