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Governance-Theorien und Governance-Probleme: Diesseits und jenseits des Steuerungsparadigmas

Theories and Problems of Governance: Steering and Beyond

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Zusammenfassung

Die Governance-Perspektive hat in den letzten Jahren erhebliche Resonanz gefunden. Sie wurde entwickelt, um Formen des Regierens in enthierarchisierten Kontexten zu konzeptualisieren und zu bewerten. Ihre Popularität zehrt nicht zuletzt von der Verheißung einer praxisrelevanten, gestaltungsorientierten Integration unterschiedlicher Disziplinen, Ansätze und Theorien. Ausgehend von dem Befund, dass die Governance-Perspektive noch immer stark von Ambitionen politischer Steuerung getragen wird oder diese sogar steigert, setzt sich der vorliegende Beitrag mit diesem Anspruch der Praxistauglichkeit und der Überbrückung konzeptioneller Abgrenzungen auseinander. Es wird deutlich gemacht, dass eine Ergänzung um nicht steuerungsorientierte Perspektiven angezeigt ist, von denen drei skizziert und eingeordnet werden. Nur ein multiperspektivisches Verständnis von Governance kann den Problemen des Regierens gerecht werden.

Abstract

In recent years, the governance perspective has found a remarkable resonance in political science. Its development has focussed on institutional forms of governing in post-hierarchical contexts. Its popularity has been fuelled by the promise to provide for a practically relevant, design-friendly integration of different disciplines, approaches, and theories. The predominant view of governance is still strongly committed to the idea of political “steering”. It is doubtful, however, that in a post-hierarchical context problems of governing are adequately described as problems of “steering” and its improvement. It is thus argued that we should understand governance in ways which can not be reduced simply to steering. Three such alternatives are presented. Only a pluralistic understanding of governance can help us understand what the practical problems governance research promises to elucidate are actually about.

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Notes

  1. Aufschlussreich ist hier etwa die Einführung zum einschlägigen Kompendium Handbuch Governance. Einerseits grenzen sich die Autoren von einem als ‚deskriptiv‘ etikettierten Governance-Begriff ab, wonach „kollektive Entscheidungen in modernen Gesellschaften zunehmend in nicht-hierarchischen Formen der Zusammenarbeit zwischen staatlichen und privaten Akteuren zustande kommen“; es sei nämlich festzuhalten, „dass fraglich ist, ob diese Formen der Politik neu sind“ (Benz et al. 2007a, S. 14–15). Andererseits wird als Bezugsproblem der politikwissenschaftlichen Governance-Perspektive die „wachsende Bedeutung nicht-hierarchischer Formen der Koordination von Politik und deren Effektivität und Legitimität“, insbesondere „im Kontext eines seit dem Ende des zwanzigsten Jahrhunderts (…) eingeschränkten Handlungsspielraumes des Nationalstaates“, ausgewiesen (Benz et al. 2007a, S. 16).

  2. Vgl. Kooiman (2003), der von „problem-solving“, „institution-building“ und diskursiver „metagovernance“ als den drei aufeinander verweisenden Ebenen des Regierens spricht.

  3. Außerdem liegt der Fokus in den folgenden Ausführungen auf dem Zusammenhang zwischen Governance-, Staats- und Demokratiekonzeptionen innerhalb der jeweiligen Grundverständnisse, während Sørensen u. Torfing (2005) eine Trennung zwischen „theories of network governance“ und „theoretical approaches to post-liberal democracy“ vornehmen, die leider teilweise keinerlei Kontinuität, teilweise hingegen nahezu Identität zwischen den jeweiligen Zuordnungen mit sich bringt.

  4. So wird die Norm der Blutrache als „offensichtliches Beispiel“ (vgl. Mayntz 2002, S. 119) für die Systemschädlichkeit einer ‚geltenden‘ Norm angeführt. Nun gibt es gewiss Gründe dafür, die Norm der Blutrache nicht als eine zu vertreten, welche in einer guten Gesellschaft Geltung haben sollte. Doch ihre Dysfunktionalität für die Hyperstabilität von Systemstrukturen in Gesellschaften, wo sie soziale Geltung besitzt, ist eine ganz andere Frage.

  5. Der Rekurs auf Parsons’ Systemtheorie bei Mayntz ist insofern vielsagend, als dort (wie auch in Durkheims Theorie der Arbeitsteilung) ausdifferenzierte Systeme als nationalstaatlich integrierte Systeme beschrieben werden. Bei Scharpf finden die Kosten-Nutzen-Kalküle einen Halt an „‚Wir-Identitäten‘ auf mehreren Ebenen (…) – Familien, unterschiedliche Arten von Gruppen und Organisationen und politische Gemeinwesen von der Gemeinde bis zum Nationalstaat“, denn „jede dieser Identitäten kann in bestimmten Kontexten als primäre Zurechnungseinheit für Kosten und Nutzen dienen und so die handlungsrelevanten Interessen definieren, und je stärker normativ akzentuiert die Identifikation ist, desto eher werden kollektivdienliche Leistungen freiwillig erbracht und Entscheidungen auch dann akzeptiert, wenn sie dem unmittelbaren Eigeninteresse zuwiderlaufen“ (Scharpf 1993, S. 26). Diese Aussage mutet insbesondere dann befremdlich an, wenn man ihr Scharpfs außerordentliche Skepsis gegenüber der Gemeinwohlfähigkeit von demokratischen Mehrheitsentscheidungen gegenüberstellt (Scharpf 1994, S. 385–386, 1992, S. 97–99).

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Haus, M. Governance-Theorien und Governance-Probleme: Diesseits und jenseits des Steuerungsparadigmas. Polit Vierteljahresschr 51, 457–479 (2010). https://doi.org/10.1007/s11615-010-0023-y

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