Kriminalität ist ein fester Bestandteil unseres Alltags. Allerdings sind die individuellen Erfahrungen mit ihr sehr unterschiedlich. So sind viele von uns nicht unmittelbar oder nur beiläufig durch sie betroffen. Der individuelle Erfahrungshintergrund speist sich in diesen Fällen im wesentlichen aus (medial) vermittelten Informationen, die fast zwangsläufig zu einem wenig differenzierten und in verschiedener Hinsicht verzerrten Verständnis von Kriminalität beitragen. Andere kommen aufgrund ihrer privaten oder beruflichen Lebensumstände mit Delinquenz vereinzelt oder auch häufiger in Kontakt und verfügen daher über ein persönliches, jedoch zumeist eher selektives Erfahrungswissen. Schließlich führt eine berufliche Auseinandersetzung mit Kriminalität in aller Regel zu einer systematisch(er)en Problemsicht, die - über akzidentelle persönliche und berufliche Erfahrungen hinaus - zusätzlich durch berufsbezogenes Wissen strukturiert wird. Dennoch wird auch in diesen Fällen Kriminalität aus einer mehr oder weniger spezifischen Perspektive betrachtet [1, 6, 7].

Ungeachtet solch persönlicher Erfahrungen und interindividuell unterschiedlichen Wissens ist eine grundsätzliche Verständigung über Kriminalität zwischen Laien und Experten durchaus möglich. Insofern muss das hierfür erforderliche, bereichsspezifische Wissen zumindest rudimentäre Gemeinsamkeiten aufweisen [5, 9]. Ziel der hier vorgestellten explorativen Untersuchung ist es, interindividuelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Strukturierung des Begriffsfeldes “Kr i minalität” deskriptiv zu erfassen. Dabei wird erwartet, dass sich - über eine gemeinsame Grundstruktur des Begriffsfeldes hinaus - erfahrungsabhängige Unterschi e de aufzeigen lassen.

Wir möchten im Folgenden einen methodischen Zugang zu subjektiven Begriffsstrukturierungen vorstellen, der trotz seiner Einfachheit einige interessante Eigenschaften aufweist. Es handelt sich um den einfachen Paa r vergleich [3]: Probanden werden gebeten, für jedes Paar einer Liste von Delikten eine spontane Angabe zur Ähnlichkeit zu machen. Diese Ähnlichkeitsurteile liefern dann über geeignete Auswertungstechniken Hinweise auf die Differenziertheit der begrifflichen Struktur und geben indirekt Auskunft über die subjektiven Dimensionen der Beurteilung von Delikten.

Dieses Verfahren ist zunächst so offen und voraussetzungsarm, dass sowohl Laien als auch Experten in gleicher Weise instruiert werden können und dann aufeinander beziehbare vergleichbare Datenstrukturen liefern. Bei der Nutzung fokussierterer Methoden (etwa strukturierter Interviews) entsteht gerade bei Laien/Experten-Vergleichen üblicherweise das Problem, eine für beide Gruppen angemessene Sprache zu finden. Zudem entsteht durch das Benennen von relevanten Urteilsdimensionen in solchen Verfahren das Problem, dass diese Urteilsdimensionen für verschiedene Gruppen im Alltag unterschiedlich salient sind. So können mögliche Unterschiede in der spontanen Reaktion auf Delikte wie Einbruch, Hausfriedensbruch oder Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte durch strukturierte Befragungen verdeckt werden.

Insofern ähnelt die Paarvergleichsmethode stark aktuellen Versuchen vor allem der Persönlichkeits- und Sozialpsychologie mit Hilfe von Paradigmen der Kognitionspsychologie („implizite Messverfahren”; z.B. [11]) indirekt Aufschluss über interne Überzeugungs- und Wissensrepräsentationen zu erhalten. Gleichwohl muss man konstatieren, dass bei diesen Verfahren wiederum vielfach Modellvorstellungen eine Rolle spielen, die möglicherweise für unser Untersuchungsthema unangemessen simplifiziert sind. Stark vereinfacht wird häufig davon ausgegangen, dass die Wissensinhalte aufgrund wiederholter gemeinsamer Aktivierung miteinander assoziativ vernetzt sind. Wird nun einer dieser Inhalte aktiviert oder abgerufen, so wirkt sich dies auch auf die Zugänglichkeit der mit ihm vernetzten übrigen Inhalte aus. Welche Informationen jeweils salient sind und welche Assoziationen hierdurch implizit oder explizit aktiviert werden, hängt dabei sowohl vom situativen Kontext als auch vom individuellen Erfahrungshintergrund ab. Es wäre jedoch eine fragliche Annahme, davon auszugehen, dass Delikttypen so klar konturiert im semantischen Gedächtnis vor allem bei Laien repräsentiert sind, dass die Nennung eines Deliktes automatisch die Assoziation eines anderen nach sich zieht. Gleichwohl kann man davon ausgehen, dass auch Laien die rechtlichen Begrifflichkeiten kennen und sie auf Urteilsdimensionen beziehen können. Vor diesem Hintergrund lässt sich der Paarvergleich kognitionspsychologisch so rekonstruieren, dass das Ähnlichkeitsurteil eine Funktion davon ist, wie leicht sich Merkmalsüberlappungen durch die beiden „Schlüsselreize” (also die Deliktbezeichnungen) abrufen lassen.

Methode

Untersuchungsteilnehmer

Um einen unterschiedlichen Erfahrungshintergrund der zu untersuchenden Personen sicherzustellen, erschien es sinnvoll, Experten und Laien miteinander zu vergleichen, für die aufgrund ihres privaten und beruflichen Umfeldes begründeterweise unterschiedliche Erfahrungen im Umgang mit Kriminalität zu erwarten sind. Als Laien fungierten Studierende der Philosophischen Fakultät (N = 312; Durchschnittsalter = 23.9 Jahre), die an der Universität Münster überwiegend in den Fächern Erziehungswissenschaften und Psychologie eingeschrieben waren. Bei ihnen war davon auszugehen, dass sich ihr Wissen über Kriminalität vor allem aus (medial) vermittelten Informationen und nur im Einzelfall aus persönlichen Erfahrungen ableitet. Als Experten fungierten Angehörige zweier unterschiedlicher Berufgruppen: Die erste bestand aus Rechtsreferendaren (N = 360; Durchschnittsalter = 28.8 Jahre), die in Nordrhein-Westfalen zum Zeitpunkt der Untersuchung die Wahlstation Strafrecht durchliefen. Die zweite Gruppe bestand aus Polizeibeamten (N = 159; Durchschnittsalter = 39.4 Jahre), die in Bayern und Nordrhein-Westfalen im Rahmen von Weiterbildungsmaßnahmen an dieser Untersuchung teilnahmen.Footnote 1

Instrument

Die Datenerhebung erfolgte mittels eines vollständigen Paarvergleichs, in dem insgesamt zwölf strafrechtlich relevante Delikte miteinander verglichen wurden. Die Aufgabe der Teilnehmer bestand darin, jeweils auf einer Skala von “0 = überhaupt nicht ähnlich” bis “4 = sehr ähnlich” anzugeben, wie sehr sich die beiden zu vergleichenden Straftaten ähneln. Welche Kriterien bei diesen Vergleichen anzulegen sind, blieb den Teilnehmern überlassen. Insofern handelt es sich um einen indirekten Ansatz, bei dem die individuellen Wissens- und Überzeugungsstrukturen des einzelnen zum Tragen kommen, ohne dass durch die Erhebung der Antwortgenerierungsprozess stark gelenkt wird. Zudem werden keine Kenntnisse juristischer Begrifflichkeiten vorausgesetzt, die einen Vergleich zwischen Laien und Experten von vorneherein problematisch machen würden.

Die Delikte waren zuvor in Zusammenarbeit mit einem Kriminologen im Hinblick auf ein möglichst hohes Maß an Heterogenität und unter Berücksichtigung verschiedener Kriterien (z.B. “Rechtsgutverletzung”) ausgewählt worden.Footnote 2Im Einzelnen handelte es sich hierbei um Einbruchsdiebstahl, Hausfriedensbruch, Körperverletzung, Landesverrat, Raub, Steuerhinterziehung, Trunkenheit im Verkehr, Unterlassene Hilfeleistung, Unterschlagung, Vergewaltigung, Wahlfälschung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte.

Die für einen vollständigen Paarvergleich benötigten 66 Deliktpaare wurden in fester Reihenfolge mittels eines für alle Untersuchungsteilnehmer gleichen Erhebungsbogens vorgegeben.Footnote 3Abb. 1 zeigt einen Ausschnitt aus dem verwendeten Erhebungsbogen.

Abb. 1:
figure 1

Vollständiger Paarvergleich - 12 Delikte

Daten

In einem ersten Schritt wurden die 66 vorgenommenen Vergleiche jedes Untersuchungsteilnehmers in eine individuelle Ähnlichkeitsmatrix übertragen. In einem zweiten Schritt wurden diese individuellen Matrizen dann je Berufsgruppe in einer gemeinsamen Matrix zusammengefasst. Die drei sich auf diese Weise ergebenden berufsgruppenspezifischen Ähnlichkeitsmatrizen wurden anschließend normiert (0 = maximale Unähnlichkeit; 1 = maximale Ähnlichkeit) und dienten im Weiteren als Datenbasis für die durchzuführenden Analysen.

Strukturanalysen

Zur Beantwortung der eingangs gestellten Frage nach interindividuellen Gemeinsamkeiten und Unterschieden in der Strukturierung des Begriffsfeldes “Kriminalität” bot es sich an, auf zwei Verfahren zurückzugreifen, die eine Interpretation der Paarvergleichsdaten ermöglichen, ohne beim Leser umfangreiche formale statistische Kenntnisse vorauszusetzen: die (nonmetrische) Multidimensionale Skalierung (MDS) und die hierarchische Clusteranalyse [3].

Die MDS ist ein grafisches Verfahren, bei dem (Un-) Ähnlichkeiten zwischen Objekten (hier: Delikten) als Distanzen zwischen Punkten im mehrdimensionalen Raum dargestellt werden. Einander ähnliche Objekte werden jeweils durch benachbarte, unähnliche durch auseinander liegende Punkte repräsentiert. Die Position eines Objektes im Raum ergibt sich dabei aus dem Gesamt seiner Beziehungen zu allen übrigen Objekten. Gleichzeitig soll die Anzahl der für die Repräsentation einer Konfiguration benötigten Dimensionen möglichst gering sein.

Während die MDS demnach die jeweilige Gesamtstruktur widerspiegelt, ermöglicht es die hierarchische Clusteranalyse nachzuvollziehen, wie Objekte (Delikte) aufgrund ihrer Ähnlichkeit Schritt für Schritt zu Gruppen (Clustern) zusammengefasst werden. Dieses Vorgehen wird durch ein Dendrogramm (eine Baumstruktur) veranschaulicht: Anfangs wird jedes Objekt als eigenständiges Cluster betrachtet. Im ersten Schritt werden dann die beiden Objekte, die sich am ähnlichsten sind, zu einem Cluster zusammengefasst. In den weiteren Schritten werden in gleicher Weise Objekte bzw. Cluster mit anderen Objekten oder Clustern zusammengefasst bis alle ein übergreifendes Cluster bilden. Die Ähnlichkeit zwischen den unmittelbar miteinander verbundenen Clustern wird dabei grafisch durch entsprechende Distanzen wiedergegeben, d.h., ähnliche Cluster werden durch kurze, unterschiedliche durch längere Verbindungslinien zu einem hierarchisch übergeordneten Cluster verbunden.

Vergleicht man beide Verfahren im Hinblick auf die Interpretierbarkeit der Ergebnisse, so legt die hierarchische Baumstruktur der Clusteranalyse eine inhaltliche Interpretation vielfach unmittelbar nahe. Demgegenüber liefert die MDS nur ein Streudiagramm, das die Ähnlichkeit zwischen den verschiedenen Objekten (Delikten) durch unterschiedliche Abstände zwischen ihnen widerspiegelt. Es bleibt in diesem Fall dem Leser überlassen, die Konfiguration im Sinne von Gemeinsamkeiten und Unterschieden zu deuten. Allerdings gibt es typische regionale Konfigurationen [3], die eine Interpretation erleichtern. Ihre Identifikation gelingt vergleichsweise problemlos, wenn (laien-) theoretische Annahmen eine entsprechende Gruppierung der analysierten Objekte nahelegen. Dabei können vielfach gerade solche Objekte eine räumliche Differenzierung erleichtern, die inhaltlich komplex sind und insofern als “Grenzfälle” für die Trennung zwischen Regionen betrachtet werden können.

Ergebnisse

Nachfolgend werden, jeweils getrennt für Studenten, Rechtsreferendare und Polizisten, die Ergebnisse von Clusteranalyse und Multidimensionaler Skalierung wiedergegeben. Dabei boten sich für die explorative MDS zwei Delikte als “Grenzfälle” zur inhaltlichen Strukturierung an: Raub und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Beide sind in den Baum- und den Streudiagrammen durch Ellipsen gekennzeichnet. Bei Raub handelt es sich strafrechtlich um ein Delikt, das sowohl gegen die Person (körperliche Unversehrtheit) als auch gegen das Eigentum gerichtet ist. Sollte bei den hier analysierten Paarvergleichen eine Unterscheidung dieser beiden Rechtsgüter (intuitiv oder explizit) eine Rolle gespielt haben, wäre eine entsprechende regionale Trennung der Delikte zu erwarten, und Raub sollte auf die Trennlinie zwischen diesen Regionen fallen.

Während diese erste Differenzierung aus juristischer Sicht naheliegend erschien, war die zweite eher “alltagstheoretisch” begründet und deutlich spekulativer. Demnach sind Vollstreckungsbeamte einerseits, ebenso wie jeder andere Staatsbürger, als Einzelpersonen zu betrachten. Andererseits vertreten sie in ihrer Rolle als Ordnungshüter die Interessen der Allgemeinheit und markieren insofern die Schnittstelle zwischen Individuum und Gesellschaft. Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte könnte daher sowohl als ein Delikt gegen individuelle wie auch gegen gesellschaftliche Interessen verstanden werden und dementsprechend die Grenze zwischen konkreten und anonymen Opferinteressen markieren.

Auf der Grundlage dieser Überlegungen haben wir versucht, eine entsprechende regionale Aufteilung der Skalierungsergebnisse vorzunehmen. Darüber hinaus wurden diejenigen Cluster in die Streudiagramme der MDS übertragen, die in den hierarchischen Clusteranalysen als deutlich voneinander getrennt ausgewiesen waren.

• Studenten. Die Abbildungen 2 und 3 fassen zunächst die Strukturanalysen für die Stichprobe der Studenten zusammen. Die hierarchische Clusteranalyse (Abb. 2) weist hier zwei deutlich voneinander getrennte Cluster aus, die aus vier bzw. acht Delikten gebildet werden; dabei setzt sich das kleinere Cluster aus den Delikten Landesverrat, Steuerhinterziehung, Unterschlagung und Wahlfälschung zusammen. Beide Cluster finden eine Entsprechung in der horizontalen Aufteilung des zweidimensionalen MDS-Raumes (Abb. 3), die zwischen anonymen / allgemeinen (links) und individuellen / konkreten Opfern (rechts) trennt und durch den Objektpunkt verläuft, der das Delikt “Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte” repräsentiert. Darüber hinaus gestattet die zweite, vertikale Aufteilung des Streudiagramms eine Trennung zwischen eigentums- und nicht-eigentumsbezogenen Delikten. Auch hier ist es möglich, die Trennlinie durch den als Grenzfall angenommenen Objektpunkt “Raub” zu ziehen.

Abb. 2
figure 2

: Hierarchische Clusteranalyse, Ward-Methode (SYSTAT Version 10); Studenten (N=312)

Abb. 3
figure 3

: Nonmetrische Multidimensionale Skalierung (SYSTAT Version 10); Studenten (N=312)

• Rechtsreferendare. Für die Stichprobe der Rechtsreferendare ergab sich ein ähnliches, wenngleich etwas differenzierteres Bild. Neben den bereits in der ersten Analyse erwähnten vier Delikten ließen sich im vorliegenden Fall drei weitere Cluster deutlich voneinander trennen (Abb. 4). Dabei war “Raub” den Delikten Körperverletzung und Vergewaltigung, “Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte” den Delikten Trunkenheit und Unterlassene Hilfeleistung zugeordnet. Auch für diese Stichprobe ergab die MDS eine, der vorherigen vergleichbare Deliktsstruktur (Abb. 5), in der “Raub” und “Widerstand” wiederum als Grenzfälle auf den jeweiligen Trennlinien lokalisiert werden konnten.

Abb. 4
figure 4

: Hierarchische Clusteranalyse, Ward-Methode (SYSTAT Version 10); Rechtsreferendare (N=360)

Abb. 5
figure 5

: Nonmetrische Multidimensionale Skalierung (SYSTAT Version 10); Rechtsreferendare (N=360)

• Polizeibeamte. Auch für die zweite Expertengruppe ergab sich ein etwas differenzierteres Bild als für die studentische Stichprobe. Wie bereits für die Rechtsreferendare wies die hierarchische Clusteranalyse für die Polizeibeamten vier klar trennbare Cluster aus (Abb. 6). In diesem Fall bildeten jedoch “Raub” und “Widerstand” ein gemeinsames Cluster mit den Delikten Körperverletzung und Vergewaltigung. Darüber hinaus gestattete die MDS es nicht, “Widerstand” als einen Grenzfall für die Trennung zwischen anonymen / allgemeinen und individuellen / konkreten Opfern zu interpretieren (Abb. 7). Vielmehr war “Widerstand” eindeutig im Bereich der individuellen / konkreten Opfer platziert.

Abb. 6
figure 6

: Hierarchische Clusteranalyse, Ward-Methode (SYSTAT Version 10); Polizeibeamte (N=159)

Abb. 7
figure 7

: Nonmetrische Multidimensionale Skalierung (SYSTAT Version 10); Polizeibeamte (N=159)

Zusammenfassung und Diskussion

Die zuvor erläuterten Ergebnisse unserer berufsgruppenspezifischen Strukturanalysen lassen sich punktuell wie folgt zusammenfassen:

(1) In dieser Studie war es möglich, Experten- und Laienurteile anhand derselben Basisdimensionen zu strukturieren. So gelang zum einen eine Trennung zwischen eigentums- und nicht-eigentumsbezogenen Delikten. Zum anderen konnte zwischen anonymen / allgemeinen und individuellen / konkreten Opfern unterschieden werden. Beide Differenzierungen erwiesen sich über die drei Berufsgruppen hinweg als sehr robust.

(2) Die von den Experten vorgenommenen Deliktsvergleiche lassen eine stärker ausg e prägte Binnenstruktur erkennen: Während die hierarchische Clusteranalyse für die Studenten zwei deutlich voneinander getrennte Cluster auswies, ergaben sich sowohl für die Rechtsreferendare als auch für die Polizeibeamten vier solcher Cluster. Einschränkend ist jedoch zu sagen, dass es sich hierbei um eine deskriptive, statistisch nicht weiter abgesicherte Differenzierung handelt.

(3) Bei näherer Betrachtung der Dendrogramme zeigte sich ferner, dass StudentenRaub” ganz offensichtlich vorrangig mit Eigentum assoziieren (Einbruchsdiebstahl, Hausfriedensbruch). Demgegenüber ist für die Expertengruppen ein engerer Zusammenhang mit Delikten gegen die Person (Vergewaltigung, Körperverletzung) erkennbar. Dieser Unterschied lässt sich nicht durch das insgesamt etwas geringere Durchschnittsalter der Studenten erklären, denn auch die hier untersuchten “Experten” sind den Gruppen des unteren und mittleren Erwachsenenalters zuzurechnen. Denkbar ist allerdings, dass sich für ältere Probandengruppen (Senioren) aufgrund einer erhöhten Vulnerabilität [10] erheblich engere Beziehungen zwischen “Raub” und anderen Delikten gegen die Person identifizieren lassen.

(4) Schließlich wies die Deliktsstruktur auch Unterschiede zwischen beiden Expertengruppen auf. So ergaben sich für “Raub” und “Widerstand” für Rechtsreferendare und Polizeibeamte jeweils abweichende Zuordnungen zu spezifischeren Clustern. Darüber hinaus ließ auch die MDS der zwölf Delikte für Polizeibeamte eine abweichende Lokalisierung von “Widerstand” erkennen. Insbesondere der letztgenannte Unterschied legt eine erfahrungs- und berufsbezogene Interpretation der Deliktsvergleiche nahe: Polizeibeamte sind durch ihre Tätigkeit bei Einsätzen einem erhöhten Verletzungsrisiko ausgesetzt. Insofern ist sowohl die enge Assoziation von Widerstand und Körperverletzung als auch die Lokalisation von Widerstand in dem Bereich individueller / konkreter Opferwerdung nachvollziehbar: Während Außenstehende Polizeibeamte oft als Vertreter der (anonymen) Staatsmacht sehen, dürften letztere sich aufgrund ihrer unmittelbaren Involviertheit in Konflikte vor allem als persönlich Betroffene verstehen.

Unsere Studie zeigt insgesamt, dass selbst mit Hilfe einfacher, nicht weiter reglementierter Deliktsvergleiche Aufschluss über die individuelle und berufsgruppenspezifische Strukturierung des Begriffsfeldes “Kriminalität” gewonnen werden kann. Es drängen sich eine ganze Reihe von Anschlussuntersuchungen auf. Zum Beispiel kann experimentell untersucht werden, inwieweit tatsächlich die unterschiedliche Salienz bestimmter Urteilsmerkmale und -dimensionen zu den Strukturen beigetragen haben. Durch vorangestellte Kontexte („Priming”) können unaufdringlich bestimmte Gesichtspunkte salient gemacht werden und sollten dann stärker die Ähnlichkeitsurteile determinieren. Zum anderen kann die Validität der mit der Paarvergleichsmethode gewonnenen Daten darüber getestet werden, inwieweit sich spontane Strafzumessungen für die Delikte aus den Ähnlichkeitsdimensionen vorhersagen lassen. So dürfte die deutlich unterschiedliche Einordnung des Deliktes „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte” bei Laien und Polizeibeamten in deutlich unterschiedlichen Strafzumessungen resultieren.

Abschließend sollen zwei Eigenschaften der Methode herausgehoben werden, die nicht mit ihrem unmittelbaren Nutzen zu tun haben. Zum einen kann die Methode möglicherweise den Einstieg in komplexere Befragungen erleichtern. So berichteten unsere Untersuchungsteilnehmer, dass sie trotz anfänglicher Reaktanz gegenüber der Anforderung, sehr unterschiedliche Delikte ohne näher spezifizierte Kriterien miteinander zu vergleichen, zunehmend differenzierte – individuell als relevant erachtete – Kriterien bei den von ihnen geforderten Vergleichen angelegt haben. Dieses Vorgehen entspricht durchaus der auch im Alltag eingesetzten Strategie, Problemanalysen erst bei Bedarf auf eine differenziertere Ebene zu verlagern. Im Hinblick auf die Praxis, Probanden bei Interview- und Umfragestudien vergleichsweise unvorbereitet nach oft komplexen Sachverhalten zu befragen, stellt sich insofern die Frage, ob es im Interesse gültiger Ergebnisse nicht besser wäre, der eigentlichen Befragung eine dem hier verwendeten Paarvergleich vergleichbare Aufgabe voranzustellen, die es dem Befragten gestattet, die für die nachfolgende Befragung relevanten Wissensinhalte und Informationen zu (re-)aktivieren.

Zum anderen scheinen uns Methode und Ergebnis leicht kommunizierbar, so dass sie sich in Schulungszusammenhängen abseits von Wissenschaft im engeren Sinne gut einsetzen lassen: Es ist zunächst auch für wissenschaftliche Laien ein einfach zu vermittelnder Gedanke, dass unsere Alltagseinschätzungen und Beurteilungen vor dem Hintergrund aktuell zugänglicher und subjektiver Wissens- und Überzeugungsstrukturen erfolgen. Es ist dann unmittelbar evident, dass der Paarvergleich bei der Erfassung dieser Strukturen nur minimal lenkend ist und insofern die typischen Probleme reaktiver Messungen (vgl. beispielsweise [1, 4, 8]) weitgehend vermieden werden. Die abgeleiteten Ergebnisse – also die Cluster-Baumstrukturen und die Skalierungsergebnisse – sind ebenfalls leicht nachzuvollziehen. Vor dem Hintergrund klarer und sich aufdrängender Strukturierungen, die für die Gruppen jeweils identisch sind, haben dann Unterschiede im Detail – wie etwa derjenige für die Distanz von Widerstand und Körperverletzung – durchaus einen Überraschungswert, der zum wechselseitigen Verständnis von gesellschaftlichen Gruppen beitragen kann.