Zusammenfassung
Der Beitrag untersucht die kommunale Aufnahme von Geflüchteten anhand von Beispielen aus dem ländlichen Raum Sachsens und Baden-Württembergs. Die Analyse basiert auf einer wissenssoziologischen Perspektive, ausgerichtet auf kollektive Orientierungs- und Argumentationsmuster. Sie verfolgt die Hypothese, dass zwischen Einstellungen gegenüber Fremden und lokalen Praktiken hinsichtlich der Aufnahme, Unterbringung und Integration von Geflüchteten ein Zusammenhang besteht. Die Ergebnisse bestätigen die Hypothese und geben in Form einer Typisierung Hinweise auf die Entstehung der lokalen Willkommenskulturen: Diese basieren einerseits auf lokalspezifischen strukturellen Rahmenbedingungen und kollektiven Erfahrungen, andererseits auf unterschiedlichen Vorstellungen von lokaler governance.
Abstract
The article examines the communal reception of refugees using examples from the rural areas of Saxony and Baden-Württemberg, Germany. The analysis is based on approaches from sociology of knowledge, focusing on collective patterns of orientation and argumentation. As a central hypothesis, the article assumes that there is a connection between attitudes towards strangers and local practices concerning the reception, accommodation and integration of refugees. The results confirm the hypotheses and, by creating a typology, point to differentiating aspects in the emergence of a local welcoming culture. These are based on structural features and collective experiences of the locality as well as on different approaches towards local governance.
Notes
Zur Migrationsgeschichte der DDR vgl. z. B. Bade und Oltmer (2004).
Der Vergleich hat deutliche methodische Grenzen, da weitere Vergleichshorizonte fehlten, etwa ein intraregionaler Vergleich. Zudem konnten nicht in beiden Regionen Interviews mit Personen auf genau der gleichen Akteursebene durchgeführt werden. Dies ist insbesondere dem Umstand geschuldet, dass das Forschungsprojekt mit Eigenmitteln und der Unterstützung einer Studentin durchgeführt wurde und der zeitliche Vorlauf und Ablauf weder für ein systematischeres sample noch längere Feldaufenthalte ausreichte. Daher sind unsere Ergebnisse als erste Exploration zu bewerten, die sich in ihren phänomenologischen Aussagen jedoch inzwischen durch andere Studien validieren lassen.
Die Interviews wurden von der Studentin Anna Sonntag im Rahmen ihrer Bachelorarbeit in den Monaten November und Dezember 2015 durchgeführt.
Allerdings bleibt es eine offene Forschungsfrage, wie Relevanzen der Privatperson in berufliches Handeln und die Aussagen in einem Expert/innen-Interview einfließen.
Gegenstände des verwendeten Frageleitfadens waren die Historie des Standortes hinsichtlich der Unterbringung von Geflüchteten, die vor Ort vorfindbare Akteurskonstellation, die Einschätzung des lokalen Integrationspotenzials, die Schilderung von existierenden und bewältigten Problemen und langfristigen Konsequenzen daraus sowie die Äußerung von Wünschen für die zukünftige Entwicklung.
Zieht man hinzu, dass in Fallbeispiel A Personen der öffentlichen Verwaltung befragt wurden, deren berufliches Aufgabengebiet hier liegt, im Fallbeispiel B auch Vertreter/innen von NGOs, zeichnet sich hier eine interessante Fragestellung hinsichtlich der Zuständigkeiten ab, die jedoch auf Basis des hier verwendeten Datenmaterials nicht zufriedenstellend weiterverfolgt werden kann. Siehe dazu auch die Anmerkungen unter Abschn. 3.3.
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Glorius, B., Schondelmayer, AC. Perspektiven auf Fluchtmigration in Ost und West. Z Vgl Polit Wiss 12, 75–92 (2018). https://doi.org/10.1007/s12286-017-0368-3
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