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Gut beraten? Die Online-Konsultationen der EU Kommission

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Zeitschrift für Politikberatung

Zusammenfassung

Findet in den Online-Konsultationen der EU-Kommission (externe) Politikberatung im Sinne von policy advice statt? In Absetzung von Lobbying wird zunächst ein Begriff (externer) Politikberatung entwickelt. Politikberatung liegt dann vor, wenn nicht-staatliche Akteure (a) ihre Positionen argumentativ in den politischen Prozess einspeisen und sich dadurch (b) die Wissensverteilung bei den beratenen Akteuren im Sinne von Pareto-Superiorität verbessert. Die formalen Rahmenbedingungen von Online-Konsultationen der EU-Kommission werden dann als ein innovatives, demokratiekompatibles Instrument europäischer Politikberatung gewürdigt und empirisch untersucht: Wer beteiligt sich? Welche Qualität haben die Stellungnahmen unterschiedlicher Akteurstypen? Wie geht die Kommission mit den eingegangenen Positionen und Vorschlägen um?

Abstract

Are the online consultations of the EU commission an instrument for policy advice? In contrast to lobbying, policy advice from non-state actors takes place, if they (a) bring up their positions in a deliberative mode, and if this is (b) the cause for a pareto-superior distribution of knowledge on the advised-side. The formal framework of the Commission’s online consultations is appreciated as an innovative instrument of policy advice which is compatible with democratic aspirations. Three empirical questions are raised: Who participates in these online consultations? What is the deliberative quality of the contributions of different types of actors? How is the Commission dealing with the incoming positions and recommendations?

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Schaubild 1

Notes

  1. Online-Konsultationen sind ein zentraler Gegenstand in unserem Mannheimer Forschungsprojekt zur „Demokratisierung der EU durch zivilgesellschaftliche Einbindung“ (DEMOCIV) gewesen. Entsprechend habe ich außerordentlich von den intensiven Diskussionen mit meinen Kolleginnen profitiert, vor allem mit Barbara Finke, Christine Quittkat und Janina Thiem und unserer Projektleiterin Beate Kohler. Beate Kohler, Janina Thiem und den Gutachtern der ZPB danke ich zudem für wertvolle Hinweise zu einer früheren Fassung des Textes.

  2. Ihnen können sicherlich jenseits von Expertise andere wichtige Funktionen zugeschrieben werden. So können derartige expressive Stellungnahmen politische Akzeptanz oder Kritik signalisieren, die auch ein Hinweis dafür sein können, wie sich diese Akteure später zu entsprechenden Politiken verhalten werden.

  3. Wenn beispielsweise in einem Konsultationsverfahren der Kommission über eine Veränderung der Richtlinie zum Umgang mit Titaniumdioxidabfällen beraten wird, sollten wir erwarten, dass auch aus der entsprechenden Industrie anspruchsvolle Expertise kommt. Aber auch bei weniger speziellen Fragen sollte dies regelmäßig erwartet werden: Wenn etwa nach den Folgen/Kosten bestimmter Regelungen oder Prozesse für bestimmte Industriezweige gefragt wird, dann ist zu erwarten, dass auch betroffene Unternehmen in diesen Fragen Experten sind bzw. sein können.

  4. Oder wie es im Weißbuch Europäisches Regieren selbstkritisch heißt: „Oft ist nicht klar erkennbar, wer eigentlich die Entscheidungen trifft – Sachverständige oder Politiker. Zudem werden Inhalt und Objektivität der Expertenempfehlungen von einer besser informierten Öffentlichkeit zunehmend in Zweifel gezogen.“ (Kommission, 2001: 25).

  5. Siehe hierzu die grundlegende Mitteilung zur besseren Rechtsetzung (Kommission, 2002a: 2f.) sowie die Kommissionsseite zum Instrument der Folgenabschätzungen: http://ec.europa.eu/governance/impact/docs/key_docs/com_2002_0275_en.pdf.

  6. Hier wird ein enger Begriff von Komitologie verwendet, der sich auf Implementationsausschüsse beschränkt (ähnlich: Huster, 2008: Kap. 2). Die Einbindung zivilgesellschaftlicher Akteure in Komitologieausschüsse widerspricht dem depolitisierten ‚Geist’ dieser Ausschüsse und ist deshalb gering (siehe Bergström, 2005: 29.ff.). In seltenen Fällen werden Experten beteiligt, ansonsten musste bisher der Umweg über die nationalstaatlichen Vertreter gewählt werden. Durch die jüngst erhöhte Transparenz der Ausschüsse und vor allem durch die Stärkung der Kontrollfunktion des Europäischen Parlaments (Bradley, 2008) werden sich zukünftig weitere Ansatzpunkte für zivilgesellschaftliche Organisationen ergeben. Manchmal werden die in Gesetzgebungsverfahren eingebundenen Ausschüsse auf „Expertengruppen“ reduziert (siehe z.B. Huster, 2008). Es gibt tatsächlich aber eine ganze Reihe in ihrer Zusammensetzung sehr unterschiedliche ‚Ausschüsse’, die formell oder informell in die Gesetzgebungstätigkeit durch die Kommission eingebunden werden (siehe schon Guéguenund Rosberg, 2004).

  7. Für einen Überblick über die regulativen Agenturen in der EU, siehe etwa Majone (2006). Hier werden unter regulativen Agenturen die meisten der europäischen Gemeinschaftsagenturen verstanden, also alle der Kommission unterstehenden Verwaltungseinheiten mit politikspezifischen Aufgaben innerhalb der ersten Säule der EU. Ein Überblick über alle Gemeinschaftsagenturen findet sich unter: http://europa.eu/agencies/community_agencies/index_de.htm. Zumindest in einigen dieser Agenturen müssen bei bestimmten Gegenständen verpflichtend umfassende Konsultationen vorgenommen werden. Ein Beispiel dafür sind die Verfahren zur Risikobewertung innerhalb von Marktzulassungsverfahren für genetisch veränderte Lebensmittel.

  8. Die Unterscheidung formeller und informeller Prozesse und Institutionen der Einbindung zivilgesellschaftlicher Organisationen klingt klarer, als sie sich in der Praxis zeigt. Je mehr klare und verbindliche Vorgaben es darüber gibt, wer, wann, wie von der Kommission zu beteiligen ist und wie von ihr mit dem Input umzugehen ist, und je mehr dies auch praktisch umgesetzt wird, desto formeller ist ein Einbindungszusammenhang. Je weniger eine solche praktisch wirksame Einbindung auf solchen Vorgaben beruht, desto informeller ist sie.

  9. Drei Erläuterungen: Erstens erhebt das Schaubild in keiner Weise Anspruch auf Vollständigkeit. Es ist im Gegenteil selektiv. Für umfassendere Darstellungen, siehe Fazi und Smith (2006) oder Guéguen und Rosberg (2004). Zweitens soll keinesfalls suggeriert werden, dass die Hauptfunktion der genannten Institutionen in der Einbindung zivilgesellschaftlicher Organisationen besteht, noch dass in allen Ausprägungen dieser Institutionen eine solche Einbindung stattfindet. Behauptet wird nur: Es gibt in allen diesen Institutionen entsprechende Einbindungen. Drittens sind bestimmte Institutionen mehreren Feldern zugeordnet. Das liegt daran, dass beispielsweise unter den über 1200 konsultativen Ausschüssen und Expertengruppen sowohl stärker informelle als auch stärker formelle existieren (Gornitzka und Sverdrup, 2008).

  10. http://ec.europa.eu/yourvoice/

  11. Dabei handelt es sich um die Generaldirektionen Beschäftigung und Soziales (EMPL) und Gesundheit und Verbraucherschutz (SANCO).

  12. Großen Dank schulde ich Janina Thiem für ihre Unterstützung bei der Organisation und Durchführung dieser Fallstudie und Marija Krstanovic, die den größten Teil der Stellungnahmen codiert hat.

  13. Bei den vier Konsultationen handelt es sich um folgende: -Green Paper: “Modernising labour law to meet the challenges of the 21st century” (im Folgenden: ‚Arbeitsrecht‘); -Consultation on action at EU level to promote the active inclusion of the people furthest from the labour market (im Folgenden: ‚Arbeitsmarkt‘); -Green paper “Promoting healthy diets and physical activity: a European dimension for the prevention of overweight, obesity and chronic diseases” (im Folgenden: ‚Gesundheit‘); -Labelling: competitiveness, consumer information and better regulation for the EU (im Folgenden: ‚Kennzeichnung‘).

  14. Das genaue Untersuchungsdesign sowie die Verfahren der Fallauswahl, Stichprobenziehung und inhaltsanalytischen Untersuchung werden hier aus Platzgründen ausgespart. im weiterem Verlauf o.ä. werden – wo es nötig erscheint – konkrete Vorgehensweisen beschrieben.

  15. Die Generaldirektion SANCO nutzt Online-Konsultationen sehr viel häufiger als die Generaldirektion EMPL. Von den 70 durchgeführten Konsultationen entfallen 63 auf die GD SANCO, aber nur 7 auf die GD EMPL.

  16. Die Werte unterscheiden sich vor allem deshalb, weil in Tabelle 1 auch individuelle Stellungnahmen aufgeführt sind und daher die prozentualen Anteile der anderen Akteure etwas niedriger ausfallen. Zivilgesellschaftliche Assoziationen und die Wissenschaft sind die Akteure, deren Stellungnahmen in unserer Fallstudie inhaltsanalytisch untersucht wurden.

  17. Wenn man die beiden Konsultationen zum Arbeitsrecht und zur Einbindung arbeitsmarktferner Personen in den Arbeitsmarkt vergleicht, kann gezeigt werden, dass in der weniger politisierten Konsultation die Beteiligung der nationalen Verbände überproportional abnimmt.

  18. Für Ausführungen zu diesen drei bzw. vier Argumentationstypen, siehe auch Peters et al. (2007: 238-244)

  19. Eine Stellungnahme ist in diese Tabelle aufgenommen worden, wenn mindestens eine argumentative Positionierung des jeweiligen Typs vorgekommen ist.

  20. Die Überzeugungskraft von diskursiven Aussagen zielt darauf, ob die diskursiven Positionierungen Bürger/Betroffene überzeugen können. Formal hängt das im Wesentlichen von drei Fragen ab: In welchem Maße wird die (virtuelle) Leserschaft der Position, dem argumentativen Backing folgen können und die Berücksichtigung des relevanten Kontextes für angemessen halten? Bei der Codierung haben wir dann zwischen hoher, mittlerer oder geringer Überzeugungskraft unterschieden. Hohe Überzeugungskraft wurde codiert, wenn unsere Grobabschätzung erwarten lässt, dass mindestens eine qualifizierte Mehrheit sicher zustimmen würde. Niedrige Überzeugungskraft wurde dann codiert, wenn wir erwartet haben, dass selbst Minderheiten kaum von einer Aussage zu überzeugen sind oder selbst die eigene Anhängerschaft gute Gründe hat zu zweifeln etc. Gefragt wurde hier zudem nur nach der ‚Prima-facie’-Überzeugungskraft, d.h. wir nehmen in gewisser Hinsicht den guten Willen der Beteiligten an. Wenn beispielsweise auf empirische Erhebungen verwiesen wird oder auf rechtliche Regelungen, dann haben wir dies in der Regel nicht in Zweifel gezogen, sondern als richtig angenommen.

  21. Es lassen sich natürlich andere Einflusskanäle außerhalb der Konsultationen denken. Unter der Annahme, dass die relevanten Akteure in der Kommission die Stellungnahmen nicht alle selbst in Gänze zur Kenntnis nehmen, bleibt der Weg über die Auswertungsdokumente. Zum Teil werden diese von der Kommission selbst erarbeitet, zum Teil werden aber auch Externe mit der Auswertung der Stellungnahmen beauftragt.

  22. Das entspricht dem oben ausgeführten normativen Selbstverständnis der Kommission. Es wird aber auch als empirische Erwartung formuliert: „Sehr viel mehr als auf der nationalen Ebene, wo häufig die schiere Größe eines Verbandes oder die Lautstärke des Auftretens (politische) Wirkungen zeigt, hängt auf EU-Ebene erfolgreiche Einflussnahme von der argumentativen Stärke des vorgetragenen Standpunktes ab.“ (Strohmeier, 2007: 66f.).

  23. Nun könnte argumentiert werden, dass eine solche Entscheidungsmacht legitimer Weise außerhalb der Kommission anzusiedeln sei (im Rat oder im EP). Es kann aber durchaus auch bezweifelt werden, dass es sie andernorts faktisch gibt.

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Hüller, T. Gut beraten? Die Online-Konsultationen der EU Kommission. ZS Politikberatung 1, 359–382 (2008). https://doi.org/10.1007/s12392-008-0040-z

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