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Technische Normen und Standards – unterschätzte Größen im geopolitischen Machtwettbewerb

Technical Norms and Standards: Underestimated Variables in the Geopolitical Competition for Power

  • Essay
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Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

Globale Machtpolitik wird zunehmend – und immer tiefgreifender – geprägt durch die technologische Entwicklung (insbesondere 5G, Künstliche Intelligenz, Quantencomputing). Dabei sind Normung und Standardisierung wichtige Schauplätze, auf denen es darum geht, sich Vorteile vor der geopolitischen Konkurrenz zu verschaffen. Deshalb ist es von zentraler Bedeutung, dass sich Deutschland nicht aus diesen Handlungsfeldern zurückzieht, sondern Wege findet, sich aktiv mit eigenen Beiträgen zu beteiligen.

Abstract

Global power politics is increasingly – and even more profoundly – shaped by technological development (especially 5G, Artificial Intelligence, Quantum Computing), where standardisation is an important arena in which to gain advantage over geopolitical competition. Against this background, it is of critical importance that Germany does not withdraw from these fields of action but finds ways to actively participate with its own contributions.

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Notes

  1. Der Beitrag stellt eine ausgeweitete und ausformulierte Fassung der Einschätzung des Autors zum Thema Standardisierung in geopolitischer Perspektive dar, die er im Juni 2021 als Experte in einer öffentlichen Anhörung des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages erläuterte.

  2. Im vorliegenden Artikel wird, abweichend vom ZfAS-Standard, bei personenbezogenen Substantiven die männliche grammatikalische Form verwendet. Der Autor schließt damit Personen jeden Geschlechts gleichermaßen ein.

  3. Beispiele sind der weitgehend unbekannte Standardisierungssektor der Internationalen Fernmeldeunion (ITU-T), das European Telecommunication Standardisation Institute (ETSI) sowie zahlreiche Industriekonsortien.

  4. Einen Überblick über die ökonomisch positiven Effekte der Normung geben Blind et al. (2011, S. 18–19).

  5. Als ein solcher wurde Deutschland im Strategiepapier (5G-Strategie 2017) der Bundesregierung zur Einführung von 5G in der 18. Legislaturperiode bezeichnet (Die Bundesregierung 2017).

  6. Z. B. ist im Vorschlag der EU-Kommission zur Förderung des „Digitalen Europas der Zukunft“ für die Jahre 2021–2027 ein Volumen von 9,2 Mrd. €, darunter ein Budget von 2,5 Mrd. € für KI vorgesehen. Noch höher sind die Beträge, die in der Volksrepublik China und in den USA für diesen Zweck zur Verfügung gestellt werden.

  7. Eine recht einseitige Darstellung gab die Delegation der Volksrepublik China bei einem Treffen mit einer Präsentation zu „Intentional Weaknesses in Security Standards and Implemention“ am 6. Januar 2014 in Ottawa, in dem sie recht deutlich die US-National Security Agency beschuldigte, Internetstandards mit „Sollbruchstellen“, z. B. durch manipulierte Zufallszahlengeneratoren, zu versehen. Kurze Zeit zuvor versuchte die Volksrepublik allerdings ihrerseits, chinesische Kryptoalgorithmen obligatorisch für 5G-Anwendungen zu machen.

  8. Als Extrembeispiel ist hier der Dokumentenformatstandard OOXML zu nennen, der bei seiner Verabschiedung rund 6000 Seiten umfasst. Das liegt zwar deutlich über dem Durchschnitt, zeigt aber, was möglich sein kann, wenn es gewollt ist. Kritiker merkten dazu allerdings an, dass ein solcher Standard von Außenstehenden ohne Unterstützung des Standardsetzers nur äußerst schwer zu implementieren ist.

  9. Bei einer Normungsroadmap wird allerdings nur der subjektive Normungsbedarf festgelegt, jedoch keine einzige Norm selbst verabschiedet.

  10. Grundsätzlich hat jedes Land seine eigenen Normen. Auf internationaler Ebene entstandene Normen (z. B. bei der ISO) können in den sog. Nationalen Normenkatalog übernommen werden und beanspruchen dann nationale Geltung (z. B. bei Referenzierungen im Zuge öffentlicher Ausschreibungen). Bisherige nationale Normen, die der Übernommenen entgegenstehen, müssen zurückgezogen werden.

  11. Eine „Norm“ ist ein in einem formalen Normungsverfahren von einer anerkannten Normungsorganisation mit einem höchstmöglichen Konsens verabschiedete Spezifikation, die anschließend veröffentlicht wird. Im englischen Sprachgebrauch wird statt von „Norm“ von einem „De Jure Standard“ gesprochen.

  12. Dabei heißt „Konsens“ nicht notwendigerweise Einstimmigkeit, sondern ist z. B. in der Norm DIN EN 45020 (2006) definiert als „Zustimmung, die durch das Fehlen aufrechterhaltenen Widerspruches gegen wesentliche Inhalte seitens irgendeines wichtigen Anteils der betroffenen Interessen und durch ein Verfahren gekennzeichnet ist, das versucht, die Gesichtspunkte aller betroffener Parteien zu berücksichtigen und Gegenargumente auszuräumen“. Die Auslegung dieser Definition kann in der Praxis zu erheblichen Diskussionen führen.

  13. Hier gesteht das einschlägige Agreement on Technical Barriers to Trade (TBT-Abkommen) der WTO bei der Auslegung der Prinzipien einige Freiheiten zu, wenn der „formale Rahmen“ stimmt; d. h. dem Prinzip in den Regularien Rechnung getragen wurde.

  14. Beispiele für solche Standards sind PAL und NTSC bei den Fernsehstandards, Blue Ray Disc und HD DVD bei den DVD-Laufwerken sowie OOXML und ODF bei den Dokumentenformaten. Auf diese Weise wird aus einem Wettbewerb um den besten Standard ein Wettbewerb der Standards, d. h. der Produktwettbewerb der Unternehmen wird auf die Ebene der Standardisierung vorverlagert. Gerade im Digitalbereich sorgen dann die Netzwerkeffekte dafür, dass der Standard mit der höchsten Marktdurchdringung der Sieger ist, der dann „alles nimmt“.

  15. Hier zeigt sich, wie ein Detail große Auswirkungen in der Praxis haben kann, denn in dem Standard wurde festgelegt, dass das Zusammenspiel unterschiedlicher Frequenznutzungen durch den Mechanismus „Listen Before Talk“ geregelt werden sollten, was zu minimalen Zeitverzögerungen führte, während die Maschinenbauer Echtzeitanwendungen benötigten. Im Standardisierungsverfahren konnten sie sich jedoch nicht durchsetzen, da nicht geklärt werden konnte, ob ihr Widerspruch den allgemeinen Konsens aufhob.

  16. ETSI ist traditionell Bestandteil des europäischen Standardisierungssystems und damit berechtigt, sog. Harmonisierte Europäische Normen zu verabschieden, die nach dem „neuen Ansatz“ die (widerlegbare) Vermutung begründet, dass europäische Produktsicherheits- und Funkregulierungsvorgaben als Voraussetzung für den europäischen Marktzugang eingehalten wurden. Dieses als „neuer Ansatz“ bzw. „neuer Rechtsrahmen“ bekannte System dient der Entbürokratisierung und ist zentraler Bestsandteil der europäischen Standardisierungspolitik.

  17. Nach den ETSI-Regularien sind die „Stimmgewichte“ für Regierungen auf die Anzahl von höchstens 45 pro Regierung, je nach Höhe des BIP, beschränkt, während Unternehmen eine Einzelmitgliedschaft für jede ihrer internationalen Filialen wählen können und sich das Stimmgewicht am jeweiligen Umsatz der Filiale (und nicht des Konzerns) bemisst, also multipliziert werden kann.

  18. So anfällig sich die Situation bei ETSI letztendlich auch darstellen mag, auch andere Standardisierungsorganisationen eröffnen (allerdings deutlich geringere) Potenziale für die Beeinflussung von Mehrheitsverhältnissen, wenn dies mit einem gewissen Aufwand betrieben wird, wie z. B. durch die Wahl der Verfahrensart bei der ITU‑T. Dies ist dann die Stunde der Standardisierungsexperten, den Verfahrensweg und Verfahrensort zu wählen, der die Durchsetzung eigener Interessen am Besten verspricht.

  19. Dieser sog. Toolboxansatz setzt auf optionale Elemente für die Implementierung des Standards, z. B. wenn sich die Beteiligten nicht auf ein bestimmtes Verfahren einigen können, es regionale Unterschiede gibt oder eine bestimmte Technologie unbedingt aufgenommen werden soll.

  20. Bei der Kryptodiskussion von 1996 bis 1999 ging es im Kern darum, dass die US-Regierung flankiert von einer Reihe von US-Digitalunternehmen, eine massive politische Initiative startete, um einen Standard für Verschlüsselungsprodukte durchzusetzen, der die Hinterlegung der geheimen Schlüssel bei einer externen Stelle (vornehmlich in den USA) vorsah. Diese Stelle sollte den Schlüssel auf Anfrage an die jeweilige Strafverfolgungsbehörde aushändigen. Die Bundesregierung widersetzte sich dieser Initiative wegen erheblicher Souveränitätsprobleme von Anfang an und konnte sie schließlich gemeinsam mit anderen Regierungen zu Fall bringen.

  21. Innerhalb der Bundesregierung wurde bei der Bundesnetzagentur eine Koordinierungsstelle eingerichtet, um solche Unterstützung im Bedarfsfalle zu leisten und ein besseres Monitoring internationaler Standardisierungsaktivitäten durchzuführen.

  22. Kritischer Punkt war hier vor allem die Vorgabe, dass die für das vernetzte Fahren vorhandenen Funktechnologien untereinander interoperabel sein mussten.

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Der Verfasser ist ehemaliger Leiter des Referats „Standardisierung in der IKT, sichere Internetarchitekturen“ im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie.

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Sandl, U. Technische Normen und Standards – unterschätzte Größen im geopolitischen Machtwettbewerb. Z Außen Sicherheitspolit 14, 265–280 (2021). https://doi.org/10.1007/s12399-021-00870-9

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