1 Beratung im Wandel – Wandel der Beratung

Beratung wird in den letzten Jahrzehnten wissenschaftlich und gesellschaftlich mehr Bedeutung zugeschrieben. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Es wird auf Veränderungen in Gesellschaft, Wirtschaft, Technologie und Politik verwiesen (vgl. Käpplinger 2009; Maier-Gutheil 2012), die den Bedarf nach Orientierung und Entscheidungsunterstützung erhöhen. Über das Internet steht eine Flut an Informationen schnell abrufbereit zur Verfügung, aber diese zu strukturieren und bei Entscheidungen gut informiert zu verarbeiten, fällt oft schwer. Bildungs- und Berufsverläufe sind (wieder) diskontinuierlicher geworden bzw. veränderten Einflüssen einer sogenannten „Neuen Steuerung“ unterworfen (vgl. Bauer et al. 2015). Entscheidungen müssen lebenslang und in allen Lebenslagen/Lebenssituationen getroffen werden, da Sicherheiten fragil sind. Politiken haben zu einer neuen – teilweise sogenannten neo-liberalen – Regulierung von Lebensläufen beigetragen. Die ideengeschichtliche Begründung lieferte unter anderem das Individualisierungstheorem (vgl. Beck 1996), wonach die Individuen ihre Bildungs- und Berufsbiografie zunehmend selbst konstruieren können (müssen).Footnote 1 Die wachsenden globalen Vernetzungen machen Ökonomien anfällig für exogene Schocks, so dass eine hohe individuelle und organisationale Anpassungsfähigkeit auf den Arbeitsmärkten gefordert sei. Als neues Leitbild der Beschäftigung wird der „Arbeitskraftunternehmer“ (Voß und Pongratz 1998) beschrieben, der seine Arbeitskraft flexibel auf Arbeitsmärkten zu vermarkten weiß. Insgesamt ist der Beratungsboom eingebettet in gesellschaftliche Wandlungsprozesse, die sich als vielschichtig und auch als problematisch darstellen. So beschrieben Voß und Pongratz selbst den Arbeitskraftunternehmer ambivalent, was in mancher Rezeption stellenweise vergessen wird. Die relativ hohe Freiheit von direkter Fremdbestimmung (z. B. bei der Arbeitszeitgestaltung) wird durch eine indirekt geforderte Selbstdisziplinierung im Sinne der Marktgängigkeit der Arbeitskraft ersetzt (z. B. verschwimmende Grenzen zwischen Arbeits- und Freizeit durch nahezu jederzeitige Verfügbarkeit).

Beratung ist eine Grundform pädagogischen Handelns (vgl. Giesecke 2000, S. 87 ff.).Footnote 2 Aus einer erwachsenenbildnerischen Perspektive meint sie personenspezifische Orientierungs- und Entscheidungshilfe, die im Lebenskontext auf Arbeit, Beruf und Bildung bezogen ist. Sie dient als Hilfe zur Steuerung von Lernprozessen wie auch zur Entwicklung von Kompetenzstrategien und adressiert sowohl Personen als auch Betriebe und Organisationen (vgl. Schiersmann 2010, S. 27 f.). Analog zum institutionellen Ausbau der 1960er Jahre zielte Beratungsforschung in der Erwachsenenbildung/Weiterbildung zunächst auf Modellprojekte zur Entwicklung und gleichzeitigen Evaluation von Beratungskonzepten (vgl. etwa Fuchs-Brüninghoff und Pfirrmann 1989; Harke und Volk-von-Bialy 1991). Diffusions- und Erosionsprozesse in Folge des „Beratungsbooms“ lenkten ab Mitte der 1990er Jahre den Blick auf die Professionalisierung im Feld der Beratung. Qualitätssicherungsversuche aufgrund der Forcierung des Lebenslangen Lernens prägen bis in die Gegenwart hinein Forschungs- und Theoriebezüge (vgl. Schiersmann 2010). Wenngleich die Tätigkeit als Bildungsberater/in als „ein typischer Zweit- bzw. Aufstiegs- oder Umstiegsberuf“ (Arnold 2009, S. 188) erscheint, ist das professionelle Handeln vor allem an eine bestimmte Grundhaltung (z. B. Verstehen und Wertschätzung) sowie eine spezifische berufliche oder universitäre Ausbildung gebunden. Darauf verweist auch die Vielzahl an Fortbildungsangeboten (z. B. über Regionale Qualifizierungszentren) und universitären Studiengängen (u. a. in Heidelberg, Münster oder Mannheim/Schwerin).

Kritisch wird hinterfragt, ob Beratung ausreichend ausgebaut ist:

„Der Bedeutungszuwachs von Beratung im Kontext lebenslangen Lernens gilt in programmatischer Hinsicht als unumstritten. Allerdings sind den bildungspolitischen Bekenntnissen bislang noch kaum nennenswerte praktische Konsequenzen gefolgt (Schiersmann 2008, S. 25).“

Dies zeigt sich etwa mit Blick auf eine kontinuierliche und ausführliche statistische Erhebung zum vielgestaltigen BeratungsangebotFootnote 3, die in Deutschland nach wie vor fehlt. Folglich kann die Entwicklung des Beratungsangebots quantitativ nicht verlässlich eingeschätzt werden. Das Berichtssystem Weiterbildung und der Adult Education Survey (AES) liefern interessante Eckdaten, die erwartungswidrig einen erheblichen Rückgang der Teilnahmequote an Weiterbildungsberatung von 15 % (1994) auf 8 % (2012) vermuten lassen (vgl. Kuwan und Seidel 2013, S. 242). Allerdings basieren diese Werte allein auf einer Umfrage und nicht auf valideren Teilnahmestatistiken. Auf nationaler Ebene wurde ein Nationales Forum für BeratungFootnote 4 etabliert, in dem u. a. Ziele der Professionalisierung wie auch der Qualitätssicherung verfolgt werden. Auf Europa-, Bundes- und Länderebene fördern eine Vielzahl an Programmen öffentliche Beratungsleistungen. Beratungsangebote sind dabei oft Teil größerer Förderprogramme, wie z. B. bei Weiterbildungsgutscheinen (vgl. Käpplinger et al. 2013) oder Existenzgründungen (vgl. Maier-Gutheil 2015b). Den Kommunen fällt es aufgrund finanzieller Probleme und durch Pflichtaufgaben geprägte Prioritätensetzungen jedoch schwer, Beratungsleistungen zu Bildung und Beruf über den Lebenslauf kontinuierlich vorzuhalten. Insbesondere der Europäische Sozialfonds (ESF) war im letzten Jahrzehnt eine Ressource, um Beratung temporär zu finanzieren (vgl. Strobel und Tippelt 2009). Veränderungen beim ESF bzw. bei länderspezifischen Ausführungsbestimmungen stellen dies, wie aktuell in Schleswig-Holstein oder Berlin, in Frage. Insgesamt kann trotz des (rhetorischen) Bedeutungszuwachses nicht ohne Einschränkungen von einem realen Ausbau der Beratungslandschaft ausgegangen werden. Beratung als Angebot ist kein Selbstläufer trotz einer häufig proklamierten Bedeutungszunahme (s. kritisch hierzu Dörner 2010).

Ausgehend von dieser Gemengelage zielt unser Beitrag darauf, einen exemplarischen Überblick für das Feld der empirischen Beratungsforschung aufzuspannen, ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben (vgl. hierzu Gieseke und Nittel 2015). Dabei strukturiert zunächst die Differenz zwischen quantitativen und qualitativen Zugängen die folgende Darstellung empirischer Studien. Innerhalb und unterhalb der jeweiligen Forschungszugänge differieren diese hinsichtlich einer methodischen (quantitative Zugänge) und einer formatspezifischen (qualitative Zugänge) Systematisierung. Der Beitrag schließt mit einem Fazit zu komplementären und unterschiedlichen Befunden, die noch einmal zu drei Herausforderungen pointiert skizziert werden.

2 Quantitative Zugänge

Die zahlenbasierte Erfassung und Erforschung von Beratung hat deutlich zugenommen und wird voraussichtlich auch in Zukunft weiter wachsen. Es lassen sich zwei große Bereiche des Monitorings/Statistiken sowie der Wirkungsstudien unterscheiden.

2.1 Monitorings und Statistiken zu (Bildungs-)Beratung

Die bereits erwähnten AES-ZahlenFootnote 5 (vgl. Kuwan und Seidel 2013) liefern durch repräsentative Bevölkerungsumfragen quantitative Eckwerte. An Beratungsorten dominieren anscheinend die Bundesagentur für Arbeit (43 %) vor dem Betrieb/Arbeitgeber (22 %) und Weiterbildungsanbietern (9 %). 31 % waren sehr zufrieden mit der Beratung und 43 % zufrieden. Nicht zufrieden waren 26 %. Mit den Arbeitsagenturen war jedoch jeder zweite dort Beratene unzufrieden (vgl. ebd., S. 246). Mit Blick auf die AES-Zahlen ist zu betonen, dass es sich um eine Umfrage handelt. Dies darf man hinsichtlich der Datenqualität nicht mit einer offiziellen Statistik verwechseln. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Beratungsteilnahme so eher untererfasst wird, da es sich bei Beratungen zumeist um zeitlich kurze Interventionen handelt, die von den Befragten für ein Referenzjahr oft nicht zuverlässig erinnert werden. Institutionell falsche Zuordnungen sind nicht auszuschließen, da Bildungsberatung kein allgemein bekanntes Gut ist und regional mit extrem vielen Bezeichnungen (Kompetenz-, Bildungs-, Qualifizierungs-, Weiterbildungsberatung, etc.) von diversen Beratungsstellen angeboten wird. Dies setzt einem bundesweit standardisierten Fragekatalog erhebliche Grenzen. Lediglich die Berufsberatung der BA dürfte bundesweit bekannt sein.Footnote 6 All dies erschwert methodisch die Erfassung erheblich, sodass die AES-Zahlen hier nur als Näherungswerte – insbesondere für bestimmte regionalspezifische Beratungsangebote – einzuschätzen sind.

Im Zuge des Ausbaus landesweiter Beratungsstrukturen wurden in einigen Bundesländern elaborierte Monitoringsysteme etabliert. Ein prominentes Beispiel für ein Monitoring stellt das Dokumentationssystem der Koordinierungs- und Evaluierungsstelle in Berlin (KES) dar.Footnote 7 Der KES-VerbundFootnote 8 betreibt seit 2007 ein onlinebasiertes Dokumentationssystem für die öffentlich geförderten Berliner Bildungsberatungsstellen. Während und nach jeder Beratung dokumentieren die Beratenden die soziodemografischen, bildungs- und erwerbsbiografischen Merkmale der Ratsuchenden sowie Angaben zum Beratungsprozess und -ergebnis. Das Auswertungssystem liefert Kennzahlen zu vielen Aspekten. Die folgende Auflistung stellt auszugsweise dar, welche Daten quartalsweise statistisch – zumeist auf der Basis von Kreuztabellen und einfachen Korrelationen – erfasst und ausgewertet werden (vgl. Peitel 2009, S. 156 f.):

  • Erst- und Folgeberatungen

  • Geschlecht

  • Migrationshintergrund

  • Alter

  • Beratungsanlass

  • (Schul-)Ausbildung

  • Erwerbsstatus

  • Art und Dauer der Beratung

Das Monitoring liefert somit Daten, um die Berliner Bildungsberatung als Instrument der Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik einzusetzen (vgl. Peitel 2009, S. 165 f.). Dominanter Auswertungsansatz ist implizit zumeist eine Analyse auf Basis eines Proporzmodells. Dieses geht davon aus, dass bei Chancengleichheit jede soziale Gruppe entsprechend ihrem Bevölkerungsanteil als Ratsuchende repräsentiert sein sollte bzw. dass benachteiligte Zielgruppen sogar überproportional kompensatorisch erreicht werden sollten. Auswertungen von Monitorings zeigen auf, dass Bildungsberatung „vorrangig von Frauen, Menschen deutscher Herkunft, Menschen mit vergleichsweise hohen Bildungsabschlüssen und von Erwerbstätigen in Anspruch genommen“ wird (Bischof et al. 2012, S. 261). Eine unterproportionale Erreichung bestimmter sozialer Gruppen wird als Signal gewertet, diese Gruppen intensiver als Ratsuchende zu erreichen.

Von den vorliegenden Daten kann jedoch nicht auf die nachgängige Wirkung der Beratung geschlossen werden. Um diese Lücke zu füllen und den Forderungen seitens der Politik nachzukommen, wurde das bestehende Dokumentationssystem „Casian“ um weitere Datenerhebungen ergänzt und zu einem Wirkungsmonitoring ausgebaut (vgl. Komosin und Kruse 2013, S. 9 f.). Es werden in zwei Nachbefragungswellen Zufriedenheit und Lernerfolge gemäß dem IOSM-ModellFootnote 9 sowie der weitere Verbleib in Arbeit und Bildung erhoben. Ähnliche Monitoringsysteme werden in weiteren Bundesländern ebenfalls verfolgt (z. B. Hessen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen).

Gegenüber Umfragen weisen Monitorings Vor- und Nachteile auf. Vorteilhaft ist, dass so landesweit und für bestimmte Förderprogramme Totalerhebungen vorliegen, d. h. es werden alle Beratungsfälle systematisch erfasst. In dieser Hinsicht sollten Monitorings verlässlicher als Umfragedaten in einer Mehrthemenbefragung sein, die mit teilweise erheblichem zeitlichem Abstand Beratungsfälle zu rekonstruieren versuchen. Nachteilig ist dagegen, dass es sich um prozessproduzierte Daten handelt. Beratende erfassen die Daten während und nach einer Beratung. Es handelt sich nicht um wissenschaftlich kontrolliert erhobene Daten, sondern um Daten, die Praktiker/innen im Prozess ihrer Arbeit oftmals en passant erheben.Footnote 10 Dies muss methodisch kritisch reflektiert werden (vgl. Ludwig-Mayerhofer 1994). Insbesondere bei Daten zu Qualifikationsniveaus oder dem Erwerbsstatus kann es zu deutlichen Ungenauigkeiten kommen (vgl. Käpplinger und Stanik 2014), die eine wissenschaftliche Analyse erschweren bzw. zu beachten sind.

Insgesamt hat sich die statistische Datenlage zur Beratung deutlich verbessert, wenngleich sich die Erfassung auf bestimmte Bundesländer und Förderprogramme konzentriert. Zu anderen Themen wie den Finanzierungsstrukturen und Finanzvolumina von Bildungsberatung gibt es keine bundesweiten Daten.

2.2 Wirkungsstudien zu Beratung

Mit der Bedeutungszuschreibung wächst das politische Interesse, mehr über die intendierten Wirkungen von Bildungsberatung zu erfahren. Bildungsberatung und -forschung werden in die Pflicht genommen, die Nützlichkeit legitimierend nachzuweisen. Ressortverantwortliche für Beratung müssen innerministeriell und gegenüber anderen politischen Agenturen ihre Ressourcenentscheidungen begründen. Die Politik verspricht sich von Wirkungsanalysen Steuerungshilfen: „Social science research evidence is central to development and evaluation of policy (…). We need to be able to rely on social science and social scientists to tell us what works and why and what types of policy initiatives are likely to be most effective“ (Blunkett 2000). In diesem Sinne müssen Wirkungsanalysen im Kontext von Regimen der Neuen Steuerung und „(…) Zeiten von Reformen und Veränderungen, aber auch (…) Zeiten des Sparens und der Forderung nach Optimierung“ (Gieseke 2002, S. 68) gesehen werden.

Wirkungsanalysen charakterisieren sich dadurch, dass die Wirkungen von Beratungen hinsichtlich des Verlaufs der Bildungs- und Berufskarriere nach Inanspruchnahme von Beratung ermittelt werden, indem die Ratsuchenden nach der Beratung befragt werden. Insbesondere im anglophonen Raum liegen quantitative Längsschnittstudien mit experimentellen und/oder Kontrollgruppendesigns vor (vgl. Killeen und White 2000; Maguire und Killeen 2003; Käpplinger 2010; ELGPN 2014). Hughes et al. (2002, S. 12) kommen etwa positiv resümierend zu dem Schluss: „There is now reasonably strong UK quasi-experimental evidence that voluntary exposure to guidance increases the probability of adult participation in continuing education and training, relative to similar individuals not exposed to guidance.“

Ein Feld-Experiment mit Weiterbildungsgutscheinen wurde im Jahr 2006 von der Forschungsstelle für Bildungsökonomie an der Universität Bern durchgeführt (vgl. Wolter und Messer 2009). Dabei fand auch vermeintlich eine Analyse der Wirkung von Bildungsberatung als Instrument zur Steigerung der Weiterbildungsbeteiligung statt. Der Begriff Experiment steht für eine empirisch-wissenschaftliche Vorgehensweise, die versucht, Kausalitätszusammenhänge aufzudecken. 2.400 Personen wurden zufällig aus denjenigen Personen ausgewählt, die über die Schweizerische Arbeitskräfteerhebung (SAKE) zuvor befragt wurden. Diese Personen erhielten einen Bildungsgutschein als Dank für die Teilnahme an der Befragung. Rund 10.000 Personen erhielten keine Gutscheine und dienten als Kontrollgruppe (vgl. ebd., S. 7). Dieses Feld-Experiment ist von Interesse, da die Hälfte der Experimentalgruppe eine Telefonnummer erhielt, über die eine kostenlose Bildungsberatung angefordert werden konnte. Es konnte ermittelt werden, dass Gutscheine mit Telefonberatung nicht häufiger eingelöst wurden als Gutscheine ohne Beratungsangebot. Daraus wurde gefolgert, dass Beratung erwartungswidrig keine positive Wirkungen hinsichtlich der Weiterbildungsbeteiligung zeige (vgl. ebd., S. 9). Allerdings ist eine Beratung zur Einlösung eines Gutscheins, die zudem per Telefon und durch eine für Ratsuchende relativ unbekannte Unternehmensberatung durchgeführt wird, nur begrenzt mit einer freiwillig aufgesuchten, professionellen Bildungsberatung im sozialen Umfeld vergleichbar. Demnach muss die Aussagenreichweite von Wirkungsanalysen durchaus kritisch betrachtet werden, vor allem hinsichtlich dessen, was jeweils untersucht und als Bildungsberatung konzipiert wurde.

Darauf verweisen auch die Ergebnisse der bildungsberatungsbezogenen Wirksamkeitsanalyse der sogenannten Dresdner Bildungsbahnen. Hier wurden über zwei Jahre hinweg Datensätze des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), KES-Daten der Dresdner Bildungsbahnen sowie Adressdaten der Statistik der Bundesagentur für Arbeit zusammengeführt und ausgewertet (vgl. Schanne und Weyh 2014). Zwar geben die Daten nur Auskunft zu arbeitsagenturfinanzierten Weiterbildungen und bezogen auf den Arbeitsmarkterfolg, aber die Analysen deuten an, dass sich positive Nutzensaldi von Bildungsberatung nach ca. zwei Jahren aufzeigen lassen (vgl. ebd., S. 11). In Bezug auf „harte“ Indikatoren zeigt Bildungsberatung ihre Wirkung mit zeitlicher Verzögerung. Dies ist gut nachvollziehbar, da Beratung oft zu einer Bildungsteilnahme führt, die mehrere Monate dauert, so dass sich die Erträge der Bildungsbeteiligung kaum kurzfristig zeigen können. Für eine Wissensgesellschaft sind solche Investitionen unumgänglich. Die Ergebnisse der Studie sensibilisieren dafür, dass der Nutzen von Bildungsberatung keinesfalls allein oder primär aus der Perspektive weniger Monate nach der Beratung analysiert werden kann, wenn man mehr als einen Ausschnitt der Wirkungen von Beratung erfassen will.

Aktuell sind intensive Bemühungen zu verfolgen, die evidenzbasierte Forschung zu den Wirkungen von Bildungsberatung weiter auszubauen (vgl. ELGPN 2014). Dominierende Ansätze sind Kontrollgruppenstudien, die vermeintlich dem neuen „Goldstandard“ einer sozialwissenschaftlichen Forschung entsprechen, die sich an der Medizinforschung orientiert. Vorliegende Ergebnisse sind aufschlussreich. Allerdings fällt eine ökonometrische Fokussierung auf, welche die sogenannten „weichen“ Wirkungen (z. B. Persönlichkeitsentwicklung, Sinnstiftung) von Beratung oftmals nicht berücksichtigt, die jedoch nicht nur aus einer erwachsenenbildungsinteressierten Perspektive relevant sind. Auch bleibt fraglich, ob die Datensätze wirklich alle wesentlichen Variablen enthalten (können). So zeigt die elaborierte Studie von Killeen und White (2000) auf, dass Ratsuchende überdurchschnittlich unzufrieden mit ihrer beruflichen und privaten Situation sind. Dadurch unterscheiden sie sich deutlich vom Bevölkerungsdurchschnitt. Es liegt eine wichtige, subjektgesteuerte Selbstselektion vor. Die meisten Kontrollgruppenstudien können dies jedoch nicht berücksichtigen, da Untersuchungs- und Kontrollgruppen allein hinsichtlich soziodemografischer Merkmale kontrolliert werden (vgl. Wolter und Messer 2009; Schanne und Weyh 2014). Dies stellt methodisch in Frage, ob beide Gruppen wirklich immer vergleichbar sind (vgl. ebd., S. 36). Insgesamt steht die quantitative Wirkungsforschung zu Bildungsberatung trotz vieler Fortschritte noch relativ am Anfang und sieht sich großer methodischer Herausforderungen ausgesetzt.

3 Qualitative Zugänge

Gegenüber der früheren Mahnung, es mangele an ausführlichen theoretischen und empirischen Arbeiten „zu Prozess- und Interaktionsverläufen von Beratung“ (Gieseke 2000, S. 11; vgl. auch Gieseke et al. 2007), kann über die letzten zehn Jahre eine Zunahme entsprechender Studien konstatiert werden (vgl. Abschnitt 3.2). Dies betrifft vor allem Beratungen im Kontext von Bildung, Beruf und Beschäftigung.Footnote 11 Des Weiteren sind bei den qualitativen Zugängen Wirkungsanalysen eine Seltenheit und zeigen sich vor allem in der deutschsprachigen Forschungslandschaft als Desiderat.

Überwiegend dienen Interviewanalysen mit den Beteiligten (Beratenden, Ratsuchenden, Stakeholdern) dazu, spezifische Beratungsformate zu erforschen. Der Forschungsblick richtet sich dabei auf die Belange der Adressat/inn/en beziehungsweise Teilnehmenden (z. B. Motive, Barrieren, spezifische Zielgruppen), das Handeln beziehungsweise Wissen der professionellen Akteure (Qualität, Professionalität), die Rekonstruktion von Prozess- und/oder Strukturlogik(en), wozu auch die Analyse gesellschaftlicher und politischer Rahmenbedingungen gehört (v. a. im Kontext sogenannter Förderberatungen). Dieser Blick auf die Formate Lernberatung, (Weiter-)Bildungs- und Berufsberatung sowie Förderberatung strukturiert den folgenden Abschnitt.

3.1 Lernberatung

Studien über Lernberatung konzipieren diese übergreifend als eine Vermittlungs- bzw. Unterstützungsleistung für selbstgesteuerte Lernprozesse. Dabei werden im Einzelnen unterschiedliche Akzente gesetzt, die sich hinsichtlich des thematischen Fokus’ bzw. des Forschungsziels sowie der Untersuchungssubjekte (Beratende, Ratsuchende) und ForschungsdesignsFootnote 12 unterscheiden.

Pätzold (2004) etwa analysiert in einer Interviewstudie die Qualifizierungs- und Professionalisierungsperspektiven in der Lernberatung mit dem Ziel, ein erwachsenenbildnerisch fundiertes Konzept dieses Formats zu entwickeln (vgl. ebd., S. 149 f.). Im Ergebnis arbeitet er – anhand theoretisch ermittelter grundlegender Bestandteile von Lernberatung wie auch empirisch gewonnener Aussagen von Praktiker/inne/n – die gesellschaftlichen und institutionellen Rahmenbedingungen von Lernberatung heraus (vgl. ebd., S. 175 ff.). Er konstatiert u. a. dahingehende Unterschiede zu Weiterbildungs- bzw. Berufsberatung, dass Lernberatung in den Institutionen gefördert werden müsse, „wo Lernen bereits stattfindet oder möglich ist“ (ebd., S. 177).Footnote 13 Hinsichtlich der Professionalisierungsbedarfe benennt er die Notwendigkeit für Beratende, auch über Kenntnisse der Institutionenlandschaft zu verfügen und betont damit notwendige Vernetzungsstrukturen zwischen unterschiedlichen Beratungsangeboten (vgl. ebd., S. 180). Mit Blick auf die zentrale Ebene der Interaktion hebt Pätzold hervor, dass beraterisches Fachwissen nur insofern angebracht sei, als es notwendige „‚Suchbewegungen‘ (Tietgens)“ (ebd., S. 186) der Klient/inn/en nicht verhindere.

Lernberatung direkt als didaktisches Element (nicht nur bei Selbstlernarchitekturen; vgl. hierzu Forneck und Springer 2005; Maier Reinhard und Wrana 2008) zu integrieren, ist eine Folge der Erkenntnis, dass Reflexionen für Lernprozesse bedeutsam sind (vgl. Kemper und Klein 1998, S. 82 ff.).

In einem aktuellen Projekt (SYLBE)Footnote 14 analysiert Ludwig (2012a, b) explizit die Lernberatung sowie etwaige Lernbarrieren aus der Subjektperspektive im Handlungsfeld der sogenannten ALPHA-Kurse.Footnote 15 Im Ergebnis werden fokussiert auf die gesellschaftliche Teilhabe fünf Lernbegründungstypen rekonstruiert. Darüber hinaus wird Lernberatung als eine rekonstruktive Praxis verortet und anhand des Konzepts VIVAFootnote 16 prozessual beschrieben. Eine lebenslaufbezogene Perspektive, in der die Biografie der Ratsuchenden auf Lernanlässe hin untersucht wird, verfolgten Häßner und Knoll (2005) in einem Projekt zur Lernberatung als Unterstützungsleistung. In einem kontrastiv angelegten Design wurde die Bedeutung des Biografiebezugs für Lernberatungsangebote herausgearbeitet, dies v. a. mit Blick auf die Gleichzeitigkeit sowie das Nacheinander von Lernprozessen und Lebensphasen. Weiteres Resultat ist das Instrument „Lernbiogramm“, das in der konkreten Beratungsarbeit eine Grundlage liefert, um erworbene Kompetenzen zu rekonstruieren (vgl. ebd., S. 213).

Einen gänzlich anderen empirischen Zugang wählt Kossack (2006) mit einer diskursanalytischen Studie über Lernberatung. Er dekonstruiert Lernberatungskonzeptionen in der Erwachsenenbildung exemplarisch entlang der Konzepte Freiwilligkeit, Selbststeuerung und des Prinzips der symmetrischen (Beratungs-)Beziehung. Ziel ist es, Lernberatung als professionelle Praktik zu entwickeln (vgl. Kossack 2006, S. 13). In Absetzung zu anderen Studien schlägt er zur Beschreibung von Beratungsprozessen das Modell einer „rhizomatischen Kommunikation“ (ebd., S. 198) vor. Diese nicht-lineare Form der Kommunikation kann nur im Nachhinein rekonstruiert werden und ermöglicht eine Kartografisierung des Lernprozesses, mit der sich das Subjekt diesen verfügbar machen kann.

Ob es nun darum geht, Qualifizierungselemente, die Praxis unterstützende Instrumente zu entwickeln oder die Motive, Begründungsstrategien und Lernbedarfe zu rekonstruieren – die Studien verdeutlichen, dass Beratung unter dem Stichwort der Lernberatung innerhalb und begleitend zu Weiterbildungsteilnahmen wie auch als Supportstruktur größerer Zusammenhänge (Studium, Umschulung) betrachtet wird. Darüber hinaus wird deutlich, dass sich die Analysen auf Lernberatung als Konzept beziehungsweise Format wie auch die Rekonstruktion der Teilnehmendenperspektive richten, mit dem Ziel, die Qualität zu verbessern und professionelles Handeln zu ermöglichen. Ein Forschungsdesiderat besteht jedoch weiterhin darin, das reale Handeln in Lernberatungsgesprächen zu analysieren.

3.2 Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung

Die meisten qualitativ-empirischen Studien im Kontext von (Weiter-)Bildungs- und Berufsberatung der letzten Jahre fokussieren die Rekonstruktion des tatsächlichen interaktiven Geschehens und betreiben damit Beratungsprozessforschung (vgl. Gieseke und Opelt 2004; Müller 2005; Pörtner 2009; Enoch 2011; Böhringer et al. 2012; Müller 2014; Stanik 2014). Auch die Wirkung von Beratung wird in den Blick genommen, wie die qualitative Längsschnittstudie von Bimrose et al. veranschaulicht, die allerdings bislang Ausnahmecharakter hat (vgl. exempl. Bimrose et al. 2008). Darüber hinaus ist mit dem Projekt „Bildungsberatung im Dialog“ ein größeres Verbundprojekt zu nennen, das im Rahmen des Programms „Lernende Regionen – Förderung von Netzwerken“ (2001–2008) darauf zielte, im Dialog mit Praktikerinnen und Praktikern die tatsächlich vorfindbaren Beratungs-, Geschäfts- und Qualitätssicherungsmodelle zu benennen und weiterzuentwickeln (vgl. Arnold et al. 2009a, b, c).

Die Studien, die reale Beratungsinteraktionen analysieren, rekonstruieren prozessbezogene Schritte sowie Komponenten des spezifischen Formats. Andrea Müller (2005) analysiert – im Anschluss an die von Gieseke und Opelt (2004) entwickelte Dreier-Typologie von informativen, situativen bzw. biografieorientierten Beratungsgesprächen – fünf Elemente von Weiterbildungsberatung: „Klärung der Beratungserwartung, Erhebung des Ist-Zustandes, Klärung der Weiterbildungsvoraussetzungen, Informationsvermittlung, Entwicklung von Handlungsstrategien“ (ebd., S. 231). Ihre Sequenzanalysen verdeutlichen, wie die unterschiedlichen rekonstruierten FragetypenFootnote 17 den Handlungsverlauf steuern. Dadurch wird der Blick auf das in Beratungsinteraktionen auffindbare Lenkungshandeln gerichtet. Pörtner (2009) rekonstruiert vier basale Komponenten des Handlungsmusters Berufswahlberatung: Kontakt, Aufgabenbestimmung, Bearbeitung und Kontaktlösung, die hinsichtlich der je spezifisch verbundenen Anforderungen und ihren situativen Praktiken näher bestimmt werden (vgl. Pörtner 2009, S. 231 ff.). Auf diese Weise werden bildungs- und verfahrensbezogene Aktivitäten unterschieden, wenn es um die Bearbeitung berufsbiografischer Handlungspläne geht. Dagegen steht bei Enoch (2011) die Dimension der WissensvermittlungFootnote 18 in Berufsberatungsgesprächen im Mittelpunkt. Im Ergebnis rekonstruiert er drei Formen beruflicher Beratung: als institutionalisiertes staatsnahes Format, als Kulturarbeit und als Berufscoaching (vgl. ebd., S. 317 ff.). Böhringer et al. (2012) sowie Monika Müller (2014) widmen sich auch der gesprächsanalytischen Auseinandersetzung mit Beratung im Kontext von Beruf und Beschäftigung. Hier können die gesprächsanalytischen Studien aufzeigen, in welche institutionsspezifischen Spannungsfelder das konkrete Beratungshandeln eingebunden ist. Stanik (2014) wiederum fokussiert in seiner Studie explizit die institutionellen Merkmale von Beratungsinteraktionen am Beispiel von Fremdsprachenberatungen (VHS) und Weiterbildungsberatungen. Mit der Methodenkombination von Interaktionsanalyse und Ethnografie (Interviews und Dokumentenanalysen) entwickelt er zwei Typologien, „mit Hilfe derer sich Beratungen in der Erwachsenen-/Weiterbildung als ‚inner- und fremd-institutionelle guidance‘ (Parameter II) und als ‚Spezialisten- und Expertenberatungen‘ (Parameter IV) typisieren lassen“ (ebd., S. 421).

Zusammenfassend rekonstruieren die gesprächsanalytischen Studien unterschiedliche Typisierungen, Modelle und Ablaufschemata sowie Spannungsfelder, die jedoch – mit Ausnahme der Studie von Stanik (vgl. ebd., S. 43 ff.) – in weiten Teilen unverbunden nebeneinander stehen. Folglich bleibt offen, inwieweit die Unterschiede etwas mit dem je spezifischen FormatFootnote 19 oder beispielsweise theoretischen Verortungen zu tun haben. Über die Studien hinweg kann konstatiert werden, dass zumindest die bereits genannte Dreier-Typisierung informativer, situativer und biografieorientierter Beratungen von Gieseke und Opelt (2004) auch für andere Studien als heuristisches Konzept geeignet erscheint (vgl. Müller 2005; Wieandt 2007; Stanik 2014).

Einen gänzlich anderen Weg beschreiten Bimrose et al. (exempl. 2008). In einer qualitativen LängsschnittstudieFootnote 20 analysieren sie den Verlauf von beruflichen Entwicklungen nach einer BeratungFootnote 21 im Kontext von Bildung, Beruf und Beschäftigung. Mit ihrer Wirkungsanalyse können sie u. a. rekonstruieren, dass Handlungspläne aus dem Beratungsgespräch umgesetzt werden.Footnote 22 Geschieht dies nicht, stehen dem zumeist externe Barrieren entgegen, wie etwa finanzielle oder ernste gesundheitliche Hindernisse (vgl. ebd., S. 5). Hier müssten strukturell Systemleistungen ansetzen, um die Nachhaltigkeit der positiven Resultate zu unterstützen. Aus den Analysen wurde eine Vierfelder-Typologie von zentralen berufsrelevanten Entscheidungsstilen generiert („evaluative, strategic, aspirational or opportunistic approach“ ebd., S. VI). Diese Erkenntnisse sind unmittelbar relevant für die Praxis, da Handlungspläne je nach Entscheidungsstil umgesetzt oder eben ignoriert werden.

Die Ergebnisse des genannten Verbundprojekts zur Bildungsberatung in den Lernenden Regionen liegen in drei Bänden vor (vgl. Arnold et al. 2009a, b, c), wobei vor allem ein Band die entwickelten Referenzmodelle zur personenbezogenen Beratung, den Organisations- und Geschäftsmodellen sowie zur Qualitätssicherung beinhaltet (vgl. ebd., 2009c).Footnote 23 Hervorgehoben werden sollen hier die Ergebnisse bezüglich der Organisationsmodelle sowie der personenbezogenen Beratung. Die Analysen der Lernenden Regionen weisen eine große Vielfalt und Ausdifferenziertheit auf, so dass für den Bereich der Organisationsmodelle zwei idealtypische Referenzmodelle entwickelt wurden (vgl. Gieseke und Pohlmann 2009).Footnote 24 Diese unterscheiden eigenständige beziehungsweise distribuierende Beratungsorganisationen mit Blick auf Kategorien (Orte und Räume, Akteure) und Kriterien („Professionalität, Trägerneutralität, Offenheit im Zugang, Image und Wertschätzung, regional- und bildungspolitischer Rückhalt und eine gesicherte öffentliche Finanzierung“, vgl. ebd., S. 84). Damit wird ein Inventar geboten, dessen sich andere Studien als Heuristik bedienen können. Das Strukturmodell personenbezogener Beratung (vgl. de Cuvry et al. 2009, S. 157) differenziert in einem SäulenmodellFootnote 25 in prozessualer Hinsicht die Aspekte Qualität (pädagogisches Moment), Gegenstands- und Handlungsebenen, Dimensionen (Analyse, Konstruktion, Antizipation) und Funktionen (Orientierung, Klärung, Entwicklung, Ausblick), die sich auf die interaktive Ausgestaltung richten (vgl. ebd., S. 157). Das Modell besticht insbesondere, weil nicht nur eine Ablauflogik rekonstruiert wird (hier am ehesten abgebildet in den Prozessfunktionen), sondern die spezifischen AufgabenFootnote 26 (Prozessdimensionen) sowie das konkret PädagogischeFootnote 27 der (Bildungs-)Beratung in einem Metamodell gebündelt werden.

3.3 Förderberatungen

Unter diesen Punkt fallen Studien, in denen solche (Beratungs-)Gespräche analysiert werden, deren Ausgangspunkt und Inanspruchnahme explizit oder implizit die Bewilligung finanzieller staatlicher Zuschüsse beinhaltet (z. B. Gründungszuschuss, Weiterbildungsgutschein).Footnote 28 Käpplinger und Klein sprechen hier auch von „regulativer Beratung“ (ebd., S. 341). Damit ist die Ausgangssituation – gewissermaßen aus beratungsprofessioneller Perspektive – prekär, weil zum Beispiel einerseits die Teilnahme an der Beratung nur bedingt freiwillig ist und die Beratenden andererseits stellvertretend staatliche Prüfaufgaben übernehmen. Inwiefern dies die Interaktionen tangiert, wird in Studien zu Gründungsberatungen wie auch Bildungsscheckberatungen deutlich.

Beispielsweise zeigt die interaktionsanalytische Studie von Maier-Gutheil (2009) zu Existenzgründungsberatungsgesprächen, dass das Handeln der Akteurinnen zwischen Beratung und Begutachtung changiert, die Situation als Ganzes somit von einer widersprüchlichen Grundstruktur beeinflusst wird. Damit korrespondieren weitere zentrale Kernprobleme sowie mit deren Bearbeitung einhergehende Fehlerquellen, die sicherlich auch mit der nicht weit entwickelten Professionalisierung des Handlungsfeldes Gründungsberatung zu tun haben (vgl. Maier-Gutheil 2011). Die u. a. rekonstruierten Modi pädagogischer Professionalität (umfassende Autonomisierung, Erziehung zum Unternehmer und strukturierte Zufälligkeit; vgl. ebd., S. 235 ff.) verdeutlichen, dass die performative Gestaltung von Existenzgründungsberatung zwischen den Polen Bildung und Erziehung realisiert wird, wobei insbesondere mit dem letztgenannten Pol interaktiv zusätzliche Probleme erzeugt werden können, die schließlich seitens der Berater/inne/n wieder bearbeitet werden müssen.Footnote 29

Dass die Interaktion durch die konstitutive Spannung von Beraten und Begutachten überformt werden kann, zeigen auch erste Analysen realer Gespräche im Zusammenhang mit Gutschein-Vergaben (vgl. Käpplinger und Stanik 2014, S. 145). Beispielsweise werden teilweise nur jene Aspekte seitens der Beratenden aufgegriffen und weiterverfolgt, die als förderrelevant erachtet werden. Dies führt mitunter zu absurden Situationen, wenn etwa eine fallspezifische Vorgehensweise dazu führt, dass eine – auch politisch gewollte – reflexive Auseinandersetzung mit dem Weiterbildungswunsch gerade nicht weiter verfolgt wird, um die gegen eine Förderbewilligung sprechenden Aspekte nicht thematisieren und gegebenenfalls gegen eine Förderung entscheiden zu müssen (vgl. ebd., S. 147 ff.). Damit werde das lernanregende Potenzial dieser Beratungen gefährdet, wenn diese nicht auch dazu genutzt würden, „beratungsrelevante Chancen“ aufzugreifen und weiterzuverfolgen (ebd., S. 159) – dies dann allerdings jenseits des Bewilligungshandelns.

Letztlich zeigen beide Studien, dass das Ob und Wie einer Beeinflussung regulierender und steuernder Mechanismen auf Beratungsgespräche nur durch gesprächsanalytische Zugänge ermittelt werden kann (vgl. hierzu auch Böhringer et al. (2012) zur „black box“ der Gespräche in Jobcentern sowie Müller 2014 zur Studien- wie auch Reha-Beratung).

4 Fazit und Ausblick

Der Blick auf (aktuelle) Studien über Beratung und deren differierende Fragestellungen wie auch Methodendesigns verdeutlicht die Komplexität des Gegenstands. Oft werden nur einzelne Aspekte von Beratung, wie etwa Qualität, Verlaufstypen, Spannungsfelder, Professionalität und Wissensdimensionen analysiert, womit die Erkenntnisse in ihrer theoretischen und auch praktischen Reichweite begrenzt bleiben. Insgesamt lässt sich konstatieren, dass sich die Forschung zu Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung hauptsächlich in der letzten Dekade deutlich intensiviert hat. Jedoch zeigen sich Forschungsdesiderate hinsichtlich der Aussagekraft von statistischen Erhebungen. Wünschenswert wäre zum Beispiel, regionale Befragungen systematisch zu bündeln, um deren Vorteile (z. B. mehr Erhebungszeitpunkte, bessere Erfassung regionaler Besonderheiten) besser nutzen zu können. Auch sollten triangulierende Zugänge in Erwägung gezogen werden, welche beispielsweise die autonome Perspektive der Ratsuchenden integriert (etwa bezogen auf Beratungsanlässe). Dies könnte der Gefahr entgegenwirken, dass quantitativ lediglich die arbeitsmarktpolitisch intendierten, „harten“ Wirkungen in den Blick genommen werden. Es ist ausdrücklich vor einem zu engen Verständnis von Wirkungsforschung zu warnen, bei dem sich vorauseilend auf bestimmte Outcomes fixiert wird. In der Folge würden sich schleichend das Grundverständnis und die Praxis von Bildungsberatung hin zu einer Praxis zunehmend „regulativer Beratung“ wandeln (Käpplinger und Klein 2013). Vorhandene bzw. entstehende Paneldaten (NEPS) könnten genutzt und mit qualitativen Zugängen (z. B. Interviews) kombiniert werden, um Beratungserfahrungen und -nutzen im Lebensverlauf zu erforschen und neue Zugänge für Wirkungsanalysen zu entwickeln. Weitere und erhebliche Desiderate beziehen sich auf die Finanzierungsstrukturen und -volumina von Bildungsberatung sowie das reale Handeln in Lernberatungen. Bevor man sich elaborierter mit den Wirkungen (Outcome und Output) von Bildungsberatungen intensiver befassen kann, bräuchte es hier ein viel basaleres Wissen zu den Strukturen und Finanzierungen von Bildungsberatung (Input). Eigentlich müsste man nämlich auch Input mit Outcome und Output in Beziehung setzen. Wenn man allein das Outcome in Beziehung zur bildungs- und arbeitsmarktpolitischen Rhetorik ins Verhältnis setzt, dann muss die Bewertung der Wirkungen verzerrt ausfallen. Eine solide, bundesweite Statistik für Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung fehlt in Deutschland. Dies leistet der AES (bislang) nur in Ansätzen.

Abschließend sehen wir für die zukünftige Entwicklung drei Herausforderungen.

Erstens erscheint es uns wichtig, dass die verschiedenen Studien und Forschungsaktivitäten intensiver Bezug aufeinander nehmen. Insbesondere die quantitative und qualitative Beratungsforschung vollziehen sich in der Regel relativ isoliert voneinander. Mit Blick auf die genannten Wirkungsstudien deuten sich weitere Bedarfe an, etwa bezüglich der rekonstruierten Entscheidungsstile der Ratsuchenden (vgl. Bimrose et al. 2008). Hier wären u. a. quantitative Analysen interessant, um z. B. etwas über mögliche Zusammenhänge zwischen den Entscheidungsstilen, der Zugehörigkeit zu bestimmten Milieus oder weiteren Bildungsverläufen zu erfahren. Dies könnte zielgruppenspezifische Studien befördern, die aktuell eher selten sind.Footnote 30 Aber auch innerhalb der jeweiligen qualitativen und quantitativen Paradigmen wird z. T. wenig Bezug aufeinander genommen, was wiederum auch dem oft interdisziplinären Charakter der Beratungsforschung mit geschuldet ist. Nichtsdestotrotz wären ein disziplinierterer Umgang mit Begrifflichkeiten zu begrüßen wie auch vorhandene Modelle oder Ansätze konsequenter und systematisch weiterzuentwickeln. Replikationsstudien wären u. a. wegweisend, weil vertiefend oder auch differenzierend.

Zweitens wird aktuell das Wissen oft in evaluativen Kontexten der politischen Auftragsforschung generiert. Dies birgt zum einen die Gefahr von zu weitreichenden Schlussfolgerungen, wie im Kontext der schweizerischen Studie zu telefonischen, nicht-professionellen Beratungsangeboten. Der zu erwartende Nutzen von Bildungsberatung ist zum anderen auch nicht allein eine quantitativ gesteigerte Bildungsteilnahme. Es geht vielmehr darum, besser informierte und individuell passendere Bildungsentscheidungen zu treffen, was auch heißen kann, (aktuell) nicht an Bildung teilzunehmen. Auch wenn in der „Benchmarking-Welt“ die quantitative Steigerung des Outcomes vermeintlich zentral ist, gilt es hier an das wesentliche(re) Ziele von Bildungsberatung als Hilfe für qualitativ bessere Entscheidung zu erinnern. Es bleibt kritisch zu verfolgen, wie das über Wirkungen generierte Wissen politisch und administrativ genutzt wird. Zu hoffen wäre, dass das Wissen im Sinne einer wirklich evidenzbasierten Politik konsultierend und vorurteilsfrei in Entscheidungsprozesse einbezogen würde. Zu befürchten ist allerdings, dass es stattdessen selektiv als Legitimation für anderweitig getroffene (Einspar-)Entscheidungen genutzt wird, wie dies bei der Beratung der Weiterbildungsverbünde in Schleswig-Holstein zu beobachten war. Darüber hinaus bleibt erforderlich, dass sich eine unabhängige Grundlagenforschung zu Bildungsberatung weiter etabliert.

Drittens wäre wünschenswert, dass das neu generierte Wissen noch systematischer und kontinuierlicher in die Aus- und Fortbildung von Beraterinnen und Beratern einfließt. Man weiß bislang wenig darüber, ob und wie sich die vielfältigen Forschungsergebnisse auf die Professionalität und die Kompetenz der Beratenden auswirken. Dies gilt beispielsweise für den Umgang mit rekonstruierten Spannungsfeldern wie auch institutionell-spezifische Bedingungen. Schließlich sollte das neue Wissen letztlich auch als Reflexionshilfe und Handlungsorientierung praktisch relevant werden (können).