Zusammenfassung
Der sexuell arbeitende Körper von Sexarbeiter*innen stellt, als ein von der sozialen Norm abweichender Körper, den Ausgangs- wie auch Einsatzpunkt sozialstaatlich legitimierter Beratungs- und Unterstützungsangebote durch Soziale Arbeit für in der Prostitution Tätige dar. Adressiert wird dabei in der Regel der weibliche sexuell arbeitende Körper, den es sowohl zu unterstützen als auch zu disziplinieren gelte. In diesem Zusammenhang ist die Demonstration des Femidoms zentraler Bestandteil einer auf die sexuelle Gesundheit bezogenen Präventionsarbeit aufsuchender Sozialer Arbeit. Ausgehend von ethnographischem Material widmet sich der Beitrag einem spezifischen Moment der aufsuchenden Sozialen Arbeit: der situativen Praktik des Zeigens von Verhütungsmitteln im Kontext der sexuellen Gesundheitsprävention. Empirisch wird rekonstruiert, wie in sozialen Situationen der aufsuchenden Sozialen Arbeit mit Körpern am Schutz des Körpers gearbeitet wird. In den Blick geraten so Thematisierungsweisen einer auf den Körper bezogenen Vermittlung von sexuellen Wert- und Normvorstellungen, Professionalisierungsweisen des sexuell arbeitenden Körpers, aber auch Momente der situativen Unsicherheitsbearbeitung, die sich während der Zeigepraktiken ereignen.
Abstract
The sexually working body of sex workers constitutes, as a body that digresses from the social norm, the starting as well as the insertion point of consulting and supporting services legitimised by the welfare state through social work for the individuals working as prostitutes. As a rule, the female sexually working body is addressed, which is to be supported as well as disciplined. In this context, the demonstration of the femidom forms a crucial part in the prevention activities of outreach work regarding sexual health. Originating from ethnographical material, the article addresses a specific moment in outreach work: the situative demonstration practice regarding contraceptives within the context of sexual health prevention. How to work with bodies in order to protect the body in social situations of outreach work is empirically reconstructed. Thematising methods regarding the body-related communication of sexual norms and also ideals, methods of professionalization of the sexually working body, but also instances of the situative treatment of uncertainties that take place during demonstration practices will come into focus.
Notes
Im Folgenden werden die Begriffe Prostitution und Sexarbeit synonym verwendet. Zum einen handelt es sich bei dem Begriff Prostitution um einen historisch gewachsenen Begriff (Ruhne 2006). Zum anderen muss mit dem Sprechen über Prostitution nicht zwangsläufig eine grundsätzliche Problematisierung einhergehen. Mit beiden Begriffen ist die Anerkennung der sexuellen Dienstleistung als Arbeit gemeint. Da der Begriff „Sexarbeiter*in“ gleichzeitig als Selbstbezeichnung von Sexarbeiter*innen verwendet wird, wird dieser dann verwendet, wenn von Akteur*innen gesprochen wird.
Bemerkenswert ist dabei, dass die Zielgruppe der Sexarbeiter*innen als Adressat*innengruppe wohlfahrtstaatlicher Unterstützungs- und Beratungsangebote häufig als eine homogene Gruppe wahrgenommen und in ihrer empirischen Vielfältigkeit nicht differenziert wird. Entsprechend weist Ursula Probst (2015, S. 109 ff.) in ihrer qualitativ-ethnographischen Studie zu Professionalisierung von Sexarbeiter*innen darauf hin, dass die vermeintlich homogene Gruppe der Sexarbeiter*innen in die Kategorien „Berufsanfänger*in“, „Berufserfahrene“ sowie (kein) Migrationshintergrund zu differenzieren sei. Hervorgehoben wird, dass sich Faktoren wie Berufserfahrung, Sprachkenntnisse, Bildungsniveau, Staatszugehörigkeit und Zugangsmöglichkeiten zu dem Rechts- und Gesundheitssystem auf den Beratungsbedarf auswirken.
Für zum Weiterdenken anregende Anmerkungen möchte ich den Teilnehmenden der Tagung „Verkörperung des Sozialen: Zum Verhältnis von Körper, Sexualität und Sozialer Arbeit im Feld der Sexarbeit“, die im Juni 2016 an der Universität Zürich stattfand, danken. Besonderer Dank gilt den Gutachter*innen, Clarissa Schär, Veronika Magyar-Haas, Daniel Werner und Anna Schnitzer, für ihre hilfreichen Kommentare zu den verschiedenen Versionen des Beitrags.
Zur Differenzierung zwischen den Begriffen „körperlich“ und „leiblich“, die im Aufsatz beibehalten wird, vgl. Burghard et al. (2014). Der Begriff „körperleiblich“ wird verwendet, um auf die Verschränkung von Körper und Leib, zwischen denen in sozialphänomenologischen Auseinandersetzungen analytisch differenziert wird, hinzuweisen (Jäger 2004). Die analytische Unterscheidung zwischen „Körper haben“ und „Leib sein“ geht dabei insbesondere auf Plessner (2003) zurück. Das Verhältnis des Menschen zu seinem Körper wird von Plessner als ein zweifaches beschrieben: Er ist sein Körper im Sinne von Leib-Sein, also der Leib, den man spürt und empfindet, und er hat seinen Körper im Sinne von Körper-Haben, also der Körper, mit dem der Umgang instrumentell und manipulativ sein könne (Burghard et al. 2014, S. 110).
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Mörgen, R. Mit Körpern am Schutz des Körpers arbeiten: Zeigepraktiken der aufsuchenden Sozialen Arbeit im Kontext Prostitution. SozProb 29, 189–206 (2018). https://doi.org/10.1007/s41059-018-0054-y
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