1 Quo vadis, Energiewende?

Die Energiewende in Deutschland ist heute ein Transformationsvorhaben, das breite gesellschaftliche Anerkennung findet. Umfragen belegen, dass sie von einer überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung als wünschenswert und sinnvoll angesehen wirdFootnote 1. Das war nicht immer so. Als Bundeskanzlerin Angela Merkel unter dem unmittelbaren Eindruck der Fukushima-Reaktorkatastrophe 2011 die Energiewende ausrief, wirkte die dem beschlossenen Atomkraft-Ausstiegs zugrundeliegende Annahme, die Stromerzeugung wäre mittelfristig zu einem wesentlichen Anteil oder gar vollständig erneuerbar zu bewerkstelligen, sehr abstrakt. Können, so fragte man sich damals, die Erneuerbaren allein die Grundlast für die Industrie bereitstellen – und wäre nicht ganz Deutschland dann mit Windrädern und Photovoltaikanlagen übersät?

Auf diese erste Phase der Verunsicherung folgte eine Zeit wachsenden Vertrauens. Wie sich gegenwärtig zeigt, kann tatsächlich ein Großteil des Stroms durch Erneuerbare produziert werden. Hunderttausende Bürgerinnen und Bürger beteiligten sich am Ausbau der erneuerbaren Energien – ob durch eine eigene Photovoltaikanlage auf dem Dach oder in Form der Mitgliedschaft in einer Energiegenossenschaft. Der Windkraft-Ausbau an Land und vor der Küste schritt zügig voran. Die Energiewende, sie schien auf einem guten Weg.

Doch dann geriet die Energiewende in schwierigeres Fahrwasser. Mit dem Absenken der gesetzlich garantierten Einspeisevergütungen verlor die Photovoltaik an wirtschaftlicher Attraktivität, die vielbeachtete Bürgerenergie-Bewegung kam weitgehend zum Erliegen. Der lokale Widerstand gegen Windenergie und Biomasse wurde stärker, neue kritische Stimmen – aus Protestbewegungen, Naturschutzverbänden und politischen Parteien – stellten die Energiewende zunehmend in Frage. Der Strompreis stieg unterdessen weiter an, der Netzausbau erzeugte zusätzlichen Widerstand und krankt heute gleich dem Windkraft-Ausbau an langwierigen Verfahren. Derzeit befindet sich der Zubau an Windkraft an Land auf einem Tiefststand. Gleichzeitig wächst der Druck aufgrund der Klimaschutzziele und der politisch anvisierten flächendeckenden Umstellung auf elektrische Antriebe im Verkehr, die den Strombedarf massiv erhöhen wird.

So ist mittlerweile einiger Unmut entstanden. Hierbei wird kaum die Energiewende per se in Frage gestellt, die Kritik bezieht sich vielmehr auf das ManagementFootnote 2. Die Energiewende sei aus dem Ruder gelaufen, Grad und Qualität der Umsetzung seien unzureichend, Kosten explodierten, ein Masterplan existiere nicht und überhaupt: es herrsche Chaos. Gleichzeitig diskutiert die Bundespolitik heftig über Windenergie, erwägt einerseits neue Förderkonzepte und andererseits strengere Abstandsregelungen, während immerhin dem Netzausbau fast einhellig dringender Beschleunigungsbedarf attestiert wird. Die Stimmung „vor Ort“ ist wesentlich schwieriger einzufangen: Nach Ergebnissen des Sozialen Nachhaltigkeitsbarometers der Energiewende nimmt die Kritik vielerorts zu (Setton 2019). Grundsätzlich ist ob der Kontextualität die Bandbreite der Ablehnung sehr groß – sie reicht von friedlicher bis zu sehr feindlicher Energiewende-Kritik inklusive Morddrohungen gegen windkraftaffine Kommunalpolitikerinnen und -politiker.

Wenn indes im Wesentlichen Einigkeit darüber besteht, dass die Energie- und Verkehrswende vorangetrieben werden müssen, wenn also der Ausbau der Erneuerbaren zum politischen Konsens wird und erhebliche Eingriffe und Maßnahmen (das heißt auch: Umstellungen) in der Folge erfordert – was kann dann politisch getan werden, um die Energiewende als „Gemeinschaftswerk“ (Ethik-Kommission Sichere Energieversorgung 2011) mit breiter gesellschaftlicher Akzeptanz umzusetzen?

2 Was ist Akzeptanz – und wie verhält sie sich zur Legitimation?

In gesellschaftlichen und politischen Debatten zur Energiewende wird vielfach auf die Akzeptanz verwiesen, die ein solch einschneidender sozio-technischer Regimewechsel sowohl von Seiten der Bevölkerung als auch der organisierten Interessen erfordere (Mast und Stehle 2016; Schmalz 2019). Dahinter steht in der Regel die Annahme, dass Akzeptanz auch politische Legitimation bedeute bzw. damit gleichzusetzen sei, wie es Niklas Luhmann unmissverständlich formuliert hatte (Luhmann 1969, 2007). Diese Verquickung weist zwei grundsätzliche Schwachpunkte auf: Erstens bleibt zumeist unklar, was Akzeptanz im Einzelfall genau bedeuten soll (Meint sie die aktive Unterstützung eines potenziell strittigen Unterfangens? Handelt es sich im Sinne der Toleranz eher um ein neutrales Hinnehmen? Oder genügt das Ausbleiben von Widerstand, um Akzeptanz zu konstatieren?), zweitens blendet sie andere Formen der demokratischen Erzeugung von Legitimation aus (Sareen 2019).

Oftmals wird die Akzeptanz der Energiewende daran bemessen, wie viele der an einer Repräsentativität beanspruchenden Umfrage Teilnehmenden – etwa Bürgerinnen und Bürger – angeben, die Nutzung von Windenergie etc. zu befürworten (s. FN1). Die Aussagekraft solcher allgemeinen Einstellungsabfragen ist begrenzt: So äußern sich Befragte gegenüber Energiewende-Projekten, die in räumlicher Nähe zu ihrem Wohnort realisiert werden (sollen), deutlich kritischer (Bertsch et al. 2016; Hübner et al. 2019; Setton 2019). Akzeptanz ist einzelfallbezogen, abstrakte Stimmungsbilder scheinen zu ihrer Bestimmung nur eingeschränkt geeignet. Schließlich ist entscheidend, worauf sich die Akzeptanz beziehen soll: Ist es die Techniknutzung als solche (Output), geht es um die räumliche Verteilung, also die Standorte von Anlagen (distributive Dimension) oder um die dazugehörigen Planungen, Verfahren und Abläufe (prozessuale Dimension/Throughput)? Weiterhin können der Grad der Berücksichtigung örtlicher Gemeinschaften und Gegebenheiten (Anerkennungsdimension), der individuelle oder kollektive Einbezug (Input) und der Impact dieser Beteiligung auf das Ergebnis (Outcome) wesentliche Auswirkungen auf die Akzeptanz zeitigen. Analog dazu werden in der Politikwissenschaft klassisch drei Dimensionen der Legitimation unterschieden: Input, Output und Throughput (Scharpf 1999). Im Rahmen von Untersuchungen zur Akzeptanz und Partizipation im Kontext der Energiewende wurden Defizite hinsichtlich aller drei Dimensionen identifiziert (Hildebrand et al. 2017). Insbesondere der inhaltlich-prozessualen Qualität von Beteiligungsverfahren (Prinzipien der Ausgewogenheit, Fairness, Transparenz, Verhältnismäßigkeit) wird eine entscheidende Bedeutung für die Akzeptanz beigemessen (Suškevičs et al. 2019). Zweifelsohne ist an diesen (potentiell) legitimationsstiftenden Funktionen nicht zu rütteln. Allerdings zeigt ein Blick in die historische Beteiligungsforschung, dass die zahlreichen Schwachstellen der Energiewende-Partizipation und Governance sowie der einschlägigen politischen Willensbildungsprozesse letztlich nichts Neues sind – ältere Untersuchungen lesen sich mitunter wie Blaupausen des Scheiterns zeitgenössischer Beteiligungs- und Entscheidungsprozesse (statt vieler: Habermas 1973).

Immer öfter akzeptieren die Rechtsadressaten das prozedural legitimierte Recht nicht mehr, sodass eine Legitimationskrise angenommen werden kann (Römmele und Schober 2013). Vor diesem Hintergrund scheint es vielversprechend, Konzepte demokratischer Willens‑, Konsens- und Legitimationsbildung neu zu diskutieren und ggf. zu erweitern. Pierre Rosanvallon elaboriert neue Formen demokratischer Legitimität, da er das alte System der doppelten LegitimitätFootnote 3 schwinden sieht (Rosanvallon 2013, S. 78). Die neue Ära der Partikularität zeitigt ein dezentriertes System, das neue legitimatorische Mechanismen einer Entscheidungs- und Verhaltensdemokratie in Gang setztFootnote 4, welche sich durch Qualitäten konstituieren, die immer wieder neu verhandelt werden müssen (ebd., S. 7, 15, 24). Rosanvallon stellt daher drei neue Legitimitäten vor – Unparteilichkeit, Reflexivität und Nähe –, die eine Verbindung zwischen den klassischen Prinzipien der Legitimation und der gesellschaftlichen Wahrnehmung herstellen (ebd., S. 15). Auf Verfahren der Energiewende sind die drei Prinzipien gut übertragbar, bedürfen jedoch der näheren definitorischen Bestimmung. Auch die kritische Auseinandersetzung mit Energiewende-Konflikten und Partizipation kann für die Bestimmung von Akzeptanz und Legitimation zielführend sein: Die Kritik an Top-down-Ausrichtungen von Diskurs und Verfahren sowie die Frage des Zulassens, d. h. des (konstruktiven) Austragens von Konflikten, führen zu neuen Bewertungen und Maßstäben (Cuppen 2018; Kühne 2018; Weber 2018), wie sie etwa im Rahmen der Radikalen Demokratie diskutiert werden (Comtesse et al. 2019; Marchart 2020). Auch die Ansätze der Deliberation, auf welche viele Verfahren im Kern setzen, stehen bzgl. stark divergierender Interessen, Grenzen der Konsensbildung und oftmals engen Entscheidungsspielräumen erneut auf dem Prüfstand (Bächtiger und Parkinson 2019; Curato et al. 2019; Elstub et al. 2018; Niessen 2019).

3 Eine Frage der Steuerung? Energiewende-Governance zwischen Mehrebenen- und Komplexitätsproblematik

Die Energiewende-Governance hat ein Janusgesicht. Einerseits zeigt sie – auch historisch bedingt – stark zentralisierte Züge, andererseits ist die Energiewende grundsätzlich ein dezentrales Unterfangen, denn Maßnahmen werden vor Ort umgesetzt und lokale Institutionen verfügen dabei durchaus über Einfluss (Benz und Czada 2019). Eine Governance mit langfristiger Planungsperspektive (Kamp 2016) findet sich in einem beinahe unauflösbaren Spannungsfeld wieder: Tagesaktuelle Dynamiken in Zeiten der Globalisierung und Day-to-day-Politics stehen einerseits der fokussierten Ausrichtung auf ein gesamtgesellschaftliches Ziel-Szenario fundamental entgegen. Andererseits machen die Klimaschutz-Ziele eine langfristige Ausrichtung alternativlos. Es handelt sich hierbei um ein Dilemma, an dem Politik und Staat nahezu scheitern müssen (Holgeid und Thompson 2013). Die Energiewende droht, sich in den Dynamiken zeitgenössischer Problemlösungsstrategien zu verfangen. Uwe Schimank (2019) verweist in diesem Zusammenhang auf die gesellschaftlichen Komplexitäten, die funktional differenzierte und kapitalistische Ordnung sowie erhöhte Legitimationserfordernisse und Globalisierungsdruck – mithin zahlreiche unkalkulierbare Faktoren, die Steuerung erschweren.

Neben der Problematik gleichzeitiger Erforderlichkeit und Unmöglichkeit langfristiger Planung (Kamp 2016) wird die Steuerung der Energiewende durch Föderalismus und Mehrebenen-Problematik erschwert (Müller und Kahl 2015; Schreurs und Steuwer 2015; Wurster und Köhler 2016). Christine Chemnitz (2018) erklärte den Energiewende-Konsens zu einem Mythos, da bei näherer Betrachtung wenig Übereinstimmung bei Zielen, Maßnahmen und Strategien im Detail existiert (Metapher der sechszehn verschiedenen Energiewenden der Bundesländer). Schon im Jahr 1972 beschrieb Fritz Scharpf die „Komplexität als Schranke der politischen Planung“. Er arbeitete die Probleme der Politikverflechtung mit den typischen Verflechtungsfallen dezidiert aus (Scharpf et al. 1976; Scharpf 1993; Mayntz und Scharpf 1995). Solche Koordinationsprobleme lassen sich auch in der Energiewende finden. Aktuell argumentiert hingegen Arthur Benz (2019), dass Verteilungskonflikte der Energiewende nicht durch die etablierte föderale Politikverflechtung lösbar sind und man daher darauf verzichte. Stattdessen setze man auf Verhandlungen auf Regierungsebene und stärke die zentrale Bundesebene. Die Steuerungsprobleme der Energiewende in Form von Koordinationsdefiziten und institutioneller Fragmentierung seien daher auf einen Mangel an Verflechtung zwischen Bund und Ländern zurückzuführen, eine Abstimmung aller Ebenen indes zwingend erforderlich. Die Diagnose ist zwar zutreffend, jedoch brächte eine stärkere Verflechtung womöglich andere Problemlagen mit sich. Christian Bauer (2015) konnte für den Netzausbau zeigen, dass die Abstimmung zwischen allen Trägern öffentlicher Belange im Beteiligungsverfahren der Bundesnetzagentur an Partizipationsverflechtungsfallen scheiterte, da eine Harmonisierung aller Interessen schlechterdings nicht möglich ist und stattdessen Unverständnis und Frustration entstehen (vgl. auch Fink und Ruffing 2018, 2020).

Roland Czada (2019) verweist zunächst nüchtern auf typische Reaktionsmuster im Angesicht von Konsenshürden und Koordinationsproblemen: Per Muddling Through werde fallweise und situativ flexibel reagiert – was kein neues Phänomen darstelle. Problematisch seien aber der Verlust stabiler Mehrheiten und korporatistischer Steuerungsformen sowie die Zerfaserung der Interessenvermittlung durch unzählige Gremien. Eben solche Kommissionen sind für heterogene Multi-Akteurs-Konstellationen eigentlich das geeignete Mittel im Sinne einer vermittelnden dritten Ebene, wie etwa Paul Sabatier (1993) argumentierte. Doch die Kohle-Kommission verdeutlicht, woran auch diese Vermittlungslösungen scheitern können: sie stellen zumeist eher einen „Schein-Konsens“ her, der die unterschiedlichen Interessenlagen politischer Ebenen und Akteure nicht miteinander versöhnt – und nach Beendigung der Kommissionsarbeit geht das Gezerre weiter. Allerdings sind im Kontext der Energiewende Herausforderungen zu bewältigen, die, im Vergleich zum alten Energiesystem mit einer sehr begrenzten Anzahl handelnder Akteure, durch zahlreiche, sich teils überlagernde, teils diametral gegenüberstehende sowie in dynamischen Entwicklungen befindliche Interessenlagen geprägt sind, was nicht nur die Vermittlung zwischen den Akteuren, sondern auch ihre eigenen Handlungsentscheidungen maßgeblich erschwert (Neukirch 2019). Die Herausforderungen für die Verhandlungsdemokratie sind also immens – ein Blick auf die langfristigen Reform- bzw. Wendeprojekte vergangener Jahrzehnte zeigt, dass die Energiewende hierbei durchaus eine Sonderrolle einnimmt (Czada und Radtke 2018).

Forderungen nach einem Masterplan für die Energiewende (Dohmen et al. 2019) ist aus zwei Gründen kritisch zu begegnen: Die Bund-Länder-Verhandlungen zeigen, dass eine Verschiebung von Verantwortlichkeiten in Richtung des Bundes und – damit einhergehend – ein höherer Grad an Zentralisierung unrealistisch sind; überdies könnte ein solcher Masterplan nichts an den einschlägigen rechtlichen Regelungen (z. B. Immissionsschutz-, Bau- und Planungsrecht sowie insbesondere am europäischen Recht), Planungsgrundsätzen sowie den föderalen Grundprinzipien ändern. Hinzu kommen noch die Abhängigkeiten vom Marktgeschehen. So ist zu konstatieren: Heterogene Ausprägungen der Energiewende – Windkraft an der Küste, Biomasse in Agrarregionen – sind unausweichliche Realitäten, die nicht in Einklang gebracht werden können. Daher kommt es in entscheidendem Maße auf ein kluges Ausgleichs- und Kompensationsmanagement neben schonender Implementierung an.

So wird eine erhebliche Herausforderung zukünftig in der Ausbildung und Verschärfung regionaler Disparitäten und Stadt-Land-Differenzen liegen (Holstenkamp und Radtke 2019; Rodden 2019): Ambitionierte und häufig sozioökonomisch bessergestellte Städte und Regionen entwickeln sich zu Leuchttürmen des Klimaschutzes, während marginalisierte und deprivierte Provinzen zurückstehen, in denen Entwicklungen wie Windenergie-Ausbau und Kohleausstieg zusätzlich unmittelbare negative Auswirkungen auf Einstellungen in der Bevölkerung haben können. Hier gilt es, Ausgleichsmechanismen und Aufwertungsstrategien zu entwickeln, die der immerhin grundgesetzlich festgeschriebenen Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse dienen (Spatial und Territorial Justice: Bouzarovski und Simcock 2017; Degros et al. 2019; vgl. auch Bojarra-Becker et al. 2016; Erbguth 2019).

4 Eine Frage der Beteiligung? Ein fragwürdiger Königsweg

Die Energiewende ist ein partizipatives Transformationsprojekt und damit maßgeblich geprägt durch die Beteiligung von Einzelpersonen, unterschiedlichen Gemeinschaften und diversen Akteuren (Holstenkamp und Radtke 2018). Hierbei sind unterschiedliche Dimensionen zu unterscheiden: Eine materielle und assoziative Beteiligungsvariante durch den vollständigen oder anteiligen Erwerb von Energieanlagen bzw. Infrastruktur, eine diskursiv-deliberative Beteiligung im Rahmen formeller und informeller Öffentlichkeitsbeteiligung sowie eine partizipative Governance-Gestaltung (Radtke und Renn 2019). Ergänzend kommen noch Elemente der direkten Demokratie wie Bürgerentscheide und Abstimmungen hinzu (Biegelbauer und Kapeller 2017). Damit verbindet die Beteiligung im Rahmen der Energiewende bürgerschaftliches Engagement in Form von Bürgerenergie und diversen Bürgerinitiativen (Radtke et al. 2020) mit dialogisch oder deliberativ geprägten Verfahren, die vor allem bei Planungsverfahren und der Entwicklung von Energiekonzepten Anwendung finden (Renn et al. 2017).

Die Beteiligung wird weithin als Königsweg und wesentlicher Schlüssel zur Erreichung der angestrebten Akzeptanz und Legitimation gesehen. Diese „Panakeia“ der Energiewende (Schweizer und Renn 2013), diese „silver bullet“ für die Akzeptanz (Rau et al. 2012) gestaltet sich jedoch weder unkompliziert noch voraussetzungsfreiFootnote 5. Beteiligung setzt erstens die Bereitschaft voraus, die Beeinflussung von Willensbildungsprozessen auch tatsächlich zuzulassen (Output/Outcome), zweitens muss sie der gesamten (lokalen) Bevölkerung bzw. allen tangierten Akteuren zur Verfügung stehen, besser noch: sie involvieren (Input) und drittens muss der Prozess bestimmte Qualitätskriterien (Offenheit, Fairness, Transparenz etc.) erfüllen (Throughput) – auch im Sinne der Maßstäbe von Nähe, Unparteilichkeit und Reflexivität nach Rosanvallon. Im Lichte dieser Anforderungen werden diverse Mängel der Partizipation in der Energiewende offenbar, derer hier nur einige angeführt werden können.

Die materielle Beteiligung in Gestalt der Bürgerenergie hat ihre Bestzeiten wohl hinter sich, seit Jahren gründen sich nur noch wenige Initiativen. Immerhin konnten in etwa 1700 Beteiligungsgesellschaften viele tausend Bürgerinnen und Bürger beteiligt werden (Kahla et al. 2017). Allerdings zeigt ein Blick auf die Sozialstruktur der Involvierten, dass vor allem Menschen aus sozioökonomisch bessergestellten Teilen der Bevölkerung Mitglied werden, auch jüngere Personen und Frauen partizipieren weniger (Radtke 2016). Zudem werden viele Bürgerenergie-Projekte mit lokalem Bezug nur von einem Bruchteil der Ortsansässigen realisiert, wodurch soziale Spaltungen begünstigt werden. Kommunale Betreibungsmodelle, in denen eine Gemeinde im Auftrag der lokalen Bevölkerung handelt, erscheinen weniger exklusiv (Radtke 2018).

Auch ein Blick auf die Öffentlichkeitsbeteiligung, die vor allem beim Windkraft- und Netzausbau ausgiebig praktiziert wird, offenbart zahlreiche Herausforderungen und Defizite. Trotz aufwendiger und weitreichender Bemühungen öffentlicher Einrichtungen und privater Vorhabenträger herrscht auf Seiten derjenigen, die an Arbeitsgruppen, Dialogforen und Informationsveranstaltungen teilnehmen, viel Enttäuschung und Frustration. Dies ist auf stark divergierende Rationalitäten, wenig Spielraum für Verhandlungen und die Selbstwahrnehmung als in besonderem Maße benachteiligt, die sich bedingt durch Systemlogiken bei allen Beteiligten beobachten lässt, zurückzuführen (Huge und Roßnagel 2018; Komendantova und Battaglini 2016; Leibenath et al. 2016; Roßmeier et al. 2018; Kapeller und Biegelbauer 2020). So plädieren Bürgerinitiativen bei Netzausbau-Beteiligungsverfahren für eine dezentrale Energiewende, die den Ausbau in Teilen mutmaßlich überflüssig machen würde – eine Forderung, die für die Planerinnen und Planer sowie die Netzbetreiber kaum eine probate Diskussionsgrundlage darstellt (Neukirch 2017). In den Veranstaltungen aufkommende Fragen und Anliegen übersteigen oftmals die Kompetenzen der zuständigen Behörden, worin sich die Mehrebenen-Governance-Problematik widerspiegelt. Wenngleich die Beteiligungsverfahren im Zuge des Netzausbaus eine negative Bilanz aufweisen (Kamlage et al. 2014; Schweizer-Ries et al. 2016) können durch faire und offene Verfahren, welche nicht primär durch den Anspruch einer möglichst zügigen und kosteneffizienten Realisierung des Projekts geprägt sind, konfliktlösende Potentiale entfaltet werden (Kamlage et al. 2020). Obschon Defizite den Involvierten bekannt sind, bleibt das partizipative Paradigma mit den üblichen Ansätzen der Infomessen und Dialogformate angesichts fehlender Alternativen in der Praxis und ungebrochen – oder umgekehrt ausgedrückt: Verzicht auf Partizipation ist mit dem Zeitgeist unvereinbar geworden. Nach wie vor ist auf interaktionaler Ebene in den Beteiligungsverfahren eine implizite Top-down-Systematik inklusive einer abdämpfend wirkenden paternalistisch-positivistischen Kulisse vielerorts erkennbar, die jedoch zunehmend kritisch hinterfragt wird (Cuppen 2018).

Damit werden die Ansprüche an Partizipation der Zivilgesellschaft und partizipative Governance auf eine Probe gestellt. Plädoyers für eine stärker konsultative Rückkopplung zwischen den etablierten politischen Entscheidungsstrukturen und diversen bürgerorientierten Beteiligungsformaten sind zwar berechtigt und sinnvoll, vermögen allerdings an den schwerlich zu harmonisierenden Divergenzen und Eigenlogiken bzw. -motivationen der einzelnen Interessenträger wenig zu ändern (Nanz und Leggewie 2016; Römmele und Schober 2013).

5 Fazit: Die Energiewende am Scheideweg

Die Energiewende ist einerseits eine Erfolgsgeschichte: Als im Jahr 2000 das Erneuerbare-Energien-Gesetz im Bundestag verabschiedet wurde, war nicht absehbar, dass nur zwanzig Jahre später immerhin die Stromwende als erfolgreich eingeleitet gelten kann. Die tiefgreifenderen Transformationsdesiderate einer Verkehrs- und Wärmewende sowie einer vollends vollzogenen Stromwende, die gänzlich auf erneuerbare Erzeugung setzt, werden jedoch weitaus schwieriger zu erreichen sein – und sehr viel erheblichere Einschnitte bedeuten (Paul Welfens spricht daher zu Recht von einem „Ende der Komfortzone“ in der Klimaschutzpolitik, vgl. Welfens 2019).

Dies zeigt sich erstens an der gegenwärtigen Debatte um die Windkraft. Der stagnierende Windkraft-Ausbau hat verschiedene Ursachen. In vielen Regionen sind Regelungen und Planungsverfahren so aufwendig, restriktiv und unsicher sowie/oder durch Klageverfahren eingeschränkt, dass entweder Standorte nicht erschlossen werden können oder die Risiken durch mögliche Betreiber als zu groß wahrgenommen werden. In der Politik werden verschiedene Vorschläge diskutiert, etwa Quoten für den Ausbau oder Prämien für Anwohnerinnen und Anwohner. Hierbei ist zu bedenken: Selbst wenn Mindestabstände verringert und Vergütungen erhöht würden, hätte dies kaum Auswirkungen auf die Geschwindigkeit der Verfahren – sie zögen sich auch weiterhin jahrelang hin. Da nunmehr erstmals Energieproduktionsanlagen wie PV und Windkraft aus der garantierten Förderung nach dem EEG nach 20 Jahren herausfallen werden, stellt sich die Frage, ob und inwieweit diese auch weiterhin betrieben werden (können) – zumal noch eine bereits nahezu ausgeschöpfte Deckelung der Photovoltaik-Förderung gültig ist, um die neben den Abstandsregelungen im Rahmen der Energiewende-Verhandlungen derzeit in den Bund-Länder-Verhandlungen gerungen wird (Stand April 2020). Und zu bedenken ist etwa im Falle eines möglichen Repowerings von Windkraft, dass nach Ablauf der vorgesehenen Betriebszeit eine Neubewertung der Standorte durchgeführt wird – also Fälle denkbar sind, in denen Windenergieanlagen nicht ersetzt werden können. All das stellt in Aussicht, dass der anvisierte weitere Ausbau der Erneuerbaren vor enormen Herausforderungen steht.

Zweitens rückt der Diskurs in den Mittelpunkt (Mast und Stehle 2016; Rosenberger und Kleinberger 2017). Hier ist ein zunehmender Einfluss von Populismus und einer aufgeheizten Debattenkultur zu beobachten (FSB 2020; Radtke et al. 2019): Bei zahlreichen Energiewende-Konfliktherden vor Ort verschärft sich der Diskurs und enthemmt sich der Sprachduktus (Eichenauer et al. 2018). Klimaskeptizismus und kritischen Politik- und Staatsauffassungen kommt hier eine entscheidende Rolle zu (Brunnengräber 2018; Forchtner 2019; Radtke und Schreurs 2019); mitunter speist sich die Ablehnung gar aus negativen Beteiligungserfahrungen (Eichenauer 2018). Hierbei kommt jenseits simplifizierender NIMBY-Deutungsversuche Gerechtigkeitsfragen eine besondere Relevanz zu (Energy Justice: Williams und Doyon 2019). Zudem lassen sich Stellvertreter-Konflikte beobachten, im Zuge derer Verhältnisse zwischen Stadt und Land, Alteingesessenen und Zugezogenen, Eigentum und Nicht-Eigentum kontrovers diskutiert werden (Fettke 2018; Hoeft et al. 2017). In Zukunft wird die räumliche Gerechtigkeit zwischen marginalisierten und sozioökonomisch sowie infrastrukturbezogen besser gestellten Regionen bzw. Städten vermutlich eine sehr viel wichtigere Rolle spielen.

Drittens werden Herausforderungen durch die internationale und europäische Energie- und Klimapolitik entstehen: Die EU versucht durch Konturierung einer europäischen Energiepolitik an Einfluss zu gewinnen – bislang vor allem mit weichen Regelungsmechanismen (Oberthür 2019). Dies könnte sich zukünftig ändern, wenn der Green New Deal ernst genommen wird, und würde zu Änderungen und Anpassungserfordernissen der deutschen Energiepolitik führen. Bereits jetzt sind neue Nachhaltigkeitsstrategien in Folge der Reformen der europäischen Vergaberechtsvorschriften zu erwarten (Ziekow und Gyulai-Schmidt 2020).

Schließlich ist viertens eine erhebliche Wirkmächtigkeit der Zivilgesellschaft und Sozialer Bewegungen wie Fridays for Future zu beobachten, die auch zukünftig eine ambitionierte Klimapolitik einfordern werden. Zwar zeigt sich neben einer gewissen Frustration auch ein neues Bewusstsein für die Unabwendbarkeit des Klimawandels (Franzen 2020). Dies ist aber nicht zwingend mit Resignation gleichzusetzen, sondern könnte in Zukunft noch stärker das zivilgesellschaftliche Engagement aktivieren. Die globale Corona-Krise zeigt auf, welche Potentiale für den Klimaschutz durch Verzicht existieren – da der Lockdown-Zustand aber moderne Gesellschaften nicht trägt, sind neue und solidarische Konzepte für die Nachhaltigkeitstransformation wichtiger denn je.

Mit Blick auf die zukünftig erforderliche breite Akzeptanz im Sinne grundsätzlicher Zustimmung zu den Vorhaben der Energiewende sind (idealtypisch) zwei Entwicklungen denkbar: Entweder kommt es zu einer „Versöhnung“ mit den diversen Eingriffen und Belastungen, neuen Routinen sowie Konsum- sowie Mobilitätsmustern oder es entsteht ob der persistierenden Widerstände ein „stilles“ Abkommen zwischen den Mehrheiten, das nur moderate oder sogar keine weiteren Maßnahmen vorsieht – als Analogon zu „gefühlten“ Mehrheiten, auf die Politik reagiert (Renn 2019).

Es ist unwahrscheinlich, dass eine der beiden Optionen in der beschriebenen Reinform realisiert wird. Allerdings ist zu vermuten, dass politische Entscheidungsträgerinnen und -träger erhebliche, d. h. stark belastende und einschneidende Konzepte einer radikaleren Transformation nicht verfolgen werden. Die antizipativ-reaktive Politik ist anfällig für Stimmungen, die bereits gegenwärtig Geschwindigkeitsbegrenzungen für Autobahnen nicht mehrheitsfähig machen. Die von Axel Berg ins Spiel gebrachte Idee, die „Energiewende einfach durchzusetzen“, wirkt auf den ersten Blick wie eine naheliegende Möglichkeit, die Realisierung der Energiewende zu beschleunigen. Dies geht jedoch an jeder staatsrechtlichen Realität vorbei und entspricht darüber hinaus nicht den Grundsätzen der Demokratie (Berg 2019). Demokratisch wird eben nichts einfach umgesetzt, sondern aufwendig und langwierig ausgehandelt und immer wieder neu verhandelt – ein schwieriger und doch lohnender Weg, obgleich die Uhr des Klimawandels ticken mag.

Zur Erhöhung und Sicherstellung von Akzeptanz und Legitimität werden Politik und Staat auch weiterhin auf Beteiligung und situativ-flexible Energiewende-Strategien sowie bestenfalls reflexive Konzepte setzen, was wohl im Kern der richtige Ansatz ist. Jenseits einer Auslagerung von Debatten an Bürgerforen wären Änderungen innerhalb der Institutionen, die mehr Input und Reflexivität zur Legitimitätserhöhung erlaubten (Meinel 2019; SRU 2019), sowie eine Reformierung von Planungsrecht und -praxis für eine besser abgestimmte Koordination und Steuerung zu erwägen (Heitzmann 2018; Kümper 2018; Schmid et al. 2020). Dies sind allerdings dicke Bretter, die es zu bohren gälte. In Verbindung mit der Digitalisierung sind vielversprechende einschlägige Zukunftsformate bereits erkennbar (WBGU 2019) – nun braucht es reflexive, ausgewogene und intelligente Nutzungskonzepte, um die Potentiale einer digitalen Demokratie auch in der Energiewende besser auszuschöpfen.