Skip to main content
Free AccessPsychologie für die Gesellschaft

Psychologisches Wissen für die Praxis: Gefährdungsbeurteilungen im Arbeits- und Gesundheitsschutz

Published Online:https://doi.org/10.1026/0033-3042/a000314

Im Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) sind Gefährdungsbeurteilungen gesetzlich vorgeschrieben. Dabei sind auch psychische Belastungen zu berücksichtigen (vgl. Kasten). Bedingt durch unzureichende Erfahrungen und Partikularinteressen herrscht bei den Entscheidungsträgern vielfach Handlungsunsicherheit über die Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen (GBU). Die Psychologie kann hier einen wesentlichen Beitrag leisten und damit den Arbeits- und Gesundheitsschutz unterstützen. Im Folgenden werden Merkmale von gesetzlich vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilungen (GBU), der Beitrag der Psychologie, insbesondere der Arbeits- und Organisationspsychologie, zu diesem Thema sowie Aufgaben für Forschung, Praxis und Ausbildung diskutiert.

Im ArbSchG ist die Psychologie als Fachdisziplin implizit gefordert. Anders als in Österreich wird aber unsere Berufsgruppe nicht explizit erwähnt; die fachliche Zuständigkeit im Betrieb wird in den entsprechenden Gesetzen und Verordnungen beim arbeitsmedizinischen Dienst und bei den Arbeitssicherheitsfachkräften gesehen.

Gefährdungsbeurteilungen nach dem Arbeitsschutzgesetz

Nach §5 des ArbSchG hat der Arbeitgeber durch eine Beurteilung der mit der Arbeit der Beschäftigten verbundenen Gefährdungen zu ermitteln, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. Eine Gefährdung kann sich besonders ergeben durch (1) die Gestaltung und die Einrichtung der Arbeitsstätte und des Arbeitsplatzes, (2) physikalische, chemische und biologische Einwirkungen, (3) die Gestaltung, die Auswahl und den Einsatz von Arbeitsmitteln, insbesondere von Arbeitsstoffen, Maschinen, Geräten und Anlagen sowie den Umgang damit, (4) die Gestaltung von Arbeits- und Fertigungsverfahren, Arbeitsabläufen und Arbeitszeit und deren Zusammenwirken, (5) unzureichende Qualifikation und Unterweisung der Beschäftigten, (6) psychische Belastungen bei der Arbeit.

Neben vielen anderen Gefährdungen sind seit 2013 in Satz 6 psychische Belastungen explizit genannt. Die Erfassung psychischer Belastungen und die Überprüfung der Wirkungen auf die Gesundheit sind genuin arbeitspsychologische Themen, die durch die Verbindung von Forschung und Lehre an den Universitäten auch Gegenstand der Ausbildung sind. Aber auch zu den anderen Gefährdungspotenzialen hat die psychologische Forschung relevante Beiträge geleistet. Man denke nur an die Grundlagenforschung zu Wahrnehmungsprozessen und Ermüdung, was zum Beispiel für die Bedienung von Geräten und Anlagen von Bedeutung ist.

Im ArbSchG finden sich weitere Festlegungen, die Anforderungen an unsere Fachdisziplin definieren: Der Verweis auf die sozialen Beziehungen als Gegenstand von Maßnahmen erfordert genuin sozial- und organisationspsychologisches Wissen. Weitere psychologische Kompetenzen werden angesprochen, wenn auf Prävention verwiesen wird (Vermeidung von Gefährdungen) und auf die Forderung, Gefahren an der Quelle zu bekämpfen. Gefahren kann man nur dann an der Quelle begegnen, wenn man diese identifiziert. Die arbeitspsychologische Forschung hat zu diesem Problembereich theoretische Modelle, Analyseverfahren und eine Vielzahl von empirischen Belegen erarbeitet. Mit der Überprüfung der Wirksamkeit werden methodische Kompetenzen zur Evaluationsforschung erwartet.

Nach § 4 des ArbSchG sind (1) die Arbeit so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das Leben sowie die physische und die psychische Gesundheit möglichst vermieden wird; (2) Gefahren an ihrer Quelle zu bekämpfen; (3) dabei der Stand von Technik, Arbeitsmedizin und sonstige gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse zu berücksichtigen; (4) Maßnahmen mit dem Ziel zu planen, Technik, Arbeitsorganisation, sonstige Arbeitsbedingungen, soziale Beziehungen und Einfluss der Umwelt auf den Arbeitsplatz sachgerecht zu verknüpfen. § 3 verlangt, dass die Wirksamkeit von Maßnahmen überprüft wird.

In der Bundesrepublik Deutschland sind Bund und Länder sowie die gesetzliche Unfallversicherung und die Berufsgenossenschaften ermächtigt, die Einhaltung des Arbeitsschutzes zu kontrollieren. Diese haben sich in der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) zusammengeschlossen. Zentrale Aufgabe der GDA ist die Stärkung von Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz. Zu beachten ist ferner, dass mit dem ArbSchG vielfältige Mitbestimmungsmöglichkeiten der Arbeitnehmervertretung verbunden sind. Dies bringt mit sich, dass unter den Beteiligten Kompromisse auszuhandeln sind.

Der Prozess der Gefährdungsbeurteilung

Die GDA schlägt bei Gefährdungsbeurteilungen einen Phasenverlauf vor, der dem Ablauf eines betrieblichen Interventionsprozesses entspricht:

  1. 1.
    Festlegen von Arbeitsbereichen und Tätigkeiten
  2. 2.
    Ermitteln der Gefährdungen (Analyse)
  3. 3.
    Beurteilen der Gefährdungen (Festlegung Handlungsbedarf)
  4. 4.
    Festlegen konkreter Arbeitsschutzmaßnahmen
  5. 5.
    Durchführen der Maßnahmen (Intervention)
  6. 6.
    Überprüfen der Wirksamkeit der Maßnahmen (Evaluation)
  7. 7.
    Dokumentation
  8. 8.
    Fortführung der Gefährdungsbeurteilung bei Änderung der Gegebenheiten

Vier dieser Phasen, bei denen psychologisches Fachwissen einen herausragenden Beitrag leistet, werden im Folgenden erläutert.

Analyse

Das ArbSchG erfordert die Analyse von Belastungen, d. h. von Faktoren, die von außen auf Menschen einwirken. Auch mit der Feststellung „Gefahren sind an ihrer Quelle zu bekämpfen“ formuliert das Gesetz die Notwendigkeit einer Analyse der Bedingungen (wie psychische Belastungen, Arbeitsabläufe, Arbeitszeit), die Gefährdungen auslösen können.

Arbeitsanalyseverfahren lassen sich u. a. danach unterscheiden, ob sie einen bedingungsbezogenen oder einen personenbezogenen Schwerpunkt haben. Bedingungsbezogene Analysen zielen auf gefährdende Bedingungen ab, unabhängig von den arbeitenden Personen. Personenbezogene Analysen zielen auf individuelle Strategien, Bewertungs- oder Bewältigungsprozesse ab. Diese Unterscheidung ist nicht zu verwechseln mit der Beschreibung der Methodik, d. h. z. B. Erfassung der Belastung durch Selbsteinschätzung oder durch Beobachtungsinterviews. Beide Gruppen von Methoden können bedingungs- oder personenbezogen sein.

In Bezug auf die Inhaltsbereiche formuliert die GDA als Minimalkonsens potenzieller Gefährdungsquellen Arbeitsinhalte/Arbeitsaufgabe, Arbeitsorganisation, soziale Beziehungen und Arbeitsumgebung. Die in den letzten Jahrzehnten entwickelten psychologischen Arbeitsanalyseverfahren sind hilfreich für die Wahl von Inhaltsbereichen, da sie zumeist eine Vielzahl von Subskalen enthalten. Die Gefährdungsbeurteilung muss tätigkeitsspezifisch erfolgen. Deshalb ist zu prüfen, ob diese allgemeinen Faktoren ergänzt werden müssen, insbesondere auch im Hinblick auf neue Arbeitsformen und Arbeitsinhalte. Viele bereits entwickelte Verfahren sehen zudem vor, dass auch Ressourcen erfasst werden. Die Erfassung der Ressourcen ist hilfreich für die Ableitung von Maßnahmen, die auch in der weiteren Schaffung von Ressourcen bestehen können.

Im betrieblichen Setting ist häufig ein mehrstufiges Verfahren, das von der Orientierung bis zur Detailanalyse reicht, sinnvoll. Das arbeitspsychologische Methodeninventar bietet unterschiedliche Differenzierungsgrade mit unterschiedlichen Instrumenten an. Für die Auswahl von konkreten Verfahren gibt es vielfältige Quellen, wie etwa die Toolbox der BAuA1.

Beurteilung der Gefährdung

GBU sind darauf ausgelegt, potenzielle Gefährdungen zu erfassen und zwar, so die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes, unabhängig davon, ob ein Schaden (also eine gesundheitliche Beeinträchtigung) schon eingetreten ist.2 Um später Maßnahmen abzuleiten, ist es erforderlich, den Grad der Gefährdung einzustufen, d. h. die gemessene Belastung zur Wahrscheinlichkeit einer gesundheitlichen Beeinträchtigung in Beziehung zu setzen. Die arbeitspsychologische Forschung liefert eine Vielzahl von empirisch ermittelten Zusammenhangsmaßen zwischen Gefährdungen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen.

Festlegung und Durchführung von Maßnahmen

Einige wenige Instrumente der Arbeitsanalyse sehen die Entwicklung von Hinweisen auf Maßnahmen als impliziten Bestandteil des Instrumentes vor. Generell bieten die arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse zu Arbeitsgestaltung sowie zu Personal- und Organisationsentwicklung einen geeigneten Rahmen, um im Kontext von Gefährdungsbeurteilungen Maßnahmen abzuleiten und durchzuführen. Inhaltlich können diese Maßnahmen auf die bereits im Abschnitt Analyse genannten Gruppen von Faktoren bezogen werden. Gestaltungsgrundsätze und -ziele orientieren sich an den in der Arbeitswissenschaft bekannten Kriterien: Ausführbarkeit, Schädigungslosigkeit, Beeinträchtigungsfreiheit sowie Lern- und Gesundheitsförderlichkeit. Die vordringliche Berücksichtigung bedingungsbezogener Belastungen impliziert das bei Arbeitsgestaltung zentrale Primat der Arbeitsaufgabe. Demnach ist in erster Linie zu prüfen, inwieweit Arbeitsaufgaben zu verändern sind, um Belastungen zu reduzieren. Da die Gefährdungen „an ihrer Quelle“ zu bekämpfen sind, wird deutlich, dass personenbezogene Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung wie z. B. Rückenschulen oder Entspannungskurse dem nicht gerecht werden. Sie können allenfalls Begleitmaßnahmen bei der Umgestaltung von Bedingungen sein.

Die arbeits- und organisationspsychologische Forschung zeigt, dass Partizipation die Akzeptanz von Maßnahmen erhöht. Neben einer Einbeziehung der Beschäftigten, deren Arbeitsplätze Gegenstand von GBU sind, und deren betriebliche Interessenvertretung, betrifft dies die verschiedenen betrieblichen Hierarchieebenen, die Zuständigen für Arbeits- und Gesundheitsschutz und für Personal- und Organisationsentwicklung.

Evaluation

Evaluationsmethoden beziehen sich auf Prozesse und Ergebnisse der GBU. Erstere berücksichtigen u. a. die Übereinstimmung zwischen Planung und Ausführung, die Reichweite des Programms und die verschiedenen Schritte. Die Prozessevaluation sollte auch Aufschluss darüber geben, welche anderen vielfältigen Veränderungsprozesse im Betrieb zeitgleich zu den Maßnahmen einer GBU ablaufen. Dies kann helfen, die Ergebnisse der summativen Evaluation richtig zu bewerten, denn manchmal ist keine Veränderung (zum Schlechten) bereits ein Erfolg. Entsprechend der bedingungsbezogenen Perspektive ist ein wesentlicher Schwerpunkt der Ergebnisevaluation, inwieweit sich die Arbeitsbedingungen durch die GBU verändert haben.

Offene Fragen und Kontroversen

Die Ausgangsbedingungen für GBU unterscheiden sich in den Organisationen der Arbeitswelt erheblich: In manchen Fällen – vorwiegend in Großbetrieben – liegen Erfahrungen im Arbeits- und Gesundheitsschutz, in der Personal- und Organisationsentwicklung, in der Durchführung von Arbeitsanalysen und von Mitarbeiterbefragungen vor, die auf GBU übertragen werden können. In anderen Fällen – besonders in Kleinbetrieben – gibt es dieses Wissen nicht, GBU müssen zwar durchgeführt werden, aber niemand in der Organisation weiß so recht wie; Beratungsmöglichkeiten sind kaum verfügbar. In einigen Fällen nimmt die betriebliche Interessenvertretung Mitbestimmungsmöglichkeiten wahr, in anderen nicht. In einigen Fällen sichern kompetente und engagierte Organisationsmitglieder einen qualitativ hochwertigen Prozess, in anderen Fällen verhindern andere betriebliche Konflikte einen sachgerechten Prozess oder es geht lediglich darum, gegenüber Aufsichtspersonen zu dokumentieren, dass gesetzliche Vorgaben eingehalten wurden.

Die Arbeits- und Organisationspsychologie kann den Prozess der GBU durch das Wissen zu Analyse und Intervention unterstützen. Im Rahmen der Analyse müssen, um den unterschiedlichen Anforderungen im betrieblichen Setting gerecht zu werden komplexe arbeitspsychologische Methoden, die häufig im Forschungskontext entstanden sind, so weiterentwickelt werden, dass sie arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen und im betrieblichen Kontext praktikabel sind. Einige solcher Verfahren liegen vor.

Nicht geklärt unter den Akteuren sind die Entscheidungskriterien. Auf der einen Seite sind Verfahren zu bevorzugen, die Gütekriterien wie Objektivität, Reliabilität, Validität, Sensitivität, Reichweite, Spezifität, Nützlichkeit, Diagnostizierbarkeit sowie Verfügbarkeit von Norm- und Referenzwerten entsprechen. Auf der anderen Seite ist im betrieblichen Kontext häufig das vorrangige Ziel, dass Gefährdungsbeurteilungen überhaupt durchgeführt werden. Die soziale Validität und damit die Akzeptanz der Verfahren lassen sich u. U. nur zu Lasten der Gütekriterien realisieren.

Hinsichtlich der Beurteilung einer Gefährdung ist es wünschenswert, Schwellenwerte zu benennen. Empirisch begründete Einstufungen unterschiedlicher Grade der Gefährdung liegen jedoch kaum vor. Hierzu wäre es erforderlich, eine Datenaggregierung über die bisherige Forschung zu erstellen, um zu belastbaren Aussagen zu kommen. Eine Forschungslücke stellen dabei Untersuchungen zur Wechselwirkung von Mehrfachbelastungen bzw. Belastungen und Ressourcen dar. Auch fehlen Studien über Zeitverläufe.

In einer Situation, in der keine verbindlichen Schwellenwerte existieren – und es besteht die Befürchtung, dass dies aufgrund der Komplexität des Themas noch länger so sein wird – sind die Akteure in der Praxis darauf angewiesen, selbst Kriterien zu entwickeln, ab wann Handlungsbedarf besteht. Dies verlangt gründliche Kenntnisse theoretischer Modelle, da diese das Verständnis von Mehrfachbelastungen und Wechselwirkungen ermöglichen. Auch Kenntnisse der zentralen metaanalytischen Ergebnisse zu relevanten Belastungsfaktoren sollte jeder Praktiker mitbringen. Der häufig gewählte Weg, Referenzwerte mit anderen Beschäftigungsgruppen als Kriterium zur Beurteilung des Grades einer Gefährdung heranzuziehen, ist nur bedingt ein Ausweg, da ein Mehr oder Weniger im Vergleich zu einer anderen Gruppe noch keine Aussage darüber erlaubt, ob ein gesundheitskritischer Wert vorliegt.

In Bezug auf die Festlegung von Maßnahmen verfügt die Arbeits- und Organisationspsychologie über vielfältiges Gestaltungswissen. Insbesondere das Konzept der prospektiven Arbeitsgestaltung wird dem präventiven Charakter der GBU gerecht. Damit ist gemeint, dass Arbeitsgestaltung bereits bei der Planung und Konzipierung von Arbeitstätigkeiten erfolgt, z. B. wenn neue Produktionsabläufe eingeführt werden. Dies wäre ein wichtiger Erfolg im Arbeits- und Gesundheitsschutz. Was die Durchführung der Maßnahmen betrifft, so ist es ein Merkmal psychologischer Tätigkeit, komplexe Prozesse zu steuern.

Hinsichtlich der Evaluation von Maßnahmen im Betrieb ist die Forschung gefordert, einfache, praktikable Vorgehensweisen zu entwickeln und Minimalkriterien für Prozess- und Ergebnisevaluation zu definieren. Mindeststandards können vor allem dann realisiert werden, wenn fundiertes einschlägiges methodisches Wissen vorliegt. Die in der Praxis oft nicht zu vermeidende Reduzierung der Standards wissenschaftlichen Vorgehens richtet umso weniger Schaden an, je mehr man sich der Folgen bewusst ist.

Resümee

Trotz gesetzlicher Vorgabe werden GBU nur in einem Teil der Betriebe durchgeführt. Psychische Gefährdungen werden besonders selten berücksichtigt. Grund für die unzureichende Einbeziehung psychischer Belastungen beim Arbeitsschutz ist, dass eine Einbeziehung psychosozialer Risikofaktoren im Vergleich zu „klassischen“ Risikofaktoren als schwieriger empfunden wird und dass den Zuständigen Informationen oder entsprechende Instrumente für die Analyse und den effizienten Umgang mit diesen Risiken fehlen.

Bisher werden vergleichsweise selten Psychologinnen und Psychologen im Arbeits- und Gesundheitsschutz eingesetzt. Die GDA hat 2013 als einen von drei Schwerpunkten für die nächsten sechs Jahre den Schutz und die Stärkung der Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung gewählt. Wenn die Kontrollorgane ihrer Aufsichtspflicht in den nächsten Jahren verstärkt nachkommen und den Prozess der GBU beratend begleiten, ist ein zunehmender Bedarf an psychologischer Fachkompetenz in den Betrieben und Verbänden zu erwarten.

Die Arbeits- und Organisationspsychologie bietet nützliches Wissen, das Grundlage für GBU sein kann. Das Wissen zu Prozessgestaltung ermöglicht es, für Betriebe passende Lösungen zu entwickeln und diese zu implementieren. Die weiter oben benannten Unsicherheiten könnten damit ebenso reduziert werden wie die Orientierung an Interessen Einzelner.

Eine wichtige Aufgabe ist es, komplexe, für die Forschung erarbeitete Verfahren zur Analyse und Evaluation zu praktikablen und methodisch abgesicherten Methoden weiter zu entwickeln und dabei auch den neuen Entwicklungen in der Arbeitswelt gerecht zu werden. Leitlinien sind zu entwickeln, die es dem fachlich qualifizierten Praktiker ermöglichen, das richtige Verfahren anzuwenden und gegebenenfalls zu ergänzen. Eine langfristige Forschungsaufgabe wird sein, an der Entwicklung von Schwellenwerten mitzuwirken und so Entscheidungshilfen für die Phase der Bewertung von Gefährdungen und für die Ableitung von Handlungskonsequenzen zu liefern.

Zahlreiche Empfehlungen, z. B. der GDA (2014), der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA, 2014), der Unfallversicherungsträger, der Arbeitgeberverbände und der Gewerkschaften, unterstützen die Durchführung von GBU. Freiberufliche Berater bieten die Durchführung einer GBU als Dienstleistung an. Auf den Web-Seiten verschiedener Organisationen werden viele, z. T. sehr einfache Instrumente zur Arbeitsanalyse, z. B. Checklisten, vorgeschlagen. Psychologisches Wissen ist in diese Empfehlungen und Anleitungen zwar eingeflossen; diejenigen, die für GBU verantwortlich sind bzw. diese durchführen, müssen jedoch auch über dieses Wissen verfügen. Fundiertes Wissen schafft die Möglichkeit, sich nicht von der Macht des Faktischen vereinnahmen zu lassen, sich im Prozess der GBU zu behaupten und damit zur Qualitätssicherung beizutragen.

GBU setzen voraus, dass die Kriterien guter Arbeit bekannt sind. Dazu gehört Wissen zum Thema Arbeit und Gesundheit und zu Arbeits- und Gesundheitsschutz. Dazu gehören außerdem Prozesskompetenzen sowie diagnostische und methodische Kompetenzen, vor allem hinsichtlich Arbeitsanalyseverfahren und Evaluationsmethoden. Besonders an die Methodenausbildung in der Arbeits- und Organisationspsychologie sind damit hohe Anforderungen geknüpft, denn nur wer die Regeln der Instrumentenentwicklung und -anwendung beherrscht, ist in der Lage, Vereinfachungen sachgemäß vorzunehmen und die Qualität nicht dem Druck der Praxis zu opfern. All diese Kompetenzen sollten im Studium verstärkt vermittelt werden, damit die Absolventinnen und Absolventen im Arbeits- und Gesundheitsschutz psychologisches Wissen umsetzen können.

Die Arbeitspsychologie wird sich in diesem Berufsfeld nur behaupten können, wenn Ausbildungsstandards für die Durchführung von GBU geschaffen werden. Diese Standards müssen hoch sein, da programmatisch und in der Praxis der GBU den Akteuren laufend Kompromisse abverlangt werden und ein beständiger Druck auf Vereinfachung besteht. Gut begründete Standards für die Durchführung von GBU und für die Ausbildung im Kontext von GBU sind somit eine wesentliche Voraussetzung für inhaltlich und methodisch hochwertige GBU; sie sind auch eine Voraussetzung dafür, dass psychologisches Wissen in diesem Kontext genutzt wird.

Literatur

Eva Bamberg, Arbeits- und Organisationspsychologie, Institut für Psychologie/Universität Hamburg, Von-Melle-Park 11, 20146 Hamburg, E-Mail
Gisela Mohr, E-Mail