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Open AccessSchwerpunktbeitrag

Forschungsethische Standards im Kontext der Optimierung pädagogischer Praxis durch Forschung

Empirische Impulse aus dem Projekt „Forschung trifft Kita“

Published Online:https://doi.org/10.1026/2191-9186/a000530

Abstract

Zusammenfassung. Der Beitrag setzt sich mit der Frage auseinander, was Optimierung im Kontext der frühpädagogischen Forschung bedeutet und woran sie in der Forschungspraxis zu erkennen ist. Konkret geht es um die Eruierung der (ergänzenden) forschungsethischen Standards als Qualitätsmerkmal „optimaler“ empirischer Sozialforschung im Rahmen von Forschungsprojekten in Kitas. Die Ergebnisse des Projekts „Forschung trifft Kita“ werden dazu genutzt, das Optimierungsproblem anhand der kritischen Einschätzungen von pädagogischen Fach- und Leitungskräften in der deutschlandweiten Online-Befragung (N = 1.200) zur Forschung in Kitas zu identifizieren und zu beschreiben.

Research Ethical Standards in the Context of Optimization Educational Practice Through Research

Abstract. The article deals with the question of what optimization means in the context of early childhood research and how it can be recognized in research practice. Specifically, it is about the determination of (supplementary) research ethical standards as a quality feature of “optimal” empirical social research in the context of research projects in childcare centers. The results of the project “Research meets kindergarten” are used to identify and describe the optimization problem based on the critical assessments of educational staff and heads in the Germany-wide online survey (N = 1,200) on research in daycare centers.

Feldzugang als Voraussetzung für Forschung in Kitas

Seit den 2000er Jahren führt die verstärkte frühpädagogische Bildungsforschung zu einer größeren Frequentierung der Kitas mit Forschungsanfragen, z.B. vonseiten der Hochschulen (Betz & Cloos, 2014). Diesem gesteigerten Forschungsinteresse einerseits steht der „Ruf“ der Praxis nach wissenschaftlich untermauerten Erkenntnissen andererseits gegenüber. Daraus ergibt sich ein wechselseitiges Interdependenzverhältnis: Forschung lebt von der (Kooperations-)Bereitschaft und Teilnahme der Akteure an Forschungsprojekten und die pädagogische Praxis sowie die Aus- und Weiterbildung pädagogischer Fachkräfte bauen auf den im Forschungsfeld gewonnenen Erkenntnissen auf (Rupprecht & Lattner, 2020). Dies unterstreicht die Notwendigkeit der langfristigen Aufrechterhaltung des Zugangs ins Forschungsfeld Kita.

Bestenfalls gelingt es Forscher/-innen, feldspezifische Bedarfe und Gegebenheiten bei der Forschungsplanung zu berücksichtigen und etwa bestehende Befürchtungen der Teilnehmenden (z.B. die als erzwungen erlebte Zusammenarbeit mit Forschenden, die Weitergabe von Daten) auszuräumen sowie die eigene Integrität unter Beweis zu stellen (Rau et al., 2017; Bolling, 2010). Dies schließt „die Bereitwilligkeit, von Seiten des Feldes angedeutete Anregungen und Empfindlichkeiten aufzunehmen“ (Wolff, 2005, S.346) ein. Denn die Akteure müssen bspw. kommunikative Zugzwänge aushalten, ihre eigenen Bedürfnisse minimieren und akzeptieren, dass (berufliche) Selbstverständlichkeiten möglicherweise infrage gestellt werden (Wolff, 2005; Döring & Bortz, 2016, S.68). Zudem findet die Datenerhebung oftmals während der Arbeitszeit statt; eine nicht zu unterschätzende, zusätzliche Belastung für pädagogische Fachkräfte, deren zur Verfügung stehende Zeitressourcen kaum ausreichen, um die regulären Arbeitsaufgaben im pädagogischen Alltag umfassend zu erledigen (Rupprecht & Lattner, 2020). Ohne eine entsprechende Berücksichtigung der Feldspezifik in der Projektplanung steigt die Wahrscheinlichkeit negativer Erfahrungen der Akteure mit der Teilnahme an Forschungsprojekten, die die Bereitschaft zur zukünftigen eigenen Teilnahme wie auch den Zugang zu anderen Zielgruppen (in der Funktion als Gatekeeper) beeinflussen (Wolff, 2005).

Damit rückt die Bedeutung einer neuen Perspektivierung von Integrität der Forschenden in den Fokus: Der Umgang mit den Forschungssubjekten (Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten [RatSWD], 2017), welcher ein Aspekt in der Diskussion um die Optimierung der Forschung in Kitas ist.

Optimierung der Forschung aus dualistischer Perspektive

Während sich für die fest verankerten Begriffe im Feld und in der Disziplin der Pädagogik der frühen Kindheit (bspw. Bildung) eine Bandbreite von Definitionen findet, scheint der Begriff Optimierung weder in dieser Disziplin noch in der benachbarten Psychologie verankert zu sein (Wirtz, 2020). Daher wird an dieser Stelle für erziehungswissenschaftliche Kontexte folgende Definition vorgeschlagen: Optimierung kann verstanden werden als ein Prozess bei dem die Sache oder deren Zustand mit dem Ziel einer Verbesserung verändert wird. Bestandteil der Optimierung ist zum einen die Identifizierung des Idealzustands bzw. der Idealausprägung (Optimum, Idealwert) dieser Sache und zum anderen die Ermittlung der Differenz zwischen dem Ist- und dem Soll-Wert.

Obwohl sich im pädagogischen Kontext nicht für jede Sache ein intersubjektiver bzw. objektiver Idealzustand bestimmen lässt (Vogel, 2019), ist in den Diskursen zur Qualifizierung pädagogischer Fachkräfte oder zur Weiterentwicklung der Qualität der pädagogischen Praxis (Tietze et al., 2013) das Streben nach einem Optimum zu erkennen. Im Zusammenhang mit der Frage nach der Optimierung der Praxis durch Forschung steht die Frage nach der Qualität der Forschung. Verschiedene Aspekte der Forschungsqualität (bspw. die Samplingstrategie) beeinflussen die Aussagekraft der Forschungsergebnisse und die darauf basierenden Schlussfolgerungen (Prenzel, 2005). Ein wichtiges, bislang im deutschsprachigen Raum jedoch empirisch unzureichend erfasstes Qualitätsmerkmal der Sozialforschung ist dabei die forschungsethische Strenge (Döring & Bortz, 2016). Der vorliegende Beitrag rückt sie in den Mittelpunkt der Diskussion zu den Optimierungsbedarfen der Forschung in Kitas.

Forschungsethik in der Kindheitspädagogik

Die Forschungsethik setzt sich mit den Fragen des „moralisch angemessenen Handelns für die empirische Forschungspraxis“ auseinander1 (RatSWD, 2017, S.8) und umfasst Kriterien, die auf den direkten Umgang mit den an Forschung beteiligten Personen bei der Datenerhebung und -analyse ausgerichtet sind (Döring & Bortz, 2016), um zu vermeiden, dass durch die Forschungsteilnahme ein Schaden entsteht (RatSWD, 2017). Für die frühpädagogische Forschung gelten u.a. die Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE, 2016) und des RatSWD (2017)2. Die dort dargelegten Kriterien beziehen sich auf die Aspekte Freiwilligkeit der Teilnahme, Informiertheit und den Datenschutz (RatSWD, 2017; DGfE, 2016).

Im internationalen Kontext gibt es breite Diskussionen über die Restriktivität von Ethikrichtlinien (Burgess, 2007; Miethe, 2013), was womöglich die weit gefasste Formulierung der deutschen Kriterien im sozialwissenschaftlichen Kontext erklärt. Bislang fehlt es an einer empirischen Grundlage, die Auskunft gibt, inwieweit die geltenden Kriterien in der frühpädagogischen Forschungspraxis beachtet und in der vorliegenden Form hinreichend den Besonderheiten des Forschungsfeldes Kita gerecht werden (Rupprecht & Lattner, 2021). Zugleich ist die Belastung (z.B. ausgelöst durch störende Forschungspraktiken) bzw. der Mehraufwand für die Teilnehmenden ein wichtiger forschungsethischer Indikator, der bis dato unberücksichtigt bleibt (Döring & Bortz, 2016). Erst das Vorhandensein von Informationen zur (Aus-)Gestaltung der Forschungspraxis ermöglicht die Beschreibung des Optimierungsbedarfs der Forschung in Kitas.

Das Projekt „Forschung trifft Kita“

An dieser Stelle setzt das Forschungsprojekt „Forschung triffe Kita“ an und beschäftigt sich damit, wie beforschte Fach- und Leitungskräfte in Kitas auf Basis ihrer persönlichen Forschungserfahrungen die forschungsethische Strenge von Forschungsprojekten einschätzen. Im Beitrag geht es konkret um die Beantwortung folgender Teilfrage: In wieweit besteht ein Optimierungsbedarf für die frühpädagogische Forschung in Kitas? Dies bezieht gleichermaßen die Einhaltung forschungsethischer Standards sowie die Berücksichtigung feldspezifischer Bedarfe bei der Gestaltung von Forschungsprojekten in Kitas durch Forscher/-innen ein.

Das explorativ ausgerichtete Projekt beruht auf einem Mixed Methods Forschungsdesign („sequentielles qualitativ-quantitatives Design“, Kelle, 2014, S.161) und bezieht die pädagogischen Fach- und Leitungskräfte als wichtige Akteure und Forschungssubjekte in Kitas mit ihrer Perspektive hinsichtlich der erlebten Forschungspraxis und der Einhaltung von forschungsethischen Standards ein. Zur Beantwortung der Fragestellung werden ausgewählte Ergebnisse aus der Fach- und Leitungskräftestudie (Teilstudie 3) näher vorgestellt, die im Sommer 2019 durchgeführt wurde. Zuvor fanden Interviews mit Kindern (Teilstudie 1, Frühjahr 2017) sowie Fach- und Leitungskräften (Teilstudie 2, Frühjahr 2017) statt, um die Problemstellung zunächst qualitativ zu erschließen.

Erhebungsmethode

Die Fach- und Leitungskräftestudie wurde als deutschlandweite Online-Befragung von pädagogischen Fach- und Leitungskräften in Kitas konzipiert. Vom Leibniz Institut für Sozialwissenschaften (GESIS) wurde im Vorfeld eine repräsentative, dreigeschichtete Zufallsstichprobe aus Kitas in 100 Gemeinden aus allen 16 Bundesländern gezogen. Aus den 11.409 recherchierten Kitas wurden per Zufallsalgorithmus 9.135 Kitas ausgewählt und kontaktiert.

Erhebungsinstrument

In der Online-Befragung kam ein Fragebogen zum Einsatz, der iterativ und induktiv-deduktiv entwickelt wurde auf der Grundlage der Ergebnisse der zuvor geführten halbstrukturierten, leitfadengestützten Gruppeninterviews mit 5- bis 6-Jährigen im Vorschuljahr (Teilstudie 1, N = 17), der Ergebnisse aus leitfadengestützten Interviews mit pädagogischen Fachkräften (Teilstudie 2, N = 5), der Ethikrichtlinien der DGfE (2016, S.3), der Erläuterungen der zentralen Ethik-Kriterien in Döring und Bortz (2016, S.124f.) und des aktuellen Forschungsstandes. Die Items des Fragebogens lassen sich sieben Schwerpunkten zuordnen: (1) Allgemeine Angaben, (2) Grundhaltung zur Forschungsteilnahme, (3) Nutzen der Teilnahme, (4) Einschätzungen zur forschungsethischen Strenge, (5) wahrgenommene Störfaktoren, (6) zukünftige Forschung in der Kita sowie (7) Informationsverhalten über Forschungsergebnisse3. Der Fragebogen wurde in einem Standardbeobachtungs-Pretest (N = 30) und in einem zweistufigen kognitiven Pretest erprobt (N = 4). Danach wurde er auf die Plattform www.soscisurvey.de (Leiner, 2019) übertragen und eine PHP-Filterführung zur Steuerung der Befragung in Abhängigkeit der beruflichen Position (pädagogische Fachkräfte vs. Leitungskräfte) und der Forschungserfahrungen (Gatekeeper vs. eigene Teilnahme als Forschungssubjekte) programmiert4.

Die 10 Items zur Skala „Forschungsethische Strenge“ wurden mit einer vierstufigen Likert-Skala („trifft nicht zu“ bis „trifft zu“, mit Ausweichoption) versehen5. Sie dienen zur Erfassung der Wahrung der informierten Einwilligung (deduktiv auf der Grundlage der Ethiktichtlinien und des Forschungsstandes entwickelt); weitere Items dienen der Erfassung ergänzender forschungsethischer Aspekte (z.B. „Flexibilität der Forschenden“, „Ergebnisrückmeldung“, vgl. Tabelle 3), die nicht direkt aus den Ethikrichtlinien hervorgehen, sich aber im Ergebnis der Teilstudie 2, den Pretests zum Fragebogen (siehe oben) und dem nationalen Forschungsstand als relevant zeigten. Da die Items zur Wahrung des Datenschutzes und der Freiwilligkeit der Teilnahme mit Items auf Nominalskalenniveau gemessen wurden, flossen sie nicht in die Skalenbildung ein.

Die Frage nach den Störfaktoren wurde induktiv auf der Grundlage der Ergebnisse von Teilstudie 2 erarbeitet und als offene Frage gestellt6.

Stichprobe

An der Online-Befragung nahmen N = 1.200 Personen teil, von denen 976 Teilnehmer/-innen die Frage nach ihrer persönlichen Forschungserfahrung beantworteten: 419 (42,9%) verfügten über eigene Forschungserfahrung, 557 Personen (57,1%) über keine Erfahrung in der persönlichen Teilnahme an Forschungsprojekten7. Von den 419 forschungserfahrenen Teilnehmenden haben 385 (91,9%) eine Leitungsfunktion8 inne (vollständige oder anteilige Freistellung), während 34 Personen (8,1%) als pädagogische Fachkräfte ohne Leitungsfunktion angestellt waren. Das Durchschnittsalter der Teilnehmenden mit Forschungserfahrung betrug zum Zeitpunkt der Erhebung 48.04 Jahre (SD = 9.65). Geografisch verteilten sich diese auf 14 Bundesländer.

Die Beantwortungsquote der Items zur Einschätzung der forschungsethischen Strenge durch die 419 befragten Fach- und Leitungskräfte liegt zwischen 82,8% (n = 347, „Flexibilität der Forschenden“) und 95,2% (n = 399, „Hinreichende Information über Projekt allgemein“).

Von den 419 Personen mit Forschungserfahrung beantworteten 117 (27,9%) die Frage nach den Störfaktoren.

Auswertungsmethoden

Univariate Analyse

Für die quantitative Auswertung wurde das Statistikprogramm SPSS 25 (IBM Corp., 2017) genutzt. Da die Häufigkeitsverteilung der beruflichen Position der Befragten nicht der Verteilung in der Population entspricht, wurde eine Datengewichtung vorgenommen. Der Faktor wurde mittels der Verteilungen der Personengruppen je beruflichem Status in den Statistiken der Kinder und Jugendhilfe (Statistisches Bundesamt, 2020) berechnet (Gruppe der Leitungskräfte 0.07, Gruppe der pädagogischen Fachkräfte (ohne Leitungsfunktion) 7.71). Für die Daten wurden die Häufigkeitsverteilungen und die Maße der zentralen Tendenz sowie der Streuung berechnet.

Qualitative Inhaltsanalyse

Gegenstand der Analyse zu den Störfaktoren sind die Antworten derjenigen Befragten, die über eigene Forschungserfahrungen verfügen (Fallauswahl). Zur Beantwortung der Frage standen fünf Platzhalter für Nennungen zur Verfügung. Mit SPSS (Version 25) wurde zunächst die Häufigkeitsverteilung ermittelt. Daran schloss sich eine inhaltlich strukturierende qualitative Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018) an, wobei die Positionierung der Störfaktoren (Hierarchisierung) unberücksichtigt blieb. Das induktiv entwickelte Kodierungssystem umfasst acht Codes mit 28 Subcodes (Tabelle 1). Anhand der (Sub-)Codes erfolgte eine einfache Quantifizierung (Häufigkeitsauszählung), deren Ziel in der Sichtbarmachung von Besonderheiten lag (Tabelle 2).

Tabelle 1 Überblick der Codes und Subcodes für die induktiv gewonnenen Störfaktoren
Tabelle 2 Anzahl der Nennungen und prozentuale Verteilung der Codes für die induktiv gewonnenen Störfaktoren

Ergebnisse

Wie wurde die forschungsethische Strenge bisheriger Forschungsprojekte aus Sicht der forschungserfahrenen Fach- und Leitungskräfte eingeschätzt?

Der Mittelwert der Skala „Forschungsethische Strenge“ (M = 3.34) entspricht dem vorwiegenden Rating der Skalenitems mit „trifft eher zu“ bis „trifft zu“ (Tabelle 3) (Cronbachs-α: .90; Trennschärfe der Skalenitems ri = .487 bis .804). Dabei zeigt sich für die Items zur informierten Einwilligung „Hinreichende Information über Projekt allgemein“ (M = 3.47, SD = 0.76), „Hinreichende Information über Ziele des Projekts“ (M = 3.53, SD = 0.77) und „Hinreichende Information zur Erhebung“ (M = 3.37, SD = 0.84) eine hohe Zustimmung. Gleiches gilt für die Items „Absprachen und Vereinbarungen durch Forschende eingehalten“ (M = 3.50, SD = 0.80) und „Kommunikation mit Forschenden verlief allgemein gut“ (M = 3.48, SD = 0.74) sowie bei den Items zu den ergänzenden forschungsethischen Aspekten. Rund drei Viertel der Befragten gaben an, dass die Forschenden (eher) flexibel auf kurzfristige Änderungen in der Kita eingegangen sind (265 Fälle, 76,3%, M = 3.16, SD = 0.98) und den Tagesablauf der Kita (eher) nicht gestört haben (284 Fälle, 74,6%, M = 3.10, SD = 0.93). In etwas weniger als vier Fünftel der Fälle wurde auch die „Informiertheit der Forschenden am Erhebungstag“9 als (eher) zutreffend eingeschätzt (280 Fälle, 77,6%, M = 3.17, SD = 1.04). Allerdings fällt auf, dass das Item „Ergebnisrückmeldung“ insgesamt einen geringeren Mittelwert aufweist. Ein Drittel der Befragten (115 Fälle, 30,5%, M = 2.94, SD = 1.17) gab an, dass die Forschenden (eher) nicht die Erhebungsergebnisse der Kita zurückmeldeten. Kein Item der Skala wurde mehrheitlich mit „trifft nicht zu“ oder „trifft eher nicht zu“ bewertet.

Tabelle 3 Antwortverteilungen zur Frage „Bitte denken Sie an das letzte Forschungsprojekt, an dem Sie persönlich oder indirekt (als Kontaktperson) beteiligt waren. In wieweit treffen die folgenden Aussagen zu?“ (absolute Häufigkeiten, prozentuale Verteilungen in Klammern)

Woran stören sich pädagogische Fach- und Leitungskräfte bei der Forschung(-spraxis) in ihrer Kita?

Die befragten Personen mit Forschungserfahrung nannten 136 Störfaktoren, die in unterschiedlicher Kombination, einzeln oder mehrfach in der Kita-Praxis auftreten. Ihre als störend erlebte Wirkung entfaltet sich entweder punktuell (situativ) oder langanhaltend. Ein Beispiel für einen kombinierten Störfaktor (in Kombination/mehrfach) ist: „wenig personelle und zeitliche Ressourcen zur adäquaten Durchführung“ (Subcode Fehlende Zeit, Subcode Fehlendes Personal). Daraus lassen sich in der Betrachtung des Einflusses von Störfaktoren auf den Kita-Alltag zwei Formen von Störquellen identifizieren: Interne Störquellen sind in der eigenen Einrichtung verortetet und beziehen sich auf die innerhalb des Systems Kita fehlenden, jedoch notwendigen Voraussetzungen für Forschung; externe Störquellen sind durch die Forschung initiierte, von außen auf das System störend wirkende Einflüsse. Wenngleich die Aspekte, welche die Befragten wiederholt als für sie störend an Forschung in Kitas beschreiben, primär der externen Störquelle angehören, wird auch das Fehlen erforderlicher Rahmenbedingungen in Kitas für Forschung (Code) als Störfaktor angeführt (n = 19). Insbesondere die fehlenden Kapazitäten, der Raum-, Zeit- und Personalmangel sowie fehlende Reflexionsmöglichkeiten und das Ausbleiben einer finanziellen Belohnung für die Teilnahme an Forschungsprojekten tragen zum negativen Erleben von frühpädagogischer Forschung bei. Den externen Störquellen lässt sich der mit der Studienteilnahme in Zusammenhang stehende allgemeine, zeitliche, organisatorische und personelle Aufwand (Code) für die Kita-Beschäftigten zuordnen (n = 58). So scheint Forschung in Kitas in Anbetracht der Arbeitsverdichtung eine zusätzliche zu bewältigende Anforderung darzustellen. Dabei beeinflusst die Anwesenheit und das Handeln der Forschenden sowohl den gewohnten Tagesablauf als auch die Atmosphäre in der Kita (z.B. Unruhe), was einer Systemstörung (Code) gleicht (n = 16). Forschungspraktiken (Code) werden konkret dann als störend erlebt (n = 28), wenn u.a. zu viele Forschungsanfragen gestellt werden, die z.B. zeitlich nicht passen: „Falscher Zeitpunkt, meistens Anfragen während der Eingewöhnung“ (Subcode Vielzahl und unpassender Zeitpunkt von Forschungsanfragen). Insbesondere bei der Forschung mit Kindern scheint aus Sicht der Befragten eine vertrauensvolle Beziehung zu den Forschenden für die Untersuchung voraussetzungsvoll. Allerdings wird der dafür erforderte zeitliche Vorlauf von einzelnen Forschenden nicht immer berücksichtigt, wie folgendes Zitat illustriert: „Mit Ausnahme des letzten Forschungsprojektes kamen immer Testpersonen zu uns, die sich keine Zeit nahmen, einen Kontakt zu den Kindern aufzubauen“ (Subcode Fehlende Beziehungsarbeit). Folglich wirken schematische, teils unflexible Vorgehensweisen bei der Durchführung von Untersuchungen sowie eine Vielzahl und der Wechsel von Kontaktpersonen in Forschungsprojekten als störend, genauso wie zeitliche Fehlplanungen, fehlende Ergebnisrückmeldungen und die mangelnde Einhaltung forschungsethischer Gütekriterien. Dass den befragten Fachkräften Selbstbestimmung hinsichtlich der Teilnahme an Forschungsprojekten wichtig ist, zeigte sich beispielhaft an folgender Aussage: „Ich würde gerne immer selber über die Teilnahme entscheiden, dass ist oft Trägerentscheidung“ (Subcode Mangelnde forschungsethische Strenge). Eine vergleichsweise untergeordnete Rolle spielen in den Nennungen die einseitige Nutzung gleicher Erhebungsmethoden sowie die geringe Einbeziehung der Kinderperspektive in Forschungsvorhaben (Code Fehlende Variation bei der Zielgruppe und Methodenwahl, fünf Nennungen). Dass die Untersuchungen teilweise keinen Bezug zum Alltag der Kita herstellen, die Konsequenzen aus Forschungsergebnissen in der Praxis ausbleiben (z.B. Verbesserung der Rahmenbedingungen) oder gar Kitas als potentielle Forschungspartner zu selten bzw. zu oft angefragt werden, stört nur einzelne Befragte (Code Mangelnde Praxisnähe der Forschung, drei Nennungen; Code Unpassende Frequentierung mit Forschungsprojekten, drei Nennungen). Vier Befragte gaben explizit an, dass sie nichts an der Forschungsteilnahme störte (Code Keine Störfaktoren).

Diskussion der Ergebnisse

Die Auswertung der Skala „Forschungsethische Strenge“ zeigt, dass die Durchführung von Forschungsprojekten im Kita-Feld von den beteiligten Akteuren hinsichtlich der Einhaltung der Ethikrichtlinien überwiegend positiv eingeschätzt wird. Eine hohe Zustimmung findet sich insbesondere für die stringent ethikkodexkonformen Items der informierten Einwilligung (u.a. „Hinreichende Information über Projekt allgemein“, „Hinreichende Information über Ziele des Projekts“). Das gibt einen Hinweis darauf, dass die dahingehenden geltenden Ethikrichtlinien konsequent von den Forschenden beachtet wurden. Auch die Items zu den ergänzenden forschungsethischen Aspekten wurden mehrheitlich positiv eingeschätzt (u.a. „Flexible Reaktion der Forschenden bei kurzfristigen Änderungen der Kita“, „Tagesablauf der Kita durch Forschende nicht gestört“). Hieraus wird geschlussfolgert, dass diese Aspekte in der Forschungspraxis weitestgehend Beachtung finden und ein Bewusstsein für deren Bedeutung in der Kita-Praxis gesehen wird. Einzig das Item „Ergebnisrückmeldung“ weist eine vergleichsweise höhere Anzahl negativer Ratings auf. Ein Grund dafür kann in der fehlenden Zeit für die praktische Aufbereitung der Forschungsergebnisse für Kitas zum Projektabschluss gesehen werden oder liegt in dem Selbstverständnis einzelner Forschern/-innen, Kitas „nur“ als „Datenlieferanten“ zu betrachten.

In den Ergebnissen zu den Störfaktoren der Forschung treten insbesondere die wahrgenommenen eigenen und institutionellen Grenzen des Machbaren hervor. Es zeigt sich, dass Kita-Akteure eine klare Vorstellung davon haben, welche der an sie herangetragenen Aufgaben im Rahmen ihrer Teilnahme erfüllbar sind. Forschung bindet demnach im Forschungsfeld personelle, finanzielle und räumliche Ressourcen. Dass die fehlende finanzielle Belohnung für die Forschungsteilnahme in diesem Zuge thematisiert wurde, hängt möglicherweise mit der Wahrnehmung von Forschung als „Arbeit(-sauftrag)“ zusammen, die es im Sinne einer Dienstleistung zu entlohnen gilt. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass Forschung und Forschende unterschiedlich stark in die Abläufe und Dynamiken des pädagogischen Arbeitsalltags eingreifen.

Wenngleich nicht jeder Störfaktor gleichermaßen häufig genannt wird, deuten die Ergebnisse insgesamt auf ein eigenes, unverwechselbares „Störungsbild“ für die Forschung in Kitas. Dies kann als ein Resultat des Aufeinandertreffens zweier unterschiedlicher Systeme („Kita“ und „Forschung“) verstanden werden, deren „Passung“ im Sinne der Berücksichtigung kitaspezifischer Gegebenheiten bei der Durchführung von Forschungsprojekten optimierungsbedürftig zu sein scheint.

Damit liefern die Daten einen ersten Anhaltspunkt, dass ein Optimierungsbedarf für die frühpädagogische Forschung vorrangig hinsichtlich der Einhaltung ergänzender forschungsethischer Standards besteht. Zwar werden sowohl die „Forschungsethische Strenge“ als auch die ergänzenden forschungsethischen Aspekte, die von den Kita-Akteuren als wichtig angesehen werden, weitgehend von den Forschenden beachtet. Dennoch sollte aufgrund der aufgelisteten Störfaktoren und der noch nicht überall eingehaltenen Rückmeldung von Projektergebnissen an die Forschungssubjekte und Gatekeeper die Weiterentwicklung der Ethikrichtlinien der Disziplin um die explizite Verankerung der Ergebnisrückmeldung diskutiert werden. Dahingehend erscheint ebenso der Einbezug der Kita-Akteure und deren Partizipation sowie die konsequente Ausrichtung auf die Kita-Abläufe bedeutsam. Das darauf bezogene Optimum kann als uneingeschränkte Wahrung der Mit- und Selbstbestimmung, des Wohlbefindens der Beforschten unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit des Forschungsaufwands sowie ihrer Wertschätzung im gesamten Forschungsprozess beschrieben werden.

Implikationen für die Forschungspraxis

Besonders wichtig scheint es aus der Sicht der pädagogischen Fach- und Leitungskräfte zu sein, stark forschungsfrequentierte Kitas zu meiden, eine personelle und zeitliche „Aufwandsentschädigung“ vor der Projektdurchführung offen anzusprechen und persönliche Erwartungen der Kita bzw. Fachkräfte an die Forschenden (z.B. Verhaltensregeln) vor den Erhebungen in Erfahrung zu bringen. Ebenso hat die Einplanung von Zeiten für den Beziehungsaufbau zu den Akteuren vor der Datenerhebung für die Praxis einen eigenen Stellenwert (nicht nur für die Erhebung mit Kindern). Darüber hinaus ist es für die langfristige Sicherung des Feldzugangs bedeutend, die Ergebnisse der Forschungsprojekte zeitnah an die Kitas zurückzumelden (z.B. Broschüre, digitale Vorträge), aber auch nach Abschluss des Erhebung eine Rückmeldung zur eigenen Forschungspraxis einzuholen (z.B. Telefonat mit Kita-Leitung). Bei zukünftigen Projektanträgen gilt es den Forschungs-Praxis-Transfer – im Sinne einer nachhaltigen Forschungs-Partnerschaft mit den Kitas – als Aspekt der Forschungsethik mit zusätzlichen finanziellen und zeitlichen Ressourcen (z.B. für die Gestaltung von Handreichungen, Vorträge) einzuplanen.

Limitationen

Bei der Online-Befragung wurde der Zugang und Umgang mit den neuen Medien auf Seiten der Teilnehmenden vorausgesetzt. Es erfolgte keine Einflussnahme auf den Zugang der pädagogischen Fachkräfte, d.h. es blieb unklar, ob die Kita-Leitungen die Information zur Studie an ihr Kita-Team weiterreichten. Von den 1.200 Teilnehmer/-innen haben nur n = 670 (55,8%) die Befragung vollständig bearbeitet. Bei der oben genannten offenen Frage wurden den Teilnehmenden zwei Beispiele genannt. Aufgrund der Häufigkeit der Nennungen (z.B. Aufwand) ist davon auszugehen, dass diese Beispielnennungen die Befragten beeinflusst haben.

Literatur

1Davon abzugrenzen ist die sog. Wissenschaftsethik, welche sich mit der guten Wissenschaftspraxis im Allgemeinen, d.h. abseits der Datenerhebung und -analyse, befasst (Döring & Bortz, 2016).

2Je nach Forschungsprojekt und -ausrichtung gelten u.a. die ethischen Richtlinien des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V. und der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (2016).

3Die Schwerpunkte vier und fünf sind Gegenstand des Beitrags.

4Damit wurde verhindert, dass Personen ohne eigene Forschungserfahrung entsprechende Fragen zu ihrer Forschungsteilnahme gestellt wurden. Gleichermaßen wurden Fragen, von denen auszugehen ist, dass sie nur von Leiter/-innen beantwortet werden können, nicht den Fachkräften (ohne Leitungsfunktion) gestellt.

5Die Testgütekriterien werden im Ergebnisteil beschrieben.

6Ergänzend wurden den Teilnehmenden zwei Beispiele („Zu häufig fremde Personen in der Kita“, „Bedeutet einen zusätzlichen Aufwand“) genannt, die sich aus der Teilstudie 2 ergaben.

7Bei der Frage ging es ausschließlich um die eigene, direkte Teilnahme in Forschungsprojekten (z.B. als Befragte, Beforschte oder Proband/-in). In wieweit die Befragten als Gatekeeper agierten, wurde in einer anderen Frage erfasst.

8Da die Fragen zur Erfassung der personenbezogenen Daten am Ende der Befragung allen Teilnehmenden gestellt wurden, gibt es daher größere Missings.

9Den Befragten wurde dazu im Fragebogen die Ergänzung präsentiert „Die Forscher/-innen wussten am Tag der Erhebung, in welchen Gruppen sich die teilnehmenden Personen (z.B. die Kinder) befinden.“