Für den Erbbauberechtigten wäre die Ausgangssituation, an der sich das Erbbaurecht messen muss, der Kauf des Grundstücks und die Errichtung eines Gebäudes hierauf („Volleigentum“). Wie nachfolgend zu zeigen sein wird, ist das Risiko des Erbbauberechtigten aber wesentlich höher als bei Volleigentum. Außerdem kann der Erbbauberechtigte nicht von künftigen Bodenwertsteigerungen profitieren. Damit sich der Erbbauberechtigte gegenüber Volleigentum nicht verschlechtert, bedarf es einer Kompensation dieser Nachteile. Dies führt zu gegenüber Volleigentum erhöhten Renditeforderungen.
3.1.1 Berechnung – Schritt 1: Ermittlung der minimalen Renditeforderung des Erbbauberechtigten
Doch wie hoch dürfen die Renditeforderungen des Erbbauberechtigten mindestens zu bemessen sein? Zur Beantwortung dieser Frage bietet sich der Rückgriff auf die „Sharpe Ratio“ an (Sharpe
1966,
1994). Diese setzt die „Überrendite“ eines Investments (also die Differenz zwischen Rendite und risikofreiem Zinssatz) zum Risiko (gemessen anhand der Volatilität) in Beziehung. Damit sagt sie etwas über den Marktpreis des Risikos aus: Sie gibt an, um wie viel Prozentpunkte die Rendite einer Anlage steigt, wenn sich das Risiko um einen Prozentpunkt erhöht. Damit der Gebäudeeigentümer im Erbbaurecht nicht schlechter gestellt ist als im Volleigentum, muss die Sharpe-Ratio beim Gebäude im Erbbaurecht mindestens dieselbe wie im Volleigentum sein. Dabei wird eine gewisse Risikobereitschaft des Gebäudeeigentümers unterstellt (im Gegensatz zum Erbbauverpflichteten, s. unten mehr).
Es gibt viele Einwände gegen die Sharpe Ratio wie beispielsweise die möglichen Verzerrungen aufgrund von Abweichungen von der zugrunde gelegten Normalverteilung der Überschussrenditen (Breuer et al.
2006), die Frage nach der Angemessenheit einer quadratischen Nutzenfunktion (Memmel
2003, S. 7) oder Manipulationsprobleme (Goetzmann et al.
2007). Diese laufen bei der hier dargestellten Anwendung aber zu einem erheblichen Teil ins Leere. Der gewichtigste Einwand gegen die Sharpe Ratio dürfte die Einbeziehung auch des unsystematischen Risikos sein. Das unsystematische Risiko beinhaltet wirtschaftliche Änderungen, die nur die betrachtete Investition betreffen. Beispiele für systematische Risiken sind hingegen Änderungen des Marktzinses oder der allgemeinen wirtschaftlichen und politischen Lage. Im Portfoliozusammenhang kann das unsystematische Risiko wegdiversifiziert werden (Elsenhuber
2003). Allerdings ist allein aufgrund des hohen Kapitalvolumens v. a. bei privaten Gebäudeeigentümern (besonders bei Selbstnutzung der Immobilie) die Diversifikation ihres Portfolios oft begrenzt. Andere Akteure sind spezialisiert (so die bezüglich des Erbbaurechts aktiven Stiftungen). Dementsprechend ist die hier zugrunde gelegte traditionelle Anwendung der Sharpe-Regel, nach der auf die Sharpe Ratio
der betreffenden Anlage abgestellt wird, kein grundsätzliches Manko (die generalisierte Anwendung stellt hingegen darauf ab, inwieweit sich die Sharpe Ratio
des Portfolios als Konsequenz der Investition in den betreffenden Titel ändert, s. Dowd
2000).
Die Renditeforderung des Grundstücksinvestors
r (Volleigentum) enthält also eine Risikoprämie und lässt sich unter Bezugnahme auf die Sharpe Ratio folgendermaßen darstellen:
$$r=r_{f}+s\, \cdot \, \sigma _{V}$$
(1a)
Dabei ist r
f der risikolose Zinssatz, σ
V die (Trend-)Standardabweichung (also das Risiko) bei Volleigentum und
s die Sharpe Ratio. Die Sharpe Ratio ergibt sich dementsprechend als:
$$s=\frac{r-r_{f}}{\sigma _{V}}$$
(1b)
Die marktmäßige Renditeforderung
r für einen Immobilientyp in Volleigentum kann anhand des Liegenschaftszinssatzes abgelesen werden. Dieser kann – mit Einschränkungen (Wiederanlageprämisse etc.) – als erwarteter „interner Zinsfuß“ eines einwertigen, als nachhaltig unterstellten Zahlungsstroms einer Immobilie im Volleigentum interpretiert werden (Thöne
2001, S. 599). Die Interpretation des Liegenschaftszinssatzes als eines internen Zinsfußes ist allerdings umstritten. Hiergegen wird u. a. eingewandt, dass Finanzierungsrisiken, Leveragerisiken, steuerliche Vorteile der Fremdfinanzierung, die langfristige Entwicklung von Mieten usw. nicht berücksichtigt werden (Rottke und Thomas
2011, S. 794). Den meisten Einwendungen kann allerdings begegnet werden.
Die erste Gruppe von Gegenargumenten ist formaler Art; sie richtet sich im Übrigen prinzipiell auch gegen das Ertragswertverfahren nach der Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV) selbst. Doch auch im Rahmen des Ertragswertverfahrens kann der Kapitalisierungszinssatz als interner Zinsfuß der nächstbesten Alternativinvestition betrachtet werden. Dieser wird grundsätzlich ermittelt, indem man den Kapitalwert gleich Null setzt und dann nach
r auflöst. Nichts anderes findet aber der Sache nach bei der Ermittlung des Liegenschaftszinssatzes durch Rückrechnung aus dem Ertragswertverfahren bei bekanntem Kaufpreis statt.
2
$$r=\, \frac{{RE}}{I_{0}}-\frac{r}{\left (1+r\right )^{n}-1}\cdot \frac{I_{0}-BW}{I_{0}}$$
(2)
Dabei ist r der Liegenschaftszinssatz (Volleigentum), RE der Reinertrag (Rohertrag abzüglich Bewirtschaftungskosten), n die Restnutzungsdauer der Immobilie, I0 der Kaufpreis bzw. das Investment und BW der Boden(richt-)wert.
Die zweite Gruppe von Gegenargumenten ist inhaltlicher Natur. So meinen beispielsweise Leopoldsberger et al. (
2016), dass „der Gesetzgeber den Liegenschaftszinssatz als internen Zins einer rein eigenkapitalfinanzierten Immobilieninvestition in einer Welt ohne Steuern begreift.“ Sie plädieren dafür, den Liegenschaftszinssatz nicht als Zinssatz, sondern als „Vergleichsparameter“ zu begreifen. Hierzu: Auch der interne Zinssatz kann in seiner Eigenschaft als Kapitalisierungszinssatz als Vergleichsparameter verstanden werden. Er dient im Übrigen – wie der Liegenschaftszinssatz auch – zur Bewertung eines Objektes auf der (gedachten oder tatsächlichen) Aktivseite eines Wirtschaftssubjektes. Dementsprechend sind Finanzierungsrisiken
des Investors nicht einzubeziehen; allerdings wird das Operating Leverage-Risiko
des Objektes sehr wohl berücksichtigt (s. unten). Steuern müssen nicht einfließen, sofern sich ihr Einfluss auf den Wert im Zähler (Reinertrag) und Nenner (Liegenschaftszinssatz) aufhebt. Dies ist v. a. bei der Einkommensteuer der Fall; bei der Grundsteuer findet hingegen durchaus eine Berücksichtigung innerhalb der umlagefähigen Bewirtschaftungskosten im Rahmen des Ertragswertverfahrens statt. Zumal hierbei die einwertige Ermittlung von Kapitalwert und internem Zinsfuß die Entwicklungsdynamik bei der jährlichen Ermittlung umfassen muss, ist auch die Kritik von Schierenbeck und Eicher (
2006, S. 88) nicht recht verständlich, dass die diesbezüglichen Umstände nicht in den internen Zinsfuß einfließen. Schließlich muss das Ertragswertverfahren bei Verwendung der herkömmlichen einwertigen Vorgehensweise zum selben Ergebnis wie das Phasenmodell oder das DCF-Verfahren kommen. Einschränkungen sind allerdings dahingehend zu machen, dass der Reinertrag im Ertragswertverfahren lt. ImmoWertV schon um das Mietausfallrisiko bereinigt ist, das ebenfalls im Zinssatz im Rahmen der Risikoprämie erfasst werden könnte. Nachfolgend gehen wir somit von der Interpretation des Liegenschaftszinssatzes
r als einem internen Zinsfuß aus.
Der risikolose Zinssatz r
f kann näherungsweise durch den Rückgriff auf lang laufende Bundesanleihen ermittelt werden (Deutsche Bundesbank
2016).
Eine besondere Herausforderung stellt die Berechnung des Risikos des Erbbauberechtigten σ
E dar. Zu diesem Zweck wird zunächst einmal das Risiko einer Immobilie im Volleigentum σ
V ermittelt. Zumal die Wertentwicklung der Immobilien einen Trend aufweist, wurde in der untenstehenden Beispielrechnung eine Trendstandardabweichung verwendet. Zur Berechnung werden die Abweichungen der jeweiligen Jahreswerte von der Trendlinie quadriert und aufsummiert. Das Ergebnis wird durch
n − 1 (
n = Anzahl der beobachteten Monate) dividiert und daraus die Quadratwurzel gebildet (Sievi
1999, S. 32). Vorliegend wurde aus Vereinfachungsgründen ein linearer Trend gewählt; allerdings stehen grundsätzlich auch andere Möglichkeiten offen (exponentieller, logarithmischer, polynomischer Trend etc.). Grundsätzlich sollten die zugrundeliegenden Daten möglichst kleinteilig (vom lokalen Immobilienmarkt) abgeleitet werden, da sich die Entwicklung des Immobilienmarktes von Region zu Region sehr unterscheiden kann. Gerade bezüglich des lokalen Marktes kann es aber auch zu Problemen bezüglich der Datenverfügbarkeit kommen. Sollte keine bessere Möglichkeit zur Verfügung stehen (z. B. Daten vom Gutachterausschuss oder der örtlichen Sparkasse) kann – bei entsprechender Bewegung im Markt – das Risiko ersatzhalber aufgrund von Kaufdaten ermittelt werden, wie sie z. B. im Portal „Immowelt.de“ erhältlich sind. Hierbei handelt es sich allerdings allein schon deswegen um eine inferiore Lösung, weil die Anzahl der in die Auswertung eingehenden Objekte nicht bekannt ist.
3 In Tab.
1 unten wurden Dreijahresdaten des Portals „Immowelt.de“ für eine südwestdeutsche Kleinstadt verwendet. Ziel ist die Bestellung eines marktgerechten Erbbaurechtes an einem Einfamilienhausgrundstück. Als Kaufpreis für ein Einfamilienhaus (140–180 qm) ergibt sich auf den Juli 2016 (beabsichtigter Start des Erbbaurechtsvertrages) in linearer Extrapolation der Vergangenheitsdaten aus drei Jahren hochgerechnet 205.159 €. Die Trendstandardabweichung bei Volleigentum σ
V betrug über drei Jahre hinweg 18.541 € oder 9,04 %.
Tab. 1
Ermittlung des Risikos (Trendstandardabweichung σV bzw. σE)
Gesucht ist nun die Rendite (Liegenschaftszinssatz) r
E für ein Einfamilienhaus im Erbbaurecht. Geht man davon aus, dass sich das Rendite/Risiko-Verhältnis bei Erbbaurechts-Immobilien gegenüber Immobilien im Volleigentum nicht verschlechtern darf, ist mindestens dieselbe Sharpe Ratio wie beim Volleigentum auch auf die Erbbaurechts-Immobilie anzulegen:
$$r_{E}=s\, \cdot \, \sigma _{E}+r_{f}$$
(3)
Allerdings unterscheidet sich das Risiko der Erbbaurechts-Immobilie σ
E von derjenigen im Volleigentum σ
V. Der Erbbauzins stellt aus Sicht des Erbbauberechtigten Fixkosten dar, die zu einem erhöhten Operating Leverage-Risiko führen, und zwar sowohl auf Ertrags- wie auf Liquiditätsebene. Häufig wird für den Fall der Insolvenz des Erbbauberechtigten der Heimfall vereinbart (von Oefele und Winkler
2012, S. 161). Schon der Zahlungsverzug kann u. U. ein Heimfallrecht begründen; allerdings muss der Erbbauberechtigte hierfür mindestens in Höhe zweier Jahresbeträge im Rückstand sein (§ 9 Abs. 4 ErbbauRG). Das Risiko aus den Ertragsschwankungen der Immobilie lastet somit zum größten Teil auf dem Erbbauberechtigten bzw. dem Gebäudeanteil (zur Diskussion dieses Aspektes s. Abschn. 4.). Der Gebäudeanteil der gehandelten Immobilien lässt sich unter Rückgriff auf die durchschnittlichen Bodenrichtwerte und die durchschnittliche Grundstücksgröße (hier: ca. 800 qm) an einer Immobilie im Volleigentum ermitteln (in Tab.
1: 50,1 %). Die Schwankungsbreite von 18.541 € (absolut) bezieht sich beim Erbbaurecht also nicht auf den Gesamtwert (hochgerechnet für Juli 2016: 205.159 €), sondern nur noch auf den Gebäudewert (für Juli 2016 : 102.716 € = 50,1 % × 205.159 €). Dementsprechend erhöht sich das Risiko von 9,04 % (= 18.541 €/205.159 €) auf nunmehr 18,05 % (= 18.541 €/102.716 €; s. Tab.
1). Diese Daten werden auf das Bewertungsobjekt übertragen.
Auf dieser Grundlage kann nun die Sharpe Ratio aus der Immobilie in Volleigentum (Gl. 1b) auf die Erbbaurechtsimmobilie übertragen und mittels Gl. (
3) die minimale Renditeforderung des Erbbauberechtigten r
E ermittelt werden. Diese muss entsprechend deutlich über dem Liegenschaftszinssatz
r der Immobilie im Volleigentum liegen (siehe Tab.
2).
Tab. 2
Ermittlung der Mindestrenditeforderung beim Erbbaurecht
3.1.2 Berechnung – Schritt 2: Ermittlung der Rendite„subvention“ des Erbbauberechtigten
Nachdem die Höhe der Mindest-Renditeforderung des Erbbauberechtigten ermittelt wurde, ist die Frage zu beantworten, wie er diese Mindestrendite erreichen kann. Dies kann durch eine Zahlung (Rendite„subvention“
4) zugunsten des Erbbauberechtigten geschehen. Hinzu kommt noch ggfs. eine Kompensation für den Bodenwert (hier: 85.000 €) für den Fall, dass der Immobilieneigentümer den Boden an den in der Folge Erbbauverpflichteten verkauft und „zurückpachtet“ (sale and lease back). Die notwendige Rendite„subvention“ Y ergibt sich aus der Differenz des Gebäudewertes bei Volleigentum GW und bei Erbbaurecht GW
E (eine Minderung der Anschaffungs- oder Herstellungskosten durch die „Subvention“ unterstellt). Bezogen auf den Gesamtwert der Immobilie kann sie ermittelt werden aus
$$Y=EW-\left (GW_{E}+\, BW\right ),\,$$
(5a)
wobei
$$GW_{E}=\left (RE-\, r\, \cdot BW\right )\, \cdot \, V_{E}$$
(5b)
Der Vervielfältiger V
E ist dabei unter Zugrundelegung des erhöhten Liegenschaftszinssatzes (hier: 5,79 %) zu berechnen, so dass GW
E entsprechend geringer ausfällt als GW bei Volleigentum. Dies wird in Tab.
3 in Fortführung des o. a. Beispiels anhand einer Ertragswertrechnung illustriert (dabei wird unterstellt, dass der Erbbauberechtigte die Immobilie weitervermietet bzw. er diese nur als Investment betrachtet).
Tab. 3
Ermittlung der Rendite„subvention“ beim Erbbaurecht
Vorliegend werden die Gebäudeanschaffungskosten von ursprünglich 129.245 € um die Rendite„subvention“ i.H.v. 48.761 € auf 80.484 € reduziert, um die geforderte Mindestrendite von 5,79 % zu erlangen. Hinzu kommt ggfs. (bei sale and lease back) der noch ggfs. zu zahlende Preises für Grund und Boden.