Zusammenfassung
Vier wesentliche Faktoren erklären Dauer und Schärfe der Weltwirtschaftskrise in den frühen 1930er Jahren. Erstens gelang es den Nationalstaaten nicht, sich auf ein koordiniertes wirtschaftspolitisches Programm zur Krisenbekämpfung zu einigen. Zweitens führte der Golddevisenstandard Länder mit negativer Handelsbilanz in eine gefährliche Abhängigkeit von kurzfristigen Kapitalimporten, deren Abzug in einer Kettenreaktion eine schnelle internationale Ausbreitung der Krise bewirkte. Zudem war es den vom Verlust ihrer Goldreserven betroffenen Zentralbanken nicht möglich, dem strauchelnden Geschäftsbankensystem als „Lender of last resort“ zu dienen. Drittens machten viele Regierungen den Fehler, der Krise mit einer kontraktiven Fiskalpolitik begegnen zu wollen. Viertens hatte die Volkswirtschaftslehre die Regierenden auch nicht darauf vorbereitet, den psychologischen Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise wirksam entgegenzutreten. So beschleunigte der abrupte Übergang vom Optimismus der „Golden Era“ zum Pessimismus der Depression gerade in der Anfangsphase den Rückgang der privaten Konsumnachfrage. Später war es das schwindende Vertrauen in die Funktionsfähigkeit des Geschäftsbankensystems, das zu Bankenkrisen und in deren Folge zu Deflation und Investitionsschwäche führte.
Danksagung
Die Verfasser danken Karen Horn und Karl-Heinz Paqué für wertvolle Anregungen und Hinweise.
Literatur
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Autoreninformation
Prof. Dr. Mark Spoerer, geb. 1963, hat Wirtschafts- und Sozialge-schichte (M.A.) sowie Volkswirtschaftslehre (Dipl.-Vw.) in Bonn studiert. Dissertation über Unternehmensgewinne in der Weimarer Republik und im Dritten Reich, Habilitation über Steuerpolitik und ihre Verteilungswirkungen im 19. Jahrhundert. Auslandsaufenthalte in Barcelona, Tokio und Paris. Seit 2011 Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Regensburg. Forschungsschwerpunkte: Europäische Wirtschafts-, Unternehmens- und Sozialgeschichte seit dem 19. Jahrhundert, v.a. öffentliche Finanzen, Zwangsarbeit, Gemeinsame Europäische Agrarpolitik, Textileinzelhandel jeweils in historischer Perspektive.
Prof. Dr. Jochen Streb, geb. 1966, ist Professor für Wirtschaftsge-schichte an der Universität Mannheim; 2003 bis 2011 Ordinarius für Wirtschafts- und Sozialgeschichte mit Agrargeschichte an der Universität Hohenheim; Koordinator des Schwerpunktprogramms der DFG "Experiences and Expectations: Historical Foundations of Economic Behaviour" (SPP 1859); 2007 bis 2010 Vorsitzender des Wirtschaftshistorischen Ausschusses des Vereins für Socialpolitik; Forschungsschwerpunkte: Historische Innovationsforschung, Industriepolitik im Dritten Reich, Genese deutscher Sozialversicherungssysteme; u. a. Publikationen im Journal of Economic History, Economic History Review, RAND Journal of Economics.
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