Die Salami-Taktik genießt keinen guten Ruf. Wer die Wahrheit nur scheibchenweise preisgibt, macht sich verdächtig. Joseph Pulitzer konnte Ende des 19. Jahrhunderts noch davon ausgehen, dass es nichts Übles gibt, das einerseits nicht von Geheimhaltung lebe und dessen Aufdeckung andererseits dafür sorgen werde, dass die öffentliche Meinung es früher oder später hinwegfegte. Auf eine solche publizistische Wirkkraft kann der heutige Enthüllungsjournalismus nicht mehr zählen, auch weil schon Pulitzers Zeitgenossen zu einer Skandalübersättigung beigetragen haben, die noch im 21. Jahrhundert an den Bemühungen ablesbar ist, Empörung zu organisieren. Hierfür sind die Panama Papers ein eindrücklicher Fall. Um das Thema intransparenter Briefkastenfirmen nachhaltig in öffentlicher Erinnerung zu halten, entschließt sich das koordinierende ICIJ zu einer Publikationsstrategie; man wählt die Salami-Taktik. Diese Antwort auf das Problem der Skandalübersättigung wird allerdings von Transparenz-Organisationen wiederum skandalisiert: Es ginge nicht um eine Zeit-Taktik, sondern um die Durchsetzung von Privatinteressen.
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Zwar konstatiert Hannes Wimmer (2000, S. 477 ff.) schon für die 1640er Jahre den Zusammenbruch der Regierungskontrolle über die Druckerpressen, die Stamp Tax aber, die Stempelsteuer auf Zeitungspapier, wird erst 1855 abgeschafft.
Zu vermuten steht, dass der Siegeszug des Begriffspaars von Kontrolle und Kritik durch die den „Fourth Estate“ begründende Formulierung des zeitweiligen Times-Redakteurs Henry Reeve (1855, S. 249 f.) begründet wurde „Journalism, therefore, is not the instrument by which various divisions of the ruling classes express themselves; it is rather the instrument by means of which the aggregate intelligence of the nation criticises and controls them. It is indeed the ‘Fourth Estate’ of the Realm.“
Mit Löffler (1960) lässt sich hierin auch ein Wiederanschluss an das Reichspressegesetz „von 1874 mit dem Begriff der ‚formellen Pressefreiheit‘“ erkennen. Für das Urteil von 1972 siehe http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv033052.html. Zugegriffen: 14. Juni 2019.
Daniel Berliner (2016) untersucht die Rolle der INGO Article 19 in der Verbreitung von Freedom of Information (FOI) laws und zeigt, wie diese es anstellt, weit über Alarmierung hinaus bis in „the process of domestic legal design“ hineinzuwirken. Die Bedeutung von Informationsfreiheitsgesetzen für gegenwärtige Investigativbüros ist kaum zu überschätzen. Auf der Hand liegt die Bedeutung solcher Materialien als Quelle, darüber hinaus bietet die Rechtslage Journalist_innen die Möglichkeit, Fälle auszulösen, die ihnen günstige Spezifizierungen bedeuten können: http://meedia.de/2016/10/21/informationsfreiheitsgesetz-correctiv-journalisten-setzen-sich-gegen-bundesinnenministerium-durch/. Zugegriffen: 14. Juni 2019.
Auch die Forderung nach cross media oder multi-channel Strategien hat historische Vorläufer. Schon mit Blick auf eine schmalere Medienpalette argumentierte der Politikwissenschaftler und ehemalige Kohl-Berater Wolfgang Bergsdorf (1980, S. 86), dass im politischen Raum wirkende Gruppierungen „sich auf die Gesamtheit der Massenkommunikationsmittel beziehen“ müssten.
So auch Scott Klein von ProPublica im Interview auf die Frage, ob sein Arbeitgeber eine Internationalisierung in Betracht ziehe, was finanziell ohne weiteres machbar wäre: „You know, (')as a US-based uh organizatio:n who:’s, you know– I think, we wanna keep our focus pretty sharp on the US and we sort of understa:nd open (')data in the US doc– uh (.) the freedom of information la:ws in = the United States, we kind = of know how the US works.“
Auch die Sozialwissenschaften sprachen mitunter emphatisch hierüber: „WikiLeaks und vergleichbare Plattformen verstehen sich explizit als global agierende neue vierte Gewalt, die eine neue Form des Polizierens (…) auf globaler Ebene betreiben. Damit stehen Wikileaks und vergleichbare Netzaktivisten zweifellos in der Nähe des klassischen investigativen Journalismus und knüpfen an deren Verständnis als Vierte Gewalt nicht nur im Staate, sondern auf der gesamten Welt an“ (Reichertz et al. 2012, S. 199). Judith Beyrle (2016, S. 164) zeigt für den Fall der Botschaftsdepeschen, dass gerade nicht alles auf einmal online gestellt wurde, „sondern begleitend zur Print-Veröffentlichung […] nur wenige hundert Dokumente“. Die Idee von WikiLeaks treffe sich mit dem klassischen Ideal Vierter Gewalt „in der Hoffnung auf eine qualitative Änderung von Politik durch Öffentlichkeit. Die Öffentlichkeit der Dokumente würde nun die Arbeit der Einordnung und Einschätzung den Lesern überlassen“ (ebd., S. 206).