Die Corona-Pandemie ist Anschauungsunterricht in Sachen Supply-Chain-Management. Diskussionen um Versorgungsengpässe machen selbst Grundschülern begreifbar, wie instabile Lieferketten in den Alltag wirken. Digitalisierung kann die Antwort auf dieses Problem sein.
Es geht um fehlende Schutzausrüstung und Desinfektionsmittel, drohende Engpässe in der Versorgung mit Medikamenten und produzierende Industrien, die auf weltweite Zulieferer angewiesen sind. Die Corona-Krise erweist sich als ein weiteres Beispiel dafür, wie komplex und fragil globale Lieferketten sind. Dabei führt bereits der Begriff in die Irre. Denn um wirklich verstehen zu können, warum Lieferketten so schwer zu kontrollieren sind, muss sich vom Bild der linearen Konstrukte gelöst werden.
Springer-Autor Wolf-Rüdiger Bretzke versteht die Supply Chain als "fragmentierte Eigentümerstrukturen auf und zwischen Wertschöpfungsstufen und, daraus resultierend, sich überlappende, nicht konvergierende, polyzentrische Netze" (Seite 93). In diesen Netzen sind die direkten Lieferantenbeziehungen zwar bekannt, das Geflecht aus Sub-Lieferanten und deren Zulieferern, Tier-2 und Tier-3, ist nicht mehr zu überblicken. Digitale Lösungen könnten für mehr Transparenz sorgen. Aber kann die Corona-Pandemie nun auch den Digitalisierungsschub bewirken? Den Unternehmen allen vergangenen Einschlägen in ihre Lieferantenbeziehungen zum Trotz - etwa der Fukushima-Katastophe - auf die lange Bank geschoben haben?
Supply Chain global entwickeln, lokal ausdrucken
In den Köpfen von Digitalisierern scheint es jedenfalls zu glühen. So ruft der Smart Systems Hub Dresden zum virtuellen Thinkathon "Supply Chain Management in Zeiten von Corona" auf. Der Softwareentwickler und Unternehmer Lin Kayser spricht sich unterdessen im Interview für eine Umstellung der klassischen Produktion auf Digitale Physische Produkte (DPPs) aus. "Das Kernelement ist die additive Fertigung, also der industrielle 3D-Druck. Denn der macht es möglich, dass die digital hergestellten Produkte am Ende lokal, direkt vor Ort gefertigt werden." In der Unternehmenswirklichkeit geht die Digitalisierung unterdessen schleppend voran, wie das BME Barometer "Elektronische Beschaffung 2020" zeigt. Für die im Auftrag des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME) durchgeführte Studie gaben 168 Unternehmen aus Industrie, Dienstleistungsgewerbe, Handel und öffentlichen Institutionen Auskunft.
In knapp jedem vierten Unternehmen wird die Digitalisierung den Aussagen zufolge von der Geschäftsführung ausgebremst. Interne Hinderungsgründe konnten rund 60 Prozent der Befragten nennen. Angeführt wird die Liste von einer "mangelnd" wahrgenommenen internen Datentransparenz- und strukturierung (48,9 Prozent). Es folgen dicht aufeinander: generelle innerbetriebliche Widerstände (41,2 Prozent); mangelnde Unterstützung seitens der Geschäftsführung (40,9 Prozent); ungenügende oder fehlende Standards (40 Prozent); hohe Kosten (39,8 Prozent); unzureichende interne technische Voraussetzungen (37,5 Prozent) und mangelnde Motivation/mangelndes Erkennen von Chancen (34,8 Prozent). Befragt nach der Bedeutung von Zukunftstechnologie bewerteten knapp 70 Prozent Big Data Analytics mit "eher wichtig" oder "sehr wichtig". Insgesamt verzeichnen die Studienautoren bei allen gelisteten Zukunftstechnologien im Vergleich zum Vorjahr einen Bedeutungsverlust. Begründet wird das mit der Vermutung, dass digital erfahrene Unternehmen sich nicht an der Befragung beteiligt haben.
Zukunftstechnologien 2020 |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Quelle: BME-Barometer "Elektronische Beschaffung 2020“
Lieferketten im Wimmelbild des globalen Handelsgeflechts
Zahlen des Statistischen Bundesamtes (Destatis) zeigen, wie abhängig die deutsche Wirtschaft vom Handelspartner China ist. Insgesamt wurden im Jahr 2019 Waren im Wert von 205,7 Milliarden Euro gehandelt, auf die Importe entfallen 109,7 Milliarden Euro. Angeführt werden die Importgüter von Computern, elektrischen und optischen Erzeugnissen mit 37,6 Milliarden Euro, gefolgt von elektrischer Ausrüstung (14,8 Mill. Euro) und Maschinen (9,4 Mill. Euro). "Umso komplexer ein Endprodukt ist, umso größer ist die Zahl der Elemente in einer Supply Chain", schreibt Springer-Autor Christian Kille in seinem Buchkapitel "Digital Supply Chain Management" (Seite 124).
Die Digitalisierung soll es nun schaffen, die Transparenz innerhalb des Lieferantengeflechtes zu maximieren. Denn, werden im Krisenfall Gefahrenstellen schneller identifiziert, kann darauf reagiert und Schaden minimiert werden. Das schafft widerstandsfähige und zugleich zuverlässige, weil flexible Netzwerke. "The coronavirus epidemic teaches us — once again — that a robust supplier-monitoring system that maps sub-tier dependencies is a basic requirement for today’s supply chain and sourcing professionals", schreibt die Harvard Business Review dazu.
Herausforderungen bei der Digitalisierung von Supply-Chains/Lieferketten |
|
Quelle: Christian Kille, Buchkapitel "Digital Supply Chain Management, Seite 123.
Digitalisierung von Lieferketten
Christian Kille zitiert 14 Dimensionen von Komplexität, die Unternehmen bei der Digitalisierung ihrer Lieferketten herausfordern. Jeder Ausprägung ordnet er eine digitale Lösungsmöglichkeit zu (Seite 124ff). So könnten Probleme innerhalb der Lieferkette, die durch den Trend zu Diversität und Individualisierung von Produkten entstehen, durch 3D-Druck und Postponement-Methoden gemindert werden. Ändern sich die Rahmenbedingungen innerhalb der Lieferbeziehungen schaffe Digitalisierung die benötigte Transparenz. Unsicherheiten etwa durch Kapazitätsengpässe könne Big-Data-Analytics entgegen wirken.
Springer-Autor Christian Wurst erkennt neben dem 3D-Druck in der Blockchain-Technologie eine weitere Chance zum Festigen von Lieferbeziehungen in der Logistik 4.0. Die Blockchain-Technologie verarbeitet und speichert große Datenmengen von vielen Teilnehmern in Echtzeit, das ermöglicht schnelle lückenlose Abstimmung, Rück- und Nachverfolgung. Das geschieht mit hoher Datensicherheit und schützt Prozesse vor Manipulation und Fälschung. Vergleichbar seien Blockchain-Prozesse mit einem digitalen Kassenbuch: "Sobald eine neue Position in eines dieser Kassenbücher eingetragen wird, erscheint dieser Posten in allen anderen Kassenbüchern der Vertragspartner und wird von deren Computern, auf denen die Kassenbücher gespeichert sind, authentifiziert" (Seite 38).
Alle tagesaktuellen Beiträge rund um die Corona-Krise finden Sie hier