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2025 | Buch

Mainstream – freie Meinung – Populismus

Interdisziplinäre Beiträge zur Debattenkultur und zu Spaltungstendenzen der Gesellschaft

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Über dieses Buch

Der Mainstream, prinzipiell wandelbar, ist seit einigen Jahren geprägt von erheblicher Enge (d.h. Diskurs-Ächtung einiger Teile der Gesellschaft). Meinungsfreiheit implodiert, besonders durch Ausgrenzungen Privater. Zudem radikalisieren sich kleinere Gruppen, wozu das Internet viel beiträgt. Im Populismus – von rechts wie von links – haben gesellschaftliche Spaltungstendenzen dann schon deutliche Prägung erfahren. Die Frage, wann und ob das Phänomen einer im engeren Sinne „gespaltenen Gesellschaft“ vorliegt, wird hier kaum direkt behandelt, die acht Buchbeiträge jedoch stehen in vielfältiger Beziehung hierzu. Gesellschaftlichen Spaltungstendenzen kann entgegnet werden: u.a. durch Beachtung einiger Diskurs-Grundsätze, auch im Online-Bereich.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Mainstream – freie Meinung – Populismus
Interdisziplinäre Beiträge zur Debattenkultur und zu Spaltungstendenzen der Gesellschaft. Zur Einführung
Zusammenfassung
Im Zentrum des vorliegenden Buches steht die freie Meinung. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist in Deutschland wie in der EU zwar rechtlich gut geschützt, dennoch fühlen sich bemerkenswert viele nicht frei, bestimmte Meinungen in der Öffentlichkeit zu äußern aus Furcht vor sozialem Ausschluss, vor Cancel Culture und anderen Ausschluss-Mechanismen. Die zulässigen Themen werden bestimmt vom Mainstream, der durch politische Konsonanz zwischen Regierung und tonangebenden Medien entsteht. Bereits 2019 versah der Staatsrechtler Schlink einen Zeitungsbeitrag mit dem treffenden Titel: „Der Preis der Enge. Wie der gesellschaftliche und politische Mainstream die Rechten stärkt“. So entsteht bei den Ausgeschlossenen der Eindruck, ihre (abweichenden) Meinungen nicht ungestraft öffentlich äußern zu können. Auf diese Weise wurde und wird nicht zuletzt die Debattenkultur massiv beschädigt. Zugleich stellt das den Nährboden dar für das, was unter den Begriff Populismus gefasst wird. Wenn Populisten vom „eigentlichen Volk“ sprechen, meinen sie meist diese Ausgegrenzten und stellen sie den sich im Mainstream Bewegenden gegenüber. Neben dem in Mitteleuropa geläufigen Rechtspopulismus gibt es in diversen Ländern auch Linkspopulismus (Griechenland, Spanien, Frankreich, USA, Argentinien). Zudem findet man Populisten nicht nur als lautstarke Opposition, sondern auch zumindest zeitweilig in Regierungen (etwa in Ungarn, Polen, Italien, den USA, Österreich, der Slowakei, Griechenland, Spanien). Auch deren Regierungshandeln ist von einer Logik geprägt, das sich meist deutlicher – und unverblümter kommuniziert – auf deren Wähler, das „eigentliche Volk“, richtet, im Konfliktfall auch zu Lasten des Gemeinwohls. In den allermeisten Beiträgen dieses Bandes schwingen die Unterthemen Debattenkultur und Spaltungstendenzen der Gesellschaft mit. Debattenkultur bezieht sich sowohl auf Stil als auch auf inhaltliche Tiefe differenzierter Auseinandersetzung. Zur vorsichtigen Formulierung Spaltungstendenzen der Gesellschaft: In einigen Medien und in der Politik wird nicht selten die Existenz gesellschaftlicher Spaltung heutzutage in Deutschland behauptet, was in der Wissenschaft aber skeptisch gesehen wird. Tiefgreifende Spaltungen der Gesellschaft existierten und existieren, es gibt sie aber nur sehr selten (etwa in Nordirland). Gerade auch in diesem Fall ist Differenzierung in der Begriffswahl geboten. Der einführende Beitrag wird mit einer Übersicht über jedes der folgenden Kapitel des Buches abgeschlossen.
Lothar Häberle
Was heißt heute „Mainstream“?
Über die Entstehung und die Auswirkungen eines Phänomens in der spätmodernen Gesellschaft
Zusammenfassung
Wer sich im „Mainstream“ bewegt, ist überzeugt, dass seine Sicht der Dinge konform sei mit der (vermeintlichen) Mehrheit, die ihre Sicht wiederum als die nicht zu hinterfragende Normalität empfindet. Wer sie dennoch hinterfragt, scheint aus Sicht derer, die sich zum Mainstream rechnen, ein Außenseiter oder gar ein fragwürdiger Querdenker zu sein. Hier beginnt das zur Ausgrenzung führende Missverstehen. Weite Bevölkerungsteile empfanden den verdeckt neoliberalen Kurs der Großen Koalition (GroKo) mit ihrer Marktlogik als Mainstream. Hinter dem Schlagwort verbirgt sich das Gefühl, dass abweichende Meinungen und Gegenstimmen von den Leitmedien nicht zur Kenntnis genommen, mithin nicht in den Diskurs aufgenommen würden. Die politische Konsonanz zwischen GroKo-Regierung und tonangebenden Medien (vor allem ARD, ZDF, Der Spiegel, Süddeutsche Zeitung) erschien quer durch die politischen Lager als verdächtig: „Vom Aufpasser zum Anpasser“. Menschen in eher strukturschwachen Regionen Ostdeutschlands kamen zur Überzeugung, die politischen Eliten in Berlin würden vermittels der großen Medien „den Mainstream“ steuern. Ihrer Überzeugung nach verbreitet dieser journalistische „Mainstream“ Lügen, die „alternativen Medien“ hingegen die Wahrheit.
Die Etikette Mainstream gewann noch in ganz anderer Hinsicht Aussagekraft: als Strategie für eine anfangs randständige Auffassung über Gerechtigkeit, die für sich eine moralisch legitimierte Deutungshoheit beansprucht und darum zum gesellschaftlichen Mainstream werden will. Dieser Trend erwachte schon vor Jahrzehnten an US-amerikanischen Universitäten in Gestalt des Antirassismus, verband sich dann mit dem „intersektionalen Feminismus“, mit den Gender Studies und der Queer-Bewegung und trat als kulturpolitische „Social-Justice“-Doktrin im amerikanischen Hochschulleben auf – ein Geflecht aus Macht, Sprache und Wissen. Die mit aggressivem Impetus vorgetragenen moralischen Geltungsansprüche sollen „mainstreamisierend“ wirken und partikulare Positionen mehrheitsfähig machen. Doch ein kurzer Blick auf die Geschichte der Moderne zeigt, dass nur solche Bewegungen durchsetzungsfähig waren, die emanzipatorische Ziele verfolgten: gegen Diskriminierung, gegen Bevormundung und systematische Benachteiligung. Doch jene Ära des emanzipatorischen, zugleich auf sozialen Zusammenhalt gerichteten Mainstreamings scheint vorüber, die Phase der in Bubbles zerfallenden Gesellschaft hat begonnen.
Michael Haller
Mainstream-Enge und Implosion der Meinungsfreiheit
Faktoren für die Radikalisierung Einzelner sowie für medien-getriebenen Populismus
Zusammenfassung
Bereits 2019 zeigte der Staatsrechtslehrer, Richter und Romancier Bernhard Schlink in einem Essay auf, worin die Enge des politischen Mainstreams besteht und welchen Preis dies hat. Schlinks Überlegungen werden in dem Beitrag skizziert und eingeordnet. Die Mainstream-Enge bewirkt eine Einschränkung der Meinungsfreiheit, nun aber nicht – wie klassischerweise – durch den Staat, sondern durch nicht-staatliche Akteure.
Lothar Häberle
Ausblick auf den Postpopulismus
Was wird aus dem Populismus nach dem Ende der Demokratie?
Zusammenfassung
Der Aufstieg des Rechtspopulismus ist im Lichte der Zunahme internationaler Organisationen, der Entmachtung nationalstaatlich-demokratischer Institutionen und einem Repräsentationsdefizit kommunitaristischer politischer Einstellungen zu deuten. Zugleich kommt es in der Forschung infolge einer empirisch breiteren Befassung mit dem Populismus zu einer Zunahme des Bewusstseins für dessen Pluralität und die Kontextabhängigkeit seiner politischen Wirkungen.
Veith Selk
Migration und Populismus
Zusammenfassung
Europaweit ist der Populismus ganz unterschiedlichen Zuschnitts stärker geworden. Von der Migrationskrise 2015/16 profitierten vor allem rechtspopulistische Parteien. Gleichwohl gab es in Einwanderungsländern wie Spanien oder Portugal lange Zeit keine nennenswerten Erfolge derartiger Parteien.
Hans Vorländer
Aber können sie regieren? Über populistische Regime und populistische Regierungskunst
Ein Essay zum Rechtspopulismus
Zusammenfassung
Die Erwartung, Populisten würden auch als Regierung unterkomplex agieren, erweist sich oft als Illusion. Denn speziell als Regierungen zeigen sie sich lernfähig. Für jede Form des Populismus ist es wesentlich, den eigenen Unterstützern als dem „wahre(n) Volk“ die anderen gegenüber zu stellen und sich als alleinige Repräsentanten dieses „wahren Volkes“ zu inszenieren.
Jan-Werner Müller
Die Mechanismen öffentlicher Meinung und die Gefahr der gesellschaftlichen Spaltung
Zusammenfassung
Der Artikel befasst sich mit der Frage, ob die deutsche Gesellschaft auseinanderdriftet und sich zunehmend radikalisiert, wie oft behaptet wird. Die präsentierten Analysen zeigen, dass das Extremismus-Potenzial in der deutschen Bevölkerung nach wie vor gering ist und die Daten bisher auch nicht auf eine RadikalisierungRadikalisierung der Gesellschaft hinweisen.
Thomas Petersen
Integration oder Spaltung?
Status quo und Verbesserungspotenziale der Online-Diskussionen von Bürger:innen an der Schnittstelle zwischen Gesellschaft, Medien und Politik
Zusammenfassung
Der anfängliche Optimismus über Online-Diskussionen ist inzwischen Ernüchterung gewichen: Denn viele Studien zeigen, dass Diskussionen in Kommentarspalten auf den Websites journalistischer Medien und auf Social-Media-Plattformen oft polemisch, rau und respektlos sind, zum Teil sogar hasserfüllt. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die empirisch gesicherten Defizite dieser Diskussionen, aber auch über ihre Potenziale und Gestaltungsmöglichkeiten.
Marc Ziegele
Wann wollen wir von einer gespaltenen Gesellschaft sprechen und wie kann sie verhindert werden?
Zusammenfassung
Nicht jeder Konflikt verursacht eine gesellschaftliche Spaltung, viele haben nicht einmal das Potenzial dazu. Gleichwohl gab es gesellschaftliche Spaltungen etwa in Form (konfessioneller) Bürgerkriege und Separationsbewegungen aus Nationalstaaten heraus, die das gesamte soziale Leben in einen Kampf verwandelten.
Jürgen Kaube
Backmatter
Metadaten
Titel
Mainstream – freie Meinung – Populismus
herausgegeben von
Lothar Häberle
Copyright-Jahr
2025
Electronic ISBN
978-3-658-45547-7
Print ISBN
978-3-658-45546-0
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-45547-7