Im Werbemarkt spielen Technologie und Daten mittlerweile eine zentrale Rolle und ersetzen traditionelle Wertschöpfungsketten. Gefährden jedoch die damit entstandenen neuen Machtgefüge und Geschäftsmodelle der Netzwerk-Mediaagenturen die Vielfalt der Medien und die Demokratie?
Zu diesem Schluss kommt jedenfalls das bei den Münchner Medientagen vorgestellte Gutachten "(Neue) Geschäftsmodelle der Mediaagenturen". Es wurde im Auftrag der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) vom Institut für Europäisches Medienrecht (EMR) erstellt und analysiert sowohl die rechtliche als auch die Marksituation zwischen den wichtigsten Akteuren im Mediageschäft.
Daten wertvoller als das Inventar der Vermarkter
Der Wert von Werbung werde heute neu definiert, so die Gutachter. In dem veränderten Werbemarktgefüge würden Mediaagenturen nun mit Plattformen und vormals werbefernen Unternehmen konkurrieren und Geschäftsmodelle vorantreiben, die sich an der Finanzmarktlogik orientieren. So sei im Programmatic Advertising der Wert von Daten höher als der Wert des Inventars der Vermarkter. Dies erschwere werbefinanzierten Medien die Finanzierung von Content und gleichzeitig immer mehr Medienanbietern den Zugang zur Vermarktung.
Als problematisch werden auch die Tradinggeschäfte der Mediaagenturen beurteilt. Hierbei sei das Werbeinventar durchschnittlich zu 80 Prozent rabattiert, was die Existenz von Medien gefährde.
Insgesamt beschreibt das Gutachten den Werbemarkt als komplex und intransparent. Es hält eine kartellrechtliche Untersuchung des Mediaagenturgeschäfts für sinnvoll und empfiehlt "auch in Bezug auf Mediaagenturen Maßnahmen zu treffen, die Vorkehrungen zum Schutz publizistischer Vielfalt darstellen."
Branche reagiert gespalten
Dass diese Einschätzung zu kontroversen Reaktionen führt, erstaunt nicht. Media-Experte Thomas Koch etwa kanzelt in seinem W&V-Blog die "wildgewordenen Network-Mediaagenturen" ab. Er rät Agenturmitarbeitern, sich Arbeitgeber mit ethischen Grundsätzen zu suchen, Medien, sich "von Mediaagenturen nicht vor den Karren spannen zu lassen" und Werbekunden, sich die Hoheit über ihre Werbegelder zurückzuholen.
Der Geschäftsführer der Organisation der Mediaagenturen (OMG), Klaus-Peter Schulz, sieht das naturgemäß völlig anders. In seinem Gastbeitrag für das Branchenmagazin Horizont konstatiert er vielmehr eine Schräglage im Werbemarkt zugunsten von Big Playern wie Google, Facebook oder Amazon. Die gefährde keineswegs nur Medien, sondern grundsätzlich auch die Mediaagenturen. Das Gutachten liefere zudem keine faktischen Belege für einen Zusammenhang der Geschäftsmodelle der Mediaagenturen mit der Entwicklung der Medien- und Meinungsvielfalt. Erforderlich sei "eine konkrete Auseinandersetzung der Medienpolitiker und Kartellrechtler mit den Giganten des Internets und ihren Expansionsstrategien".
Optimale Werbeplätze kontra größtmögliche Rabatte
Neu ist das Gezänk indessen nicht. Den Grund sieht Springer-Autor Ralf Nöcker im dreifachen Nutzenversprechen der Mediaagenturen:
1. Beratung, wie ein Mediabudget bestmöglich einzusetzen ist
2. Einkauf von Medialeistung zum bestmöglichen Preis
3. Vermarktung von Naturalrabatten (Kickbacks)
"Um Rabatte erwirtschaften zu können, bündeln die Mediaagenturen Einkaufsvolumina. Anschließend geben sie die Rabatte an ihre Kunden weiter – oder auch nicht", erläutert er in dem Fachbeitrag "Etablierte Geschäftsmodelle von Agenturen". Hieraus ergäben sich folgende Hauptkritikpunkte (Seite 139):
Hauptkritikpunkte am Geschäftsmodell der Mediaagenturen |
Aus Kundensicht
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Aus Mediensicht
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Der Kritik hält Nöcker allerdings entgegen, dass Werbekunden ihre Mediadienstleister teilweise schon danach auswählten, welche Rabatte sie zu erreichen in der Lage seien. "Immer weniger sind sie bereit, für Beratungsleistungen der Mediaagenturen zu bezahlen. Mediaagenturen reagieren mit ihrem Geschäftsmodell also häufig schlicht auf Anforderungen ihrer Kunden", führt er auf Seite 139 aus.